Im Sportkletterhimmel

Irgendwie hat man ja immer eine Vorstellung im Kopf, wenn man schon mal etwas ähnliches gesehen hat. Und Klettergärten habe ich nun wirklich schon viele gesehen. Doch Ceüse hat mit meiner bisherigen Vorstellung von Klettergärten nun überhaupt nichts gemein. Dieser ist gigantisch und in seiner Form fast schon ein bisschen überirdisch, denn von weitem sieht der Felsen von Ceüse aus wie ein gerade eben gelandetes Ufo. Es gibt alles in allem 14 Sektoren mit grob geschätzt 20 bis 40 Routen pro Sektor. Die kurzen Wege sind 25 Meter lang, die längsten umfassen fünf Seillängen und bieten 120 Meter Kletterei. Ein Klettergarten der Superlative. Allein Ceüse lohnt den weiten Weg hierher nach Südfrankreich. Und viele Kletterer nehmen eine viel längere Anreise auf sich, um hier zu sein. Aus der ganzen Welt kommen die Sportkletterer nach Ceüse und bleiben oft gleich einen Sommer lang.

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Der Felsen von Süden. Doch hier ist nur ein Bruchteil der Ausmasse sichtbar. Der grösste Teil der Sektoren liegt in dieser Ansicht links, also in westlicher Richtung. Es gibt aber auch einen Wermutstropfen. Dort oben ist kein Wasser zu finden. Jeden Morgen muss man also 500 Meter auf- und abends wieder absteigen.

Die leichtesten Wege gehen im 6. Grad los und der schwerste Weg namens „Biographie“ stammt von Chris Sharma, einem der derzeit besten Sportkletterer der Welt und ist eine glatte 11+. Die meisten Routen bewegen sich allerdings im 8. bis 10. Schwierigkeitsgrad (UIAA-Skala). Allein diese Zahlen sind schon deshalb faszinierend, weil ich Kletterwege in dieser Menge und Schwierigkeit noch nie auf so engem Raum gesehen habe. Doch besonders spannend war die Aussicht, nun endlich mal mit eigenen Augen zu sehen, was für Leute das sind, die im 9. oder gar 10. Grad klettern. Auch Fabian kann so schwer klettern, doch gesehen hatte ich das noch nie. Das würde sich nun in den nächsten Tagen ändern.

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Bemerkenswert und für mich unerwartet ist auch die Vielfältigkeit der Kletterei: normale Risse in allen Breiten, Hangelrisse, Dächer, Kletterei an Löchern, steil oder überhängend. Hier gibt es alles, was das Sportkletterherz begehrt. Und noch etwas ist interessant. Die weitaus meisten Routen sind perfekt mit Bohrhaken abgesichert, doch es gibt auch Wege (Risse) ganz ohne Zwischensicherungen. Hier muss mit Keilen und Friends selbst abgesichert werden.

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Und da waren sie dann, die Cracks, die auf den ersten Blick so aussahen, als seien sie einem Frauenmagazin entsprungen. Doch bei näherem Hinschauen entdeckt man all die Attribute eines Spitzenkletterers. Die Füsse haben sich der Form der grundsätzlich viel zu kleinen Kletterschuhe angepasst. Durch die Reibung der aufgekrümmten Zehengelenke an den Kletterschuhen bilden sich grosse Hornhauthügel auf den Zehenoberseiten. Die Fingerkuppen sind ebenfalls voller Hornhaut. Nirgends ist auch nur ein Gramm Fett zu entdecken. Die Jungs hier bestehen nur aus Muskeln und Sehnen. Man sieht ihnen ihr jahrelanges Training an. Von nichts kommt nichts schon gar nicht beim professionellen Sportklettern. Und diese Leute sind alle miteinander beneidenswert cool. Vielleicht ist ja diese Lockerheit tatsächlich das grosse Geheimnis der Spitzenkletterer? Übrigens Frauen trifft man hier oben zwar auch, aber eher selten in den superschweren Routen.

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Hier oben hatte ich nun genügend Zeit und Gelegenheit, zu sehen, wie es dazu kommt, dass Menschen tatsächlich im 10. Grad klettern können. Ein Weg, welchen man gern in die Liste seiner gekletterten Routen eintragen will, muss frei und ohne Pause am Bohrhaken durchstiegen worden sein. Rasten darf man nur in Kletterstellung. Man nennt das eine Rotpunktbegehung. Das ist der Anspruch, den hier alle haben. So etwas geht in diesen Schwierigkeitsgraden bei den meisten natürlich nicht auf Anhieb, sondern man fängt an, an seinem Projekt zu arbeiten. Stunden, Tage, manchmal sogar Wochen hängen die Kletterer in ihren Projekten und studieren Zug für Zug, Bewegung für Bewegung ein. Ziel ist es, die optimalste Abfolge der einzelnen Kletterbewegungen zu finden und dann wie eine Choreographie auswendig zu lernen. Man befindet sich also in dieser Phase immer an seiner absoluten Leistungsgrenze und fällt dementsprechend oft ins Seil. Nirgendwo habe ich je soviele Abstürze gesehen wie in den Tagen in Ceüse. Doch bohrhakenabgesichert ist das natürlich kein Problem einen aufmerksamen Sicherungsmann vorausgesetzt.

