Clean Climbing, Teil 2

Jedem, auch dem Kletterneuling leuchtet ein, dass Clean Climbing eine ganz andere Hausnummer sein muss, als das Klettern in sogenannten „eingebohrten“ Routen. Das geht schon bei der Ausrüstung los. Ein gut sortierter Satz der verschiedenen Keilarten und -größen (Hexcentrics, Tricamps, Stopper, Nuts usw.) und aktiven Klemmsystemen wie Friends, Camalots oder eben auch Gipsys und BigBros und natürlich verschieden langen Schlingen und Reepschnüren kostet ein Vermögen. Jedenfalls für die Mehrheit der in der Regel kirchenmausarmen Kletterer.

Am Stetind in Norwegen. Der 1400 m hohe Granitriese kann sich rühmen, dass es hier keiner gewagt hat, ihn mit Bohrhaken voll zu pflastern. Mit einer Ausnahme im Normalweg.

Dann muss dieses ganze Zeug natürlich durch die Route geschleppt werden. Und zur Route hin und auch wieder nach Hause. Zur Erinnerung: Das ist fast alles aus Metall! 

Die nächste Herausforderung liegt darin, zu erkennen, ob eine Route tatsächlich für einen selbst im Vorstieg mit mobiler Absicherung machbar ist. Die Kraftreserven müssen größer sein. Zwischen einer 6+ im eingebohrten Klettergarten und einer cleanen 6+ im Gebirge liegen Welten!

In zwei der schönsten Felsgestalten Europas, dem Stetind und dem Hamaroyskaftet in Nordnorwegen sucht man Bohrhaken vergeblich. Da sind sie beeindruckend konsequent, die Norweger. Links klettert Uwe Daniel völlig clean am Südpfeiler des Stetind und rechts steckt mein Lieblingsfriend in einem perfekten Riss am Hamaroyskaftet.

Dann muss man natürlich wissen, wie und wo man dieses ganze Metall in der Route unterbringt. Es erfordert eine Menge Übung, aus dem Metallgerassel am Gurt auf Anhieb genau die für den Riss oder das Loch passende Keil- oder Friendgröße herauszufischen und diese anschließend rasch auf die richtige Art und Weise zu verlegen. Dabei hängt man mit nur einer Hand am Griff. Logischerweise kostet das viel mehr Kraft, als einfach nur einen Bohrhaken zu klinken. Und man sollte sich sehr sicher sein, dass diese mobile Zwischensicherung auch wirklich einen Sturz halten würde. Dieses Vertrauen zu sich selbst ist oft gar nicht so leicht aufzubauen.

Ja welcher ist denn nun der richtige für diese Keilstelle? Ich klettere im Löbejüner Aktienbruch den „Weg der Tauben“, welcher sehr gut und komplett selbst absicherbar ist. (Fotos: Ulf Wogenstein)

Ein weiteres Problem ist die Wegfindung. Sind Bohrhaken da, dann wird von Haken zu Haken geklettert und niemand braucht einen Gedanken daran zu verschwenden, wo denn nun die Route entlanggeht. Ganz anders in cleanen Wegen. Nichts als die von der Natur vorgegebenen Strukturen weisen dem Kletterer hier den Weg. Die richtigen zu finden, ist oft richtig kniffelig. Die angegebene Schwierigkeit der Route kann einem helfen. In einer 6- sollte ich nicht plötzlich 7+ klettern müssen. Da hätten wir uns definitiv verstiegen. Mir hilft oft, mich in den Erstbegeher hineinzuversetzen. Wo wäre ich hier entlang geklettert?

Der Hamaroyskaftet ist wirklich der Hammer. Hier habe ich ein Selfie mit meiner Drohne von mir auf dem Gipfel gemacht. Deshalb sieht man auf diesem Foto sehr eindrucksvoll, das Verhältniss Mensch-Fels. Und dabei ist dieser Gipfel ganz und gar kein Riese. Dass man sich hier schon sehr intensiv Gedanken machen muss, wo entlang geklettert wird, liegt auf der Hand.

