Idiotensicher?

Früher war ganz sicher nicht alles besser. Früher war aber eine ganze Menge einfacher, viel einfacher, und das gilt besonders für den Bergsport. Früher gab es keine Lehrmeinung über die heftigst diskutiert wurde, solange bis man als aufstrebender Anfänger gar nicht mehr wusste, wie man es nun richtig machen sollte. Früher gab es den alten, erfahrenen Bergsteiger, zu dem ich aufsah, dem ich mich anvertraute und von dem ich lernte. Ich wusste, dass der es konnte, weil er so vieles gemacht und trotzdem überlebt hatte. Das gab mir das beruhigende Gefühl, in guten Händen zu sein.

Dieter Rülker war so eine Instanz für mich. Einer der Protagonisten in der DDR-Nationalmannschaft Alpinistik. Von ihm durfte ich sehr viel lernen. Hier bei unserer gemeinsamen Expedition zur Ama Dablam (6856 m) 2006.

Anderes Beispiel: Früher gab es den Halbmastwurf. Mit dem konnte man alles sichern: Vorstieg, Nachstieg, egal ob in Zweier- oder auch Dreierseilschaft und egal wo. Ob im Klettergarten oder an großen Wänden oder auch in der Halle. Nein nicht in der Halle, denn die gab es ja noch gar nicht. So ein Halbmastwurf war in 15 Sekunden erklärt und in den allermeisten Fällen in nicht viel längerer Zeit von den Kletteraspiranten verstanden und in Anwendungsbereitschaft gebracht. Und es funktionierte hervorragend!

Heute gibt es Smart, Click Up, Grigri 1/2/3 (oder nur 2?), MegaJul, Ergo, Eddy, Fish usw. und natürlich die diversen Ausführungen des gewöhnlichen Tubers oder ATC oder Reverso oder Pivot oder wie diese Dinger alle heißen. Und natürlich gibt es von den verschiedenen Firmen noch viele Geräte mehr, welche ähnlich funktionieren aber anders genannt werden und auch alle unterschiedlich aussehen. Durchweg tolle und vor allem sichere Geräte! Aber ich möchte heute nicht mehr Anfänger sein! Denn man trifft ständig auf die verschiedensten Meinungen, welches das sicherste, beste, das am einfachsten zu handhabende Gerät ist. Doch welches ist für mich das richtige? Und wie wird es angewendet? Das sagt mir im besten Fall der kundige Verkäufer im Bergsportladen. Im immer häufigeren Fall niemand, weil die Leute das Zeug irgendwo für ein paar Cent weniger als im Laden im Netz erwerben.

Sicherung im Toprope mit einem Tube von Black Diamond.

Und man glaubt es kaum. Dieses Beispiel ist nur eines von vielen. Ich könnte mich genauso auch über Schlingen ereifern. Dyneema, Aramid, Nylon? Mischgewebe? Was nehme ich denn nun als Selbstsicherungsschlinge oder für den Standplatzbau? Tja, die einen sagen so, die anderen so. Kaum zu glauben, das man darüber jahrelang diskutieren kann. Oder die Diskussion über Ausgleichsverankerung bzw. Reihenschaltung. Erst habe ich das eine gelernt dann das andere. Dabei ist es in der Praxis zumindest im Fels völlig egal, Hauptsache die Fixpunkte halten.

In der ziemlich eisschlaggefährdeten „Franzosenroute“ am Alpamayo in Peru machen Jacob und ich Stand an einer hintersicherten Abalakov-Eissanduhr. Hier musste alles vor allem schnell gehen.

Gestorben wird in den Bergen nicht, weil man Polyethylen-Schlingen statt Schlingen aus Polyamid am Standplatz benutzt hat oder einen Halbmastwurf statt eines Autotubers. Gestorben wird, weil man nicht bei der Sache war, gepennt hat oder weil man schlichtweg Fehler gemacht hat, die mangelhaften Kenntnissen geschuldet waren. Oder weil einem ein Stein auf den Kopf fällt.

Was mich umtreibt, ist die Tatsache, dass sowas erschreckend oft passiert. Fünf Mal war ich unmittelbar dabei und einmal war ich derjenige, der so einen idiotischen Fehler gemacht hat. Nicht die Sicherungsmethode war Schuld oder der Sicherungsmann. Ich habe den Mist gebaut.

