Klettern auf den Lofoten, Teil 3

Mir jedenfalls geht das genauso: Ich sehe einen Gipfel, schaue eine Wand hinauf, lese von einer Route, oder stehe ihr gegenüber und will dann unbedingt ran, hoch und rauf. Das kann gefährlich werden, vor allem, wenn man sich und seine Fähigkeiten überschätzt.

Auf dem Weg vom Zeltplatz zu den verschiedenen Kletterspots rings um Henningsvær kamen wir jeden Tag am unbestrittenen König unter den Granitriesen der Lofoten vorbei, dem Presten. Seine Südwand erhebt sich drohend und gleichzeitig verführerisch aus dem Fjord. Fast jedes Mal hielten wir an und blickten ehrfürchtig auf die Wand.

Die 500 m hohe Südwand des Presten im Profil. Will man einen Eindruck vermitteln von der Größe einer solchen Wand und womöglich auch von dem Gefühl, welches man dort drinnen als Kletterer hat, dann sollte man Mensch und Berg ins Verhältnis setzen. Doch gute Augen muss man als Betrachter eines solchen Fotos schon haben! Der Pfeil zeigt auf eine Seilschaft am Stand unter der berühmten 9. Seillänge, welche einen eigenen Name verliehen bekommen hat: „Slanting Corner“, was hier soviel heißt wie „Schiefe Ebene“.

Es gibt gleich einen ganzen Strauß von grandiosen Wegen durch diese Wand, aber nur einen einzigen, über den wir überhaupt nachdenken konnten. Und genau diesen studierten wir jeden Morgen und jeden Abend, wenn wir auf dem Weg zu unserem Zeltplatz waren und am Presten vorbei fuhren.

Diese Wand von ganz unten bis ganz oben zu durchsteigen – das wäre was! Dieser schon lichterloh brennende Wunsch wurde noch durch die Tatsache verstärkt, dass die einzige Route, die zwar denkbar aber eigentlich zu schwer für uns war, die Top-Route der gesamten Lofoten und auch darüber hinaus eine der besten in ganz Skandinavien sein sollte. Als schwärmerisch konnte man die Ausführungen zu ihr im Kletterführer bezeichnen.

Wenn der Presten überhaupt in Frage kommen sollte, dann mussten wir uns an die Schwierigkeiten, die uns in unserer Traumroute erwarten würden, heran arbeiten. Also kletterten wir, was das Wetter hergab: Zum Beispiel noch eine zweite, diesmal etwas schwerere Route am Djupfjord Pillaren: Die sieben Seillängen von „Child´s Play“, Janina in der 5. Seillänge, linkes Foto. Rechts klettere ich die Schlüsselseillänge von „Lundeklubben“ am Store Festvåg. (Foto: Janina Graeber)

Doch ich bin einfach kein guter Risskletterer. Die 9 Schrauben in meinem linken Fuß und das kaputte Sprunggelenk machen das Verklemmen und Verdrehen dieses Fußes in einem Riss zur Tortur. Das ist nun mal so. Ich versuche dann immer auf Wand zu klettern oder zu hangeln ehe ich den lädierten Fuß in den Riss hinein presse und verdrehe.

Und noch ein anderer Umstand machte diese Sache mit dem Presten vertrackt. Meine Sicherungsfrau wollte unbedingt diesen Weg klettern. Es kommt zwar oft vor, dass sie sich in irgendwelche Routen verguckt, die ich dann vorsteigen muss. Doch buchstäblich nie ist das bisher passiert, wenn eine Route dermaßen lang, anstrengend und schwierig ist, wenn Quergänge zu klettern sind und sie sich vollkommen auf meine Standbaukünste mit Keilen und Friends verlassen muss.

Janina (links) klettert am Pianokrakken, (Klavierhocker) die Route „Lys og Skygge“ (Licht oder Schatten). Rechts bin ich in der „Four Pitch Route“ am Store Festvåg in der letzten Seillänge unterwegs. (Foto: Janina Graeber)

Das waren typische Voraussetzungen, um in eine Entscheidungsfalle zu tappen. Denn die Antworten auf die Fragen, die man sich vor einer solchen Aktion stellen sollte, fielen wenig überzeugend aus.

Würden meine Kletterfreunde mir zu diesem Weg raten? Sie wären zumindest vorsichtig damit. Nähme ich mein eigenes Kind mit in diese Route? Sicher nicht! Wenn ein Unfall in dieser Route geschähe, könnte ich mich dann freisprechen, vor allem wenn ich selbst mein schärfster Richter wäre? Ganz sicher nicht! Sind meine Informationen über Wetter und Verhältnisse wirklich verlässlich? Halbwegs schon. Und was sagt dein Bauchgefühl? Das fühlte sich in etwa so an wie jenes vor meiner Fachtierarztprüfung bei meinem damaligen Chef als Prüfer.

