Tödliches Risiko

Nach unserem Gipfelversuch am Donnerstag brauchten wir einen Ruhetag, an dem wir unsere Wunden geleckt und versucht haben, unsere Enttäuschung zu verarbeiten. Und natürlich war dieser Freitag der Höhepunkt unserer Schönwetterphase.

Aber der Ruhetag musste sein, und solch einen Tag bei schönem Wetter zu verbringen, ist dann womöglich auch echte Erholung und ein Genuss dazu. Ich habe mich den ganzen Tag so gut wie gar nicht bewegt, nur in der Sonne gelegen und fast alles aufgefuttert, was ich mit hier hinauf getragen hatte. Wir mussten am Sonnabend auf Biegen und Brechen wieder fit sein, denn das war aller Wahrscheinlichkeit nach nun tatsächlich unsere letzte Chance.

Wir hatten sogar kurz überlegt, ob wir den zweiten Versuch wegen des Wetters nicht doch schon am nächsten Tag, also am Freitag starten sollten. Dann allerdings wären uns nur ganz wenige Stunden bis zum abermaligen Aufbruch geblieben. Aber als wir so an uns herunter geschaut haben, gaben wir diesen irrwitzigen Plan schnell wieder auf.

Dass wir noch eine Möglichkeit am Sonnabend haben würden, erfuhren wir via Satellitentelefon von Uwe Daniel. Zumindest bis zum Mittag sollte es noch einmal gutes Wetter geben. Aber auch danach müsste es mit ein bisschen Glück für den Abstieg reichen. Wir brachen diesmal so zeitig auf, dass wir den gesamten Weg bis zum Wandfuß im Dunkeln zurücklegten. Deshalb standen wir schon kurz vor 7.00 Uhr am Einstieg und hatten vorher noch eine längere Pause eingelegt, in der wir sogar gekocht haben.

Unsere Wand aus der Nähe. Ich hatte noch nie in meinem Leben einen so schönen aber zugleich auch so furchteinflößenden Anblick.

Wieder waren wir sehr schnell unterwegs, hatten schon nach wenigen Stunden den Umkehrpunkt vom Donnerstag erreicht. Auch als das Seil zum Einsatz kam, blieben wir schnell, weil wir in Wechselführung kletterten. Das hat aber einen großen Nachteil. Bei dieser immensen Steilheit, ist man dann zwei Seillängen, also an die hundert Klettermeter ausschließlich auf den Spitzen seiner Frontalzacken unterwegs. Es gibt kaum etwas peinigenderes.

Irgendwann noch vor Mittag hatten wir die Eispilze unter dem Gipfel erreicht. Immer noch sah es so aus, als sollte es auch hier eine Durchstiegsmöglichkeit geben. Wir sahen eine gute Chance den Gipfel tatsächlich zu erreichen und kletterten einfach immer weiter.

Falk steigt eine Seillänge im oberen Bereich der Wand vor. Je höher wir kamen, desto steiler wurde es. Die Eisqualität wurde aber leider immer schlechter.

Doch vielleicht 70 m unter dem höchsten Punkt kam ich an eine Stelle, an der ich einfach keine Möglichkeit mehr fand, einen auch nur halbwegs vernünftigen Stand zu bauen. Die Eisqualität war lebensgefährlich. Auch machte ich mir große Sorgen wegen unseres Rückzuges. Das Eis war hier oben so stark zerklüftet, dass es schier aussichtslos erschien, beim Abseilen das Seil ohne Probleme abgezogen zu bekommen.

Ich sicherte Falk zu mir hinauf, und wir brauchten uns eigentlich nur anzusehen, um zu wissen, was der andere dachte. Hier war einfach mal Schluss für uns. Weiterzumachen, hätte bedeutet, ein tödliches Risiko einzugehen, was keiner von uns beiden wollte. Das Leben ist zu schön, um selbst am schönsten Berg der Welt zu sterben.

In diesem Eis zu klettern und vor allem sichere Standplätze zu bauen, geht nur, wenn man mit dem Leben abgeschlossen hat. So einfach ist das!

