Die Wand der Wände – Teil 1

Wenn ich mich dazu versteige, irgendetwas als besonders großartig, lohnend, formvollendet oder schwierig anzusehen, dann ist das so schön subjektiv. So wie wir Menschen nun mal sind. Jeder ist von etwas anderem fasziniert. Eine Eigenart von uns Menschenzwergen, die besonders nützlich und auch ein bisschen liebenswert ist. Nicht zuletzt deshalb, weil wir uns sonst irgendwo tottrampeln würden, wenn ständig alle dasselbe wollten.

Ich kann mich bei mir darauf verlassen, dass mir meine Emotionen den Weg weisen. Finde ich die Form eines Berges oder die Linie einer Route schön, dann entsteht eine Anziehungskraft. Das hat nichts mit dem Verstand zu tun. Dann ist es mir auch ganz egal, wie hoch ein Berg ist oder wie groß der Schwierigkeitsgrad einer Route. Wenn diese völlig aus dem Nichts entstehenden Emotionen da sind, dann fange ich an, mich für ein Ziel zu interessieren.

Wenn man Pech hat, sieht der Piz Badile mitten im Sommer plötzlich so aus. Wunderschön anzusehen, aber eine Sache womöglich sogar auf Leben und Tod für die Kletterer in der Wand.

Genauso war es, als ich 2008 das erste Mal den Piz Badile sah. Was für ein ungeheurer Felsen! Wie hoch ist der? Was für Aufstiegsmöglichkeiten gibt es? Komm ich mit meinen Möglichkeiten auch dort rauf? Was hat dieser Berg für eine alpine Geschichte?

Ich begann also, mich mit diesem imposanten Felsklotz zu beschäftigen. Und buchstäblich das erste, was jedem sofort in die Hände fällt, der über den Badile liest, sind die packenden Beschreibungen diverser Tragödien, Katastrophen und folgenschweren Wetterstürze, welche die riesige, an die 1000 m hohe Nordostwand des Berges in Klettererkreisen weltberühmt gemacht hat.

Es begann mit den Katastrophen gleich bei der Erstbegehung dieser Wand, welche als die größte geschlossene Felswand der Alpen angesehen wird.

Drohend, unnahbar und abweisend steht sie vor einem, die riesige Nordostwand des Badile. Hier sollte man sich seiner Sache möglichst ganz sicher sein, oder es lieber sein lassen.

Am 14. Juli 1937 stieg Riccardo Cassin bei besten Verhältnissen mit seinen beiden Partnern Vittorio Ratti und Gino Esposito in die Route ein. Zuerst ging es gut voran. Nach einem ersten Biwak etwa in der Wandmitte, schlossen sich die drei mit Mario Molteni und Giuseppe Valsecchi zusammen, welche ebenfalls vorhatten, die Wand erstzubegehen.

Riccardo Cassin um 1969. (Foto: Wikipedia)

Doch jetzt waren die fünf viel zu langsam unterwegs. Sie überwanden zwar am zweiten Tag die klettertechnischen Hauptschwierigkeiten im Mittelteil der Wand, mussten aber ein weiteres Mal im oberen Wanddrittel übernachten. In dieser Nacht ging ein heftiges Gewitter auf sie nieder. Der Badile ist 3300 m hoch. Es war eiskalt, Sturzbäche strömten die Wand hinunter, Hagelkörner blieben auf den Griffen und Tritten liegen. Die fünf wurden bis auf die Haut durchnässt.

Trotzdem kämpfte sich Cassin, immer am scharfen Ende des Seiles kletternd, bis zum Nachmittag des 16. Juli auf den höchsten Punkt des Berges. Noch immer gab es keine Wetterbesserung. Es stürmte und schneite ohne Unterlass. Im Abstieg auf der Südseite des Berges, waren Molteni und Valsecchi dermaßen geschwächt und unterkühlt, dass sie an Erschöpfung starben.

Es war das erste einer ganzen Reihe von haarsträubenden Ereignissen in jener legendären Wand. Vor allem diese alpine Geschichte zog mich in den Bann der Wand und ließ die oben erwähnten Emotionen aufkommen. Ich wollte sie unbedingt auch irgendwann einmal klettern. Aber die Wand hat bis heute kaum etwas von ihrer Ernsthaftigkeit eingebüßt. Und das hat gleich eine ganze Reihe von Gründen:

Ich bin nun wirklich nicht der große Hüttenkenner in den Alpen. Aber die Sasc Furä ist die schönste Hütte, die ich weiß! Und zwar nicht nur wegen ihrer Lage sondern auch wegen ihrer unglaublich freundlichen Wirtin.

Die Saison ist kurz am Badile. Oft liegt bis Mitte Juli Schnee auf den Einstiegsbändern. Und im September kleiden Kälteeinbrüche die Wand ganz rasch schon wieder in winterliches Weiß!

Die Wand ist steil, der Höhenunterschied ist beträchtlich, 1200 Klettermeter sind zu absolvieren. Bis der Kletterer auf die Nordkante trifft, sind es etwa 22 Seillängen. Von dort aus sind es dann noch einmal 4-5 Seillängen bis zum höchsten Punkt. Und dann muss man auch wieder runter von diesem Berg.

Zwar sind die Standplätze heute mit meist einem! Bohrhaken versehen, aber dazwischen muss man sich nahezu komplett selbst absichern. Dementsprechend sind reichlich Erfahrung bei der mobilen Absicherung, Intuition bei der Routenfindung sowie viel Routine in der Seilschaft mehr als ratsam. Man braucht in dieser Route auch eine Menge Kondition! Die Wand will einfach nicht enden!

Das nahezu immer mit abrutschbereiten Firnbatzen versperrte Band, auf dem man heute zum Einstieg der „Cassin“ gelangt.

Ganz wichtig ist auch, dass sich der Bewerber auf ein stabiles Wetterfenster verlassen können muss. Jedes Gewitter kann Schnee bringen selbst im Hochsommer. Und dann ist guter Rat teuer am Badile. Mal eben abseilen, ist gewiss keine Option. Die Route quert hunderte von Metern durch die Wand. Es bleibt nur die Flucht nach oben.

Sie flößt eine gehörige Portion Respekt ein diese Wand und ihre geschichtsträchtige Route. Und die epochale Leistung eines Riccardo Cassin, der an der Grenze des damals menschenmöglichen in geradezu unmöglichen Verhältnissen kletterte, können wir heute gar nicht genug bewundern.

14 Jahre bin ich um diese Wand herumgeschlichen. Mal hatte ich keine Zeit, mal fehlte mir der Partner, mal passte das Zeitfenster nicht zu den Verhältnissen oder zum Wetter oder zu beidem, mal grassierte ein bösartiges Virus. Doch im vergangenem Jahr war es endlich soweit.

Ende Teil 1

zum Teil 2

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