Die eiserne Lady, Teil 3

Elizabeth fiel auf. Eine junge Amerikanerin allein in Kathmandu? Sie wurde sehr rasch in die High Society von Nepals Hauptstadt aufgenommen. Und sie passte dort auch gut hin. Sie hatte als Korrespondentin für die Time Inc. und als Verfasserin von Dossiers zur politischen Lage in Nepal für die Knickerbocker Foundation gleich zwei Einkommen, und so konnte sie sich einen komfortablen Lebensstil leisten.

Drei Hausangestellte nahmen ihr alles ab, wozu sie keine Lust hatte. Vor allem anderen das Einkaufen und Kochen waren ihr ein Graus. Später beschäftigte sie auch einen Chauffeur und einen Gärtner. Und ihre Angestellten hatten es nach einhelliger Meinung derer, die sie gut kannten, nicht leicht.

Es mutet erstaunlich an, wie schnell Elizabeth Anschluss an die höchsten Kreise Nepals fand. Bereits 1962 als der Vorstandsvorsitzende der Time Inc., also ihr oberster Chef, nach Nepal kam, konnte sie Treffen mit wichtigen Ministern einfädeln und sogar ein halbstündiges Interview mit Nepals König Mahendra höchstpersönlich organisieren.

Miss Hawley und ich im Garten des Nirvana Garden Hotels in Kathmandu. Sie hat dieses Hotel für mich ausgesucht. Ich war vorher in einem anderen, deutlich preiswerteren. Aber auf das hatte sie keine Lust. Doch ihr Vorschlag, in das Nirvana Garden Hotel zu wechseln, war ganz hervorragend. Fast 20 Jahre bin ich in diesem Hotel abgestiegen.

Ein wichtiges Datum für Elizabeth war der erste Silvesterabend in Nepal. An diesem Abend begegnete sie auf einem Galadinner im Royal Hotel, damals das beste Hotel in Nepal, zum ersten Mal Edmund Hillary. Diese Begegnung sollte weitreichende Folgen für Elizabeth haben. Es entstand das sich hartnäckig bis heute haltende Gerücht, dass es eine heftige Affäre zwischen den beiden gab, die sich über viele Jahre hingezogen haben soll. Natürlich wurde das von ihr immer dementiert, schließlich war Hillary verheiratet. Aber zweifellos markierte diese Begegnung wohl den Startschuss für ihr wachsendes Interesse an Bergsteigern und dem, was sie taten.

Außerdem brachte die immer intensiver werdende Beziehung mit Edmund Hillary mit sich, dass sie bald einen dritten Job hatte. Sie wurde Geschäftsführerin der nepalesischen Abteilung einer von Hillary 1960 gegründeten gemeinnützigen Organisation, dem Himalayan Trust. Diese Organisation sammelte Geld und baute damit Schulen und Krankenhäuser in der Solokhumburegion, in welcher die Sherpas zu Hause sind. Auch der berühmte Flugplatz in Lukla wurde von Hillarys Himalayan Trust finanziert und angelegt.

Der von Hillarys Himalayan Trust gebaute Flugplatz in Lukla (links) war bei meinen ersten Reisen in die Everest-Region noch eine sehr abenteuerliche Schotterpiste! Rechts: Meine Trekkinggäste fotografieren das berühmte Hillary-Hospital in Khunde, das erste Krankenhaus im Sherpaland und bis heute für die Region überaus wichtig.

1963 war bezüglich Elizabeths Interesse am Bergsteigen und seinen Protagonisten ein denkwürdiges Jahr. Eine amerikanische Expedition, geleitet von Norman Dyhrenfurth, wollte den Everest komplett überschreiten. Ein äußerst kühner Plan. Elizabeth besuchte zwei der Expeditionsteilnehmer im Vorfeld und berichtete über diese Expedition ausführlich, unter anderem für die Nachrichtenagentur Reuters, für die sie inzwischen ebenfalls arbeitete.

