Zum Tod von Laura Dahlmeier

Vielleicht ist es eine ganz überflüssige Sache, sich darüber Gedanken zu machen. Und natürlich bewegt man sich auf sehr dünnem Eis. Ganz schnell steht man im Auge des Shitstorms, wenn man eine andere Meinung hat als der Mainstream. Doch ich habe mich geärgert, und deshalb gibt es jetzt diesen Text.

Nicht über die endlosen Fragen der zahlreichen Journalisten, die mit mir sprechen wollten, weil ich den Laila Peak nach zwei Reisen zu diesem Berg besser kenne als die allermeisten. Nicht darüber, dass sie es alle ganz eilig hatten. Schon gar nicht darüber, dass Journalisten zwar sehr gern die Expertise eines erfahrenen Menschen nutzen wollten und seine Zeit in Anspruch nahmen, aber gar nicht auf die Idee kamen, dass es ungerecht ist, wenn man für eine Leistung, die man bekommt, keine Gegenleistung erbringt. Das ist schon in Ordnung. Das bin ich gewöhnt.

Der 6096 m hohe Laila Peak im pakistanischen Karakorum von Norden aus gesehen. Er gilt als einer der formschönsten Berge der Welt. Seine Besteigung und die der anderen Berge, die ich gemeinsam mit diesem Text zeige, zählen zum Großartigsten, was ich in den vergangenen 30 Jahren gemacht habe. Noch heute erfüllt mich der Anblick dieser Berge mit tiefer Befriedigung und einem großen Glücksgefühl.

Geärgert habe ich mich über die vielen Kommentare in diversen Medien und auch auf meiner Facebookseite, die verurteilen, was Laura Dahlmeier das Leben gekostet hat. Nämlich das sie sehenden Auges ein scheinbar großes Risiko eingegangen ist, um auf den Gipfel eines Berges zu gelangen. Es sei ganz und gar unverständlich, falsch und verantwortungslos, sich freiwillig und ohne Not ganz offensichtlichen Gefahren auszusetzen.

Mein Problem geht schon damit los, dass sich überhaupt Leute berufen fühlen, solche Urteile zu fällen! Und meist sind das Menschen, die gar keine Ahnung von diesem Metier haben, die noch nie spüren durften, was es mit einem macht, einen großen, herausfordernden Berg unter Aufbietung seines ganzen technischen Könnens, seiner Erfahrungen, seiner körperlichen Fähigkeiten und seiner Willenskraft bezwungen zu haben.

Die drei Vajolettürme im Rosengarten der Dolomiten in Südtirol. 2023 war ich dort und auf allen dreien auch oben.

Die Emotionen, welche daraus resultieren, sind dermaßen mächtig, die Freude, die Zufriedenheit, das Glücksgefühl, dass niemand über ihren Wert für die eigene Persönlichkeit urteilen darf, der das nicht schon selbst erlebt hat. Hier geht es um echtes Glück, um eine Qualität des Erlebens, die WIR nirgendwo anders finden können. Und ich spreche absichtlich nicht nur von mir, wie ich das sonst eigentlich mache. Denn ich kenne eine ganze Menge Leute, denen es genauso geht wie mir.

Der 6543 m hohe Shivling im indischen Garhwal-Himalaya zählt nicht nur zu den schönsten Bergen der Welt, sondern auch zu den allerheiligsten. Er ist Symbol für die Schöpferkraft Shivas und steht direkt an der Quelle des Ganges. 2017 waren wir an ihm erfolgreich.

Was ist denn nun der Sinn unseres kleinen Lebens hier auf der Erde? Möglichst ruhig und lange zu leben? Kinder in die Welt zu setzen? Etwas Gutes für die Menschheit zu bewirken?