Als nächstes ist da noch die Frage nach dem Sack. Was ist, wenn man einen Sack, wie wir Sachsen sagen, aufhängen muss. Also wenn es nicht weitergeht und wir, ohne oben angekommen zu sein, abseilen müssen, weil wir Angst bekommen haben oder eine Schlüsselstelle nicht klettern konnten. Mit Bohrhaken in der Route alles kein Problem. Entweder kann man am Bohrhaken selbst abseilen oder man braucht einen Opferkarabiner oder Maillon, ein kleines, metallenes Schraubglied, welches in den Bohrhaken eingehängt wird, und schon ist man gerettet. 

Links: Neuralgischer Punkt beim Clean Climbing sind die Stände. Sie müssen stabil sein. Zur Not müssen sie auch einen Sturz des Vorsteigers halten, der ja (Sturzfaktor 2) ein besonders harter Sturz sein wird. Deshalb hat Helmut im rechten Bild sofort über dem Stand einen bombensicheren Friend gelegt, welcher einen Sturz in den Stand verhindern würde. Die ersten Sicherungen über dem Stand sind immer die wichtigsten. Redundanz kann hier nicht schaden! Helmut hat gerade vor wenigen Tagen im Donautal angefangen, im Vorstieg selbst abzusichern!

Selbstverständlich kann ich auch an meinem Friend abseilen oder einem Keil. Aber die sollten dann wirklich hundertprozentig gut liegen. Leider sind die teuren Geräte natürlich verloren, weil sie in der Route zurück  bleiben. Apropos in der Route bleiben. Wenn ich all das Geld hätte, was die Keile und Friends gekostet haben, die andere Seilschaften unfreiwillig zurücklassen mussten, weil der Nachsteiger sie nicht mehr herausbekommen hat, oder weil daran abgeseilt werden musste, und an denen ich dann vorbei kam, dann könnte ich ohne Übertreibung mindestens 20 noble Candle Light Dinner davon bezahlen.

Urs ist auch einer von meinen Schützlingen, welche den ungeheuren Reiz des mobilen Absicherns für sich entdeckt haben. Links klettert er schon sehr souverän die beiden anspruchsvollen Seillängen in „Two Nights of Love“ in der Region um Sella an der spanischen Costa Blanca. Für mich allerdings immer noch aufregender als für ihn selbst. Und der Keil, den er da gelegt hat, hält wie Eisen!

Mit anderen Worten ist das Selberabsichern mit mobiler Technik eine komplexe und sehr aufregende Sache. Man muss natürlich über mehr Wissen, Können, eine gute Moral und nicht zu letzt über eine Menge Erfahrung verfügen. Dafür ist der Erlebniswert aber auch deutlich erhöht, allerdings auch die Unwägbarkeiten und das Risiko!

Na, scheint sich Claudia gerade zu fragen, würde der tatsächlich halten, wenn ich da in hohem Bogen reinflöge? Er würde! Der Friend sitzt perfekt und das Gestein ist bombenfest. Hier im komplett selbst absicherbaren „Hangelmarathon“ in Löbejün. Bevor man damit anfängt, sein Leben Keilen und Friends anzuvertrauen, sollte man zu allererst hinterhersteigen und die Dinger rausfummeln. Und dann sollte man das Verlegen üben, allerdings nicht gleich im Vorstieg. Zuerst im Toprope, dann in Routen mit Bohrhaken, die man ruhig auch klinken darf.

In unserer sicherheitsversessenen Welt werden die Clean-Climber also leider Exoten bleiben. Clean-Climbing passt nicht zu unserem ständig zunehmenden Sicherheitsbedürfnis. Und das ist wirklich schade. Denn ein Stück unverbohrter Ursprünglichkeit selbst in den Klettergärten zu erhalten, würde der Vielfalt wirklich guttun. Wie oft schon habe ich mich gefragt, warum neben einer perfekt mit Keilen und Friends absicherbaren Route Bohrhaken stecken? Wir sind doch sonst alle so alternativ! Warum belassen wir diese Route nicht so, wie sie die Natur für uns geschaffen hat?