Diese Expedition, damals ein echter Meilenstein und eine der wichtigsten Besteigungen in den 1960er Jahren, war die erste, über die Elizabeth detailliert Buch führte. Nach Bernadette McDonald,  Elizabeths Biographin, könnte diese Expedition als der Beginn ihrer Jahrzehnte andauernden Passion für Himalaya-Expeditionen gelten. Aber es waren wohl nicht nur die Unternehmungen sondern auch die Bergsteiger selbst, die Elizabeth faszinierten. Zahlreiche Namen berühmter Alpinisten wie Eric Shipton, Don Whillans, Andrzej Zawada oder der schon erwähnte Edmund Hillary wurden als ihre Liebhaber gehandelt. Sie hat all das zeitlebens heftig bestritten.

Miss Hawley beim Interview für unseren Film „Auf schmalem Grat“, welcher auf der Expedition zum Amphu Labtsa Middle oder Chukhung Tse, wie Miss Hawley ihn dann umbenannt hat, entstanden ist. Ein Ausschnitt aus diesem Interview kann am Ende des Beitrages angesehen werden.

Aber noch ein anderer Mann hatte entscheidenden Einfluss auf Elizabeth. Und der hieß Jimmy Roberts, ein britischer Militärattaché und Bergsteiger, dessen Dienstzeit in Nepal zu Ende ging. Um nach seinem Ausscheiden aus dem Militär in Nepal bleiben zu können, musste er sich etwas einfallen lassen. Und er kam auf die Idee, eine Trekkingagentur zu gründen: Mountain Travel. Es war Nepals erste Trekkingagentur und vielleicht sogar die erste der Welt. Diese Idee war originell und kam genau zur richtigen Zeit. Binnen weniger Jahre florierte das Unternehmen, und da er lieber mit seinen Kunden auf Tour ging, musste irgendjemand die Organisation der Trekkings in Kathmandu übernehmen und die Korrespondenz erledigen.

Er fragte Elizabeth, ob sie das für ihn tun wollte, und sie ließ sich tatsächlich breitschlagen, für Jimmy Roberts zu arbeiten. Job Nummer vier oder fünf, und laut der Gerüchteküche in Kathmandu wurde Roberts ebenfalls ein Liebhaber Elizabeths. Jedenfalls dauerte es nicht lange, bis Mountain Travel auch einen Großteil der Logistik der meisten Himalaya-Expeditionen koordinierte. Sicher ein weiterer Grund, warum Elizabeths Interesse am Höhenbergsteigen nun auch aus beruflichen Gründen immer größer wurde.

So mochte die Grande Dame des Himalaya-Bergsteigens das. Man geleitet sie am Arm zu ihrem Wagen und hält ihr die Tür auf.

Der Hauptgrund für ihr ständig wachsendes Interesse an den Expeditionen im Himalaya hatte allerdings ganz profane Gründe. Nach wie vor war sie als Korrepondentin für die Time Inc. und die Nachrichtenagentur Reuters tätig. Und sie merkte schnell, wie enorm das Medieninteresse an diesen frühen Erkundungen und Besteigungen war. Viel größer als heute. Deshalb begann sie Mitte der Sechziger Jahre alle Expeditionen, die nach Kathmandu kamen, zu treffen, die Teilnehmer zu interviewen und systematisch Akten über sie anzulegen.

Dadurch wurde sie nicht nur eine vertrauenswürdige Berichterstatterin für die großen Alpinzeitschriften auf der ganzen Welt. Sie wurde vor allem auch eine zuverlässige Quelle von Informationen für Bergsteiger selbst, die zu ihr kamen und um Hilfe baten. Dann schlug Elizabeths große Stunde. Denn niemand weltweit konnte derart aus dem Vollen schöpfen, wenn es um spezielle Informationen zu Routenverläufen, Lagerplätzen, objektiven Gefahren usw. ging. Es war regelrecht rührend, wie sie sich dann um einen kümmerte. Allerdings musste man bestens vorbereitet und nicht auf ausgetretenen Pfaden unterwegs sein und ganz klar seine Fragen formulieren. Ansonsten bekam man ihre weithin berüchtigte scharfe Zunge und ihre Missachtung zu spüren.

