Eiszeit bei minus 110°

Also ich wäre jetzt soweit, sagte ich tapfer. War ich aber eigentlich gar nicht. Ich konnte mir nicht vorstellen, im nächsten Augenblick fast nackt in eine Kammer zu treten, in welcher 110 Grad FROST herrschen sollten! Und ich wusste auch genau, dass mir das ganz und gar nicht gefallen würde, selbst wenn ich es überleben sollte. Ich mag Kälte nicht. Ich habe einfach schon zu viel gefroren in den Dutzenden von Monaten, die ich in den letzten 30 Jahren in irgendwelchen Basis- und Hochlagern verbracht habe. Außerdem bin ich auch von Hause aus wärmeliebend. Wenn andere über die Hitze stöhnen, fühle ich mich erst so richtig wohl. Was also hatte ich hier zu suchen?

Ich habe meinen Körper jahrzehntelang nie geschont. Schon als Kind nicht. Da war ich viele Jahre Turner im Leistungszentrum meiner Geburtsstadt Wittenberg, trainierte, um auf die KJS (Kinder- und Jugendsportschule) zu kommen. Gott sei Dank war ich dafür aber nicht gut genug.

In den vergangenen zwanzig Jahren verbrachte ich vier bis sechs Monate im Jahr beim Klettern und Bergsteigen. Immer in Konkurrenz mit Partnern und Gästen. Immer musste ich besser sein, schneller, vorneweg stapfen, keine Schwäche zeigen, auch wenn es wehtat. Und das tat es oft. Vor allem mein blöder Fuß macht mir zu schaffen, den ich mir ja just in dem Moment zertrümmert hatte, als mein Entschluss feststand, meinen Job an der Uni zu kündigen, um Bergsteiger zu sein. Ich wollte zumindest eine Zeit lang ein paar Reise-Träume verwirklichen, was ja vor dem Fall des Eisernen Vorhangs nun wirklich nicht ging.

Der gegenwärtige Zustand meines linken Fersenbeines. Er erinnert mich bei jedem einzelnen Schritt daran, dass man beim Klettern und Bergsteigen gefälligst vorsichtig zu sein hat.

Manchmal war ich auch wirklich sehr unvernünftig. Mit gerissen Außenbändern am Fuß bin ich mit 70 Kilo Gepäck über das Patagonische Inlandeis gelaufen, mit von einem streitlustigen Yak gebrochenen Rippen durch den Himalaya getrekkt und erst in diesem Jahr war ich mit zwei gebrochenen Wirbeln drei Wochen zum Eisklettern und anschließend auf dem Nirekha Peak in Nepal.

Meine Ärztin meinte zu letzterem, dass ich noch im Rollstuhl enden würde, wenn ich das in diesem Zustand tatsächlich machte. Sie hatte natürlich Recht mit ihrer Schelte, aber was wusste sie von meinen Zwängen? Ich habe in den vergangenen 30 Jahren noch niemals eine Expedition, eine geführte Tour, einen Kurs, einen Vortrag oder ähnliches abgesagt, weil ich unpässlich war. Es musste schließlich Geld rein kommen, koste es, was es wolle.

Das alles hinterlässt Spuren, und so langsam wird es Zeit, vielleicht ein bisschen kürzer zu treten und wenn schon nicht das, dann wenigstens achtsamer mit seinem Körper umzugehen.

So ähnlich sah mein rechter Fuß auch 2009 auf dem Patagonischen Inlandeis aus. Doch dieses Foto stammt von 2019 als ich mir beim Abstieg von einem Eisfall in den Hohen Tauern zum zweiten Mal meine Außenbänder im rechten Fuß gerissen habe. Aber straff bandagiert ging es noch eine ganze Woche weiter beim Eisklettern mit Daniela. Sie kannte keine Gnade und mit zusammengebissenen Zähnen ging es auch… (Foto: Daniel Göhler)

Unter anderem deshalb stand ich jetzt hier vor dieser Kältekammer. Es sollte gut tun, vor allem, wenn man Probleme mit, na wie nennen wir es denn, Abnutzungserscheinungen hat.