Leider ist es ein extrem schwieriges Unterfangen, zu beurteilen, was eigentlich gut und was schlecht ist. Wer ist dazu berufen?? Gibt es diesbezüglich eine absolute Wahrheit? Mir fallen Dutzende Beispiele ein, wo man trefflich darüber streiten könnte, ob etwas gut oder doch vielmehr ganz besonders schlecht ist. Viele Dinge, die man ohne zu überlegen wohl für gut halten würde, haben dazu geführt, dass unsere Zivilisation womöglich schon bald ernsthaft darüber nachdenken muss, wie sie auf einem zunehmend unbewohnbaren Planeten überleben kann. Antibiotika zum Beispiel, Impfungen, Kunstdünger oder auch der von uns allen so sehr geschätzte technische Fortschritt: Autos, Flugzeuge, Smartphones.

Der Stetind ist nur 1392 m hoch, gilt aber trotzdem als größter Granit-Obelisk der Erde. Seine Umgebung im norwegischen Skanden-Gebirge überragt und beherrscht er deutlich und nicht zuletzt deshalb wird er als eine der schönsten Granitfelsgestalten der Erde angesehen. 2018 gelang uns seine Besteigung über den Südpfeiler.

Wer will sich aufschwingen, darüber ein garantiert richtiges Urteil zu fällen? Damit wir uns nicht falsch verstehen. Ich halte Schutzimpfungen, Antibiotika und Düngemittel für die vielleicht größten Errungenschaften des menschlichen Geistes. Nichts anderes hat dermaßen viel Leid, Qual, Hunger und Tod verhindert. Es hat aber zweifellos auch dazu geführt, dass das gesamte Ökosystem unseres Planeten unter der gewaltigen Last von mehr als 8 Milliarden Menschen gerade dabei ist, zusammenzubrechen. Und dass es so viele von uns gibt, haben wir nicht zu letzt diesen drei Dingen zu verdanken.

Der 8080 m hohe Hidden Peak im pakistanischen Karakorum zählt zu den Formschönsten aller 8000er. Ich finde, dass nur der unvergleichliche K2 mit ihm konkurrieren kann. Gleich drei Versuche waren nötig, bis es 2019 endlich mit dem Gipfelerfolg geklappt hat.

Wieviel einfacher ist es doch, über Leute zu urteilen, die  in den Bergen ihr Leben aufs Spiel setzen. Als ich hörte, dass Laura Dahlmeier am Laila Peak verunglückt ist, habe ich ein Foto des Laila Peaks gepostet. Ich war traurig und entsetzt darüber, dass diese überaus sympathische  Athletin ausgerechnet am wunderschönen Laila Peak von einem Steinschlag getroffen wurde. Mein zweiter Gedanke war, wieviel Glück uns doch bei unserer Besteigung dieses Berges zuteil wurde. Sie hatte riesengroßes Pech. Und als klar war, dass sie nicht überlebt hat, war ich noch trauriger.

Seit 2001, als ich den Berg zum ersten Mal sah, ging er mir nicht mehr aus dem Kopf. Zu kühn ragt diese ungewöhnliche Berggestalt in den Himmel. Er gilt deshalb als einer der schönsten Berge der Erde. Ich fand das auch. Und als ich fast 20 Jahre später erfahren genug war, um an diesem anspruchsvollen Berg einen Versuch zu starten, konnte mich irgendwann niemand mehr davon abbringen. Es ist kein Wunder, dass ein begeisterter Alpinist von einer derart schönen Berggestalt unaufhaltsam angezogen wird.

Die meisten Menschen haben seinen Namen noch nie gehört und doch ist der 6025 m hohe Artesonraju in der Cordillera Blanca in Peru der mit großem Abstand bekannteste Berg der Welt. Jeder hat ihn schon einmal gesehen, denn er ziert das Logo des Filmgiganten Paramount. 2014 sind wir die unbeleuchtete Flanke rechts des Grates in der Bildmitte geklettert.

Unter meinem Post vom Laila Peak gab es Dutzende von Kommentaren, welche teilweise in einer fragwürdigen Art ihr Urteil über Menschen wie Laura und damit auch über mich und so viele andere großartige Menschen gefällt haben, die Berge über alles lieben.