Der gegenwärtige Zustand meines linken Fersenbeines. Aber das hat natürlich auch sein Gutes. Denn seit diesem Unfall werde ich bei jedem einzelnen Schritt daran erinnert, dass ich beim Klettern und Bergsteigen gefälligst vorsichtig zu sein habe. Womöglich hat mir mein schmerzender Fuß schon das ein oder andere Mal mein Leben gerettet, und ich weiß das gar nicht…

Übrigens selbst in der Kletterhalle passieren für meine Begriffe zu viele Unfälle, obwohl ein Kletterer laut Statistik mindestens 100 Jahre jede Woche zwei Mal zwei Stunden klettern gehen muss, bis etwas passiert. Doch das bedeutet schauderhafter Weise nichts anderes, als das einer von hundert Kletterern pro Jahr mit dem Kranken- bzw. wenn es dumm kommt auch mit dem Leichenwagen aus der Kletterhalle gefahren wird. Einer von diesen 100 Leuten Jahr für Jahr! Und deshalb wird man irgendwann auch mal Zeuge eines solchen Unfalls und hört das Geräusch brechender Knochen noch Wochen danach. Erst letztens wieder.

Und wenn man dann fragt, warum denn in dieser Kletterhalle nicht ein großer Aushang gemacht wird, auf welchem der fatale Fehler ausführlich besprochen wird, dann wird man böse angeschaut. Dabei waren die Kletterhallenbetreiber nun wirklich nicht schuld, dass sich der junge Mann falsch eingebunden hatte. Der war nicht bei der Sache, hat nicht aufgepasst, hat nicht mitgedacht, denn hätte er das, dann hätte er sofort den Fehler erkannt und sein Sicherungsmann ebenso.

Hochbetrieb in einem Klettergarten bei Leipzig. Manchmal, wenn ich sowas sehe, bin ich froh und wundere mich ein bisschen, dass nicht mehr passiert.

Was ich meinen Klettergästen permanent einbläue, ist, dass man alles immer wieder auf seine Logik überprüfen, also seinen Verstand einschalten muss. Dass man immer 110 prozentig bei der Sache zu bleiben hat. Dass man sich niemals auf andere, schon gar nicht auf den ach so erfahrenen Kursleiter, Tourenführer, Berg-Freund verlassen darf. Das sind alles nur Menschen. Und Menschen machen nun mal Fehler. Und wenn etwas passiert, dann sollte man nicht andere dafür verantwortlich machen und sogleich den Anwalt einschalten. Denn in der Regel waren die Verunfallten selbst Schuld. Natürlich gibt es Ausnahmen von dieser Regel. Aber ganz selten!

Klettern im Sächsischen Elbsandstein hat ganz besonders viel mit Können, Erfahrung und souveräner Selbsteinschätzung zu tun. Hier zählt erst in vierter Linie das Material, denn Fallen darf man sowieso nicht 🙂 Ich klettere gerade die „Lebensuhr“ an der Dürrebielenadel. (Foto: Sebastian Wahlhuetter)

Buchstäblich keine Ausnahmen macht die Technik. Ich habe in den 30 Jahren, die ich nun intensiv in die Berge gehe und klettere, noch nie erlebt, dass Technik versagt, wenn sie richtig angewendet wird. Die Ausrüstung ist immer sicher, weil x-Mal überprüft. Dass man das Seil in einem Sicherungsgerät auch falsch einlegen kann, ist niemals der Fehler eines Herstellers. Benutzt man ein Sicherungsgerät, einen Friend, eine Schlinge, dann muss man auch wissen wie und hat sich gefälligst damit zu befassen. Oder besser noch sich jemandem anzuvertrauen, der es einem beibringt und zwar so, dass der Schüler bald auf seinen Lehrer verzichten kann.

In diesem Wetterinferno am Oberreintalturm hat uns gerettet, dass ich mit der „Sonntagsarbeit“ ganz bewusst einen Weg ausgesucht hatte, aus dem man ganz schnell wieder verschwinden kann, falls das Wetter verrückt spielt. Und das hat es.