Dass Kälte tatsächlich ein Therapeutikum sein kann, weiß man sehr lange. Früheste Erwähnung findet ihre Anwendung schon bei Hippokrates (460-377 v.Chr.). Und von der Anwendung kalter Bäder in verschiedensten Ausführungen im Zusammenhang mit dem Namen Kneipp (Sebastian Kneipp, 1821-1897) hat wohl jeder schon gehört.

Schmerzlindernd, entzündungshemmend sowie Regenerations- und Heilungsprozesse beschleunigend sollen die Effekte einer Ganzkörpertherapie mit Kälte sein. Sie beeinflusst den Spannungszustand der Muskulatur, regt ihre Durchblutung und damit ihren Stoffwechsel an. Sie führt zur Ausschüttung von entzündungshemmenden Botenstoffen und beeinflusst das Hormon- und Immunsystem. Vor allem bei Arthrosen führen diese Effekte zu einer raschen und deutlichen Linderung der Beschwerden.

Kleiderordnung bei minus 110 Grad Kälte: Mütze, Mundschutz, Handschuhe, Badehose, feste Schuhe und das wars.

Also nichts wie rein in die Kältekammer! Aber gleich der Schock. In der Vorkammer herrschen schon mörderische 60 Grad Frost. Nach den 30 Sekunden dort zitterte ich bereits am ganzen Leib. Nach einer kleinen Ewigkeit in der Vorkammer dann der Befehl: “ Rein in die Hauptkammer!“ Wollte ich das wirklich? 110 Grad Kälte? Drei Minuten soll Man(n) hier drin mindestens aushalten! Die Hauttemperatur nach dem Kältebad ist der Indikator für die optimale Aufenthaltsdauer. Etwa 5 Grad sollte sie haben. Nicht mehr aber möglichst auch nicht weniger.

Nach meiner ersten Minute jedoch war ich sicher, dass meine Haut nach drei Minuten tiefgefroren sein würde. Es fängt nämlich rasch an, wehzutun. Zuerst an den Waden, später an Schulter und Rücken, nach zweieinhalb Minuten überall. Aber natürlich ist es auszuhalten.

Der Zeitfortschritt wird einem über die Sprechanlage mitgeteilt, zuerst die Minuten, dann die halben Minuten, zum Schluss alle 15 Sekunden. Und als meine ersten drei Minuten verstrichen waren, und ich wieder in die Wärme durfte, war ich doch schon sehr erleichtert. 

Nein 40 min war ich da ganz sicher nicht da drin. Das Foto hat die Überwachungskamera gemacht, die in der Kältekammer installiert ist.

Kaum draußen, wurde sofort die Temperatur meiner Hautoberfläche gemessen. Sie war leider noch nicht kalt genug. Beim nächsten Mal noch länger in der Kältehölle?

Dann durchflutet einen wohlige Wärme. Ich fühlte mich tatsächlich entspannt und vitalisiert. Und dieser Effekt ist selbst nach der ersten Anwendung sehr deutlich. Damit war klar, dass dieses erste nicht das einzige Mal bleiben durfte. Der versprochene Langzeiteffekt kann sich logischerweise nicht nach einer oder zwei Kältebädern einstellen.

Mein Fazit nach neun Sitzungen fällt sehr positiv aus. Natürlich muss man hier raus aus der Komfortzone. Und zwar ein ganzes Stück. Aber vier Minuten, die Vorkammer darf ich doch mit einrechnen 🙂 kann man das schon mal aushalten. Denn der Lohn fürs Zittern und Frieren ist groß. Schon nach weniger als der Hälfte der für eine deutliche Wirkung nötigen Kältebehandlungen sind die Effekte auf Beweglichkeit, Entspannung und Schmerzlinderung spürbar. Und das bilde ich mir nicht nur ein.

Und scheinbar bin ich nicht der einzige, der das tatsächlich so erlebt, denn auch wenn es kaum zu glauben ist, bin ich doch in der Leipziger Eiszeitlounge einem leibhaftigen Helden unserer Fußballnationalmannschaft begegnet…

 

 

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Eine Antwort

  1. Veronica sagt:

    Wieder ein sehr interessante und informative News!

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