Die eiserne Lady, Teil 2
Wieder so ein Vorurteil. Ich hätte darauf gewettet, dass Elisabeth Hawley Britin ist. Eine konservative britische Lady wie sie im Buche steht. Aber sie wurde 1923 in Chicago geborgen. Ihr Großvater, Akademiker und erfolgreicher Unternehmer, brachte es zu Wohlstand und stieg zu einem der angesehensten Bürger Chicagos auf. Auch seine Frau, Elizabeths Großmutter, hatte studiert, was zu dieser Zeit mehr als ungewöhnlich war.
1894 kam das erste Kind des Paares zur Welt, Elizabeths Mutter Florelle. Und auch sie war besonders begabt und schloss ihr Studium der Englischen Literaturwissenschaft mit summa cum laude ab. Während des Studiums lernte sie Elisabeths Vater kennen. Er machte da gerade seinen Abschluss als Rechnungsprüfer. Sein Geschick beim Umgang mit Geld sollte sich für die Familie während der großen Depression noch als sehr nützlich erweisen.

Elizabeth Hawley beim Interview nach unserer erfolgreichen Erstbesteigung des 6677 m hohen Num Ri im Jahr 2002. (Foto: Markus Stück)
Elizabeth war das zweite Kind der Hawleys, geboren drei Jahre nach ihrem Bruder John. Trotz der schwierigen Zeiten während der Jahre der großen Depression konnte Elisabeth angesehene Schulen besuchen.
1941 begann Elizabeth Hawley ihr Studium an der University of Michigan. Sie belegte Kurse in Politikwissenschaft, Englisch, Zoologie, Geschichte und Mathematik. Ganz besonders interessierte sie sich für Geschichte, deshalb nahm sie im November 1944 eine Stelle als wissenschaftliche Assistentin am Fachbereich Geschichte ihrer Universität an. Im September desselben Jahres schloss sie ihr Studium im Fach Geschichte ab.
1946 beendete Elisabeth ihren Unijob und wurde Rechercheurin beim Wirtschaftsmagazin Fortune. Diese Anstellung brachte eine Reihe ausgedehnter Reisen mit sich. Und ganz offensichtlich fand Elizabeth sehr bald Gefallen am Unterwegssein. Jeden Cent sparte sie sich regelrecht vom Munde ab, um auch während ihrer Urlaubszeiten große Reisen unternehmen zu können. Die erste führte sie 1948 an Bord der Queen Mary über den Atlantik nach London, und weiter in die europäischen Metropolen Paris, Rom und Florenz.

Als wir im Jahr 2002 die offizielle Erlaubnis bekamen, den noch unbestiegenen 6677 m hohen Num Ri zu versuchen, hatten wir abermals die ungeteilte Aufmerksamkeit von Miss Hawley. Denn immer dann, wenn es um Neuland ging, war sie bei Ihren Interview-„Verhören“ besonders gründlich. Jedes Detail war wichtig! Aber das machte sie nicht etwa, weil sie Freude an quälend langen Verhören hatte. Sie wollte eine zuverlässige Informationquelle sein vor allem für andere Bergsteiger!!
In den folgenden Jahren brach sie regelmäßig zu ausgedehnten Reisen auf. Sie besichtigte das kriegszerstörte Deutschland, bereiste Österreich und Jugoslawien sowie eine ganze Reihe von Ländern im Nahen Osten, den Sudan, Kenia.
Nach elf Jahren bei der Zeitschrift Fortune kündigte sie ihren Job. Es war ihr langweilig geworden. Zwar wurde sie geschätzt und bewundert für ihre besonders gründliche Arbeit, aber es stand fest, dass es dort keine berufliche Perspektive für sie gab. Die Recherche wurde bei Fortune ausschließlich von Frauen erledigt, die Journalisten waren durchweg männlich. Und nun erhob sie das Reisen eine Zeit lang quasi zu ihrer Hauptbeschäftigung. Sie hatte Geld gespart und sich außerdem ihre Gewinnbeteiligung beim Herausgeber von Fortune auszahlen lassen.

