Everest-Tag

Ehrlich gesagt wusste ich gar nichts davon. Es gibt einen internationalen Everest-Tag? Wer hat einen solchen ins Leben gerufen und warum? Das erfuhr ich am 29. Mai diesen Jahres von keinem geringeren als dem nepalesischen Botschafter hier in Deutschland, Seiner Exzellenz (so lässt er sich ansprechen) Ram Kaji Khadka höchstpersönlich. Er hatte in das Chulo, Leipzigs einzigem nepalesischen Restaurant, geladen. Der Abend stand unter dem Motto „Sagarmatha, the Highest Peak of the World: Identity and Pride of Nepal“. (Sagarmatha nepalesischer Name des Everest: Stirn des Himmels)

Der nepalesische Botschafter H. E. Ram Kaji Khadka präsentierte im Restaurant Chulo die touristische Vielfalt seiner nepalesischen Heimat.

Ich war vermutlich ins Chulo gebeten worden, weil ich schon mehr als 40 Mal nach Nepal gereist und auch schon am Everest und ein paar anderen Achttausendern herumgestiegen bin. Was der Botschafter konkret von mir wollte, war im Vorfeld der Veranstaltung nicht zu ermitteln. Aber darauf kam es auch gar nicht an. Ich war gespannt, was mich erwartete.

Vielleicht würde das auch eine gute Gelegenheit sein, den Botschafter einmal darauf anzusprechen, was er denn über die „Göttin Mutter der Erde“ und ihre alljährliche Vergewaltigung durch aberhunderte von Besteigern dachte. Schließlich hatte er sich ja diese großen Worte von der „Identität und dem Stolz Nepals“ ausgedacht. Aber ich schicke es gleich vorne weg: Ich ließ es bleiben.

Seit dem 22. Mai 2019 hat sich ein Bild ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Schlaglichtartig brachte dieses Foto einer Menschenschlange in 8750 m Höhe auf dem Gipfelgrat des Everest zum Ausdruck, was am höchsten Berg der Welt schief läuft. Nach der Veröffentlichung dieses Fotos bin ich so oft auf den Everest angesprochen worden wie nie zuvor. Bis heute ist das so. Meine Gedanken dazu habe ich dann auch in dem Artikel „Ein Bild geht um die Welt“ hier auf meiner Seite kund getan.

Südostgrat am Everest kurz vor dem Gipfel. Bei diesem Anblick fehlen mir regelrecht die Worte. Stau wegen des Massenandrangs von Flaschen-Sauerstoff atmenden Menschen hoch oben in der Todeszone in fast 9000 m Höhe. Was soll das mit Bergsteigen zu tun haben? Quelle: Nirmal Purja/Nimsdai Project Possible/AP/dpa

In meiner Naivität nahm ich tatsächlich an, dass dieses Bild womöglich der Auslöser für ein Umdenken sein könnte. Wer will denn noch auf den Everest steigen, nach solchen Fotos? Es ist nichts anderes als lächerlich, stundenlang in der Todeszone zu warten, bis man an der Reihe ist, den Gipfel zu betreten, hochgezogen von ein oder zwei „Personal Sherpas“ und immer in Angst, dass der Sauerstoffvorrat nicht reicht und man dann selbst ganz plötzlich auf der Todesliste steht?

Ich habe ganz falsch gedacht. Die Situation an der „Göttin Mutter der Erde“ hat sich weiter verschärft. Laut den Angaben der Himalayan Database war das Jahr 2023 ein Rekordjahr am höchsten Berg der Welt. Noch nie sind so viele Menschen beim Versuch, den Mount Everest zu besteigen, ums Leben gekommen. 18 Tote gab es im Frühjahr 2023 am Everest. 479 Besteigungserlaubnisse (Permits) sind von den nepalesischen Behörden im vergangenen Jahr ausgestellt worden.

Die Südwestseite des Everest aus etwa 6000 m Höhe vom gegenüberliegenden Pumo Ri aus fotografiert. Dieses Foto stammt aus dem Jahr 2005, dem Jahr meiner eigenen Everest-Expedition. Wir schauen auf das Basislager des Everest an der Nordkurve des Khumbugletschers. Die vielen kleinen Punkte sind deutlich zu sehen. Heute stehen dort drei bis vier Mal so viele Zelte.

Wenn man nun in Betracht zieht, dass die meisten der permitpflichtigen Everestaspiranten mindestens einen, oft sogar zwei Sherpas zu ihrer persönlichen Betreuung dabei haben, dann wird klar, dass weit mehr als 1000 Personen den Gipfel erreichen wollten. Das ist nichts anderes als völlig absurd, wenn man bedenkt, dass die Saison nur ein paar Wochen umfasst und das Wetter in der Regel nur wenige Tage eine Besteigung überhaupt zulässt.

Staus sind also unvermeidbar. Und jeder, der heutzutage an diesen Berg geht, weiß das. Die permitausstellenden Behörden wissen das auch, die Agenturen sowieso. Die Leute tun es trotzdem und scheinbar kann sie nichts davon abhalten. Weder die zunehmende Zahl an Unglücksfällen noch die Tatsache, dass man sich als gänsemarschierender, flaschensauerstoffatmender Sonntagsbergsteiger im Schlepptau eines Sherpas lächerlich macht.