Wenn ich vor einem großen Berg stehe, dann kann ich regelrecht spüren, mit welch ungeheuren Zeiträumen und Kräften wir Menschenzwerge es hier zu tun haben und was Erhabenheit wirklich bedeutet. Mit ihrer unermesslichen Größe und ihrem unvorstellbaren Alter rücken sie meine Perspektive auf mich selbst immer wieder neu zurecht. Berge konfrontieren uns mit Zeiträumen, die jenseits unserer Vorstellungskraft liegen und zeugen von stärkeren Kräften als wir sie je beschwören können.

Wenn es um die schönsten Berge der Welt geht, wird sie am häufigsten genannt, die 6814 m hohe Ama Dablam in Nepal. 2006 sind wir den Westgrat geklettert, der rechts der Bildmitte vom Gipfel herunterzieht.

Wir Menschenzwerge sind nur winzig kleine Punkte auf der unendlichen Achse der Zeit. Das wird uns in den Bergen immer wieder vor Augen geführt. Diese Erkenntnis macht mich demütig und bescheiden, aber vor allem macht sie mich dankbar und glücklich, wenn ich zwischen und auf ihnen bestehen kann.

So belohnen uns die Berge also nicht nur mit Fernsichten, sondern vor allem auch mit Einsichten, die hier unten in der Ebene oft nur schwer zu haben sind. Das einzige was wir dafür tun müssen, ist hingehen!

 

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10 Antworten

  1. Henry Pfeiffer sagt:

    Diese Faszination, dieses Glücksgefühl, diesen einzigartigen Gedankengängen kann niemand folgen, der diese Ehrfurcht vor dem Berg und dieses Du und Ich, nie spürte….

  2. Claudia sagt:

    Wie immer – ein sehr gelungener Artikel, lieber Olaf – Du sprichst mir aus dem Herzen. Ich bewundere Deine Langmütigkeit, denjenigen, die Dir teilweise unmögliche Kommentare unter Deine Posts geschrieben haben, zeigen zu wollen, welche Empfindungen uns bewegen, in den Bergen ein tieferes Verständnis für das Leben und mentale Stärke zu gewinnen.

  3. Christian Pech sagt:

    Du hast es wieder auf den Punkt gebracht! Leute, die diese Faszination, diesen Drang auf die Berge zu gehen oder sich anderweitig mit den Naturgewalten auseinanderzusetzen nicht haben, können das nicht nachvollziehen. Sie sollten deshalb lieber still sein.

  4. Vera Zimmermann sagt:

    Noch nie im Leben bin ich auf einen Berg geklettert. Und werde es auch nicht mehr. Aber nie im Leben käme es mir in den Sinn jemanden dafür zu verurteilen genau das zu tun. Ich kann nur zu gut verstehen was jemanden am Berg sein so fasziniert. Ich habe viele Vorträge und Multivisions-Shows, unter anderem von Reinhold Messner und Ueli Steck, gebannt verfolgt. Im Reihenstuhl des Vortragssaales gedanklich an irgendwelchen Bergwänden gehangen. Ich habe schon als Kind Bücher über die Bergsteigerei gelesen und auf einem Trekking am Annapurna die gigantische Welt der Berge erlebt. Ich kann dieses Verlangen sehr gut nachvollziehen. Aber ich hätte zum einen zu viel Angst und zu wenig Biss. Deshalb gefällt mir auch dein Text sehr. Du hat es auf den Punkt gebracht. Schade ist, dass die Menschen, welche die Klappe am meisten aufreissen diesen Text wohl nicht lesen werden. Denen reicht ihre eigene Meinung wohl. Bequem vom Sofa aus und natürliche mit einem Bier und Zigarette in der Hand geschrieben. Danke für deinen super Text!

  5. Minitiger sagt:

    Auch wenn mein höchster bezwungener Gipfel (gerade einmal 3.300m) bei weitem nicht an die Großen dieser Welt heranreicht, so kann ich doch sehr gut die magische Anziehungskraft der Berge nachvollziehen und würde niemals jemanden verurteilen, der sich immer wieder auf den Weg nach (ganz weit) oben macht.
    Vielen Dank für deine schönen Texte und Bilder, die ich von hier unten aus sehr genieße!

