Nachtrag zu „Idiotensicher?“

Ich bin verwundert. Da sitze ich am Schreibtisch und mir drängt sich ein Thema für einen Beitrag in meinem Blog auf. Inspiration gibt es genug. Den Ausschlag für den letzten Blog „Idiotensicher?“ gab ein Unfall in der Leipziger Kletterhalle no limit. Ein Kletterer fiel ungebremst vom Umlenker auf den Boden. Er hatte Glück, weil dort, wo er aufschlug, eine Matte lag. Trotzdem war er sehr schwer verletzt. Sein Fehler, er hatte sich an die einzige Stelle seines Gurtes eingebunden, die selbst bei geringer Belastung heute noch reißen wird.

Klettere ich voraus, und das tue ich so gut wie immer, dann ist es erstaunlich, wie abhängig ich von meiner eigenen Einschätzung bin, wie es um meinen Sicherer da unten bestellt ist. Wenn ich weiß, dass er oder sie da unten fühlt, was ich fühle, wenn ich weiß, dass er aufmerksam sein wird, auch wenn es mal wieder länger dauert, wenn ich mir sicher bin, dass er das Sichern beherrscht, dann bin ich der wesentlich bessere Kletterer. (Foto: Ulf Wogenstein)

Es war kaum zu glauben, dass so etwas passieren kann. Beide, Kletterer und Sicherungsmann hatten ganz offensichtlich ihr Gehirn komplett ausgeschaltet. Und fast noch im selben Moment als ich kopfschüttelnd da stand und mir den Gurt anschaute, musste ich an die vielen zum Teil hitzigen Diskussionen denken über Sicherungsgeräte und ihre Vor- und Nachteile, Bremshandpositionen, Schlingenmaterialien, dreifach zertifizierte Seile und was weiß ich noch alles. Die einschlägigen Zeitschriften sind voll davon. Trotzdem war der Absturz eben passiert!

Der „Smart“, zur großen Gruppe der Autotuber gehörig, ist nach wie vor ein viel gebrauchtes, bedienungsfreundliches Gerät.

Also, so dachte ich mir, gibst Du auch mal deinen Senf dazu. Womöglich hatte deine Botschaft irgendeine Relevanz. Doch was dann passiert ist, nämlich das von heute auf morgen tausende von Leuten diesen Artikel anklicken, lesen und auch noch positiv kommentieren, das hat mich schon gewundert und sehr überrascht. Offensichtlich trifft dieses Thema tatsächlich einen Nerv. Was ist es aber nun, was die Kletterergemeinde umtreibt? Und nicht nur die. Ich denke, dass es bei vielen so ähnlich ist wie bei mir.

Sechs Jahre alt und steigt vor wie ein großer. Auf ihm ruhen viele Hoffnungen. Es wird nicht mehr lange dauern, dann werden wir ihm die Wege nachsteigen, die wir uns nicht mehr trauen. Ach und er wächst, anders als wir, mit dieser Ausrüstungsvielfalt auf.

In meiner Lebenswirklichkeit hat sich Einfachheit immer bewährt. Das Gegenteil von Einfachheit aber ist die unübersehbare Tendenz in unserem Sport. Die Bedienungsvielfalt unserer Ausrüstung nimmt ständig zu. Es wird immer komplizierter, sich zu entscheiden, was denn nun das Beste ist. Und es wird immer schwieriger, aufeinander Acht zu geben. Wenn mein Nachbar in der Kletterhalle mit einem Gerät sichert, dass ich noch nie gesehen habe, wie soll ich wissen, ob er das überhaupt richtig bedient?

Für mich immer wieder ein schönes Training auch für die Moral. Bohrhaken einfach ignorieren und selbst absichern. Hier im „Weg der Tauben“ in Löbejün. (Foto: Ulf Wogenstein)

Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass dieses Problem des ausufernden Überangebotes wohl nicht lösbar sein wird. Ich nehme an, dass wir nicht irgendwann sagen können: Schluss jetzt, ab sofort wird in den Kletterhallen nur noch mit dem bremshandpositionsunabhängigen Halbautomaten namens Grigri von Petzl gesichert. Vereinheitlichung plus maximale Sicherheit. Supersache! Aber der Unfall, von dem ich anfangs berichtet habe, wäre trotzdem passiert.

Rissklettern im Elbsandstein. Für mich ein echtes Lernfeld. Und auch schon oft ein Alptraum. Hier muss der Sicherer so richtig auf Zack sein. Janina sichert mich mit dem Tube, obwohl ich im Vorstieg lieber mit dem Click Up gesichert werden möchte. Doch wenn die Zwischensicherungen eher zweifelhaft sind, dann ist die Möglichkeit, schön weich zu sichern, sehr wichtig.

Damit es keine Missverständnisse gibt, übrigens der Hauptgrund für diesen kurzen Nachtrag: Moderne Sicherungsgeräte bieten eine Sicherheitsreserve, die es zu nutzen gilt. Ich tue das ganz konsequent. Ich sichere meinen Vorsteiger im Klettergarten oder der Halle mit einem Click Up. Sichere ich jemandem im toprope, benutze ich das Grigri. Bin ich alpin unterwegs, sichere ich mit dem Pivot also einer Art Tube sowohl im Vorstieg als auch im Nachstieg, weil sich dieses Gerät als Sicherungsplatte benutzen lässt. Und wenn aus irgendwelchen Gründen die Seile alt, fett und steif sind oder es ganz schnell gehen muss, dann bleibt einem manchmal gar nichts anderes übrig, als den guten alten Halbmastwurf zu gebrauchen. Und das passiert oft.

Und so richtig interessant und anspruchsvoll wird es dann im Hochgebirge, wenn die ganze Palette des Wissens, Könnens und der Erfahrung abgefragt wird. Kombiniertes Gelände heißt Sichern im Fels und im Eis. Ständiges Einschätzen des Wetters, der Lawinengefahr, der Möglichkeit von Stein- und Eisschlag, des Grades der Erschöpfung bei sich und den anderen usw. In solchem Gelände hat man oft genug die Tür hinter sich zugeschlagen. Dessen muss man sich in jedem Augenblick bewusst sein. Hier am Westgrat des Shivling im vergangenen Jahr.

Und ich wiederhole mich. Das einzige, was uns in dieser Lage hilft, ist eben Wachheit, Lernbereitschaft und die Akzeptanz, dass wir uns nicht nur in den richtigen Bergen sondern selbst in einer Kletterhalle bzw. -garten in echte Gefahr begeben. In größere Gefahr als uns das bewusst ist und lieb sein kann! Davon bin ich überzeugt.

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