Dass unser Sport Risiken birgt, da ist sich jeder bewusst. Wie schön hat die Natur das doch eingerichtet. Selbst nach 30 Jahren in der Vertikalen brauche ich bloß vom Boden abzuheben und zu fühlen, wie die Schwerkraft an mir zerrt, zu sehen, wie mein Sicherungsmann (-frau) auf Zwergengröße schrumpft und schon bin ich mir dessen in aller Deutlichkeit bewusst. Da kann ich machen, was ich will, und das geht wohl allen so. Ob ich gerade viel oder weniger Risiko eingehen möchte oder muss, auch darüber bin ich mir im Klaren.

Jacob und ich klettern in der Nordostwand des Quitaraju in Peru 2014. Hier sind wir ein ziemlich hohes Risiko eingegangen, weil dieser Grat sehr schlecht abzusichern war. Das sensationelle Foto hat freundlicherweise ein Kollege im Basislager gemacht, dem ich meine große Kamera in die Hand gedrückt hatte.

Doch wegen dieses Risikos zu Hause am Ofen zu bleiben, ist keine Alternative. Also müssen wir uns dagegen wappnen: Lernen, Erfahrungen sammeln, auf die Erfahrenen hören und von ihnen abschauen, Verantwortung für uns selbst und unsere Partner übernehmen. Vor allem aber müssen wir immer wach bleiben, wenn wir uns mal wieder der Schwerkraft entgegenstemmen und auch rigoros verzichten und uns in Demut üben, wenn wir spüren, dass wir dieser oder jener Tour einfach nicht gewachsen sind.

Und wenn wir dann auch noch das Glück haben, nicht irgendwann einmal zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, dann haben wir die Chance, gute weil alte Bergsteiger zu werden…

Lawinen sind extrem tückisch. Aber selbst sie sind in den Bergen kaum unausweichliches Schicksal. Oft genug muss man eben verzichten, wenn die Gefahr zu groß ist.

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17 Antworten

  1. Dr. med. Torsten Bossert sagt:

    Sehr schöner Artikel !
    Vor deiner Zeit war ich wahrscheinlich derjenige in Leipzig mit den höchsten Gipfeln (zB Baruntse 1995). An die Zeit zwischen 16 und 25 Jahren denke mit Grauen zurück und oft war Glück dabei, am Berg oder im Klettergarten zu überleben. Was für die Sachsen das Elbsandstein ist, war für mich der Battert über Baden-Baden und die Vogesen. Damals hielt ich regelmäßige Vorträge in Leipzig über Alpin- und Höhenmedizin und erlebte die vielen schlimmen Unfälle in der Sektion Leipzig.
    Ich habe mich nach der Geburt unserer Kinder entschlossen, keine extremen Touren mehr zu machen. Restrisiko hast du immer… In meinem Freundeskreis hat es in den letzten 20 Jahren 4 tödliche Unfälle gegeben. Wie du am Schluß schreibst, ist es schön, als Bergsteiger alt zu werden. Das bewundere ich an Reinhold Messner eigentlich am meisten.
    Ein weiterer wichtiger Aspekt, den du erwähnst, ist der Lehrmeister. Weder aus Büchern noch bei youtube kann man Bergsteigen lernen, nur durch langfristige und gute Ausbildung.
    Lieber Olaf, vielen Dank für diesen schönen und nachdenklichen Artikel, du redest mir aus der Seele.

  2. Thomas Schmidt sagt:

    Ich sichere immer noch alles mit dem Halbmast :-))))
    Und der ist seit damals kein bissl schlechter geworden, ganz echt, wirklich!

    In jedem Fall spart man am Fels Gewicht und solange man die Sicherungshand am Seil hat, ist alles sicher – idiotensicher sorgt mE. dafür, dass man sich nicht mehr konzentriert –> brauche ich nicht ^^

    • Patrick Kliszak sagt:

      „Erfahrung sagt überhaupt nichts. Man kann auch etwas ein Leben lang falsch machen.“
      Glückwunsch, dass Du bisher nie in eine brenzlige oder extreme Situation mit dem heiligen HMS gekommen bist! Man kann auch 40 Jahre mit einem Käfer ohne Gurt und ABS unfallfrei fahren. Oder mit Petroleumlampen Licht machen. Das geht.

