Maurice Wilson 2, Weg zum Everest

Wilson ärgerte sich zwar über die Knüppel, welche ihm das Luftfahrtministerium zwischen die Beine warf. Aber unsicher oder nachdenklich, was seine Pläne anbelangte, war er keineswegs. Egal welche Probleme auftauchten, er würde sie überwinden.

Er lies ein stärkeres Fahrwerk und einen Zusatztank in seine Maschine einbauen und studierte Tag und Nacht Landkarten, um die beste Route auszutüfteln und sich Küstenlinien und besondere Landschaftsmerkmale einzuprägen. Im Zeitalter ohne Radar, GPS oder Funkverkehr eine absolut überlebenswichtige Übung. Außerdem trainierte er täglich sowohl seinen Körper auf stundenlangen Gepäckmärschen und kleineren Bergbesteigungen als auch seine Fähigkeiten mit der Ever Wrest.

Maurice Wilson an Bord seiner Gipsy Moth. (Foto: Wikipedia)

Am Sonntag, den 21. Mai sollte es losgehen. Zwei Dutzend Zuschauer und Freunde hatten sich zum Start eingefunden, darunter sein Fluglehrer Nigel Tangye. Dieser gab vor Journalisten zu Protokoll, dass er seinen sympathischen Flugschüler vergeblich zu überreden versucht habe, dieses Wahnsinnsvorhaben aufzugeben.

Die erste Etappe war Freiburg im Breisgau. Der Ort, wo ihn die Eingebung zu diesem wahnwitzigen Unterfangen gekommen war. Am nächsten Tag wollte er die Alpen überqueren. Aber schlechtes Wetter durchkreuzte zum ersten Mal seine Pläne. Um über den Wolken zu fliegen, war seine Maschine wegen dem vielen Gepäck und dem Zusatztank zu schwer. Er kehrte um und versuchte am nächsten Tag eine andere Route. 

In den folgenden Tagen kam Wilson gut vorwärts. Von Neapel aus folgte er der italienischen Westküste, überquerte die Straße von Messina und landete in Catania. Noch am selben Tag wollte er das Mittelmeer Richtung Tunis überfliegen, musste aber wegen Nebels umkehren. Obwohl auch am nächsten Tag das Wetter nicht besser war, flog er los. Wieder scheiterte der Versuch, über den Wolken zu fliegen. Ohne Landmarken häufig im Blindflug erreichte er die tunesische Küste und setzte eine Woche nach seinem Start in Kairo auf.

Hier begann der Ärger mit den Behörden, die alles daransetzten, Wilsons Weiterflug zu verhindern. Die zugesagten Genehmigungen für den Überflug und Zwischenlandungen in Persien lagen nicht vor. Also flog er nach Bagdad. Von hier aus musste er eine Alternativroute nehmen in großer Hitze, es war Juni, und über Gebiete, für die er keine Karten besaß. Mit Hilfe eines Schulatlas und mit einem Vermessungsblatt der Golfregion erarbeitete er sich eine neue Route. Zudem wurden jetzt extrem lange Etappen nötig, weil es nur wenige Stützpunkte gab. Es würden sogar zwei Abschnitte dabei sein, die haarscharf an der Grenze der Reichweite seines Flugzeuges lagen. Schon ungünstiger Wind würde reichen, ihn zum Scheitern zu bringen. 

Hier im Bild das eigentliche Ziel Wilsons, die in Nepal gelegene damals noch völlig unerforschte Südwestseite des Everest. Besonders interessant an dieser Tatsache ist, dass der große Georg Mallory bei einer Erkundungstour von Tibet aus im Jahr 1921 direkt unter der Nordwand des Everest auf den Lho La-Pass (hier ganz links noch auf dem Foto sichtbar) gestiegen war und von dort aus, als vermutlich erster Mensch überhaupt, einen Blick auf den Khumbu-Eisfall und das darüber liegende Tal des Schweigens werfen konnte. Dieser Anblick ließ ihn zu dem Ergebnis kommen, dass ein Aufstieg auf dieser Seite des Berges völlig undenkbar sei. Scheinbar kannte Wilson diese Aussage Mallorys nicht, oder aber sie hat ihn gerade dazu animiert, über die Südwestseite des Everest aufsteigen zu wollen.

All das schreckte ihn nicht. In Bahrain wollte man seinen Flieger nicht auftanken. Kurz vor der Straße von Hormuz setze der Motor aus, und sprang wieder an. Mehrfach flog er die letzten Etappenkilometer mit einer Füllstandsanzeige seines Treibstofftanks, welche auf Null stand.

