Holzberg: Das Gutachten

Da hat niemand anderes als das renomierte Zentrum für Luft und Raumfahrt ermittelt, wieviele Insekten eigentlich durch Windräder vernichtet werden. Und es war so erschrocken über die Reaktion auf das Ergebnis, dass es sich dazu am liebsten gar nicht mehr äußern möchte. Etwas gegen Windräder zu sagen, macht einem hierzulande keine Freunde. 

Die monokulturelle Landwirtschaft bzw. die chemische Industrie sind schuld am Insektensterben, welche die giftigen Pflanzenschutzmittel einsetzt bzw. herstellt. Aber jetzt auch die so umweltfreundlichen Windräder? Bei Licht betrachtet ist deren Wirkung auf die Insektenpopulation aber höchstens von marginaler Bedeutung und deshalb nicht der Rede wert: 1200 t gegenüber 450000 t, welche die gefräßigen Vögel allein in unseren Wäldern vertilgen. (Quelle: DLR und Nyffeler et al., 2018). Aber die Zahl der Insekten ist in den letzten 27 Jahren dramatisch zurückgegangen. Laut der berühmten Krefelder Studie um 76%. Und daran sind weder die Windräder noch die Vögel schuld.

Ein ganz aktuelles Bild vom Holzberg aufgenommen am vergangenen Freitag. Am eindrucksvollsten für mich war das, was man auf diesem Bild nicht sieht: Die Geräuschkulisse der sich im Biotop tummelnden Tiere, sowie die ständig einfliegenden Störche, Reiher, Milane und Bussarde.

Als im Winter 2002/2003 dreißig Prozent !! der Bienenvölker auf einen Schlag in Deutschland starben, konnte man sich keinen Reim darauf machen. Vor allem, weil es bei den Imkern so unterschiedlich schlimm war. Manche verloren nur wenige andere fast alle ihre Völker. Deshalb rief man das DeBiMo-Projekt ins Leben. DeBiMo nie gehört? Das Deutsche Bienen Monitoring Projekt. Und was stellten die Experten neben vielem anderen fest? Man konnte „keine direkt bienentoxischen Konzentrationen von Pflanzenschutzmitteln in den Pollen nachweisen, jedoch gebe der Nachweis des Cocktails an Pflanzenschutzmittelrückständen in Pollen Anlass, die kombinatorische sowie chronische Wirkung der Substanzen auf Bienenvölker zu untersuchen. Hierzu seien gezielte Experimente notwendig.“ Nichts genaues weiß man also nicht. Massive Kritik an diesen Untersuchungen folgte auf dem Fuße.

Graphik Süddeutsche Zeitung, Quelle: IUCN (International Union for Conservation of Nature)

Es ist also nicht allein der Cocktail an Pflanzenschutzmitteln, es ist der Mix aus einer ganzen Reihe von Ursachen. Übrigens gehören auch unsere Mobilfunknetze zu diesen Ursachen, wie ich gerade lernte. Der Einfluss von Chemikalien in der Landwirtschaft, so ungern ich das auch zur Kenntnis nehme, ist gar nicht so groß wie ich immer glaubte. Denn dagegen könnte man ja doch relativ leicht etwas tun!

Es gibt eine viel größere Gefahr für die Bienen und nicht nur für die sondern für unzählige andere Arten auch. Eine Million Arten sind weltweit akut gefährdet, um es mit der Zahl des IPBES, des Weltbiodiversitätsrates zu sagen. Der Bericht dieses Gremiums von 150 Experten aus 50 Ländern lässt keinen Zweifel daran, dass sich auf der Erde gerade ein gigantisches Artensterben ereignet, „vergleichbar mit dem Tod der Dinosaurier vor etwa 65 Millionen Jahren“. Und der Schuldige ist auch ganz klar ausgemacht. Es ist nicht DIE chemische Industrie mit ihren Pestiziden, nicht DIE Bauern oder DIE Autobauer. Auch nicht DIE Politiker. Der gnadenlose Raubbau an Lebensraum für unsere Mitbewohner ist vor allem anderen die Ursache der Katastrophe. Also sind WIR alle schuld. Wir, die wir den Fortschritt als das begreifen, was er zumindest für uns Menschen ist: Außerordentlich komfortabel. Wachstum ist die Devise! Nur wollen wir das weder hören, geschweige denn zugeben.

Im Tierreich geht es dem IPBES-Bericht zufolge den Amphibien, also etwa den Kröten, Fröschen und Molchen, am schlechtesten. Und damit sind wir beim Thema.

Mario in „Viva España“ mit dem Blick auf den Zufahrtsweg in den Holzberg Richtung Südosten.