      • Jana sagt:

        Da spricht wohl einer, der auf hightech steht…🙄😉

        • Thomas Schmidt sagt:

          Genau, aber jeder hat ja so seine Gründe und kontroverse Diskussionen sind auch gut 🙂
          Heilig war mir der HMS nie, aber ich hab mich damit wissenschaftlich beschäftigt und es hilft dem Kletterer einfach mehr, wenn ich das Sichern gut beherrsche + es beim Seil-Ausgeben nicht stockt… –> dahere eine bewußte Entscheidung gegen neumodische Geräte 😉

          • Ben sagt:

            Ich erlaube mir mal deine Punkte zu untersuchen:

            Du hast dich wissenschaftlich mit dem HMS beschäftigt
            – Find ich toll, wie wir alle wissen. Er hält bei gegebneder handkraft und technik(!) zuverlässig.

            Du beherrscht das sichern damit.
            – Grundvorraussetzung. Deine Implikation scheint mir zu sein das du ein neumodisches gerät nicht so gut beherrschen könntest. Da behaupte ich mal das wenn du mit einem HMS das sichern gelernt hast, kannst du das mit deinem GriGri, clickup, Megajul etc auch lernen.

            Schnelles seil ausgeben.
            – Auch hier, wenn du mit einem HMS es gelernt hast, ein Smart, grigri usw usw sind alle mit ein bisschen übung genau so flott zu bedienen.

            Was also spricht wirklich dagegen ein sicherunggerät mit ( nennen wir es mal eine Gewisse! ) notfallreserve und Bremskraftunterstützung zu benützen?

            Die Gewohnheit.

            Ob „neumodisch“ ein argument ist? Ich persönlich freue mich sehr über den Sicherheitsgewinn und komfort, modernen Seilen, Schuhen, Sicherungsgeräten, Klemmgeräte, Regenjacken, Eisgeräten usw usw zu klettern.

          • Thomas Schmidt sagt:

            Ja Ben,
            Das ist ja das schöne an Meinungs- und Entscheidungsfreiheit: nicht jeder kommt zu den selben Schlüssen und das ist gut so.
            Zu dem argument “neumodisch” (was im Grunde kein Argument ist): das läuft unter unterbewußter Voreingenommenheit –> ich bin vermutlich etwas voreingenommen, ja,
            aber ich hab diverse Geräte durchaus probiert und mir ist es der Aufwand (der Gewöhnung) + das Geld + das Zusatzgewicht (wenn ich damit an den Berg gehe) einfach nicht wert.

  3. Thomas Schmidt sagt:

    (ebenfalls wertvolle Erfahrungen in echten Grenzsituationen am Berg gemacht + froh über das Glück von oben, dass mir der Berg bisher jedesmal ein guter Lehrmeister war…)

  4. Christian Pech sagt:

    Ein guter und wichtiger Artikel!
    Man muss beim Klettern/Bergsteigen eben immer wissen was man tut. Heute gibt es eine Fülle von Sicherungsgeräten, die für einen bestimmten Zweck besser sind als die Universalsicherung HMS. Das muss man aber wissen bzw. lernen. Die vielen neuen Sicherungsgeräte gaukeln nur eine 100%ige Sicherheit vor und die gibt es nicht. Man muss sich mit dem Material beschäftigen, muss seine Vorteile und Macken kennen, muss die richtige Bedienung üben usw. Doch wer nimmt sich heute noch die Zeit dafür? Alles muss schnell gehen. Es wird nur noch konsumiert.
    Wenn man einer Klettertour oder einem Berg nicht gewachsen ist, wenn man das Gefühl hat, heute passt es nicht, man traut sich nicht oder man traut den äußeren Bedingungen nicht, dann kehrt man eben um und kommt wieder, wenn alles stimmt. Einen Sack aufzuhängen ist keine Schande.
    Das sind Erfahrungen, die man auch machen muss. Und wenn man dann auch selbstkritisch seine Touren betrachtet, auch Fehler zugibt und sich zugesteht, jetzt nur mit viel Glück aus dieser oder jener Situation herausgekommen zu sein und dann daraus lernt – dann hat man große Chancen als Bergsteiger alt zu werden.

    Olaf, so viel wollte ich eigentlich gar nicht schreiben. Hat sich so weggetippt. Man könnte noch vieles zu dem Thema sagen.

