Eiskletter-Reflexionen

Ein Text von Daniela Göhler, so authentisch und kurzweilig, dass ich ihn gern auf meiner Homepage veröffentliche. Die Fotos sowie die Bildunterschriften stammen von mir und zeigen natürlich vorwiegend die Autorin. Und hier Danielas Text:

Das wichtigste zuerst: Die Eiskletterwoche war fantastisch. Der Anfang holprig, das Ende grandios.

Der linke, kleinere Teil des wirklich großartigen Eiskletterparks Osttirol mit meinen drei Vor-Daniela-Eiskletter-Nirekha-Schützlingen: Bernd, Michael und Helmut.

Das (mentale) Training begann schon vor der Ankunft in Matrei, indem Olaf an seine Eiskletteraspiranten schrieb: „Wie ihr wisst, halte ich es für besonders wichtig, dass alle immer verstehen, warum Dinge auf eine bestimmte Art und Weise gemacht werden und nicht anders. Nur wenn man versteht, können Fehler erkannt und vermieden werden.“

Das war mir sehr sympathisch. Jetzt, nach meiner ersten Eiskletter-Woche, würde ich noch hinzufügen: Man muss die Dinge nicht nur verstanden, sondern auch praktisch angewendet haben – idealerweise unter Stress. Letzteres trat bei mir ganz automatisch ein, da allein der physische Akt des Bewegens in der Vertikalen an einer „Eisfront“ ausreichend Adrenalin freisetzte.

Auch wenn es vielleicht auf den ersten Blick nicht so aussieht: Wir waren hier, um zu üben, was wir am Nirekha Peak brauchen. Aufstieg am Seil mit der Steigklemme. Das macht Daniela im linken Bild. Genauso wichtig war das Abseilen am ziemlich dünnen Fixseil, wie im rechten Bild. Und natürlich wollten wir das Verhalten an den Punkten üben, wo die Seile am Nirekha Peak angebracht sein werden.

Die einfachste Sache von der Welt? Das mag vielleicht im Klettergarten so sein. Aber an einem echten Bergriesen im Himalaya? Weit gefehlt!! Nicht in über 6000 m Höhe, nicht bei eisiger Kälte und schon gar nicht bei womöglich nie gekannter Erschöpfung. Da werden selbst solche einfachen Dinge zu Schwerstarbeit, die Muskeln zu Pudding und im Kopf hat man nach 12 oder 15 Stunden am Berg nur noch Watte. Da hilft es sehr, wenn man diese wenigen Dinge auch im Schlaf beherrscht!

An den ersten Tagen gab es kaum einen Fehler, den ich ausließ. Ich kann telefonieren und gleichzeitig eine Email lesen – aber am Standplatz konnte ich nicht meinen Herzschlag beruhigen und gleichzeitig den Abseilvorgang korrekt vorbereiten? Es war ein holpriger bis blamabler Anfang. Das musste sich ändern! 

Der zweite Tag im Eisklettergarten war schon besser. Die Unternehmung begann sich, als Eisklettern anzufühlen, und ich wusste, worauf ich mich zu konzentrieren hatte. 

Daniela steigt mir eine schwere aber kurze Route im Eiskletterpark nach.

Der dritte Tag war eine andere Welt, die Welt der „richtigen“ Eisfälle. Schon der 1,5 stündige Anmarsch durch das tief verschneite Innere Geschlößtal war an Schönheit kaum zu überbieten. Der Anblick des „Schilds“ war beeindruckend bis furchteinflößend. Olaf hätte diesen 150 m hohen Eisfall zweifellos gerne vorgestiegen, aber mit mir im Schlepptau war das nicht zu machen.

Der perfekte Eisfall für unsere Zwecke war der „Venedigerhausfall“. Nicht zu lang aber doch mit einer anspruchsvollen Passage (WI5). Ich schaute mir die Bewegungen meines Vorsteigers ganz genau an. Genauso sicher, effizient und elegant würde ich es nachsteigen, zumal am sicheren Seil von oben.

Das Innere Geschlößtal ist im Winter sehr abgelegen und kann nur mit Tourenski erreicht werden. Oder mit Schneeschuhen. Und auch dann ist man schon ganz schön lange unterwegs. Hinten thront der Großvenediger.

Inzwischen hatte ich allerdings ein neues Problem. Ich hatte in den ersten Tagen so viel Kraft „verschwendet“ (zu viel mit den Armen gezogen statt mit den Beinen zu drücken), dass ich mich kaum noch an den Eisgeräten halten konnte. Es gab nur einen Ausweg. Ich musste aus einer anderen Ressource schöpfen: Dem Kampfgeist.

Der Wille, meinen ersten Eisfall zu erklimmen, musste sich über die physische Erschöpfung meiner Arme hinwegsetzen. Ich konnte auf dem Weg nach oben zwar die Eisschrauben nicht mehr einsammeln, aber das einzig Wichtige war, nicht der Versuchung zu erliegen, aufzugeben und mich abzulassen. Ich konzentrierte mich einzig und allein auf die nächste Bewegung nach oben, und so kam ich schließlich bei meinem Vorsteiger an. 

