Soll und Haben

Die Geschichte dieses denkwürdigen Freitags, der Tag also an dem aus einem stolzen Start zum Gipfel ein überstürzter Rückzug wurde, ist rasch erzählt. Für mich war die Bergung unseres Hochlagers am Laila der anstrengendste Tag der gesamten Unternehmung, anstrengender sogar als der Gipfeltag am Hidden Peak. Und das nicht nur in physischer Hinsicht. Es war ein Wettlauf gegen die Zeit. Wir wussten nicht, ob wir es noch vor Einbruch des Schlechtwetters zurück ins Basecamp schaffen würden.

Die Gipfelwand des Laila Peaks fotografiert kurz unterhalb von Lager 2 beim Abstieg ins Basislager. Und diese Wolken versprechen nichts gutes.

Doch wir haben den Kampf gegen aufgeweichte Firnfelder, rutschige Felsbänder, absturzbereite Geröllmassen und den aufziehenden Wettersturz unbeschadet gewonnen und müssten nun Regenfrust im Basislager schieben.

Aber das tue zumindest ich nicht, obwohl ich allen Grund hätte, mich zu ärgern.

Denn die Vorstellung gemeinsam mit Jacob in die Gipfelwand des Laila Peaks einzusteigen und im kombinierten Gelände zu klettern, hat mich regelrecht begeistert. Außerdem hätte ich es natürlich wahnsinnig gern gesehen, wenn auch er noch zu einem Gipfelerfolg gekommen wäre.

Inzwischen sind wir auf dem Heimweg und soeben auch schon in Skardu eingetroffen. Es gibt in dieser news also mehr und vor allem besser aufgelöste Bilder. Wie dieses zum Beispiel: Durch den vielen Regen der vergangenen Tage wurden einige der Flussüberquerungen auf dem Rückweg nach Hushe noch einmal zu einer waghalsigen Herausforderung.

Die Verhältnisse in der Gipfelwand sind momentan zwar nicht besonders gut aber eben auch nicht so schlecht. Es gibt da oben viel Blankeis und viel mehr Felspassagen als im Juni, also zu der Zeit, in welcher Laila normalerweise bestiegen wird. Aber das hat auch den Vorteil, dass man sehr gut mit Eisschrauben und eingeschlagenen Felshaken seinen Vorstieg absichern kann.

Wir wären da womöglich sogar hochgekommen. Da war ich ziemlich zuversichtlich. Aber es geht jetzt eben nicht, und so bleibt Laila auf meinem „Soll“ Konto stehen. Und sie hat dort ja mit dem Fitz Roy oder dem Monte Sarmiento gute Gesellschaft.

Unser Basislager am Laila war fast so schön, wie der großartige Berg selbst.

Doch viel interessanter ist die „Haben“-Seite.

Dort springt mir vor allem anderen unser fast schon unanständiges Wetterglück ins Auge. Bis auf wenige Tage am Hidden Peak und eben gerade jetzt hatten wir die gesamte Zeit fast durchgängig gutes bis perfektes Wetter. Das kenne ich von hier ganz anders.

Wenn man vor der Aufgabe steht, drei Hochlager an einem Achttausender einzurichten, wieder abzubauen und zwischendurch auch noch den Gipfel zu erreichen, dann ist das entsprechende Wetter wichtiger als alles andere.

Lager 1 mit dem Hidden Peak in seiner ganzen Größe und Schönheit und bei bestem Abendlicht. In einer derartig atemberaubenden Landschaft unterwegs zu sein und solche Bergblicke genießen zu dürfen, ist einer der schwerwiegendsten Gründe, warum ich mir auch noch das Letzte abverlangen kann und eine Menge zu riskieren bereit bin, ohne es hinterher zu bereuen.

Das nächste sind die sagenhaft guten Verhältnisse insbesondere auf dem Gasherbrumgletscher. Der viele Schnee, der uns und unseren tapferen Begleittrekkern auf dem Anmarsch so viel Unbehagen bereitet hat, half uns am Berg sehr.