Besser kann man die Situation am Everest nicht veranschaulichen: Die Sherpas bauen den Klienten eine Treppe, damit sie unfallfrei vom Mess- oder Fernseh- oder Saunazelt auf die Toilette und zurück kommen. Armer Everest!

Nun gibt es viele Stimmen, die meinen, jemand müsste dem Einhalt gebieten. Zum Beispiel der nepalesische Staat. Es wäre so einfach, die Staus und damit das Risiko, welches damit verbunden ist, zu verhindern. Und dass solche Staus töten, ist ganz offensichtlich. Klassische Bergunfälle gibt es im Verhältnis zu Todesfällen, welche im Zusammenhang mit dem am Everest herrschenden Sauerstoffpartialdruck stehen, immer seltener. Die Leute sterben an den Folgen der Höhenkrankheit oder an Entkräftung. Meist an beidem.

Nepal könnte einfach die Zahl der Permits begrenzen. Darauf wollte ich den Botschafter ansprechen. Wenn es so viele Tote gibt, dann darf man fragen, ob und vor allem wie der Tod dieser Menschen hätte vermieden werden können. Doch je länger ich darüber nachdenke, desto unsymphatischer wird mir der Gedanke.

Der Tourismus ist eine der wichtigsten Einnahmequellen des bettelarmen Landes. Und nun soll sich das Land selbst beschränken? Soll tausenden von Leuten ihre Einnahmequelle nehmen? Trägern, Köchen, Küchenhilfen, Yaktreibern, Angestellte in den Agenturen und vor allem Sherpas, die teilweise riesige Familien mit ihrer Arbeit ernähren müssen?

Zelte gibt´s die gibt´s gar nicht. Was am Everest für ein Aufwand für den Komfort der zahlenden Gäste betrieben wird, ist einfach nicht zu fassen. Dieses Riesenzelt hatte einen massiven Holzfußboden und wurde mit isolierenden Matten gegen Fußkälte geschützt.

Die Agenturen sind da nach meiner Ansicht schon viel eher in der Pflicht. Sie könnten eine Menge dafür tun, dass es besser und vor allem schneller läuft am Berg. Sie könnten darauf achten, dass ihre Klienten alpinistisch erfahren genug sind, um eigenverantwortlich am Berg zu agieren. Um das zu erreichen, könnte die Menge der fixen Seile am Berg reduziert werden.

Auch könnte darüber nachgedacht werden, wie künstlicher Sauerstoff aus der Flasche eine immer geringere Rolle am Berg spielt statt eine immer größere. Wenn Flaschensauerstoff, wie der Journalist und Alpinist Stefan Nestler vorschlägt, erst ab dem Südsattel, also oberhalb von 8000 m bereitgestellt würde, dann kämen die meisten der zahlenden Klienten gar nicht erst auf den Gipfelgrat und damit in die besonders neuralgische Stauzone.

Er hier hat sich auch schon ganz episch am Everest verzockt. Aber wenigstens hat ihn das weltberühmt gemacht. Leider konnte das Kind, mit dem seine Frau damals schwanger war, seinen berühmten Vater nie kennenlernen. Warum hat man aus seinem Schicksal eigentlich nichts gelernt?

Das wäre eine sehr wirksame Maßnahme, um zu verhindern, dass Leute in der Todeszone herumstolpern, die dort oben nichts zu suchen haben. Und vermutlich hätte das auch nur einen geringen Einfluß auf die Menge der ausgestellten Permits und damit auf die Einnahmen sowohl der Agenturen als auch des nepalesischen Toursimusministeriums.

Und die Bergsteiger selbst hätten von derartigen Einschränkungen am allermeisten. Hoch kämen vermutlich nur noch die, die es auch können und verdient haben. Sie bräuchten auch nicht mehr vor dem Hillary Step im Stau stehen. Es gäbe auch nicht mehr diese haarsträubenden, alljährlichen Fotos von Menschenmassen in der Todeszone, welche mit einem Schlag alle lächerlich machen, die dort unterwegs sind. Auch die, welche das nicht verdient haben.

Aber vor allem zollte man dem Berg wieder mehr Respekt anstatt ihn zu einem Werkzeug menschlicher Eitelkeiten zu degradieren.

mehr zum Thema auf meiner Seite:

Das Furtenbach Prinzip

Teil 3 – Demut

Ein Bild geht um die Welt

 

 

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2 Antworten

  1. Bernd Bienia sagt:

    Ja Olaf, das ist absurd.
    Auch das ständige Hubschraubergefliege zum BC schmälert das Vergnügen beim Trekking. Gefühlte und gezählte 30 x sieht man sie beim Laufen.
    Trotzdem ist alles gewaltig und schön, ich wünsche den Nachkomnenden bleibende und nachhaltige Eindrücke.

    • Olaf Rieck sagt:

      Hallo Bernd, vielen Dank für Deinen Kommentar.

      Auch das unfassbar nervige Hubschraubergedröhn den ganzen Tag ist zum großen Teil der Hybris am Everest geschuldet. Gott sei Dank kann man dem aber aus dem Weg gehen im Khumbu. Herzlicher Gruß Olaf

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