Vom Präpsaal zum Hidden Peak, Teil 3

2002 war ein wichtiges Jahr für mich. Ich wandte mich dem bis dahin ehrgeizigsten Ziel zu, dem noch unbestiegenen 6677 m hohen Num Ri in der Khumbu-Region Nepals. Er ist ein Nachbar des Cho Polu, an dem ich ja schon 1999 unterwegs gewesen bin. Schon damals war mir die Westwand des Num Ri mit ihren eindrucksvollen Hängegletschern aufgefallen.

Mir gelang die Erstbesteigung dieses Berges und zwar zum ersten Mal ausschließlich am scharfen Ende des Seils. Diese Bergtour ist bis heute eine meiner wertvollsten und prägendsten Aktionen an einem Berg.

Der 6677 m hohe Num Ri mit seiner imposanten Westflanke. Unsere Route verläuft entlang der drei oberen Hängegletscher. Auf dem zweiten gruben wir uns eine Schneehöhle und verbrachten dort drin eine der kältesten Nächte meines Lebens.

Nach dem Erfolg am Num Ri nahm ich mir vor, endlich in die Arktis zurückzukehren und einen zweiten Durchquerungsversuch auf Spitzbergen zu starten. Mein erster Versuch während einer Reise auf diese arktische Insel gleich nach dem Mauerfall scheiterte.

2003 sollte es nun einen weiteren Anlauf geben. Ich wollte zu Fuß, ohne fremde Hilfe und auch ohne vorher angelegte Depots den nördlichsten Punkt Spitzbergens erreichen. Aber auch dieser zweite Versuch 12 Jahre nach dem ersten blieb ohne Erfolg. Doch jetzt war mein Ehrgeiz erst Recht geweckt. Gleich 2004 kehrte ich mit einem starken Partner in die Arktis zurück, und diesmal schafften wir es, in einer Kombination aus Kajak- und Trekking-Expedition das Nordkapp Spitzbergens, schon jenseits des 80. nördlichen Breitengrades gelegen, zu erreichen.

Auf unserer Tour 2003 waren wir zu viert. Hier bei einer Flussdurchquerung in einem der endlos weiten Täler Spitzbergens.

Auch diese Expedition werte ich als eines von meinen ganz wichtigen Projekten. Auf kaum einer Reise habe ich mehr über mich gelernt als auf dieser.

Während die Jahre 2003 und 2004 ganz im Zeichen der Arktis standen, sollte es 2005 wieder auf einen Berg gehen. Aber nicht auf irgendeinen. Ich investierte 2003 und 2004 eine Menge Zeit, Geld und vor allem Kraft in die Vorbereitung dieses Projektes, welches bis heute mein bei weitem aufwendigstes und ehrgeizigstes Projekt werden sollte. 2005 wollte ich ohne künstlichen Sauerstoff und ohne kommerzielle Agentur im Rücken auf den höchsten Berg der Erde.

Mein Partner 2004 war Mario Zoll aus Chemnitz. Hier kurz vor unserem Aufbruch in norwegischen Hauptort auf Spitzbergen, Longyearbyen.

Doch wir scheiterten epochal nicht zu letzt an Geldmangel. Es war eine wettermäßig sehr schwierige Saison. Ende Mai hatte immer noch niemand den Gipfel erreicht. Vor allem der ständig extreme Wind im Gipfelbereich hatte jeden Versuch anderer Expeditionen scheitern lassen. Es sah so aus, als würde 2005 niemand von der nepalesischen Seite den Gipfel erreichen können. 

Normalerweise wird am 1. Juni die Besteigungssaison für beendet erklärt. Alle Expeditionen müssen vom Berg, weil der Durchstieg des Khumbueisbruches mit zunehmender Sonneneinstrahlung immer gefährlicher wird.

Mein Seilpartner am Everest, Thomas Türpe auf einer Leiterbrücke über eine Spalte im Tal des Schweigens auf dem Weg von Lager 1 zum Lager 2 auf 6800 m Höhe.

Doch die großen westlichen Agenturen intervenierten bei den nepalesischen Behörden und drohten mit ihrer Abwanderung auf die chinesische Seite des Berges. Daraufhin verlängerte das Tourismusministerium die Saison bis Ende Juni. Wir aber mussten abreisen, weil unser Geld aufgebraucht war.

