Boys auf Berg

Um drei Uhr klingelt der Wecker. Aber die Nacht war natürlich schon viel eher zu Ende. Ich habe mich bestimmt zwei Stunden vorher schlaflos in meinem Daunensack herum gewälzt und auf das Klingeln gewartet.

Trotzdem dauert es danach noch fast 20 Minuten bis ich genug Willenskraft gesammelt habe, endlich in die Eiseskälte hinauszukriechen und mit dem Kochen zu beginnen. Diese morgendlichen Willenskraftakte vor einem Gipfelgang sind für mich immer ziemlich quälerisch. Ich bin wärmeliebend und diesbezüglich wohl eher zum Surflehrer als zum Höhenbergsteiger geboren.

Es herrscht strenger Frost im Zelt. Die blöde Stirnlampe ist verschwunden. Wo zum Teufel hab ich sie hingelegt? So groß ist das Zelt doch nun auch wieder nicht. Der Kocher hat ebenfalls so gar keine Lust, zu funktionieren. Die Zeit rennt mir davon.

Wehe, wenn ich nicht pünktlich um fünf Uhr gestiefelt und gespornt abmarschbereit bin. Meine beiden Jungs müssten dann frierend im Frost auf mich warten und würden fast schlagartig auskühlen. Sie würden zwar nichts sagen, aber ich wüsste genau, was sie denken. Und das mehr als zurecht! Immer wieder habe ich gepredigt, dass man niemals unpünktlich sein darf beim morgendlichen Aufbruch und nun bin ich selber im Verzug.

Was ist mit dem Kocher los? Wo ist die Zahnbürste? Ich muss was essen, doch ich habe wirklich keinen Hunger und schon gar keinen Durst. Trotzdem müssen vier von meinen großen Tassen ausgetrunken werden, da beißt die Maus keinen Faden ab. Auch das ein Kraftakt. Das einzige Getränk, welches mich nicht anwidert, ist richtiger Kaffee. Aber genau den sollte ich gerade nicht trinken. Ich tue es trotzdem, obwohl ich weiß, dass ich gleich auch noch zur „Toilette“ muss.

Ein typischer Morgen vor dem Aufbruch. Jeder, der schon mal mitten in der Nacht zum Gipfel aus einem Hochlager aufgebrochen ist, kennt das. Es gehört zum Bergsteigen, wie der Eispickel.

Die erste noch relativ unschwere Seillänge im Eis endete in einer großen Nische, von der aus nur noch senkrechte Wände weiter nach oben führten.

Doch gewöhnen werde ich mich nie daran. Genauso wie ich mich niemals daran gewöhnen werde, aus meinem Zelt hinaus zu kriechen, in eine Welt hinein, die monden ist, wie Rilke sagt. Mich umgibt eine Kulisse, die mir die Tränen in die Augen treibt. Kein Laut ist zu hören. Wir stehen da und sind erschüttert über so viel Pracht. Und ich schäme mich über meine kleinliche Wut auf den meuternden Kocher.

Wir brechen auf. Das Wetter ist perfekt. Eisige Kälte und keine Wolke am Himmel. So soll es sein. Alles läuft wie am Schnürchen. Wir wissen um unsere guten Chancen, funktionieren wie auf das Höhersteigen programmierte Maschinen. Jeder geht für sich. Wir reden nicht, wir steigen.

Schon nach knapp drei Stunden erreichen wir das Ende des felsigen Abschnittes unseres Westgrates. Jetzt geht es über einen Schneegrat weiter aufwärts, dann folgt eine Firnflanke, dann wieder ein Grat.

Jetzt stehen wir vor der drohend aufragenden Eiswand. Ein gewaltige dunkle Wand aus purem, absturzbereitem Eis. Doch für uns hat sie ihren Schrecken verloren. Ein Lebensfaden durchzieht sie, und er ist weder dünn noch aus Seide. Wir klinken unsere Steigklemmen ein und in einer reichlichen Stunde liegt der Angstwall hinter uns.