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Die Sicherungsleute haben hier ein Menge zu tun, und sie müssen Stürze weich abfangen können. Fabian putzt im rechten Bild vor seinen Durchstiegsversuch in einer 9+ die wichtigsten Griffe noch einmal gründlich mit einer Zahnbürste.

Irgendwann kommt dann der grosse Moment. Der erste Duchstiegsversuch wird gestartet. Die Kletterer versammeln sich unter der Route und feuern den Rotpunktaspiranten an. Nach so einem Versuch, sei er nun erfolgreich oder nicht, ist erst mal eine längere Pause fällig, denn man verausgabt sich natürlich total. Und dann, Stunden später oder vielleicht erst am nächsten oder übernächsten Tag kommt ein weiterer Versuch und dann wieder einer bis das Projekt abgehakt ist.

Übrigens beginnt mein Problem hier schon mit dem Fallen. Als Bergsteiger, der weit oben ohne Aussicht auf Hilfe in kombinierten Routen unterwegs ist, habe ich tief verinnerlicht, dass das Herunterfallen buchstäblich niemals eine Option ist. Die Verletzungsgefahr ist einfach zu gross. Und beim Klettern in Sachsen ist das ganz ähnlich. Hier gibt es nur wenige feste Sicherungspunkte und man kann auch nicht auf Keile und Friends sondern nur auf Schlingen bei der mobilen Absicherung der Kletterwege zurückgreifen. Ich muss also erst noch lernen, entspannt zu fallen, was ja in perfekt abgesicherten Routen eigentlich harmlos ist. Wenn ich das kann, werde ich auch viel besser klettern, denn dann muss ich mich nicht mehr so krampfhaft festhalten. Ein Kletterer, der keine Angst vor dem Sturz hat, wendet nur soviel Kraft beim Halten der Griffe auf, wie nötig, um nicht nach hinten aus der Wand zu kippen. Ich jedoch halte mich fest, als wenn es um mein Leben ginge. Das kostet eine Unmenge an Kraft.

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Der kleine Junge ist zwölf, souverän im 9. Grad zu Hause und deshalb auch in der französischen Nationalmannschaft. Klettern ist sein Leben. Sein Vater kann mit ihm schon lange nicht mehr mithalten. Im rechten Bild ist gerade ein Kletterer abgefallen. Kein Problem, denn das passiert jeden Tag dutzende Male.

Sportklettern ist sicher eine der am stärksten boomenden Sportarten überhaupt. Die Kletterhallen und – gärten schiessen wie Pilze aus dem Boden. Ganze Berge werden zu Sportgeräten umfunktioniert. Es ist gar nicht so einfach, hierzu eine klare Position zu beziehen. Ich weiss nicht mehr, wer es gesagt hat, sicher einer der grossen Pioniere: Bohrhaken seien der „Mord am Unmöglichen“. Das stimmt sicher in gewisser Weise. Doch ich kann es nicht leugnen. Wenn ich beim Klettern an eine schwere Stelle komme, und ich nicht um mein Leben fürchten muss, weil ein Ring oder ein Bohrhaken in der Nähe ist, bin ich schon sehr froh. Und so geht es sicher den meisten Kletterern. Aber dennoch ist der Kampf zwischen den Traditionalisten und den Modernisierern in vollem Gange. Doch ich meine den Sieger zu kennen. Die Zeit arbeitet gegen die Mahner, denn die alten Erschliesser werden irgendwann ausgestorben sein und neue gibt es immer weniger. Kompromisse sind wie überall sicher der Königsweg. Doch für unsere alterwürdige Sächsische Schweiz wünsche ich mir das nicht. Dort sollte alles so bleiben wie es ist, den prominenten Erneuerern zum Trotz, weil die alten Regeln dieses kleine Gebirge so einmalig machen und so berühmt und nicht zuletzt weil sie die Sportkletterer abschrecken. Der weiche Sandstein würde die Art zu klettern, wie sie hier in Südfrankreich zum Beispiel praktiziert wird, nicht lange überstehen. Viele klassische Routen wären in kurzer Zeit kaputt geklettert. Ich für mein Teil bleibe lieber bescheiden in dem Anspruch an die Schwierigkeit meiner Routen im Elbsandstein als das ich mir wünsche, auch in schwerere Wege einsteigen zu können, weil sie so gut abgesichert wären wie hier. Doch eines ist sicher, und das gebe ich gerne auch zu: Das Sächsische Elbsandsteingebirge wird zwar meine Kletterheimat bleiben, aber ich werde anderswo, zum Beispiel hier in der Dauphiné, öfter zu finden sein als bisher. Und das hat sicher auch etwas mit den Bohrhaken zu tun.

Aber nun freue ich mich nach fast vier Wochen erlebnisreichem Klettern in der Dauphiné erstmal wieder auf zu Hause.

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