Hier gleich neben meiner Heimatstadt hat sich die Natur in einem Steinbruch ein Stückchen Lebensraum zurück erkämpft. Kaum zu glauben, wie schnell und wie gründlich sie das gemacht hat. Und weil wir Deutschen eben auch gründlich sind, gab es für meine Begriffe außerordentlich sorgfältig erhobene Untersuchungen zum Stand der Dinge im Holzberg. Ein Gutachten, übrigens eine Auflage an den jetzigen Eigentümer des Holzberges, die Firma Kafril, wurde erstellt, welches endlich fast ein halbes Jahr nach seiner Fertigstellung allen Beteiligten und Interessierten vorliegt. Das wurde aber nicht erarbeitet, weil man sich an der Entwicklung des Biotiops erfreut hat und wissen wollte, wie die Natur, wie die vielen Tierarten das gemacht haben, sich diesen Lebensraum zurückzuerobern und wer da jetzt alles wieder lebt. Der Grund für dieses Gutachten ist die Tatsache, dass dieses wunderschöne, neuentstandene Biotop zugeschüttet werden soll.

Als regelmäßiger Besucher des Holzberges wussten wir natürlich auch ohne Gutachten, was da unter uns entstanden war. Wir besitzen schließlich Augen und Ohren. Doch nun haben wir die Bestätigung schwarz auf weiß. Der Holzberg ist ein kleines Paradies geworden. Ich zitiere Auszüge aus dem Fazit des Gutachtens:

„Der Steinbruch Holzberg bietet mit seiner Strukturvielfalt und seinem vielfältigen Mosaik unterschiedlichster Biotope auf kleinem Raum für viele Artengruppen einen Hotspot in der Region. Im Rahmen der Sonderuntersuchungen wurden 10 Fledermausarten, 5 Amphibien- und 5 Reptilienarten, 47 Vogelarten und 21 Tagfalterarten nachgewiesen.

Für die Artengruppe der Fledermäuse ist der Standort vor allem als wichtiges Jagdhabitat sowie als Schwärm- und Quartierstandort hervorzuheben. Auch das wahrscheinliche Vorkommen des sachsen- als auch bundesweit stark gefährdeten Grauen Langohres weist dem Standort eine besondere Bedeutung zu. Aus diesen Gründen ist der Steinbruch von überregionaler Bedeutung für Fledermäuse zu werten.

Bezüglich der Avifauna (Gesamtheit der in der Region vorkommenden Vogelarten, Anm. von mir) bietet der Steinbruch nicht nur für durchziehende Wasservögel gute Rastplatzbedingungen und für Greife und Eulen Jagdmöglichkeiten. Auf Grund seiner in der weiteren Umgebung einzigartigen, kleinräumig mosaikartigen Habitatstruktur aus Röhrichtzonen und Wasserflächen besitzt er insbesondere für röhrichtgebundene Arten eine wesentliche Bedeutung als Bruthabitat.

Neben zwei weiteren streng geschützten Reptilienarten, stellt insbesondere das Vorkommen der in Sachsen stark gefährdeten Schlingnatter einen wichtigen Trittstein der Verbreitung dieser Art in der agrargeprägten Landschaft um Böhlitz dar.

Hinsichtlich der Amphibien ist besonders das individuenstarke Vorkommen der Knoblauchkröte hervorzuheben.“

Und dann noch ganz besonders interessant! Wir Kletterer werden auch erwähnt: 

„Zwar gibt es im Gebiet z. T. Vorbelastungen hinsichtlich akustischer und optischer Störwirkungen durch Freizeitnutzung (Klettersport), insbesondere an der südexponierten Wand, jedoch handelt es sich hierbei nicht um kontinuierliche Beeinträchtigungen, so dass nicht von einem Gewöhnungseffekt ausgegangen werden kann.“ Und schließlich sogar noch die Absolution für uns Kletterer: 

„Der ehemalige Steinbruch kann insgesamt als ein relativ ungestörter Lebensraum angesehen werden.“

Nun auch das wussten wir schon, denn schließlich hat sich dieses Biotop sozusagen unter uns und auch trotz uns entwickelt. Dennoch sollte jeder einzelne von uns alles dafür tun, dass die Naturschützer auch weiterhin diese Einschätzung über das Verhalten von uns Kletterern treffen können!

Vom Ausstieg der „Bridges to Nowhere“ schaut man auf den zentralen Teil des Flachwasserbiotops im Holzberg.

Viel weniger angenehm ist die Lektüre einer Tabelle, in welcher mit schmerzhafter Deutlichkeit aufgeführt wird, was der „Wirkfaktor„, soll heißen die „Beseitigung der Biotopstrukturen durch Verfüllung bis auf ein Niveau von +188 bzw. 159 m NN“, anrichten wird. Es bleibt nichts, aber auch gar nichts von der Flora und Fauna des Holzberges übrig. So viel steht jedenfalls fest. Und fest steht auch, dass wir Kletterer keinen Spaß mehr daran haben werden, dort zu klettern, selbst wenn man uns die Wand  offen lassen würde. Kein normaler Mensch will zusehen, wie man wieder und dann noch vor seinen Augen ein Stück Natur für immer und unwiederbringlich zerstört.

