Zwischendestillat

Die erste Hoffnung, dass es hier um Alkohol gehen wird muss ich leider gleich im Keim ersticken. Nein. Wir sind immer noch in Pakistan und nach wie vor trocken wie die Wüste Gobi. Unsere Destillation wird sich auf einer anderen Ebene abspielen, beschreibt sie doch die Reinigung und Trennung verschiedener Stoffe. Schauen wir doch mal was übrig bleibt…

Aufstieg durch den Gasherbrumgletscher, wie immer nachts.

Als wir am 16.7. unseren nächtlichen Gang durch den Eisbruch bewerkstelligen, merke ich, wie mir irgendwie die vertraute Spritzigkeit fehlt. Hmm..komisch. Ist bestimmt die Aufregung – es soll ja in der Verlängerung der erste Gipfelversuch gewagt werden. Egal. Das Tempo ist gut. Nach reichlichen 5 Stunden sind wir im Lager eins. Echt nicht schlecht, wenn man bedenkt, dass die meisten anderen Seilschaften so im Schnitt 7-9 Stunden brauchen. Akklimatisation passt also und wir sind echt leicht unterwegs. Gutes Gefühl!

Doch Hoppala! Wo ist unser Zelt? Wo ist mein „Stormking“? Es ist platt. So richtig platt.  Was solls! Eingepackt den Trümmerhaufen und dann muss es wohl direkt und ohne lange zu Fackeln weiter ins Lager 2 gehen. Hoffentlich steht der Doppelgänger auf dem weitaus exponierteren Gasherbrumsattel noch.

Die Mitstreiter in der Ferne beim Aufstieg durch den oberen Eisbruch werden immer kleiner.

Nach den ersten 900 Höhenmetern fällt mir zu Beginn des zweiten Eisbruches jeder Meter der noch fehlenden 500 immer schwerer. Was ist hier los? Ofen aus. Hab ich zu wenig getrunken? Zu wenig gegessen? Sicherlich – müssen die anderen doch aber bestimmt auch aufgrund des nun fehlenden ersten Lagers. Der Abstand zu den anderen wird immer größer. Ich steige im Schneckentempo und bin eine reichliche Stunde später als meine Mitstreiter im Lager 2.

Gott sei Dank kocht Olaf! Ich fühle mich so, wie ich aussehe. Schnell Flüssigkeitsspeicher füllen und dann gleich schlafen. Olaf hier beim Ernten seiner Früchte.

Die Nacht ist dann erschreckender Weise auch nicht so gut, wie die letzte in der Höhe. Mist! Was soll das? Das macht keinen Sinn. Doch viel Zeit zum Jammern bleibt nicht. Es geht zu der technischen Schlüsselstelle des Berges – im zur Hälfte gekletterten Japaner Couloir fällt dann endgültig der Hammer. Ich habe kalten Schweiß auf Stirn und Rücken. Meine Beine fühlen sich an wie Gummi. Meine Gedanken zerfetzen sich förmlich gegenseitig. Alles mögliche werfe ich mir vor. Aber was soll ich tun?

Am schlimmsten ist: ich muss mich entscheiden. Weiter gehen? Was passiert, wenn ich umdrehe? Umdrehen?! Hab ich ne Macke? Los, einen Schritt weiter! Mir wird schlecht. Ich steige noch einen Schritt und überlege, dass hier der Berg eigentlich erst los geht. Wenn ich mich hier aufrauche – was machen die anderen dann? .. Nein! Dann ist auch für sie nicht nur der Gipfeltraum hinüber, sondern sie haben mich als riesen, vielleicht sogar unlösbares Problem. Es gehen mir viele Ratschläge von erfahrenen Bergsteigerfreunden durch den Kopf. Ich gebe ihnen nach.

Was für ein Berg! Was für ein großer Traum! Doch der scheint sich nun in Luft aufzulösen..?

Ich belade Sven mit meinem Anteil an zu tragender Last und klinke mich aus der Seilschaft aus. Abstieg. Meinen so lang ersehnten Traum, dem Hidden Peak, kehre ich den Rücken zu – sehe ihn dahinbröseln – und das bei nahezu perfekten Bedingungen. Emotional fegt es mir dermaßen die Beine weg, dass ich mich nicht mehr unter Kontrolle habe. Olaf sagt mir etwas sehr ermutigendes zum Abschied. Ich kann nicht sprechen. Irgendwie einigen wir uns aber dennoch auf eine Funkzeit.

