Vom Präpsaal zum Hidden Peak, Teil 4

Das neue Jahrzehnt begann mit zwei schmerzlichen Misserfolgen. 2010 scheiterte ich kurz unter dem Gipfel des Fitz Roy in Patagonien, 2012 am 8080 m hohen Hidden Peak im Karakorum. Zwischendurch hatte ich 2011 den Gipfel des Mount McKinley, heute Denali genannt, erreicht. Er gilt als der kälteste Berg der Erde.

Ein Reiseunternehmen hatte mich als Guide engagiert. Es war eine bleibende und nicht gerade positive Erfahrung, für 13 mir völlig fremde Leute die Verantwortung an diesem Eisriesen übernommen zu haben.

Menschen werden an diesem gewaltigen Berg zu Staubkörnern. Ich habe nirgendwo mehr Berg über mir aufragen sehen, als am Denali. Über 5000 m erhebt er sich im Basislager über einem. 27 Kilometer sind es vom BC bis zum Gipfel. Im Bild die West Buttress mit einer Seilschaft vom Lager 5 aus gesehen.

2013 kehrte ich in den Himalaya zurück. Diesmal war der gewaltige 7000er Baruntse mein Ziel. Als einzige Seilschaft an diesem Berg konnte ich mit meinem Partner den höchsten Punkt erreichen. Diese Besteigung brachte mir eine bleibende Erfahrung ein. Eine Sicherung brach bei einem misslungenen Sprung über eine Spalte kurz unterhalb des Gipfels aus, und ich stürzte etwa 10 m in die Tiefe. Doch ein anderer Fixpunkt hielt und so blieb der Sturz ohne fatale Folgen.

Auf dem Gipfel des 7129 m hohen Baruntse. Im Hintergrund links neben meinem Kopf die 6814 m hohe Ama Dablam mit ihrer Ostwand, an der ich sieben Jahre zuvor erfolgreich war.

2014 war ich dann zum ersten Mal mit meinem Patenkind Jacob unterwegs, damals zarte 24 Jahre alt. Nicht weniger als drei 6000er standen auf unserem Wunschzettel in Perus Cordillera Blanca. Und es sollten nicht irgendwelche sein, sondern gleich mal zwei der schönsten Berge auf diesem Globus. Artesonraju und Alpamayo hießen unsere Hauptziele, der Quitaraju würde unser Akklimatisationsgipfel sein. Wir hatten Glück und konnten bei besten Verhältnissen alle drei Gipfel erfolgreich bezwingen.

Jacob und ich in der Südostwand des Quitaraju aufgenommen von einem unbekannten Fotografen im Basislager.

Weniger erfolgreich verlief über den Jahreswechsel 2015/16 die Reise zum vielleicht schwierigsten Berg der Erde, zumindest wenn wir als Maßstab die Anzahl der Besteigungen zu Grunde legen. Nur ein chilenisches Team hat bisher nachweislich den Gipfel des Monte Sarmiento in Feuerland erreicht. Und das obwohl dieser phantastische Eisriese schon 140 Jahre lang die Elite der Alpinisten aus der ganzen Welt magisch anzieht. Aber 330 Regentage im Jahr und ein gigantischer, schlecht abzusichernder Raueispanzer haben die Menschenzwerge bei ihren Versuchen immer wieder zum Verzweifeln gebracht. 

Der 2246 m hohe Monte Sarmiento mit seinem Westgipfel. Rechts dahinter die Südwestwand mit dem Hauptgipfel. Man beachte das Flugzeug auf diesem Bild! Ein schöner Größenvergleich.

Mit einer komplett anderen Strategie als unsere sämtlichen Vorgänger konnten wir die noch nie versuchte, beinahe 600 m hohe, fast senkrechte Südwestwand bis etwa 50 m unter den Gipfel durchsteigen, ehe die Risiken einfach nicht mehr zu kontrollieren waren. Eine knappere und vor allem schmerzlichere Niederlage gab es in den exakt 31 Jahren, in denen ich nun schon in den Gebirgen dieser Welt unterwegs bin, noch nie!

Dieses Bild hat mir Ralf Gantzhorn zur Verfügung gestellt. Es zeigt rechts unsere fast 600 m hohe, nahezu senkrechte Südwestwand, welche Falk Liebstein und ich bis wenige Meter unter den Gipfel durchsteigen konnten.

Dafür empfing mich 2017 ein anderer Weltberg geradezu als Freund. Mit Jacob und Sven Kortmann, einem ehemaligen Nepalgast, kletterten wir den Westgrat am 6543 m hohen Shivling im indischen Garhwal Himalaya. Die perfekte Expedition an einem perfekten Berg, denn der Shivling gilt für viele Kenner als eine der aufregendsten Berggestalten der Erde. Hier hatten wir einfach mal auf der ganzen Linie Glück sowohl mit dem Wetter als auch mit den Verhältnissen.

Der Shivling im letzten Abendlicht vom Basislager aus fotografiert. Die Westseite war unser Spielfeld an dieser wunderschönen Berggestalt.

Glücklich verlief ein Jahr später auch die nächste Unternehmung abermals an einer ganz außerordentlichen Berggestalt. Für den Sommer 2018 hatte ich mir den Stetind im Norden Norwegens als Ziel ausgesucht. Er gilt als der größte Granitobelisk des Planeten. Und wer vor diesem Riesenstein steht, dem verschlägt es tatsächlich vor Staunen die Sprache. Bei bestem Wetter kletterten wir in traditioneller Manier den komplett bohrhakenfreien Südpfeiler. 

1400 m ragt dieser ungeheure Granitzahn des Stetind aus dem Tysfjord auf.