Lydia Schubert und ich im unteren noch flachen Teil der Westwand des Num Ri. Aufgenommen aus dem 1. Hochlager. (Foto: Markus Stück)
Im April 1957 begab sie sich auf eine mehr als zweijährige Weltreise. Sie bereiste Finnland, Schweden, Polen und sogar die Sowjetunion. Anschließend Griechenland, die Türkei und wieder sehr ausführlich den Nahen Osten. 1959 kam dann Südostasien an die Reihe und bei dieser Gelegenheit besuchte sie auch das erste Mal Nepal.
Sie erreichte das kleine Land an den Hängen des Himalayas am 8. Februar 1959 gegen Ende ihrer Weltreise. Sie wollte nicht lange in Nepal bleiben, doch die wenigen Wochen die sie dort verbrachte, beeindruckten sie scheinbar sehr nachhaltig.
Wieder in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt, spürte sie, dass ihr Heimatland ihr nicht mehr so viel zu bieten hatte wie vor ihrer Reise. Sie wollte in der „wahren Welt“ leben, wie die meisten Menschen und sie hatte sich auf Nepal fixiert.
Zurück in den USA hielt sie sich mit einer Reihe Gelegenheitsjobs über Wasser. Unter anderem kam sie in Kontakt mit der US Information Agency im Außenministerium. Und man bot ihr dort auch einem Job im Ausland an, aber das Land konnte sie sich nicht aussuchen. Also lehnte sie ab. Sie wollte nach Nepal, das stand für sie inzwischen fest.

Lydia Schubert und Carsten Schmidt im 2. Hochlager im oberen Teil der Num-Ri-Westwand. Wir hatten uns hier eine Schneehöhle gegraben, um das Zelt einzusparen.
Im Sommer 1960 handelte sie mit ihrem alten Arbeitgeber der Time Inc. aus, als deren akkreditierte Teilzeitkorrespondentin nach Nepal zurückkehren zu können. Außerdem, und das macht die Sache interessant und sorgt bis heute für viele Spekulationen, nahm sie eine lukrative Stelle bei der Knickerbocker Foundation an, eine Stiftung, die verschiedenen Quellen zufolge eine Deckorganisation der CIA zu sein schien.
Anfang der Sechziger Jahre gab es enorme Geheimdienstaktivitäten in dem strategisch so überaus bedeutsamen Nepal. Das Land galt als ein wichtiger Puffer zwischen China und Indien und hatte den Ruf, ein Tummelplatz von Spionen aus England, Rußland und den Vereinigten Staaten zu sein. Fakt ist, dass Miss Hawley als junge Frau Analysen zur politischen Lage in Nepal verfasste, die auch für den Geheimdienst ganz offensichtlich von Interesse waren. Das zu bestätigen, hatte sie auf meine neugierigen Fragen hin auch überhaupt kein Problem.

Seit 2004 unterstützt Billi Bierling, oben im Bild, Elizabeth Hawley bei ihrer Arbeit als Expeditionschronistin. (Foto: Alexander Graeber)
Im September 1960 war es soweit, Elizabeth kehrte nach Nepal zurück, wo sie 58 Jahre ihres Lebens verbrachte und schon zu ihren Lebzeiten eine Legende werden sollte.
Wie Elizabeth Hawley zu einer solchen Berühmtheit in der weltweiten Bergsteigergemeinde werden konnte und warum sie auch gefürchtet wurde, dazu mehr im Teil 3. Weiterhin gibt es im dritten Teil ein Interview mit ihr, dass wir im Jahr 2008 aus Anlaß der erfolgreichen Erstbesteigung des 6138 m hohen Chukhung Tse geführt haben.
Du machst es ja wieder spannend. Aber die Biografie von Miss Hawley ist es ja auch.
Mir ging es genau so, hatte auch immer gedacht, dass Frau Hawley eine britische Lady war.
Hätte sie aber durchaus sein können. Ihr Auftreten war jedenfalls so.
Ihre Biographie ist vor allem eine enorme Fundgrube an unbedingt erzählenswerten Geschichten und Anekdoten. Dazu kommen dann noch unsere eigenen Erlebnisse mit ihr. Das alles auf eine an dieser Stelle lesbare Form und vor allem Länge zu bringen, dauert seine Zeit. Doch es macht großen Spaß, sich mit dieser ungewöhnlichen Persönlichkeit ausführlich zu beschäftigen. Und ich verspreche hoch und heilig: Nächste Woche kommt Teil 3!