Nun könnte man ja durchaus darüber philosophieren, wie mutig und weise es doch ist, rechtzeitig umzukehren und wie viel wir an diesem Berg und in dieser Wand, die wir tatsächlich fast durchstiegen haben, erreichen konnten. Aber das tröstet mich nicht. Niederlagen in Erfolge umzumünzen, ist unsere Sache nicht. Das machen andere schon genug. Wir waren nicht oben!

Ich jedenfalls bin todtraurig, dass wir diese letzten anderthalb Seillängen nicht klettern konnten und daran ändert rein gar nichts irgendwas. Da hilft nur Zeit, denn sie eilt und teilt nicht nur, sondern sie heilt manchmal wohl auch…

Dieses Foto von uns beiden zeigt ein tolles Team, dass gerade kurz mal in den Abgrund geblickt und daraus wohl die richtigen Schlüsse gezogen hat. Und es zeigt zwei Leute, die sich offensichtlich freuen, noch am Leben zu sein.

 

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9 Antworten

  1. Dirk Juling sagt:

    Ihr seid Helden der Berge!!!!! Es gibt immer ein Problem wenn man auf dem Gipfel steht, …… man kann ihn nicht mehr sehen.
    Es ist immer nur der Stolz, welcher da Sorge macht, ich zu mindestens wäre schon bei der Wasserkapriole vor Tagen abgehauen….
    Genießt die letzten Tage, irgendwie habe ich das Gefühl, daß es noch einen kleinen Plan B gibt.
    Eure Mädels freuen sich bestimmt Euch bald wieder in die Arme nehmen zu können.
    Grüße in den kalten Süden von Dirk

  2. Thomas Schmidt sagt:

    Ich bin gerade wegen eurem Umkehr-Mut stolz auf euch !!!
    Mitfühlend beim Anblick der letzten 70m,
    Thomas

  3. Rando sagt:

    Happy End ist was für Hollywood! Und wer kann diese Schmonzetten schon leiden? Aber halt – zu Ende ist die aufregende Geschichte ja eigentlich erst, wenn Ihr wieder zu Hause seid. Ach, eigentlich finde ich Hollywood doch ganz ok 🙂

    Also passt auch am Paddel so gut auf Euch auf wie am Berg. Wir wollen dann hier die GANZE Geschichte hören…

  4. Dietmar Kastning sagt:

    Super, wie weit Ihr gekommen seit. Mit der Zeit wird das sicher Die, oder eine der eindrucksvollsten Expeditionen werden die Ihr je gemacht habt. Ihr werdet sehen! (ich kann das beurteilen: Mußte selbst ca. 150m auf der anderen Seite, unterm Nebengipfel , wegen grundlosen Schnee umdrehen.

  5. Thoralf Liebstein sagt:

    Hallo Jungs, auch ich bin sehr beeindruckt von Eurer Leistung und mir stehen fast die Tränen in den Augen beim Lesen der wenigen Zeilen, die aber alles sagen. Chapeau! über Eure Kraft im entscheidenden Moment zurückzukehren …
    Bis bald! Es grüßt Euch herzlich Thoralf

  6. Elke sagt:

    Hallo Ihr beiden unermütlichen Kämpfer,
    es ist der absolute Wahnsinn, an dieser Geschichte“ teilzunehmen“. Wir (die Drei) gratulieren, zu sollch einer Leistung. Bitte, bitte, kommt gesund bei euren lieben, wieder zu Hause an.
    Bis bald Elke

  7. Ankr sagt:

    Lieber Olaf, Du bist immer noch so ein mutiger Bergsteiger. Ich bewundere euch für so viel Mut. Und ich bete, dass ihr ganz gesund wieder nach Hause kommt. Ich kann leider diese Leidenschaft zu den Bergen nicht mit euch teilen, aber ich finde es großartig, immer wieder solche Leistungen zu vollbringen. Alles alles Gute. Mit den besten Grüßen von Anke

  8. Lieber Olaf und Team,

    passt gut auf Euch auf und kommt weiter gesund voran!

    Ivonne und Jürgen aus Leipzig

  9. Schmidt Hans-Juergen sagt:

    Hi ihr beiden im ewigen Eis. Traurigkeit – nein. Es ist Euer Erfolg so weit gekommen zu sein. Geniest noch die T
    age bei vielleicht schönem Wetter und eine gesunde Rückkehr in die Zivilisation. Gruss Jürgen.

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