Sonntagsarbeit

Ich gestehe, meinen eigenen festen Vorsatz gebrochen zu haben! Beim Verfassen des Artikels über meinen letzten Aufenthalt im Oberreintal im vergangenem Herbst hatte ich mir fest vorgenommen, dass ich beim nächsten Mal dort genug Zeit haben werde. Soviel, dass ich in Ruhe schlechtes Wetter aussitzen kann und genug klettern werde, dass ich auf dem Heimweg nicht mal mehr den Arm hoch bekomme, um mich am Kopf zu kratzen.

Das hat nun wirklich nicht geklappt. Nach den vier tollen Tagen am Taschachferner im Pitztal mit meinen Nepalgästen ging es also weiter ins Oberreintal. Das ist inzwischen nicht mehr und nicht weniger als eines meiner Lieblingsklettergebiete geworden. Warum das so ist, könnt ihr im Oberreintalartikel vom 26. September 2012 nachlesen. Nach dieser Lektüre wisst ihr, warum ich mindestens einmal im Jahr dort gewesen sein muss. Und da ich in diesem Jahr mein mir selbst gegebenes Versprechen gebrochen habe, muss ich zur Strafe noch einmal hin 🙂

Eine Spezialität der Oberreintalhütte bzw. ihres Hüttenwartes Hans: Nach einem ziemlich langen Aufstieg zur Hütte, mindestens zweieinhalb bis drei Stunden, möge man doch bitte auf dem letzten Kilometer noch ein Stückchen Holz mit nach oben nehmen. Man will es ja schliesslich warm haben!

Das Foto nur mal zum Größenvergleich. Sven mit seinem Holzstück.

Doch eigentlich war ich ja unschuldig. Mein Partner Sven hatte einfach nicht mehr als fünf Tage Zeit. Mit der An- und Abreise bleiben eben nicht mehr als drei zum Klettern. Doch was das schlimmere war: Das Wetterglück hatte uns verlassen. Schon während des Aufstieges von Garmisch-Partenkirchen brach es über uns herein. Von den drei Anmarschstunden zur Hütte goss es zwei wie aus Kannen. Sven und ich waren so durchweicht, als hätten wir die beiden Stunden unter der Dusche verbracht.

Das bedeutete aber vor allem eines: Der Kalkstein, aus dem die grandiosen Felsen des Oberreintals gemacht sind, war nass. Die Rinnen, Verschnei-dungen, Risse, alles nass. Der Kalk ist im nassen Zustand rutschig. Auf Reibung irgendwo stehen zu wollen, ist mit nassen Kletterschuhen weniger zu empfehlen. Und schnell abtrocknende Routen gibt es nicht soviele. Eigentlich nur eine: Das „Gelbe U“. Und das sind wir am ersten Tag auch geklettert. Ein wirklich feiner Weg zum Einklettern. 9 Seillängen, klare Linie, ein paar Bohrhaken an den richtigen Stellen zur Nervenberuhigung, zwei Seillängen im Sechsten Grad, alles andere leichter. Und vor allem erstaunlich trocken. Nur ganz oben machten wir oder genauer gesagt ich einen Fehler. Am Ausstieg hängt einen nagelneue Abseilöse. Ich liess mich verleiten, zu glauben, dass man eine neue Abseilpiste eingerichtet haben müsse. Denn vom Unteren Berggeistturm auf dem im Kletterführer ausge-wiesenen Abstieg herunter zu kommen, ist ziemlich langwierig, da mit langer Abkletterei in Schrofengelände verbunden.

Doch nach zwei Abseillängen, war Schluss mit den Abseilständen. Wir fanden zwar noch einen weiteren Bohrhaken, an dem wir mittels meiner „Notabseilkrampe“ noch hinunterkamen, doch dann schauten wir in die Röhre. Es ging nicht mehr weiter abwärts. Also querten wir notgedrungen in das „Gelbe U“ zurück und seilten über unsere Route ab. Da keiner mehr in dem Weg kletterte, war das kein Problem. Kein Problem war Gott sei Dank auch das Abziehen des Seiles. Das bleibt im scharfkantigen Kalk nämlich gern einmal irgendwo hängen und lässt sich dann nicht mehr abziehen. Ungesichert raufklettern und das Seil lösen, ist dann nicht selten die einzige Alternative. Doch das blieb uns erspart. Erspart blieb uns auch, dass wir zum zweiten Mal nass wurden. Genau als wir gegen vier Uhr in der Hütte eintrafen, begann es abermals wie am Tag zuvor aus Eimern zu schütten.

Sven steigt die erste der beiden Schlüsselseillängen in der "Sonntagsarbeit" nach. Eine 7- die aber auch leider alles andere als trocken war.

Doch am nächsten Morgen kam Hoffnung auf. Wir wurden eine Stunde eher, als auf der Oberreintalhütte üblich, geweckt. Strahlend blauer, wolkenloser Himmel. Natürlich waren die meisten Klettereien immer noch zu nass. Doch vielleicht konnten wir eine der schönsten Routen im Oberreintal doch irgendwie machen: „Die Sonntagsarbeit“. Diese Route ist steil mit ein paar kleinen Überhängen drin. Aber eben doch recht schwer und mit 9 Seillängen auch relativ lang.