Ich hatte buchstäblich alles ausgegeben. Auch das, was ich besser für das Finanzamt hätte aufheben sollen. Anschließend hatte ich ein Steuerstrafverfahren am Hals, welches mich über Jahre hinaus an den Rand des Abgrundes gebracht hat. Wenn mich damals nicht kluge und vor allem wohlwollende Leute gut beraten hätten, wäre alles aus gewesen.

In der gigantischen Lhotseflanke kämpften wir uns durch den Sturm ins 7500 m hoch gelegene Lager 3.

Bergsteigerisch ging es nach diesem Desaster aber wieder bergauf. 2006 konnte ich den Gipfel der unvergleichlich schönen 6814 m hohen Ama Dablam auf eine sehr faire Art erreichen. Mein Freund Lakpa Gelbu und ich versicherten den gesamten Westgrat im Alleingang und erreichten als erste in jenem Jahr den höchsten Punkt.

Der Westgrat der Ama Dablam aufgenommen vom Yellow Tower. Fast genau in Bildmitte seilt ein Bergsteiger auf einem Schneefeld ab.

Auch die nächste Tour war ein Erfolg. 2008 gelang mir mit einem perfekt eingestellten Team die Erstbesteigung des 6138 m hohen Chukhung Tse über seinen Nordwestgrat. Wieder war ich ausschließlich am scharfen Seilende unterwegs. Fünf Leute erreichten den höchsten Punkt, bis heute meine erfolgreichste Unternehmung überhaupt. Und auch mein bis zum heutigen Tag meist gebuchter Vortrag, „Leidenschaft siegt“, ging aus diesem schönen Projekt hervor.

Mein Seilpartner am Chukhung Tse war die meiste Zeit Alexander Graeber aus Leipzig. Hier steht er genauso wie ich ziemlich ratlos vor dem unüberwindlich scheinenden Bergschrund des Chukhung Tse.

Nach den vielen Reisen in den Himalaya wandte ich mich 2009 einer neuen, großartigen Landschaft zu. Und es sollte mal wieder eine Durchquerung werden. Mein Ziel war, auf Ski und mit Zugsegeln das patagonische Inlandeis zu durchqueren. Es gelang mir, für dieses Projekt einen enorm starken und erfahrenen Partner zu gewinnen. 

Aber dieses Unternehmen stand anfangs unter keinem guten Stern. Auf einem Vortrag vor Geschäftsleuten in Halle übersah ich im stockfinsteren Saal eine Treppe, fiel dort hinunter und knickte mit meinem rechten Fuß um. Bei diesem dummen Unfall drei Tage vor unserer Abreise rissen zwei Außenbänder in meinem Fuß. Es tat so weh, dass ich während des Vortrages in Ohnmacht fiel. Was für ein Bild muss ich da abgegeben haben? Diese Vorstellung ist mir noch heute ziemlich peinlich.

Es war eine völlig neue Erfahrung für mich, täglich zehn Stunden meine Pulka durch den patagonischen Starkwind zu ziehen, meist ohne weiter als 5 m sehen zu können.

Aber ich sagte die Reise nach Patagonien trotzdem nicht ab. Ich hatte den besten Partner gefunden, den ich mir wünschen konnte, und ich hatte mich über ein Jahr intensiv auf dieses völlig neue Metier vorbereitet. Die moderne Pharmakologie und ein knallenger Schuh mussten die Sache möglich machen.

Aber es war trotz eines massiven Tablettenkonsums eine Tortur. Keine Reise hat mich mental so gefordert, wie diese. Jeder von uns hatte 70 kg Gepäck zu bewegen. Dass ich dieses Unternehmen trotz allem durchgestanden habe und wir auch noch unser Ziel erreichen konnten, grenzt für mich bis heute an ein Wunder.

Segeln zu können, war das größte Privileg auf dem Inlandeis. Das aber hatten wir leider nicht oft!

zum Teil 1

zum Teil 2

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Eine Antwort

  1. Thomas Schmidt sagt:

    Die meisten von uns wären auf dem Inlandeis sicherlich gestorben,
    einfach weil es m.E. eine Vielzahl besonderer Fähigkeiten braucht, um dort zu überleben-

    –> Bergsteigen hilft, zu überleben, das ist eine schöne Erkenntnis, finde ich :-))

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