Große Strecken vor allem auf der ersten und zweiten Etappe, also bis zum Lager 2, waren deutlich leichter, kürzer und auch ungefährlicher, weil hunderte von Spalten einfach zugeschüttet waren.

Nach dem wochenlangen Superwetter war es dann ganz am Schluss endgültig vorbei mit den guten Verhältnissen im Gasherbrumeisbruch. Und der letzte Abstieg mit Lager 2 und 3 im Rucksack war alles andere als lustig. Übrigens war Jacob zwar leider nicht mit am Gipfel. Aber ohne seine Hilfe, wären Sven und ich es auch nicht gewesen. Das, was wir hier gemacht haben, war ausschließlich eine Teamleistung!!

Weit oben auf der „Haben“-Seite steht auch die Tatsache, dass wir drei die gesamte Zeit hindurch fit, gesund und deshalb voll einsatzfähig geblieben sind. Die paar Kleinigkeiten, die uns zwischenzeitlich mal die Laune verdorben haben, sollten wir getrost vernachlässigen, weil sie uns nie von der eigentlichen Aufgabe abhalten konnten.

Das Lager 3 in 7100 m Höhe. Ich fotografiere auf den letzten Metern zum Camp, wie Jacob mir mit einer Tasse Tee entgegenkommt. Hier oben gesund und leistungsfähig zu bleiben, ist immer auch sowas wie ein Geschenk.

Weiter steht da auf der immer voller werdenden „Haben“-Seite dieses Team. Es ist ja ein schon in den Monsunregen des indischen Himalayas und am heiligen Shivling bewährtes Team.

Doch jene Reise war ungefähr halb so lang wie diese hier und der Berg anderthalb tausend Meter niedriger. Es war alles andere als selbstverständlich, dass es wieder so prächtig mit uns dreien funktionieren würde.

Das Foto hat Zahid aufgenommen nach dem wir nach dem Gipfel wieder im Basislager eingetroffen waren. Von wer weiß woher hatte er eine Cola besorgt, für die wir sehr dankbar waren und die wir mit äußerstem Genuss und sehr bewusst getrunken haben.

Der nächste große Posten hier ist Sarfraz, Zahid und Noor. Es wäre ein leichtes, einen langen Beitrag darüber zu schreiben, wie alles mit dem Mann steht und fällt, der kocht.

Sarfraz tut das mit Leib und Seele. Gestern hab ich ihn richtig traurig gemacht, als ich ihm sagte, dass wir gerne mal auf das Mittagessen verzichten wollen. Erstens, weil wir den ganzen Tag faul im Zelt herumgelegen haben und zweitens, weil wir uns befleißigen müssen, etwas von unseren Hochlagervorräten zu verbrauchen. Da gibt es noch richtig leckere Sachen.

Unsere drei guten Basislagerengel auf der Matte bei einer wohlverdienten Pause, denn gearbeitet haben die drei viel mehr, als es nötig gewesen wäre. Sarfraz größtes Glück war, wenn er uns mit seinen großartigen Kochkünsten glücklich machen konnte.

Sarfraz war ganz geknickt, deshalb mache ich das in den verbleibenden Tagen hier bestimmt nicht noch einmal! Denn es beglückt ihn maßlos, wenn wir uns über sein gelungenes Brot oder seine Pizza freuen, bei deren Zubereitung er einen riesigen Aufwand und viel Zeit investieren muss. Jeden Tag sind seine Suppen zum Abendbrot anders und seine Desserts ebenso. Er müsste sich diese enorme Mühe nie und nimmer machen. Tut das aber mit wachsendem Gefühl dafür, was wir besonders mögen und was nicht.