Bis zum Einstieg in die achte Seillänge sind wir gekommen, dann brach völlig unvermittelt das Gewitter los. Es hagelte und goss in Strömen. Im Nu verwandelte sich unsere Route in einen Sturzbach. Und diesmal dauerte es nur zwei Minuten, bis wir nass bis auf die Haut waren. Das Wasser floss mir zum Ärmel rein und durch das Hosenbein wieder raus. Es war ziemlich beeindruckend, aber doch nicht wirklich besorgniserregend. Wir befanden uns nicht auf einem Grat. Ausserdem bestanden die Sicherungen in dieser Route aus den selbst gebastelten Bohrklebeankern des Erstbegehers Wolfgang Henke. Sie übertreffen nicht nur die Festigkeitswerte der heute handelsüblichen Bohrhaken. Man kann an ihnen auch problemlos abseilen, was an Bohrhaken nicht so ohne weiteres möglich ist. Diese Tatsache war übrigens der Hauptgrund, warum ich in diese Route und keine andere eingestiegen bin. Wir konnten hier rasch und ohne großen Stress aus der Route flüchten. Und genau das machten wir jetzt auch.

Meine arme Kamera musste auch leiden unter der Nässe. Buchstäblich nichts ist bei dieser Aktion trocken geblieben. Aber noch funktioniert sie!

Weil wir am Doppelstrang kletterten, hatten wir 50 m Seil für jedes Mal Abseilen zur Verfügung. Und da wir genügend von diesen Bohrklebeankern fanden, konnten wir diese 50 Meter auch bei jedem Abseilvorgang voll ausnutzen. Wir kamen also ziemlich rasch vom Berg hinunter. Klatschnass kehrten wir in die Hütte zurück und freuten uns nun sehr, dass es dort genügend Holz zum ordentlich Einheizen gab, um uns und unsere Klamotten wieder trocken zu kriegen.

An unserem letzten Klettertag waren wir dann beide irgendwie demoralisiert, denn das Wetter sah schon am Morgen so aus, wie am Tag zuvor in der siebenten Seillänge in der „Sonntagsarbeit“. Es war zwecklos. Alle Routen waren nass. Die einzige, die man bei großer Nässe trotzdem klettern kann, das „Gelbe U“, hatten wir schon gemacht. Also entschlossen wir uns, den Heimweg anzutreten. Aber ich bin nicht so schrecklich traurig, denn schon im August werde ich wieder dort oben sein und wenn der Wettergott will, meine Vorsätze diesmal auch einhalten.

 

 

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6 Antworten

  1. Katrina sagt:

    Hallo Olaf,

    Respekt!! Da habt Ihr wahrlich Großartiges geleistet. Kann mir sehr gut vorstellen, wie es sich anfühlt, wenn die Regengüsse in die Ärmel strömen und zum Hosenbein wieder heraus….muss lachen, denn genau DAS hatte ich kürzlich selbst erlebt – und nicht zum ersten mal. Und solche Regentage machen ein Bergerlebnis erst so richtig zu einem mystischen Abenteuer. War bislang noch nie im Oberreintal, aber da ich ab nächsten Freitagabend 14tägig die Alpen durchquere und den Auftakt starte in meinem geliebten Karwendel- u.Wetterstein – Gebiet, liegt es sehr nahe, einen Abstecher dorthin zu machen und 2 Tage zu verweilen. Herzlichen Dank für diesen spannenden Bericht,

    Katrina

    • Thomas Schmidt sagt:

      Hey Katrina,
      Schön mal wieder was von dir zu lesen 🙂 Das Oberreintal kenne ich bisher leider nur vom Sehen – letzte Woche sind wir von der Meilerhütte über das Tal zum Kreuzeck gequert… Also das nächstemal Zeit für einen Abstecher einplanen !!
      Wünsche dir viel Spaß bei deiner Alpenquerung und dass auch ein paar Sonnenstunden dabei sind (zu viel Regen ist auch wieder nicht gut ;))

      @Olaf: Danke für den tollen Bericht, den Hans möchte ich jetzt auch unbedingt mal kennenlernen…

  2. Katrina sagt:

    *lach* … ach weißt Du, lieber Thomas, das bisschen Regen – *abwink* – als wir Ende Mai am Tajatörl rumgekraxelt sind, weit und breit kein Mensch (nur wenige wagten den Weg zur Coburger Hütte), sind wir 4 Tage lang in dickem Schneetreiben versunken, oberschenkeltief. Es war unbeschreiblich aufregend und traumhaft schön. Hm, ich glaube, wirklich nur die wirklich Hartgesottenen wagen einen Kurztrip zu dieser Jahreszeit in solche Hoheitsgebiete. Aber ich habe mit dem Wettergott einen Pakt geschlossen und somit werde ich ab nächsten Freitag mit Sicherheit sonnige Bergabenteuer erleben. Schade, Dich nicht im „FB“ zu treffen, die Bilder sind einfach atemberaubend und mit einem Schmunzeln zu genießen……Rest per PN 😉

    @Olaf: Wann im August wirst Du denn wieder im Oberreintal unterwegs sein?? Freue mich schon jetzt auf die spannenden Berichte und drücke Dir bzw.Euch beide Daumen, dass der Wettergott besänftigt bleibt……

    • Olaf sagt:

      Hallo Katrina,

      das ist noch nicht ganz raus. Vermutlich die dritte Woche..

      Herzlichen Gruss Olaf

    • Thomas Schmidt sagt:

      Hey,
      Für sowas bin ich auch immer zu haben – freue mich echt schon auf eine Tour mit dir / euch „Hartgesottenen“ :-))
      Bei „FB“ hätte ich dich übrigens fast nicht gefunden, weil nettes Namensspiel. Danke daher an Olaf, der jetzt auch mein Freund ist…!!

      Viel Spaß bei euren nächsten Touren,
      Thomas

      • Olaf sagt:

        Hallo Thomas,
        von meiner Homepage kommt man doch ganz leicht zu meiner FB-Seite. Das Profil behandele ich immer etwas stiefmütterlich.
        Gruss Olaf

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