Und nun sind wir bei der Gegenwart angekommen und schon wieder gibt es Grund zur Freude, denn 2019 war ein besonders gutes Jahr für mich. Im Frühjahr konnte ich mit fünf Gästen den 6169 m hohen Nirekha Peak besteigen, mein inzwischen vierter Erfolg an diesem Berg, von dessen Gipfel der Bezwinger eine unverstellte Aussicht auf den höchsten Punkt der Erde genießen kann.

Meine fünf Gäste und mein Co-Guide Sven Kortmann auf dem Gipfel des 6169 m hohen Nirekha Peaks. Im Hintergrund thront die gewaltige Felspyramide des Mount Everest.

Im Sommer ging es dann für zweieinhalb Monate nach Pakistan. Wieder waren Jacob und Sven mit von der Partie. Nun schon zum dritten Mal stand der 8080 m hohe Hidden Peak auf dem Programm. 2001 und 2012 war ich an ihm gescheitert. Doch dieses Mal belohnte der Wettergott womöglich meinen hohen Einsatz an diesem für mich schönsten Achttausender. Am 19. Juli 2019 stand ich endlich auf seinem höchsten Punkt.

Auch wenn der Erfolg am Hidden Peak einen besonderen Höhepunkt in den vergangenen Jahren und womöglich auch eine Zäsur darstellt, wird es immer weitergehen mit der Bergsteigerei, denn meine Fluchten aus der Zivilisation in die Berge sind für mich zu einem unverzichtbaren Lebenselixier geworden.

Die Nordwestseite des Hidden Peaks auf dem Weg vom Basislager über den Gasherbrumgletscher zum Lager 1 fotografiert.

Wenn ich vor einem großen Berg stehe, dann kann ich regelrecht spüren, mit welch ungeheuren Zeiträumen und Kräften wir es hier zu tun haben und was Erhabenheit wirklich bedeutet.

Mit ihrer unermesslichen Größe und ihrem unvorstellbaren Alter rücken sie meine Perspektive auf mich selbst immer wieder neu zurecht, denn umgeben von Bergriesen wird uns Menschenzwergen überdeutlich bewusst, dass wir nur winzig kleine Punkte sind auf der unendlichen Achse der Zeit. Diese Erkenntnis macht mich bescheiden und demütig.

Die Berge belohnen mich jedes Mal aufs Neue mit Einsichten, die hier unten in der Ebene nur schwer zu haben sind. Das einzige, was ich dafür tun muss, ist immer wieder hingehen…

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4 Antworten

  1. Thomas Schmidt sagt:

    „Die Berge belohnen mich jedes Mal aufs Neue mit Einsichten, die hier unten in der Ebene nur schwer zu haben sind. “
    Das habe ich auch schon oft so empfunden,
    jedoch bin ich da mittlerweile etwas weiter – habe Gruppen gefunden, in denen neue Einsichten = Selbsterkenntniss kommen, einfach nur durch Hingehen und Teilhaben = präsent sein…

    Präsent sein, das is m.E. der Schlüssel – 100% auf die Situation konzentriert, dabei und danach gedanktlich gereinigt, d.h. offen für Neues, im besten Fall wertvolle Selbsterkenntnisse – auf dem Weg, ein bessere Mensch zu werden, immer einen Schritt weiter :-)))

    –> aufs Neue mit Einsichten, lieber Olaf + vielen Dank für die tollen Fotos: das am Quitaraju gefällt mir besonders!!

  2. Katja sagt:

    Lieber Olaf,deine Bergerlebnisse mit Höhen und Tiefen beeindrucken mich zutiefst.Man sieht immer tolle Aufnahmen ,aber was man nicht sieht,sind doch sicherlich auch gefährliche Situationen,die du mit Sicherheit auch erlebt hast?Ich hab gestern mit anderen Augen den Everest Film gesehen und mir gedacht,ob du auch solche schwierige und lebensgefährliche Situationen erlebt hast,Bergfreunde verloren hast,Erfrierungen davon getragen hast?Was bewegt einen Alpinisten,höchst schwierige Berge zu besteigen,unter extremen körperlichen und physischen Bedingungen und mit dem Risiko auf lebensgefährliche Situationen?Bis wohin geht man ein „gesundes“Risiko ein und wie geht deine Familie damit um,wenn du auf deinen Expeditionen bist?Mich persönlich beeindrucken die Berge auch total,allerdings bin ich nicht weiter gekommen,als die Alpen.Selbst diese lösen in mir eine Art Seelenbalsam aus,die Magie der steinernen Riesen,man verspürt Kraft,aber auch Ruhe.Lieber Olaf,dann wünsch ich dir,dass die Zeit schnell vergeht und du wieder die Kraft und Energie der Berge spüren kannst ,im Himalaya oder in einem anderen Gebirge dieser Welt.Pass auf dich auf,damit deine Bergfreunde an deinen beeindruckenden Abenteuer teilhaben können.In diesem Sinne wünsch ich dir ein geruhsames Weihnachtsfest im Kreise deiner Lieben.Herzliche Grüße,Katja

    • Olaf Rieck sagt:

      So viele Fragen! Die hier zu beantworten, würde entschieden zu lange dauern. Es wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben, als einmal gemeinsam in die Berge zu fahren. Da hätten wir dann womöglich genug Zeit und gleich noch die nötige Inspiration für die Antworten…

    • Thomas Schmidt sagt:

      Huhu Katja,
      Ich habe eine Freundin, der es ähnlich mit den Bergen geht wie dir: vielleicht könnt ihr euch ja mal zusammen tun…

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