  5. Olaf Rieck sagt:

    Es ist sehr überraschend und spannend zu sehen, wie relevant dieses Thema zu sein scheint. Er ist noch keine 24 Stunden im Netz und wurde schon über 1000 Mal angeklickt. Das gab es noch nie. Bei keinem einzigen der 566 Artikel die ich seit 2009 an dieser Stelle veröffentlicht habe.

    Und den Kommentarschreibern vielen Dank für Eure Gedanken zu diesem Thema.

  6. Lieber Olaf, ich kann dir zu deinem Beitrag nur gratulieren, hervorragend gschrieben. Ich bin selbst seit mittlerweile 55 Jahren in den Bergen unterwegs und will gar nicht verhehlen die eine oder andere brenzlige Situation erlebt zu haben und mit Sicherheit auch überlebt zu haben (wer weiß). Die technische Entwicklung und ihre Folgen hab ich auch hautnah miterlebt und viele Dinge (z.B. die Sicherheitsausrüstung beim Skitourengehen, Abseilachter statt Dülfer, Ausrüstung fürs Klettersteiggehen, ordentliches Geschirr statt handgenähtes Brustgeschirr!!!), da hat sich sehr viel getan. Halbmastwurf verwende ich bis heute. Wie du schreibst ist das um und auf damals wie heute der richtige Umgang und das regelmäßige Üben mit den Materalien und das Lernen in einer Alpinschule, bei alpinen Vereinen, mit gleichgesinnten Freunden……. lg Peter

  7. Patrick Kliszak sagt:

    Das Hauptproblem vieler Diskussionen um das Thema ist: Es wird zu viel in einen Sack gesteckt und nicht differenziert.
    Wenn man über Sicherungsgeräte spricht, hat der Rest wie „Umkehren“ oder „Der Berg als Lehrmeister“ oder „ich bin so und so alt“ nichts damit zu tun. Man kann auch andere Themen wie Ethik oder persönlichen Blick auf das Bergsteigen oder Klettern diskutieren, das hat dann aber nichts mehr mit einem Gerät und dessen Eigenschaften zu tun. Auch ein “ Vorgaukeln von Sicherheit“ nicht. Was zählt, ist nur ein Labortest unter gleichen Bedingungen für alle. Mehr nicht.
    Und wenn ein Argument genannt wird (z.B. Ausbildung, Handhabung, richtiges Erlernen), dann muss das für alle Geräte als Voraussetzung gelten. Und da wird es schon eng mit den Ergebnissen.
    Nicht umsonst hat ein Sicherheitsingenieur vor ein paar Jahren diese Diskussion mit ausgelöst. Und sein vernichtendes Ergebnis bei einigen Geräten (speziell den Tubern) machte die Runde: Diese Geräte würden in anderen Branchen nicht einmal eine Zulassung zum Verkauf erhalten.
    Ich denke, dies würden sie auch heute nicht, kämen sie heute auf den Markt. Jede Zeit hat ihre Erkenntnisse. Ihre Methoden. Damals gab es nichts besseres. Heute gibt es besseres. Sich dagegen zu sperren, ist ja keine „eigene Meinung“ mehr, sondern fahrlässige oder mutwillige Gefährdung meines Seilpartners. Keiner kann die Sicherheitsreserven wegdiskutieren mit „eigener Meinung“.

    Und damit kommen wir eben immer wieder zu der eigenen Ethik. Ich weiß selbst zu gut, wie schwer das fällt, diese dabei aussen vor zu lassen. Ich bin selbst vor über 45 Jahren beim Klettern hängengeblieben WEIL es Freiheit für mich war. Keine Regeln, keine Vorschriften, keine Stoppuhr, kein Wettbewerb, nur machen was ich will und was ich verantworte. Für mich und für meine Partner. Das war es! Und jetzt? Jetzt soll ich mir vorschreiben lassen, was richtig uns was falsch ist? Was modern und was oldscool? Was angesagt und was must have ist? Nein! Nicht mit mir!

    Ich mache da draussen noch immer, was ich will. Und ich mache noch immer keine Wettkämpfe. Und manchmal gucken die Partner auch komisch, wenn ich mich mal wieder mit einem Bandschlingknoten eingebunden hab oder 2 Nachsteiger gleichzeitig nachhole… alles situationsbedingt und in voller Verantwortung und Bewusstsein. Aber das kann ich alles nicht in eine Diskussion um Wirkungsweisen eines Sicherungsgerätes einbringen. Da zählt das alles nichts.
    Sportklettern, alpin klettern, alpines Sportklettern, Klettersteig, Kletterhalle oder 8.000er. Alles hat andere Regeln, die man auch dabei nicht vermischen sollte. Nur facts sollten eben dann immer zu EINEM Thema genannt werden. Sonst braucht es die Diskussion nicht.