Claudia in ihrer ersten cleanen „Grünpunkt“-Route im Vorstieg namens „Pangäa“ in Löbejün bei Halle. Ganz großes Kino!

Klar könnte man sogleich argumentieren, dass man ja darauf verzichten kann, die Bohrhaken zu klinken. „Greenpointen“ nennt man es, wenn man die Bohrhaken einer Route nicht benutzt und nur mobil absichert. Aber das ist nun wirklich nicht dasselbe und deshalb als Argument meiner Ansicht nach ziemlich schwach.

In der Sächsischen Schweiz wird schon immer mobil abgesichert. Allerdings wurde hier auch der Bohrhaken quasi erfunden. Am Großen Wehlturm im Rathener Gebiet setzten sächsische Kletterer 1905 den ersten Sicherungsring weltweit. Mobil zu sichern ist hier was ganz spezielles! Weil der Sandstein sehr weich ist, können Sicherungsmittel aus Metall nicht verwendet werden. Lediglich Band- und Knotenschlingen und seit einigen Jahren auch sogenannte Ufos (Keile aus Stoff) sind erlaubt.- Links klettere ich den „Direkten Südweg“ an der Steinschleuder. (Foto: Diana Richter) Rechts am Ausstieg des „Talweges“ am Höllenhund in Rathen. (Foto: Jacob Andreas)

Uns Kletterern stände es gut zu Gesicht, wenn auch wir das ein oder andere Mal auf fest installierte Infrastruktur in der Wand verzichteten. Mancherorts droht angesichts der vielen Bohrhaken regelrechte Monotonie. Aber vielleicht besinnen wir uns ja und erfreuen uns wieder mehr an dem aufregenden und ernsten Erlebnis einer ganz und gar fairen Begehung einer cleanen Route, auch wenn ihre Schwierigkeit weit unter dem liegt, was wir eigentlich klettern könnten. Ich jedenfalls freue mich über jeden, der Lust und den Mut hat, so clever und sauber im Reich der Schwerkraft unterwegs zu sein. Denn wie sagte der berühmte Erstbegeher der Eigernordwand Anderl Heckmair: „Nur das Erlebnis zählt“! Prägnanter und vor allem zutreffender kann man es nicht mehr ausdrücken.

zum Teil 1

Nach der einen Route ist vor der nächsten. Beim entspannten Kletterführerstudium unter Spaniens Sonne.

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2 Antworten

  1. Christian Pech sagt:

    Mir geht es auch so. Warum steckt hier ein Bohrhaken, wenn daneben eine Sanduhr, eine gute Schlingen- oder Klemmkeilstelle ist? Ich ärgere mich auch immer über diese eingeknoteten Dauersanduhrschlingen in verschiedenen Kalkstein-Klettergebieten. Dieses Schlingenmaterial ist meist kurz vor der „Verwesung“ und oft ist dann kein Platz mehr, um eine eigene Schlinge zu legen. Gut, ein Messer hat man natürlich auch nicht dabei. Damit könnte man sich ja Platz schaffen.
    Mir fällt auch eine Begebenheit aus dem Frankenjura ein. Ist schon eine Weile her. Alle Routen waren besetzt bzw. es hingen Tope-Rope-Seile drin. Nur ein Weg war frei. Warum? Der musste selber abgesichert werden. Das ging aber super. Es gab Sanduhren und Klemmkeilstellen. War ein schöner Weg, den wir dann geklettert sind. Daran erinnert man sich. An die ganzen Bohrhakenrouten nicht mehr.
    Ich bin auch der Meinung: Wenn man im Elbsandstein das Klettern gelernt hat, kann man überall klettern. Man ist in der Lage, seine Sicherung selber zu legen und bekommt auch einen Blick dafür.
    Aber trotzdem freut man sich natürlich auch über einen Bohrhaken bzw. Ring. 😉

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