Clean Climbing, Teil 1

Mir fällt es jedenfalls auf. In letzter Zeit wollen immer mehr Leute mit mir auf eine Weise klettern, die ich persönlich richtig gut finde. Ich hätte nichts dagegen, wenn das zu einem Trend würde. Denn diese Art der Fortbewegung in der Vertikalen passt eigentlich sehr schön in unsere Zeit. Doch andererseits auch wieder nicht. Dieser offensichtliche Widerspruch schreit nach einer Erklärung.

Die Rede ist vom Trad Klettern. Damit ist nichts anderes gemeint, als das auf die trad-itionelle Art geklettert wird. So wie man vor der Erfindung des Bohrhakens kletterte. Allerdings ist das nicht ganz korrekt. Vor der Erfindung des Bohrhakens wurden nämlich vor allem Felshaken zur Sicherung des Vorsteigers und zum Standplatzbau verwendet. Sie wurden eingeschlagen und konnten auch wieder entfernt werden. Meistens blieben sie aber an Ort und Stelle und rosten dort seit Jahrzehnten vor sich hin.

Doch diese Art des traditionellen Kletterns ist heutzutage fast ganz aus der Mode gekommen, denn die Einstellung zu solchen Schlag- oder Normalhaken änderte sich.

Gruselig, wenn man an solchen Rostgurken Stand machen muss. An dieser Stelle zum Beispiel ist ein Standplatzbau mit mobilen Sicherungsmitteln unmöglich. Und deshalb war es sehr gut, dass ein verantwortungsvoller Mensch einen neuen Haken (der obere) dazu eingeschlagen hat.

Einer der Vorreiter dieses Sinneswandels war Yvon Chouinard. Seine Ausrüsterfirma, damals im Jahr 1970 hieß sie noch „Chouinard Equipment“, heute kennen wir sie alle unter dem Namen „Patagonia“, galt als der größte Produzent von Bergsteigerausrüstung in den USA. Mit Felshaken verdiente Chouinard das meiste Geld. Doch weil er irgendwann der Meinung war, dass diese Felshaken den Fels zerstörten und die Routen verschandelten, stellte er 1972 kurzerhand die Produktion ein!! Er begann an einer besseren Lösung für die Absicherung beim Klettern zu tüfteln und beschäftigte sich mit der Entwicklung und Verbesserung von Klemmkeilen. Die gab es schon relativ lange. Aber sie taugten nicht viel, denn sie waren zuerst aus Holz und später verwendete man stinknormale Schraubenmuttern.

Der vierschenkelige Ur-Friend von 1973. (Quelle: Wild Country)

Ein paar Jahre vorher entwarf der Kletterer Greg Lowe das erste Klemmgerät mit beweglichen Schenkeln und verkaufte diese zusammen mit seinem Bruder Mike an Freunde. Mike Lowe hatte einen Kletterfreund namens Ray Jardine, ein Raumfahrtingenieur. Dieser erkannte das Potential und verbesserte das System mit einem Federmechanismus und stattete das Gerät 1973 mit vier Segmenten aus. Nun saßen die Geräte wesentlich besser im Riss.

1977 wurde ein anderer Kletterer, Mark Vallance (1946-2018) , auf dieses geniale, neue Sicherungsmittel aufmerksam. Er lud Jardine nach England ein und gründete im gleichen Jahr die Firma „Wild Country“ , um diese Geräte nun unter dem Namen „Friends“ zu produzieren und zu verkaufen. Übrigens tut die Firma Wild Country das bis heute. 

Gerade die Friends, der Name könnte wahrlich nicht treffender gewählt werden, machen das traditionelle oder klassische Klettern in sehr vielen an Rissen verlaufenden Routen überhaupt erst möglich. Sie stellen eine Art Revolution in der Sicherungstechnik dar und werden heute von verschiedenen Firmen mit unterschiedlichen Namen verkauft. Neben den Friends sind weitere Klemmgeräte auf dem Markt. Die bekanntesten sind die „Camalots“  von Black Diamond und die „Dragons“ von DMM. Doch die Friends, Camalots und Co. blieben nicht das einzige System an aktiven Klemmgeräten. Inzwischen gibt es noch weitere Systeme wie das „Gipsy“ der Firma Kong und das „BigBro“ von Trango, die nun auch das Absichern von breiteren Rissen möglich machen. 

Die perfekte Stelle, um einen Camalot zu legen. Dieser hier, welcher gleich in der „Fischerverschneidung“ am Fischerfels im Donautal verschwindet, würde einen Sturz ziemlich sicher halten.