    Noch eine Anmerkung zum immer und immer wieder genannten „vorgaukeln 100% Sicherheit“: Diese Argumente kenne ich noch von anderen Neuerungen wie Gurtpflicht im Auto, ABS, ESP, Fahrgastzelle oder Knautschzone… alles kein Thema mehr heute. Ein Blick auf die Verkehrstoten im Jahr 1977 oder 2017 und auf das Verkehrsaufkommen hilft da sicher etwas. Und wenn man die Toten von damals und heute befragen könnte, ich bin fast sicher dass es sehr wenige geben wird, die sagen würden „ich bin ein sehr unsicherer Autofahrer“.
    Ebenso wie alle verunfallten Bergkameraden…

    • Olaf Rieck sagt:

      Hallo Patrick

      herzlichen Dank für Deinen so ausführlichen Kommentar. Du bist der Betreiber einer Kletterhalle und weisst also besser als die meisten, wovon Du sprichst. Aber sag mir bitte, bist Du dafür, sämtliche bremshandpostionsabhängige Sicherungsgeräte aus den Hallen zu verdammen? Denn nichts anderes lese ich aus Deinem Kommentar heraus. Also keine Tuber mehr und auch keine Autotuber, den die funktionieren bei falscher Bedienung so wenig wie die Tuber, schon ganz und gar mit den dünnen, glatten modernen Seilen?? Das ist die einzige Konsequenz aus Deinen Ausführungen, zumindest wenn ich sie richtig verstehe. Und warum darf man dann in Deiner Halle nach wie vor Sichern wie immer man möchte? Was ich persönlich übrigens richtig finde.

      • Patrick Kliszak sagt:

        Hallo Olaf,

        ich betreibe eine Kletterhalle seit 2001, daneben war ich 10 Jahre im Lehrteam und Vorstand des Kletterhallenverbandes. Hab unzählige Stunden in Hallen in Europa bei Ausbildungen verbracht, hab an vielen Tests bei Herstellern teilnehmen dürfen und hab auch leider damit auch immer alles und als erste gehört, wenn irgendwo etwas passiert ist. Und: ja, wir bilden deshalb seit vielen Jahren nur noch mit Automaten aus. Und wir versuchen seit langem unsere Gäste dazu zu bewegen über einen Wechsel des Gerätes beim Sportklettern nachzudenken. Dies haben wir auch schon vor dem Lammel-Artikel getan.
        Es sind auch nicht die Anfänger, bei denen die Probleme aufgetreten sind. Alte, erfahrene Hasen konnten harte Vorsteigerstürze nicht mehr halten, weil im entscheidenten Moment das Zusammenspiel nicht klappte. Egal warum. (gab es übrigens auch nicht nur einmal im alpinen Einsatz: Sturz – Steinschlag – Sicherungsmann – komplettversagen der Kette) Ich hab zu viele von solchen Ereignissen mitbekommen.
        Zurück zu deiner Frage: Ja, ich wünschte mir dass ALLE Kunden in meinem Haus (und anderen Kletterhallen und -gärten) mit Automaten sichern würden.
        Teil 2: Zwischen Wunsch und „Vorschrift“ gibt es ein weites Feld. Und so unterschiedlich die Motivation unserer Gäste ist zu klettern, so verschieden gehen die Menschen mit dem Thema um. Dies respektieren wir. Man kann ja nur Argumente vortragen und keinem eine Meinung aufzwingen. Daher dürfen bei uns weiterhin alle UIAA und CE zugelassenen Sicherungsgeräte und -methoden angewandt werden.
        Ich möchte das Thema auch nicht überstrapazieren. Es gibt noch ein weites Feld an anderen Fehlern, die man machen kann. (siehe Dein Eingangs-Beispiel) Aber es ist schwierig die eigene Ethik dabei aussen vor zu lassen. Wenn ich mir einen Querschnitt UNSERER Gäste vorstelle, wer welche Einstellung mitbringt, warum ein Besuch in der Kletterhalle stattfindet, welche Erfahrungen mitgebracht werden ect…. die meisten würden die Diskussion gar nicht verstehen. Viele wollen einfach sicher Sport machen und hören auf die Empfehlung der Fachleute. Aus. Die sind so weit weg von solchen Gedanken wie sie andere Gäste mitbringen, bei denen das Klettern zum Leben gehört (oder sogar Lebensinhalt geworden ist).
        Ich sag es daher nocheinmal: differenzieren ist wichtig. Und bei einem Thema bleiben wenn man schon diskutiert. Sonst landet man beim Thema Weltfrieden.