Der zum Aufnahmezeitpunkt dieses Fotos noch unbestiegene und namenlose Berg vom Basislager des Imja Tse (Island Peak) aus gesehen. Eine wunderschöne dreigipflige Berggestalt. Wir haben ihn dann für die Beantragung der Besteigungserlaubnis „Amphu Laptsa Middle“ genannt. Erstens, weil er sich direkt neben einem wichtigen Pass befindet, dem Amphu Laptsa, und weil der mittlere der drei Gipfel dieses Berges der höchste Punkt ist. Aber Frau Hawley fand den Namen unpassend und nannte ihn Chukhung Tse nach der Yak-Alm, welche sich unweit des Bergfußes befindet. Das Wort „Tse“ ist eine von mehreren Bezeichnungen für Berge.

2008 konnten wir das einmal mehr selbst erleben. Ich hatte ja schon im Teil 1 vom Cho Oyu  und dem Cho Polu erzählt und im Teil 2 unsere Erstbesteigung auf den Num Ri erwähnt. 2008 hatten wir abermals eine Erstbesteigung geplant. Unser Ziel war ein namenloser und aufregend schöner Gipfel im Imjatal in der Khumbu-Region des Himalayas, welcher direkt gegenüber der gigantischen Lhotse-Südwand steht.

Inzwischen hatte ich Miss Hawley schon oft getroffen: Nach dem Num Ri 2002 kam 2005 der Everest und 2006 die Ama Dablam. Bei diesen beiden Projekten war ihr Interesse wieder nur mäßig. Aber 2008 hatten wir abermals ihre volle Aufmerksamkeit. Inzwischen erinnerte sie sich sogar an meinen Namen. Doch wir hatten ein Problem. Wir bekamen keine Besteigungserlaubnis für unseren Traumgipfel und baten Miss Hawley diesbezüglich um Hilfe. Und sie sagte diese auch sofort zu. Doch auch sie schaffte es in der Kürze der Zeit nicht, das Permit zu besorgen. Aber das sei überhaupt kein Problem, meinte sie. Die Mühlen der nepalesischen Bürokratie mahlen extrem langsam. Deshalb riet sie uns zu einer kleinen Trickserei. Wir sollten die Gebühr für einen schon bestiegenen Nachbarberg entrichten. Da geht das mit der Permitbeschaffung einfacher und vor allem schneller.

Alexander Graeber und ich im Aufstieg am Amphu Laptsa Middle oder Chukhung Tse, aufgenommen mit Teleobjektiv vom Hochlager. (Foto: Karin Mehlhase)

Wir würden den nepalesischen Staat nicht um die Permitgebühr betrügen, so ihre Argumentation, behielten also unser gutes Gewissen. Und sie könnte ebenfalls mit gutem Gewissen über uns berichten. Auf eine solche Idee wären wir selbst nicht gekommen. Diese Expedition wurde ein großer Erfolg, über den sich Miss Hawley fast ebenso heftig freute wie wir. Übrigens gab Miss Hawley unserem namenlosen Berg den jetzt gebräuchlichen Namen: Chukhung Tse. Wir hatten ihn Amphu Laptsa Middle genannt. Doch diese Bezeichnung gefiel ihr nicht.

Genauso war sie! Und wir kamen auch nicht auf die Idee, diesbezüglich Einspruch zu erheben.

Mehr als 50 Jahre lang baute sie die Himalayan Database auf, die 2004 vom American Alpin Club veröffentlicht wurde. Erst mit 92 Jahren zog sie sich vollständig aus der Recherchearbeit zurück. Bis dahin hat sie über 4.000 Expeditionen und 36.000 Alpinisten erfasst. Sie führte bis 2011 rund 15.000 Interviews mit Bergsteigern, recherchierte so Daten zu mehr als 80.000 Besteigungen auf 340 verschiedene Gipfel in Nepal, inklusive derer an den Grenzen zu Tibet, China und Indien. Eine gewaltige Arbeit!