So, und damit sind wir wieder beim quälerischen Thema Schuld. Wir wären schuld, dass noch mehr Individuen seltener Arten verschwinden, falls wir das „Überprägen“ des Holzberges zuließen. Kein noch so irreführendes Wort sollte uns davon ablenken, dass dies nichts anderes als eine Tragödie wäre.

Vielleicht ist es nun an der Zeit, dass auch wir Kletterer aktiver werden. Und wir sollten dabei eben nicht ans Klettern denken, nicht an unseren Spaß beim Konsumieren sonnenbeschienener Felswände. Wir sollten daran denken, dass WIR die Natur zum Leben brauchen und nicht sie uns. Sind Lebensräume zerstört, dann sind uns die Frösche, die Fledermäuse, die Störche, die Milane, die Reiher, die Eidechsen, die Schmetterlinge, die Schlangen und auch die Bienen nicht etwa böse. Sie sind einfach nur weg. Und wir müssen dann ohne sie auskommen. Was für eine deprimierende Vorstellung.

Wie meinten doch die alten Indianer? Geld kann man nicht essen.

Hier der Link zu den beiden anderen Artikeln zum Holzberg auf meiner Homepage: Gefahr im Verzug sowie Holzberg Update

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7 Antworten

  1. Birgit Winkler sagt:

    Wahre Worte, ein Text, der nachdenklich macht und zum aktiven Handeln auffordert. Mögen ihn viele Menschen lesen!

  2. Wolf Jan sagt:

    Danke für den fundierten Text.
    Hoffentlich kommt er bei den maßgeblichen Entscheidern an und bewirkt die richtigen Maßnahmen.

    • Olaf Rieck sagt:

      Die Rettung des Holzberges wäre ein schöner Hoffnungsschimmer, ein Mutmacher, dass wir Menschen vielleicht doch irgendwann aufwachen und uns besinnen…

  3. Matthias Ladusch sagt:

    Hallo Olaf, Dein Text gefällt mir sehr gut. Ja, der Mensch ist eben auch nur eine Kreatur neben anderen und dürfte sich nicht mehr anmaßen, zu bestimmen, zu regulieren, zu „managen“. Ich habe mich auch über die Befunde zu den Fledermäusen im Gutachten sehr gefreut, die ein kleines Beispiel zeigen, wie der Mensch, der Kletterer sich in die Natur einfügen kann.

    • Olaf Rieck sagt:

      Vielen Dank für Deinen/Eure Kommentare. Ich freue mich gerade, wieviele Leute an diesem Thema interessiert sind und diesen Text in der kurzen Zeit schon gelesen haben. Unglaublich!

  4. Ulf sagt:

    fein geschrieben. und auch tiefgehend recherchiert. good work. ich werds mal weiterteilen.

  5. Hallo Olaf, der Text erfasst die wirkliche Dimension des Holzberges. Artensterben ist nichts Abstraktes. Es findet immer an konkreten Orten statt. Ein solcher Ort wird der Holzberg sein, wenn es uns nicht gelingt den von Dir beschriebenen „gnadenlosen Raubbau am Lebensraum für unsere Mitbewohner“ zu stoppen.
    Natürlicher Lebensraum ist die kostbarste Ressource überhaupt. Hier findet die Reproduktion der Natur statt, durch die das menschliche Leben überhaupt erst möglich wird. Die gezielte Zerstörung von natürlichen Lebensräumen basiert weltweit auf der ungebremsten Gier einiger Weniger. Am Amazonas nicht anders als hier. Seit mindestens 18 Monaten wird die Flachwasserzone im Holzberg permanent abgepumpt und schon jetzt, am Beginn des Sommers, ist sie zu 50% „trockengelegt“. Seit 1970 sind weltweit 40% aller Feuchtgebiete verschwunden. Aktuell haben wir Spuren von starken China Böllern in den Lebensräumen der Fledermäuse gefunden und dokumentiert. Die zuständige Naturschutzbehörde des Landkreises ist derweil nicht untätig – sie verhandelt mit dem Eigentümer. Auskunft über den Inhalt der Verhandlungen steht uns als Bürgern nicht zu. Das artenschutzrechtliche Gutachten vom 26.10.2018 hat die Böhlitzer Bürgerinitiative am 14.05.2019, also nach mehr als 6-monatiger Verspätung erhalten.
    Diese Behörde wird den Holzberg nicht retten. Das müssen wir schon selber machen.

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