Die Generalprobe sollte der „Myggapillar“ (Mückenpfeiler) am Vågakallen sein (links), schlechter abzusichern als unsere Wunschroute am Presten, ähnlich lang, aber ein wenig leichter in der Schwierigkeit. Hier kletterte ich mir zumindest etwas Mut an. Rechts Janina in einer der Schlüsselstellen der Route in Seillänge Nummer 8.

Und warum sind wir dann trotzdem eingestiegen? Lebensmüdigkeit? Selbstüberschätzung? Eitelkeit? Bis auf die vierte und fünfte war jede der restlichen 10 Seillängen über 40 m bzw. sogar mehr als 50 m lang. Hatte ich überhaupt genügend Material, um solche enorm langen Seillängen vernünftig absichern und anschließend auch noch einen bombensicheren Stand bauen zu können?

Ich weiß, dass mein Hauptargument für diese Entscheidung ganz sicher nicht mein Selbstvertrauen war, sondern der unentwegte Zuspruch meiner Sicherungsfrau, die mir immer wieder versicherte, sie glaube ganz fest daran, dass ich diese 500 m lange Trad-Route klettern könnte.

Die fast auf den Meter genau 500 m hohe Südwand des Presten (links) mit den eingezeichneten ersten 10 Seillängen unserer Route, des „Vestpillaren Direct“. Seillänge Nr. 11 und 12 sind hier auf dem Bild nicht mehr sichtbar. Rechts Janina in der ersten Seillänge.

Wir verbrachten die Nacht davor im Auto nicht weit vom Wandfuß entfernt. Wir wollten die ersten am Einstieg sein und wenn möglich nicht gleich die nachfolgende Seilschaft auf den Fersen haben. Das gelang schon mal nicht. Die zweite Seilschaft des Tages traf unmittelbar mit uns ein, obwohl es so früh noch bitter kalt war. Wir ließen ihnen ganz generös den Vortritt.

Schon die erste Seillänge in der morgendlichen Kälte, die Temperatur lag nur ein paar Grad über dem Gefrierpunkt, zeigte uns sehr deutlich, worauf wir uns hier eingelassen hatten. Besonders in sich hatte es aber Seillänge Nummer 3. Im Nachhinein vielleicht die schwierigste von allen. Genau in dem Moment als ich schlotternd vor Kälte und Angst am Stand ankam, flutschten die Seilenden durch Janinas Sicherungsgerät. Unsere beiden 50-Meter-Seile hatte gerade so gereicht und mein Gurt war wie leergefegt.

Links die sehr anstrengende 8. Seillänge, eine scheinbar endlose 40 m lange Hangelrippe. Rechts der skeptische Blick die 9. Seillänge hinauf. „Na ob das man gut geht?“ scheint sich Janina hier zu fragen.

Nach der 8. Seillänge hatte ich von der endlosen Hangelei inzwischen so dicke Arme, dass ich am Stand meinte, nicht einen Meter mehr weiter klettern zu können. Aber wir wissen ja inzwischen, dass man aus einer solchen Route nicht so einfach flüchten kann. Und zu allem Überfluss ist Nummer 9 noch mal so richtig schwierig und vor allem moralisch sehr anspruchsvoll, weil die zu kletternde Rissverschneidung überhängt. Die Friends baumeln alle nach unten aus der Rissverschneidung heraus. Das sieht gar nicht vertrauenserweckend aus.

Janinas Blick skeptischer Blick auf unsere Vorgänger am Stand vor der 9. Seillänge verriet, dass sie sich ernsthafte Sorgen um ihren Vorsteiger machte! Ganz zurecht, wie ich fand, denn man konnte hier eben nicht in den Riss treten sondern musste mit beiden Füßen mauerglatte Reibungstritte benutzen.

Links unsere Vorgängerseilschaft in der Nr. 9, „Slanting Corner“. Hier war Vertrauen in die Reibungstritte gefragt. Rechts hat Janina endlich einfacheres Gelände erreicht. Damit hatten wir auch die dritte Schlüsselseillänge hinter uns gebracht.

Ein weiteres Problem in dieser Seillänge war die Tatsache, dass der Riss auf fast der gesamten Länge sehr eng war. Jetzt fiel es mir wie Schuppen von den Augen, denn ich hatte mich die ganze Zeit gefragt, wieso unsere Vorgängerseilschaft so viele kleine Friends dabei hatte, die man nirgends einsetzen konnte. Als meine nach der Hälfte der Seillänge aufgebraucht waren, wusste ich es schlagartig. Unsere Vorgänger kannten diese Route also schon!

Doch dann war es irgendwann geschafft. Nach 10 Stunden non stopp-Kletterei standen wir überglücklich auf dem Gipfel des Presten. Es gab da oben sogar eine richtige kleine Party als noch eine dritte Seilschaft, die hinter uns geklettert war, den höchsten Punkt erreichte. Alle feierten ausgelassen unser (Über) Leben.