Ich verbuddele mich in meinem Schlafsack, trinke soviel es mir meine Restdisziplin gebietet. In 5 Minuten ist Funkzeit. Das Gerät habe ich dienstbeflissen gut gewärmt. Olaf meldet sich in dem Moment, als der Zeiger die besprochene Zeit weist. Ich lausche gebannt der Hiopsbotschaft, dass unser Zelt oben im Lager 3 völlig unbrauchbar sei. In zwei Stunden wird erneut gefunkt, um die Lage zu klären. Olaf und Sven haben ein aufgegebenes Zelt beziehen müssen und würden den morgigen Tag dazu verwenden, ihre Leiber auf den Gipfel vorzubereiten.

Essen und Trinken was das Zeug hält! Küche mit Ausblick in den Gasherbrumkessel.

Da, meine Chance! Ich aß und trank was das Zeug hielt, um mich fit zu bekommen. Morgen würde ich versuchen zu ihnen aufzusteigen. Am darauf folgenden Tag startete ich um 8.30. Bei dem ersten, unaklimatisierten Aufstieg benötigten wir rund 5,5 Stunden. Mein Ziel war es um 16.00 Uhr bei den anderen sein. 100 Höhenmeter die Stunde sollten zu schaffen sein. Ich bin optimistisch. Als ich jedoch gegen 17.30 Uhr völlig entkräftet vor der Zeltbehausung der anderen beiden ankam, hatte ich 700 Hm Spurarbeit in den schon geschundenen Knochen. Und diese sollten sich in knapp 6 Stunden Pause auch nicht wieder erholen. Die Sache war klar. Ich konnte den beiden nur viel Glück wünschen und sie nach dem Gipfel mit warmen Tee empfangen.

Olaf beim ersten Durchstieg des Japaner Couloirs. Hier haben wir noch alles und jeden überholt, der vor uns eingestiegen ist..

Doch halt liebe Leser. An dieser Stelle soll nicht die Schippe mitleid walten. Nein.. Nun will ich ein wenig destillieren:

Olaf redet mir die ganze Zeit gut zu, wofür ich unendlich dankbar bin, und meint, dass die Lernerfahrung mehr Wert sei, als der Gipfel und ich absolut die gesündere, altruistischere und definitiv schwerere Entscheidung getroffen habe. Aber so recht komme ich (noch) nicht mit der Entscheidung klar – Obwohl es mir so dreckig ging und ich in dem Moment einfach Angst hatte, zuviel zu wagen, wenn ich an dieser Stelle nicht umkehre und alles auf eine Karte setzen würde. Und nun zerfleische ich mich streckenweise mit Gedankenspielen, wie ich hätte doch etwas anders machen sollen. Besser. Stärker. Härter sich selbst gegenüber – Blöder Gipfel! Wenn man, wie Olaf sagt, nicht immer alles nur davon abhängig machen würde.. Aber da muss ich wohl charakterlich noch reifen und mich in wahrer Größe üben. Ansonsten ist wichtig, dass ich keiner derjenigen bin, die sie gefühlt pausenlos mit den Hubschrauber irgendwo rausgeflogen haben..

Der gute Zuredner bei seiner eigentlichen Arbeit. Olaf mit schwerer Linse beim beginnenden Abtransport der Lasten vom Hidden Peak.

Und wenn das bei raus kommt, was will man mehr: wir haben eine wirklich abgefahrene erste „Hälfte“ unserer Reise hinter uns, sind alle gesund und munter, verstehen uns gut und haben einen der schönsten Berge noch vor uns und auch noch Lust aufs Bergsteigen. Also werden wir es uns jetzt in unserem zweiten Basislager erst einmal wieder gemütlich machen und dann auf ins neue Abenteuer mit Gebrüll!

Last but not least, möchte ich mich noch für die netten Glückwünsche zu meinem Geburtstag bedanken! 🙂 Ich hab mich sehr gefreut.

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6 Antworten

  1. Der Aussteiger Berlin/Potsdam/Kapstadt sagt:

    Lieber Jacob, lieber Olaf, lieber Sven,
    Habt vielen Dank für diese persönlichen Einblicke in dramatische Stunden, die letztlich für alle eine Menge Gutes hatten und haben!
    Wir wünschen Euch massig Glück für den nun anstehenden Gipfel und drücken die Daumen – voll frohen Mutes, dass Ihr die Freude am Bergsteigen nicht verliert. Ran an den Fels und genießt es!!