        Ganz praktische Beispiele, welche sehr viel aussagen: In der jährlichen Umfrage des DAV über Nutzung von Sicherungsgeräten in DAV-Hallen gab es vor 3 Jahren eine Mehrzahl von Usern, welche mit Tuber gesichert haben. Auf die Frage „Womit würdest DU DICH lieber sichern lassen?“ antwortete dagegen eine Mehrheit „Grigri“ 🙂
        Oder erfahrene „Tuber-User“, welche mit Kindern bei uns klettern, fragen regelmäßig nach Grigri-Leihgeräten. Wer schon einmal einer Horde Kindern das sichern beibringen wollte, freut sich offenbar mehr über eine „Reserve“. Warum gestehen wir das nicht erwachsenen Kletterpartnern zu?
        Ganz spannend wurde die Frage auch schon vor Gericht. Auf der Suche nach „Schuldigen“, welche sich am Schaden beteiligen lassen. Dort zählt fast immer ein Gutachten, welches sich immer am „aktuellen Stand der Entwicklung“ orientiert. Und da haben die alten Hasen eher schlechtere Karten als die Anfänger, weil denen ja im vollen Bewusstsein dass es bessere Geräte gibt etwas passiert ist. „Wissensvorsprung“ genannt. Alles schon passiert. Da hilft auch die Argumentation „alles böse Industrie“ nicht mehr.

        Und trotzdem: Auch ich sichere wenn es passt noch mit HMS, ich bin nach wie vor lieber draussen als in Hallen klettern, ich halte mich von allem Wettkampfzirkus fern, ich kann mit bouldern nicht dauerhaft was anfangen, ich klettere auch gern „bunt“ in der Halle, weil ich einfach Spaß an der Bewegung habe, ich komme immer mehr in die Phase des „Plaisier-Kletterers“ und ich stehe nicht auf „hightech“. Aber ich bin froh, dass ich nicht mehr Dülfer abseilen muss, dass ich nicht mehr Brustkreuz sichere, dass ich nicht mehr im Brustgurt oder Sitzschlinge hänge. Dass die Entwicklung weitergeht und dass ich sie nicht an irgendeiner, mir beliebigen Stelle, versuche anzuhalten. Herr Sticht hatte seine Zeit, aber sie geht vorbei. Auch ohne meine Meinung dazu. 🙂

  8. Thomas Schmidt sagt:

    Meines Erachtens sind die Erfinder der ganzen „aktuellen“ Sicherungstechnik die Wirtschaft und dieser geht es (unabhängig von allen anderen Argumenten) einzig um’s Geld –> wundert mich nicht, dass es ein Ingenieur war, der die se (aus meiner Sicht nicht wirklich sinnvolle) Debatte „entfacht“ hat – auch wenn ich selbst ein Ingenieur bin – habe ich schon den Eindruck, dass da ein Bedarf „geschaffen“ wurde, den es vorher Jahrzehntelang nicht gab.
    Andererseit wollte ich kürzlich selbst so eine nette Erfindung (namens „Silent Partner“) käuflich erwerben und musste feststellen, dass die Produktion trotz offensichtlichem Bedarf eingestellt wurde…
    –> Ist also alles differenziert zu betrachten und am Ende eine Frage von Angebot und Nachfrage – der Konsument = Kletterer kann eintscheiden und ich als Kletterer würde persönlich alle Kletterhallen von meiner persönlichen Landkarte ausradieren, welche HMS als Sicherungstechnik ablehnen
    –> auf diese Weise regeln sich solche Dinge also letztendlich von selbst, was so eben der natürliche Gang der Dinge ist, m.E. 😉

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