Das Gipfelfoto von uns haben unsere unbekannten, norwegischen Vorgänger gemacht, denen wir an den Ständen immer wieder begegneten, weil sie in ähnlicher Geschwindigkeit unterwegs waren wie wir. Wir feuerten uns die ganze Zeit gegenseitig an und sprachen uns Mut zu. Die einen von oben, wir von unten!

Ich habe selten soviel Kameradschaft bei Kletterern erlebt, wie bei dieser Tour. Alle waren in der Route sehr angespannt und nun umso fröhlicher. Die Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Rücksichtnahme der norwegischen Kletterer und natürlich vor allem ihre faire Art zu klettern, werden mir in ganz besonderer Erinnerung bleiben.

Doch auf dem Gipfel ist eine Tour nicht vorbei. Mehr als drei Stunden Abstieg lagen vor uns, der teilweise auch noch einmal unsere ganze Aufmerksamkeit erforderte.

Nachdem wir diese Route tatsächlich geklettert sind, meiner Sicherungsfrau sei Dank, bin ich natürlich sehr froh, denn es war tatsächlich die schönste und aufregendste Klettertour, die ich je gemacht habe, aber auch die anstrengendste und vor allem auch eine, in der ich wie kaum je zuvor meine Angst niederkämpfen musste. Doch genau das gehört ja zu einem Abenteuer immer dazu. Ohne Angst, Anstrengung und Unsicherheit gibt es auch kein Abenteuer. 

Vor allem aber habe ich einmal mehr erfahren, dass über das großartige und gleichzeitig sehr ernste Erlebnis einer ganz und gar fairen Begehung einer cleanen Route buchstäblich nichts geht! Diese Erkenntnis hat sich bei mir noch einmal vertieft, und so werde ich sicher bald wiederkommen zu den Granitriesen in Norwegens Norden.

Ende Teil 3 Klettern auf den Lofoten

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Wiedergekommen bin ich nun zurück an meinen Schreibtisch. Nach fast dreimonatiger Abwesenheit gibt es viel zu tun. Das erste Info-Treffen meiner Nepalgäste für nächstes Jahr steht am kommenden Wochenende vor der Tür. Dann muss ich natürlich sehen, was aus der Vortragspremiere im November wird. Noch bin ich aber zuversichtlich, dass wir diese auf die eine andere andere Weise durchziehen können. Es wäre auch wirklich Zeit, denn seit nunmehr 16 Monaten durfte ich keinen einzigen Vortrag mehr halten.

Endlich wieder da, der legendäre und so beliebte tapir-Flohmarkt. Am 25. September ist es soweit. Selbstverständlich werden die Coronaregeln beachtet, und es gibt eine Maskenpflicht.

Über eine andere Veranstaltung freue ich mich ganz besonders, weil sie nämlich ganz sicher stattfinden wird!

Endlich gibt es den tapir FLOHMARKT wieder! Am 25. September von 10 – bis 16 Uhr tobt die Verkaufsschlacht neuer und gebrauchter Ausrüstung zu unschlagbar günstigen Preisen im und um den ältesten und größten Leipziger Outdoorausrüster. Auch die Auktion, bei der Teile aus dem Mietfundus des tapir versteigert werden, wird es wieder geben. Um 13 Uhr geht es los. Was versteigert wird und wie hoch die Anfangsgebote sind findet Ihr HIER!

Vielleicht sehen wir uns ja am 25. September, ich würde mich freuen!

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8 Antworten

  1. Erhard Klingner sagt:

    Ich gratuliere zu den phantastischen Bergfahrten auf den Lofoten!!! Insbesondere Janina , ohne die…Schöner Text, sehr lehrreich, tolle Seilschaft! Freue mich auf einen Vortrag darüber. Bleibt gesund!

  2. Veronica sagt:

    Eine atemberaubende Geschichte, atemberaubende Bilder!

  3. Henry Pfeiffer sagt:

    Sehr schön ge(be)schrieben. Man ist dabei, hängt oder steht in der Wand. Viele Erinnerungen werden geweckt an frühere Zeiten und Erlebnisse. Herzlichen Dank für dies Teihabenlassen in Wort und Bild. Bleibt gesund und bitte mehr von allem.

  4. Egon Conzelmann sagt:

    Herzlichen Glückwunsch! Deine ergreifende Schilderung hat mich am grandiosen Erlebnis teilhaben lassen. Ich bin froh, dass Du weiterhin Beiträge erklettern kannst.
    An einem Vortrag über die Lofoten würde ich gerne teilnehmen.

    • Olaf Rieck sagt:

      Einen Vortrag über die Lofoten zu machen, ist wirklich eine gute Idee. Allerdings müsste ich dann noch ein paar Mal hinfahren. Einmal drei Wochen zum Klettern reicht für einen Vortrag leider noch nicht. Aber diese Vorstellung, einen ganzen Sommer dort zu verbringen, ist sehr angenehm! Vielen Dank für den Kommentar!

  5. Klettern auf den Lofoten ist grandios!

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