  2. Daniela sagt:

    Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren. Ich kann mich glaube ich sehr gut in deine Lage und den mentalen Kampf hinein versetzen, lieber Jacob. Man muss diese Erfahrung wohl gemacht haben, auch wenn oder gerade weil es schmerzlich ist. Sie wird dich auf viele andere Berge bringen, das steht fest! Liebe Grüße an euch Drei von einem Segelboot in den schwedischen Schären und volle Kraft voraus für den Laila Peak! Daniela

  3. Becci sagt:

    Mein lieber „Freund der Sonne“ 🌞,
    gespannt warte ich seit letzter Woche auf einen Bericht deines jetzigen Abenteuers!
    Ich habe mich letzte Woche näher mit den Expeditionen beschäftigt und musste feststellen, dass mein Leben schon sehr langweilig ist 🙈😉. Es ist Wahnsinn, wie viel Mut, Ehrgeiz, Durchhaltevermögen, Vertrauen, Kraft, Energie, Geduld und Zielstrebigkeit vorhanden sein muss, sich, auf seinem Weg zum Ziel, einer so großen Gefahr auszusetzen.
    Es zeugt schon von einem starken Charakter, sich etwas selbst einzugestehen und aufzuhören, bevor man ganz aus der Bahn geworfen wird. Du hast auf deinen Körper gehört und evtl. Schlimmeres verhindert. Viele Menschen haben diese Gabe nicht und hören nicht auf ihren Körper. Du hast sowohl an dich, als auch an dein Team, an Olaf und Sven, gedacht! Das zeichnet ein Team aus! Macht weiter so 👍🏻
    Denk dran, hinter jeder Wolke steckt ein Sonnenstrahl 😊🌞
    Und da du mein „Freund der Sonne“ bist :
    „Wer die Sonne im Herzen trägt und das Lächeln im Gesicht, kann jede Hürde nehmen, ganz egal wie schwer sie ist.“ (Evil Sunny).

    Ich freue mich über eure nächsten Berichte.

    Lg Becci 🙋🏼‍♀️

  4. die Schwanefelder sagt:

    Hallo Jacob,
    wir sind sehr stolz auf dich und deine Entscheidung!
    Hallo ihr drei,
    Hut ab vor eurer Freundschaft!
    Wir hoffen auf ein glückliches Wiedersehen und drücken euch weiter ganz fest die Daumen!
    die Schwanefelder

  5. Ludwig sagt:

    Hallo ihr drei!
    Vielen Dank, dass ihr uns weiterhin persönliche Einblicke gewährt und uns trotz aller Strapazen auf dem Laufenden haltet. Ich freue mich, dass bei euch dreien Kameradschaft an oberster Stelle steht.
    Danke Olaf und Sven, dass ihr Jacob so gut zur Seite stehst und ihm gut zuredet.
    Lieber Jacob, ich wünsche dir viel Kraft nicht am Geschehenen zu verzagen, sondern daran zu wachsen und in deiner Motivation unbezwungen zu bleiben.
    Dann drücke ich euch dreien auch für die zweite Hälfte ganz fest die Daumen und wünsche euch ein weiteres fantastisches Abenteuer!
    Liebe Grüße aus dem Monte Rosa Massiv,
    Der Ludwig

  6. Henry sagt:

    Liebster Jacob,
    Wahre Größe entsteht nicht dadurch, dass man auf den höchsten Gipfeln dieser Welt stand. Sie entsteht, wenn man es ernsthaft versucht hat und am Ende davon berichten kann. In dieser Situation macht die Größe aus, sich dafür zu entscheiden sein Traum/Ehrgeiz beiseite zu legen und sich fürs Leben zu entscheiden.
    Als wir uns verabschiedeten waren dies auch deine Worte: Der Gipfel ist egal, die Rückkehr ist wichtig.

    Außerdem gehört zu solch einer Expedition weitaus mehr als das Gipfelfoto. Der Weg nach da oben ist lang und mit unendlichen vielen Entscheidungen gespickt. Ich denke da liegt die Herausforderung, in der du Größe beweisen konntest.

    Weiterhin viel Erfolg!

    Grüße von den Hohen Wänden im Sarcatal

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