Links hinten der obere, steile Teil des Eisfalles namens „Das Schild“ ideal mit einer Zweierseilschaft zum Größenvergleich. Rechts der etwas kürzere „Venedigerhausfall“, unser erster „echter“, gefrorener Wasserfall.

Der vierte Tag übertraf den dritten und avancierte zum schönsten Tag der Woche. Das Ziel war dieses Mal der „Linke Seebachfall“, wieder im Inneren Geschlößtal – dem Ort, den Olaf später treffend als einen Sehnsuchtsort bezeichnen würde. Der „Linke Seebachfall“ ist weniger steil aber dafür doppelt so lang wie der „Venedigerhausfall“.

Ich spürte meine Unterarme schon ohne Eisgeräte in der Hand, aber die Route zog mich magisch an. Ich war entschlossen, auf diesen Eisfall von oben herabzuschauen. Jeder Schlag ins Eis war ein Kampf. Es war mein Kampf, und ich wollte ihn gewinnen. Wenn ich am Vortag noch den Hauch eines Zweifels verspürt hatte (hoch oder runter?), galt nun eine einzige Maxime: The Only Way is Up!

Links: Daniela auf dem Weg zum Einstieg in den „Linken Seebachfall“. Er ist etwa 100 m lang aber relativ moderat, was die Steilheit anbelangt. Rechts: Daniela hat schon 60 der rund 70 m der ersten Seillänge im „Linken Seebachfall“ hinter sich und befindet sich nun schon einige Zeit im Sharapova Modus.

Stück für Stück arbeitete ich mich nach oben. Dieses Mal sammelte ich auch die Eisschrauben wieder ein, so wie es sich für einen Nachsteiger gehörte. Erst als ich mich Olaf näherte, merkte ich, dass ich eiskletterte wie Maria Sharapova Tennis spielte: Nicht so laut aber deutlich hörbar! Ich hätte diese Kraftakt-Geräusche wirklich gern unterdrückt, hatte aber beim besten Willen keine Kapazitäten, mich darum zu bemühen. 

Die um fast 30 Kilo leichtere Daniela sichert mich im Vorstieg völlig darauf vertrauend, dass ich nicht runter falle. Dieses uneingeschränkte Vertrauen ist oft eine Last aber auch ein enormer Ansporn. Doch vor allem ist es Verpflichtung! (Für alle, die sich an dem Gewichtsunterschied reiben. Wir hatten ein Ohm dabei.)

Der Blick vom Stand-/Abseilplatz war fantastisch und ich erfüllt von einem Glücksgefühl. Diese Route war mein grand finale gewesen. Für die restlichen Übungen des Tages, Abseilen über mehrere Seillängen, Jümarn am Fixseil, reichte eine einzige Anweisung von Olaf: Keine Fehler! Er musste sich sicher sein können. Es passierten keine Fehler.

Ich bin gerüstet für die Nepaltour.

 

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4 Antworten

  1. Veronica sagt:

    Eine tolle Geschichte, Daniela! Und jetzt …. auf geht’s zum Nirekha! Viel Erfolg!

  2. Helmut Hartmann sagt:

    Hallo Daniela,

    wirklich auf den Punkt gebracht. Ich, als einer der Protagonisten der ersten Trainingswoche, kann Deine Gedanken und Empfindungen nachvollziehen. Jetzt nach ein paar Tagen Abstand kann ich erst richtig den Wert dieser Woche einschätzen und mein Respekt vor Olaf für seinen Einsatz und seiner Methodik wie er uns am besten auf das Kommende vorbereitet wächst von Stunde zu Stunde. Sein Credo, dass die benötigten Techniken fehlerfrei und zügig beherrscht werden müssen, hallt bei mir auch noch nach und hat sich quasi in die Festplatte im Kopf eingebrannt.
    Für uns alle hoffe ich, dass wir das Gelernte und Geübte dann entsprechend am Berg auch abrufen können – bin aber der felsenfesten Überzeugung, dass wir jetzt zumindest perfekt vorbereitet sind.

    Ansonsten freue ich mich schon auf unsere gemeinsame Zeit in Nepal und am Nirekha. Wir werden sicherlich viel Spaß haben, viel Einmaliges erleben sowie unvergessliche Momente haben. Wir sehen uns in Nepal!
    Gruß Helmut

    • Olaf Rieck sagt:

      Das werden wir! Für den Spaß seid Ihr verantwortlich, das Einmalige und die unvergesslichen Momente habt Ihr quasi gebucht. Die kommen automatisch. Und ich werde mein Bestes geben. Nichts anderes habt Ihr verdient! Vielen Dank für diesen Kommentar!

  3. Thomas Schmidt sagt:

    Danke für diesen schönen Bericht und für die viele Frauenpower! 🙂 🙂

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