Berge verzeihen nichts

Es wird noch lange dauern, bis ich begreifen kann, dass es wirklich geschehen ist. In einer Pläsierklettertour im schweizerischen Gebiet Cheselenflue oberhalb der Stöckalp verunglückte Ralf Gantzhorn am 24. Juni tödlich. Ein Fehler beim Abseilen war offenbar die Ursache der Tragödie.

Ich traf Ralf zum ersten Mal persönlich im Juni 2015 auf dem Zeltplatz in Argentiére am Fuße des Mont Blanc. Ralf war dort, um für seinen Vortrag „Himmelsleitern – Große Grate der Alpen“ und seinen Westalpenführer zu klettern, zu recherchieren und zu fotografieren. Ich war dort, um eine Hochtour für meine DAV-Sektion auf den Mont Blanc zu führen.

Wir waren uns zwar noch nie begegnet, wussten aber beide voneinander. Und wir erkannten uns sofort als wir uns dort auf dem Zeltplatz rein zufällig trafen. Diese erste Begegnung war prägend für die vielen weiteren. Mir kam es von der ersten Minute an so vor, als würden wir uns schon Jahrzehnte kennen. Da hatten sich zwei alpenfern sozialisierte Flachländer getroffen, die versuchten, für und von ihrer Berg-Leidenschaft zu leben. Vielleicht hat ihn diese Gemeinsamkeit so für mich eingenommen.

Ich war vor allem ein Bewunderer von Ralf, weil er auf eine geradezu virtuose Art und Weise mit seiner Kamera umgehen konnte und ein brilliantes Auge für die Situation, das Licht und die Schönheit der Berge besaß. Seine Fotos sind große Kunst und haben mich sehr inspiriert.

Richtig bewerten kann das nur, wer selbst in schwierigen Touren mit klobiger Kameraausrüstung unter Stress und Zeitnot brauchbare Fotos kreieren muss, ohne die ganze bergsteigerische Unternehmung zu gefährden. Das schaffte Ralf wie kaum ein anderer. Und als wäre das nicht schon Begabung genug, konnte er auch noch unverkrampft und häufig mit erfrischendem Humor Berichte und Artikel schreiben.

Gerade jetzt war er auf dem Höhepunkt seiner Kunst und auch deren Anerkennung angelangt. Seine Fotos und Reportagen wurden nahezu ständig von allen großen Bergsportmagazinen im deutschsprachigen Raum angefragt.

Bei Ralf (links) zu Hause in Hamburg. Wir durchstöbern gerade seine unzähligen Sarmiento-Fotos.

Unsere zweite Begegnung wenige Monate später ist mir ebenfalls in ganz besonderer Erinnerung. Mein Bergfreund Falk Liebstein hatte mich gefragt, ob wir gemeinsam eine neue Route auf den Monte Sarmiento in Feuerland versuchen wollen. Doch dieser Berg ist nicht mehr und nicht weniger als einer der schwierigsten und abweisendsten Gipfel der Erde. Trotzdem war ich sofort Feuer und Flamme für dieses Projekt. Und so wie immer vor einer großen Unternehmung gingen wir auf die Suche nach Informationen.

Wir wussten, dass Ralf weltweit der beste Kenner dieses Berges ist und fragten an, ob er uns bei der Vorbereitung helfen würde. Allerdings hätte ich mich nicht gewundert, wenn er diesbezüglich zurückhaltend gewesen wäre. Der Sarmiento war sein großes Lebensprojekt. Mehr als ein halbes Dutzend Mal hat ihn dieser Berg abgewiesen. Aber genau das Gegenteil war der Fall. Er lud uns zu sich nach Hause ins ferne Hamburg ein und breitete sein gesamtes Wissen vor uns aus. Er war in jeder Hinsicht ein äußerst großzügiger Mensch. Er stellte uns nicht nur seinen besten Whiskey, sein Haus und alle Informationen zur Verfügung, sondern ich durfte mir auch noch Fotos vom Sarmiento aussuchen, die er mir zur freien Verwendung auf meiner Homepage und meiner Facebookseite quasi schenkte.

2010 war Ralf mit Jörn Heller und Robert Jasper am Monte Sarmiento unterwegs. Eine Besteigung des Hauptgipfels war ihnen nicht vergönnt. Aber beim Aufstieg auf den etwas leichteren und niedrigeren Westgipfel schoss Ralf dieses Foto von der Südseite des Hauptgipfels durch die unsere Route führt, welche aber auch wir leider nicht ganz bis zum Gipfel vollenden konnten. Ralf überließ mir ohne weiteres dieses für mich extrem wichtige Bild zur freien Verwendung, zeigt es doch ganz besonders eindrucksvoll die Steilheit und Schwierigkeit der oberen knapp 500 Wandmeter, die wir durchsteigen konnten.

In den nächsten Jahren trafen wir uns regelmäßig wieder. Wenn ich im Norden auf Vortragstournee war, stellte er mir seine Wohnung zum Übernachten zur Verfügung, übrigens auch bei seiner nicht gerade seltenen Abwesenheit. Er besuchte meine Vorträge und ich seine, wenn er hier im Osten Station machte. Ich weiß auch, dass er mich und meine Präsentationen, wo immer es ihm angebracht erschien, bei seinen Auftraggebern empfahl.

Doch bei all seinen bergferneren Talenten war er vor allem ein ausgezeichneter und äußerst erfahrener Allroundbergsteiger. Das hat mich an ihm am meisten fasziniert, denn das Klettern und Bergsteigen wurde ihm genau wie mir nicht in die Wiege gelegt. Er war so wie ich ein Späteinsteiger.

Seine Professionalität bei allem was er tat, sein bemerkenswerter Fleiß, seine Art zu fotografieren als auch sein entspanntes und freundliches Wesen werden mir immer ein Vorbild bleiben.

Ich werde noch lange um Dich trauern und vermisse Dich sehr!

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5 Antworten

  1. Veronica sagt:

    So traurig …… Und es tut mir sehr leid, dass du so einen guten Freund verloren hast ….

  2. Detlef Weyrauch sagt:

    Ich habe Ralf persönlich kennen gelernt, als er vor 4 Jahren seinen Vortrag „Himmelsleitern – große Grate der Alpen“ anlässlich unseres 130-jährigen Jubiläums der Sektion Halle (Saale) des DAV präsentierte. Er war mir gleich sehr sympathisch. Seine Bergfotos, die zumeist unter sehr schwierigen Bedingungen entstanden sein mussten, fand ich außergewöhnlich. Es waren teilweise richtige Kunstwerke. Auch seine Text- und Fotobeiträge in der DAV Panorama und anderen Publikationen habe ich immer sehr gerne verfolgt. Es ist unendlich traurig, dass er nicht mehr unter uns weilt.

  3. Thomas Schmidt sagt:

    Ich werde Ralf auch für immer in bester Erinnerung behalten:
    Sein jüngster Vortrag “Himmelsleitern – Große Grate der Alpen” hat mich sehr bewegt…

  4. Dunia sagt:

    Sehr beeindruckende und schöne Charakterisierung eines Freundes… Mein Beleid, man hört heraus, wie nah Dir sein Verlust geht.

  5. ulf sagt:

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