  6. Supertoller Beitrag, danke dafür!
    Off topic: Der Text ist (für mich) mobil schwer lesbar, vlt das Schriftbild vergrößern u event. auf fett umstellen, so als Anregung.. ¯\_(ツ)_/¯

  7. Detlef Weyrauch sagt:

    Lieber Olaf, du hast es wieder einmal auf den Punkt gebracht. Ein sehr guter, nachdenklicher Text, auch was die Zukunft der Menschheit betrifft. Die Begeisterung für die Berge steckt schon seit meiner Kindheit in mir. U.a. Dank deiner Trekkingtouren in Nepal habe ich auch schon auf 9 Gipfeln jenseits der 5000er Marke gestanden. Deshalb kann ich die Motivation von Laura Dahlmeier verstehen, aus dem finanziell einträglichen Biathlon-Geschäft auszusteigen, und sich den großen Bergen zuzuwenden. Es tut auch mir sehr leid, dass sie ihre Leidenschaft in so jungen Jahren mit dem Leben bezahlen musste.

  8. Ilona (FB-Name Houdini) sagt:

    Also jetzt bin ich doch tatsächlich stark beeindruckt ✌️ Noch vor wenigen Minuten habe ich in deinem letzten FB-Beitrag geschrieben, dass ich kein Verständnis habe. Das betraf allerdings den „Massentourismus“ auf die Berge und dazu stehe ich nach wie vor.
    Nun hat mir dieser Bericht hier und jetzt eine andere Sichtweise gezeigt. Ich verstehe nun die Beweggründe für die WIRKLICHEN Bergsteiger, also die „Profis“ unter euch. Wahrscheinlich ist nicht jeder so wohl überlegt wie du 🤔 Ich finde es echt stark, dass du dir fast 20 Jahre Zeit gelassen hast und erst nach entsprechenden Erfahrungen beschlossen hast, auf den Laila Peak zu steigen. Nicht in einer Hau-Ruck-Aktion als „Anfänger“, wie es so viele machen und dann kläglich scheitern, in einigen Fällen auch nicht mehr zurück kommen. Okay, das kann auch sehr erfahrenen Bergsteigern durch unglückliche Umstände passieren – siehe Laura -, aber das ist dann tatsächlich Schicksal 😔 Ich ziehe den Hut vor dir 🎩 Pass immer gut auf dich auf, auch auf die, die du mit „hoch“ nimmst. Kommt immer gesund zurück 🙏

  9. Katrin sagt:

    Guten Tag Olaf,

    eigentlich habe ich im Internet nach etwas gesucht, dass du so auf deiner Webseite gar nicht beschreibst. Da ich nun schon da bin, möchte ich dir auch gerne etwas hinterlassen.

    Ein Berg hat mich zwar noch nicht gerufen, ich kann es dennoch sehr gut nachspüren, was Menschen dazu bewegt einen Berg zu besteigen. Bei mir sind es „kleinere“ Gipfelerlebnisse, die mir geschenkt sind, beispielsweise in der Natur oder in der Begegnung mit anderen Menschen: Staunen, die Offenheit für Überraschung, die Erkenntnis einer tiefen Zugehörigkeit, die in Vertrauen mündet, Demut und Ehrfurcht vor der Schöpfung, dem Leben.

    Wenn wir nun gefragt werden: „Wieso besteigst du Berge?“ oder “ Wieso gehst du jeden Morgen laufen?“, habe ich etwas gefunden, sieh mal:

    „Unsere Aufgabe ist es, diese vorläufige, hinfällige Erde uns so tief, so leidend und leidenschaftlich einzuprägen, dass ihr Wesen in uns „unsichtbar“ wieder aufersteht. Wir sind die Bienen des Unsichtbaren. Wir tragen leidenschaftlich den Honig des Sichtbaren ein, um ihn im großen goldenen Bienenkorb des Unsichtbaren anzuhäufen.“ (Rilke)

    Es hat mir sehr viele Freude bereitet, deine Erlebnisse zu lesen und deine Fotos anzuschauen. Vielen Dank dafür und dafür, dass du die Reise deines Herzens mit anderen Menschen teilst. 

    Herzliche Grüße

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