Doch trotz aller Gefahren und Schwierigkeiten erreichte Wilson über das heute pakistanische Karatschi, Hyderabad und Allahabad  am 8. Juni das indische Purnea, unweit der nepalesischen Grenze, 7000 Kilometer Luftlinie von London entfernt. 17 Tage hatte er für diese Riesenstrecke gebraucht. Zu dieser Zeit eine fliegerische Meisterleistung, die Wilson für alle Zeiten einen Platz in den Analen der Fliegergilde sicherten.

Doch hier war vorerst Schluss. Da die Behörden inzwischen wussten, dass Wilson alles zuzutrauen war, wurde seine Gipsy Moth stillgelegt und er unter Polizeiaufsicht gestellt. Er durfte weder per Flugzeug noch zu Fuß durch Nepal an die Südwestseite des Everest. Aber auch das konnte Wilson nicht stoppen. Er änderte kurzerhand seine Pläne und wandte sich nun der Nordseite des Everest zu. Schweren Herzens verkaufte er sein Flugzeug und reiste in das nahe der tibetischen Grenze gelegene Darjeeling, welches er nach dem Monsun im Herbst 1933 erreichte.

Darjeeling, gelegen im ehemaligen Königreich Sikkim und heutigen indischen Bundesstaat Westbengalen, ist weltberühmt wegen seines Teeanbaus. (Foto: Wikipedia)

Auch hier wurde er anfangs permanent von der Polizei überwacht, denn man wollte unbedingt seine Einreise nach Tibet verhindern. Sechs Monate blieb Wilson in Darjeeling in der Hoffnung, doch noch irgendwie an die Genehmigung zu kommen. Doch er wurde enttäuscht.

Als ihm klar wurde, dass er niemals eine Einreisegenehmigung für Tibet erhalten würde, änderte Wilson seine Taktik. Er freundete sich mit Einheimischen an, die sich auskannten und die auch schon die früheren britischen Expeditionen von Bruce, Norton und Ruttledge an die Nordseite des Everest unterstützt und begleitet hatten. Und er gewöhnte seine Aufpasser daran, dass er immer mal für längere Ausflüge in der Berge aufbrach, von denen er aber regelmäßig wieder zurückkehrte.

Man schöpfte deshalb nicht sofort Verdacht, als Wilson im März 1934 wieder einmal verschwand. Doch dieses Mal hatte er sich, als taubstummer Lama verkleidet, mit drei Helfern, Tewang, Rinzing und Tsering, auf den Weg nach Tibet gemacht.

Da die vier äußerst vorsichtig waren und deshalb fast ausschließlich nachts reisten und größere Ansiedlungen mieden, erreichten sie ohne Zwischenfälle nach fünfwöchigem Marsch am 15. April das Rongpu Kloster an der Nordseite des Everest in Tibet.

Die Nordseite des Everest unweit des Basislagers. (Foto: Wikipedia)

Hier im Angesicht der gewaltigen Nordwand des höchsten Berges der Erde spürte Wilson einen tiefen Frieden. Nach dem grausigen Inferno der Materialschlachten, den Feuersbrünsten und den Gasangriffen im ersten Weltkrieg, die Wilson seinen Seelenfrieden geraubt hatten, nach Jahren der Rastlosigkeit und der Suche, war er nun am Ziel.

In Rongpu wurden sie freundlich empfangen. Sie kampierten ganz in der Nähe des Klosters und Wilson bekam auch eine Audienz beim obersten Lama. Es entwickelte sich sogar fast so etwas wie eine Freundschaft zu dem damals sehr bedeutenden Mönch. Er schätzte Wilsons Einstellung zur Natur und nahm ihm auch ab, dass er sich, ganz im Gegensatz zu seinen britischen Vorgängern, tatsächlich auf einer Art Pilgerschaft befand.

Doch Wilson war hier im Angesicht des Everest ungeduldig. Fast ein ganzes Jahr war er jetzt unterwegs, und nun hatte er sich tatsächlich in den Kopf gesetzt, am 21. April, seinem 36. Geburtstag, auf dem Gipfel zu stehen.

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Eine Antwort

  1. Bärbel Eichenmüller sagt:

    Eine tolle Geschichte! Faszinierend, welche Schwierigkeiten nur durch Wille und Zähigkeit überwunden werden können.

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