Normalhaken haben jetzt tatsächlich so gut wie ausgedient, obwohl es immer noch Situationen und Routen gibt, wo ein neu eingeschlagener Haken auch ungemein hilfreich sein kann (siehe das erste Bild des Beitrages). Ich will deshalb den etwas irreführenden Begriff Trad-Klettern durch Clean-Climbing ersetzen. Denn dieser Begriff kommt dem, was heute diesbezüglich am häufigsten praktiziert wird, am nächsten. 

Der Hauptgrund jedoch, warum die Schlaghaken aus der Mode kamen, war der zunehmende Einsatz von Bohrhaken. Wie der Name schon verrät, werden Löcher in den Fels gebohrt, in denen die Haken auf verschiedene Arten verankert werden. Ein moderner Bohrhaken in gutem Fels hält bei radialer Belastung, wie sie bei Stürzen auftreten, 25 kN. Das heißt nichts anderes, als das man ungestraft einen zwei Tonnen schweren SUV an diesen Haken hängen kann. Die größtmögliche Belastung, die beim Sturz eines Kletterers auf einen Bohrhaken auftreten können, liegt bei etwa 16 kN. 

Der Bühlerhaken, benannt nach Oskar Bühler, ist ein sogenannter „geklebter“ Bohrhaken zur Absicherung von Kletterrouten. Er besteht aus nichtrostendem V2A-Stahl und ist in einem Stück gebogen. Die beiden Enden sind miteinander verschweißt und in den kompakten Fels einzementiert. Er hält gleich mal bis zu 5,6 Tonnen. Übrigens hat sein Erfinder mehr als 2000 solcher Haken mit dem Bohrmeißel!! in der Fränkischen Schweiz und im Wilden Kaiser gesetzt, bevor die Akkubohrmaschine diese Arbeit drastisch vereinfachte. Dafür erhielt Bühler 1988 verdientermaßen das Bundesverdienstkreuz am Bande!

Mit solchen Bohrhaken wurde es nun möglich, Routen zu klettern, die vorher unmöglich waren, weil man sie eben nicht absichern konnte. Reinhold Messner bezeichnete diese Tatsache sehr treffend als den „Mord am Unmöglichen“. Denn vorher war es nur möglich, dort aufzusteigen, wo die Struktur des Felsens eine Absicherung mit mobilen Sicherungsgeräten erlaubt. Also zuerst mit Schlaghaken und später dann mit Keilen und Friends.

In einer kompakten Wandstruktur wie dieser hier könnte ohne Bohrhaken einfach nicht geklettert werden. Eine zuverlässige Absturzsicherung wäre hier nicht möglich.

Aber was ist denn nun das Besondere am Clean-Climbing? Das augenfälligste und gleichzeitig so gut in die heutige Zeit passende, ist die Tatsache, dass der Fels so bleibt, wie er ist. Der Vorsteiger legt die Keile und Friends und der Nachsteiger holt sie wieder heraus. Anschließend sieht der Fels so aus wie vorher. Nichts bleibt zurück, keine Löcher, keine Haken und der nächste Kletterer kann sich wieder so fühlen wie der Erstbesteiger. Allein schon deshalb müsste das Saubere Klettern mit mobilen Sicherungsmitteln sehr populär sein. Ist es aber nicht.

Also passt diese felsschonende Art des Kletterns doch nicht in die heutige Zeit?

Ende Teil 1

zum Teil 2

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3 Antworten

  1. Veronica sagt:

    Auch für mich als nicht-Kletterer eine sehr interessante News. Wenn ich das so lese, wäre ich auch unbedingt für das Clean-Climbing!

  2. Christian Pech sagt:

    Wieder ein interessantes Thema! Seit einiger Zeit gibt es sogar dafür einen speziellen Kletterführer, allerdings nur für die Schweiz: Best of keepwild! – Schweiz. Genussklettereien in der Schweiz zum selber absichern.
    Die Organisation Mountain Wilderniss führt jährlich die keepwild! climbing days durch. Da treffen sich Kletterer (egal wie schwer sie klettern) zum Erfahrungsaustausch über Trad-Klettern. Diese Treffen sollen mittlerweile sehr populär geworden sein und schon Kultstatus haben. Also scheint das Thema wohl doch in die Zeit zu passen.
    Bin schon gespannt auf den zweiten Teil.

    • Olaf Rieck sagt:

      Vielen Dank, Christian für Deinen interessanten Kommentar. Den Kletterführer muss ich mir wohl besorgen. Es würde mich freuen, wenn das Trad-Klettern populärer würde. Vielleicht können diese beiden Artikel ein wenig dazu beitragen, denn ich bin immer wieder erstaunt, wieviele Leser es für solche Beiträge gibt. In meiner Lebenswirklichkeit aber sind immer noch dort die bei weitem meisten Kletterer anzutreffen, wo auch die Bohrhakendichte am höchsten ist. Am Montag kommt Teil 2. Lange musst Du Dich also nicht mehr gedulden.

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