Links: Alexander Graeber und ich auf dem Gipfel des 6138 m hohen Chukhung Tse. Wir hatten für unseren Film auch ein Stativ mit auf den Gipfel getragen. Rechts das Team bei dieser sehr erfolgreichen Erstbesteigung: Von links nach rechts: Vera, Eric, Karin, Christian, ich, Alex. Bis auf Vera haben alle den höchsten Punkt des Chukhung Tse erreicht.

Ihr Einfluss auf die Berichterstattung in den einschlägigen Alpinjournals als auch auf die Bergsteiger selbst, ist nicht zu überschätzen. Erst wenn Miss Hawley von einer Besteigung überzeugt war, wurde sie von der internationalen Bergsteigergemeinde auch anerkannt. Einige der berühmtesten Bergsteiger der Welt bekamen ihre Macht zu spüren. Ein prominentes Beispiel ist die Südkoreanerin Oh Eun-sun, angeblich die erste Frau auf allen 8000ern. Elizabeth erkannte ihre Besteigung des Kangchendzönga nicht an und deshalb gilt heute Edurne Pasaban als die erste Frau auf den 14 höchsten Gipfeln der Welt. Ein anderes sehr prominentes Beispiel ist  Anatoli Bukrejew. Er musste noch ein zweites Mal an die Shishapangma, weil ihm Elizabeth nachwies, dass er nur auf einem Nebengipfel war. Das gleiche passierte auch Erhard Loretan, immerhin der dritte Mensch auf allen 8000er, und Ed Viesturs, siebenmaliger Besteiger des Mount Everest. Die Liste prominenter „Opfer“ von Elizabeths unerbittlicher Genauigkeit ließe sich noch ein Weilchen fortsetzen.

Ich habe Miss Hawley kennengelernt als einen Menschen mit extrem hohen Ansprüchen. Und zwar in erster Linie an sich selbst. Auch wenn es schwerfällt, das zu glauben: Sie arbeitete bis hoch in ihre achtziger Jahre 12 bis 14 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr. Übrigens wenn es tatsächlich mal einen Tag nichts zu tun gab, las sie gern Krimis.

Und diese Anspüche stellte sie auch an ihre Gesprächspartner. Vor allem eitle Selbstdarsteller ohne Ambitionen, unter uns Bergsteigern öfter als überall sonst zu finden, bekamen ihren ätzenden Spott ziemlich erbarmungslos zu spüren. Und deshalb empfand ich es als eine große Ehre, ihre Bekanntschaft gemacht zu haben und bin ein wenig stolz darauf, mit einigen meiner Unternehmungen sogar ihre Aufmerksamkeit und ihren Respekt errungen zu haben.

Interview Miss Hawley

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2 Antworten

  1. Christian Pech sagt:

    Was wäre das Himalayabergsteigen ohne Miss Hawley? Die Datenbank, die sie aufgebaut hat, ist eine riesige Fundgrube. Man kann sich gar nicht vorstellen, was das für eine Arbeit war, alles zu digitalisieren. Frau Hawley hat ja alle Informationen aus den Interviews auf Papier und Karteikarten archiviert.
    Bei ihren drei Besuchen vor und nach unserer Expedition 2008, hat sie jedes Detail wissen wollen und immer wieder akribisch nachgefragt. Dass sie uns dann noch ein Interview für den Film gewährte, hatten wir gehofft. Es war aber nicht sicher. Um so mehr freuten wir uns und waren auch ein wenig stolz darauf.
    Ich hatte es ja schon zum 1. Teil geschrieben. Die Treffen mit Miss Hawley waren ein Höhepunkt für mich und unvergesslich.

  2. Veronica sagt:

    Was für eine tolle Frau!

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