Ein Foto für unsere Basislagercrew. Ich fange jetzt gar nicht erst an, nachzuzählen, wie oft ich in Basislagern saß und auf Gedeih und Verderb essen musste, was auf den Tisch kam. Aber dieses Mal war es schier nicht zu fassen, was Sarfraz an seinem Kocher für uns gezaubert hat.

Dieser Mann ist ein riesengroßes Glück für uns gewesen. Und über Zahid denke ich das gleichfalls, weil es alles andere als einfach gewesen sein muss, den aufwenigen Transport bei dieser doch ziemlich komplizierten Reise zu bewerkstelligen.

Auf gar keinen Fall darf ich auf dieser Seite der Liste die Tatsache vergessen, dass unsere Technik durchgehalten hat. Die tagelage Busfahrt, die Jeepfahrten, der ruppige Umgang der Träger mit unserem Gepäck beim Trekking, die täglichen enormen Temperaturunterschiede von oft 50 oder gar 60 Grad!

Ich habe mich diesmal wirklich gewundert, dass alle drei Kameras, die Drohne samt Bedienungstechnik, das Satellitentelefon, mein Laptop, das Ladeequipement, die unzähligen Netzteile, Kabel und was ich sonst noch hierher gebracht habe, bis zum heutigen Tag durchgehalten haben.

Manchmal bin ich mit mir selber nicht im Reinen, ob das alles wirklich sein muss. Schon der alte Goethe mahnte, dass in der Beschränkung der Meister liege. Und eigentlich liegt das Hauptaugenmerk bei so einem Projekt auf Teamführung und Bergbesteigung und nicht auf Fotografieren, Filmen und Drohne fliegen, was ich aber dennoch in den letzten beiden Monaten ausgiebig getan habe. Übrigens fehlt auf diesem Bild noch die Hälfte: Die Kamera mit der ich fotografiere, eine dritte Solarpanele, meine beiden Stative, sowie meine GoPro und ihr gesamtes Zubehör.

Klar ist diese Technik bewährt und wird wenn möglich behütet wie mein Augapfel. Denn ohne sie gäbe es keine Vorträge, keine news und auch keine Wetterberichte! Trotzdem ist das schon ein mittelgroßes Wunder! Und ich freue mich ganz besonders darüber, dass auf dieser Reise so viel Foto- und Filmmaterial entstanden ist, wie auf keiner anderen je zuvor.

Besonders häufig war die Drohne im Einsatz. Bis zum Lager 2 am Hidden Peak also bis auf 6400 m habe ich sie und die Akkus hinaufgeschleppt und sie diesmal sogar auf über 7000 m Höhe hinaufgejagt, um das gesamte Japaner Couloir zu filmen. Erst als die Dame in meiner Fernbedienung mich auf die Überlastung der Motoren hinwies, hatte ich ein Einsehen. All das steckte mein fliegendes Auge klaglos weg und lieferte brav atemberaubende Bilder. Wir alle können uns darauf freuen.

So langsam werde ich zu einem High-Altitude Drohnenpiloten. Hier vor einem Drohnenstart im 6400 m hoch gelegenem Lager 2. Ich bin bis hinauf zum Lager 3 geflogen und konnte nicht nur das gesamte Japanercouloir filmen sondern auch die ganze Nordwestseite des Berges.

Und da wir gerade über die Technik sprachen, erwähne ich den Wetterbericht hier auch noch einmal. Mit dem Abonnement der Vorhersagen der ZAMG lagen wir goldrichtig. Die Prognosen aus Innsbruck waren jeden Cent wert. Ganz nebenbei weiß ich jetzt, dass Meteorologen doch mehr können, als es der Eindruck eines Konsumenten der Vorhersagen nach der Tagesschau oder den „heute“ Nachrichten suggeriert.

Wer kam gleich auf die Idee, uns auf die Tonnen zu setzen? Ich war es nicht, denn die 10 Sekunden, die mir meine 5D dazu gab, waren jedenfalls zu kurz.

Wir hatten also ganz viel Glück auf dieser Reise vor allem mit dem Wetter, den Verhältnissen am Hidden Peak und unserem Team im Basislager. Und Glück gehört nun mal bei Bergsteigen dazu. Und bei einer solch langen Liste auf der „Haben“-Seite da wäre Traurigkeit oder gar Ärger über das verpasste Rendezvous mit der schönen Laila undankbar.

Und da wären wir beim wichtigsten Thema dieses Beitrages!

Vielen Dank von uns dreien an die vielen, die uns moralisch und mit dem Kauf einer Grußpostkarte auch finanziell unterstützt haben.

Die fleißig unsere Beiträge lasen, kommentierten und uns aufmunterten!

Die uns ihre Zeit schenkten und uns tatkräftig halfen wie Veronica, Janina, Alex, Peer, Julia, Falk sowie das Wetterteam der ZAMG.

Die monatelang auf uns verzichten und Angst um uns haben mussten.

Und zu guter Letzt vielen Dank an meine treuen Partner dem Leipziger Bergsportausrüster tapir und der UNI Service Leipzig GmbH.

Ohne sie keine Expeditionen…

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9 Antworten

  1. Thomas Schmidt sagt:

    Atemberaubende Fotos :-))
    Und toll Olaf, dass du nicht „nur“ mit einem Gipfelerfolg, sondern mit einer tollen Geschichte zurück in die Heimat kommst, weil ich persönlich das viel wertvoller finde…

    Aber: weil es hier – und auch zuletzt m.E. nicht genau steht – auf dem Gipfel des Hidden Peaks wart ihr (du und Sven) schlussendlich nicht, sondern „nur“ nahe am, korrekt?

    • Olaf Rieck sagt:

      Hallo Thomas,
      am höchsten Punkt des Hidden Peaks waren wir. Siehe den Beitrag „Aller guten Dinge“. Laila wartet noch auf uns…

      • Thomas Schmidt sagt:

        Klasse !!!
        Dann war dein 3. Anlauf ja auch so gesehen ein Erfolg. Seid ihr darauf nicht wenigstens ein bisschen stolz, oder ist da noch was, dass zwischen den Zeilen steht?
        (ich vermute, ihr habt kein Gipfelfoto machen können, aber das ist doch egal, finde ich…)

      • Thomas Schmidt sagt:

        Moin Olaf,
        Ich hatte das mit der „Niederlage“ in folgendem Satz missverstanden:
        „Noch in der Niederlage war der Hidden Peak vollkommen unversöhnlich.“

        Und ich dachte, dass mit „höchster Punkt“ euer Umkehrpunkt gemeint war, wo ihr nicht weiter konntet, weil der Wind zu stark war:
        „Fotos machen zu müssen, war eine regelrechte Strafe und gefährlich dazu. Der Wind drohte uns vom höchsten Punkt zu fegen. “

        –> sorry, dass ich deswegen nachgefragt habe,
        aber du kennst mich ja, gelle?

        Und schön zu wissen, dass schlussendlich „Leidenschaft siegt.“ :-)))

      • Thomas Schmidt sagt:

        Wobei: ein Berg erleidet doch keine Niederlage, oder etwa doch?

  2. Thomas Schmidt sagt:

    Guten Heimweg…

  3. Veronica sagt:

    Sehr gerne geschehen ;o)
    Irgendwie schade, dass die Zeit mit den spannenden News und den tollen Fotos jetzt erst einmal wieder zu Ende geht …..
    Kommt gut nach Hause!

  4. nico sagt:

    Ganz großes Kino! Es war wunderbar an Eurer Expedition teilhaben zu dürfen. Und jetzt: Kommt gut nach Hause! 🙂

  5. Detlef Weyrauch sagt:

    Hallo ihr 3, es war wie immer höchst spannend, eure Bergabenteuer zu verfolgen. Kein Fernsehprogramm kann da mithalten. Ich freue mich schon auf den neuen Vortrag. Gute Heimreise wünscht Detlef.

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