Der Ausstieg auf das riesige Firnplateau zwischen den beiden Gipfeln ist dann doch noch ein bisschen heikel, aber ich kann die wenigen Meter bis ins leichte Gelände mit einer Eisschraube absichern.

Jetzt kommt nur noch Fleißarbeit. Mit Spaltengefahr wissen wir umzugehen, auch die zwischen 50 und 60 Grad steile, etwa 400 Höhenmeter umfassende Firnflanke zum Gipfel scheint zwar einfach nicht enden zu wollen. Doch wir können sie alle drei souverän klettern.

Zuerst befestige ich noch zwei Mal unser Bergseil in der Flanke, dann gehen mir die Snowbars aus. Wir klettern seilfrei. Doch auch das ist kein Problem mehr. Wir drei steigen noch immer wie die Maschinen.

Dann beginnt sich das Gelände abzuflachen. Der höchste Punkt ist nicht mehr fern. Und plötzlich bin ich oben. Die erste halbe Stunde ganz allein. Dann kommen meine beiden Jungs.

Drei „Boys auf Berg“. Da ich ja mit zwei ziemlich jungen Leuten unterwegs war, gab es neben regelmäßigen Expeditionstreffen via Skype natürlich auch eine Whats-App-Gruppe. Und die hieß so. Und nun waren wir tatsächlich auf unserem Berg.

Wir sind wahre Glückspilze. Es weht kaum Wind, der Himmel ist wolkenlos, die Fernsicht grandios. Doch das euphorische Gipfel-Hochgefühl kann sich jedenfalls bei mir nicht einstellen. Dazu ist der Rückweg zu weit. Der höchste Punkt eines Berges ist immer erst die halbe Miete.

Und noch etwas anderes lässt mich sehr angespannt bleiben. Ich habe die Drohne und vier Akkus hier hinauf getragen. Ich würde sie gerne starten. Doch kann das überhaupt funktionieren? Ganz windstill ist es leider doch nicht. Und wird sie in 6543 m Höhe abheben? Ich will sie nicht verlieren.

Dann wage ich es, und sie fliegt! Dieses kleine Teufelsding, es fliegt. Bis auf 6700 m jage ich sie hinauf. Sie fliegt, sie filmt und fotografiert. Es ist der Wahnsinn. Was müssen das für Bilder sein!

Zwei Akkus mache ich leer, doch ich will nicht alle vier aufbrauchen, weil ich unten im Eiswall noch einmal filmen möchte, wie die beiden Jungs abseilen und die Seile abbauen.

Dann machen wir uns auf den Rückweg. 80 Prozent aller Unfälle am Berg geschehen im Abstieg. Wir wissen das. Dementsprechend sorgfältig sind wir unterwegs. Das ist auch der Grund, warum der Abstieg fast solange wie der Aufstieg dauert. Außerdem wird jetzt auch noch mehr fotografiert. Das Abendlicht ist toll.

Unten im Eis lasse ich, wie geplant, die Drohne noch einmal aufsteigen und filme die Jungs in der Eiswand. Doch leider zwingt die Warnung, dass die Akkus zu kalt sind und ein spontaner Absturz drohnt, zur unfreiwillig raschen Landung.

Hochkonzentriert geht es weiter abwärts, inzwischen im Stockfinstern. Kurz vor dem Erreichen von Lager 2 gibt es noch ein kleines aber ernstes Problem. Die Funkzeit ist heran, doch unser Funkgerät hat seinen Geist aufgegeben. Das gab es noch nie. Zu kalt? Kaputt? Die Batterien sind natürlich neu. Wir müssen unsere Basislagercrew in Sorge um uns lassen, können nichts tun.

Kurz nach 20 Uhr erreichen wir die Zelte von Lager 2. Die Anspannung fällt aber noch lange nicht von mir ab. Das passiert frühestens am nächsten Tag. Denn jetzt muss ich unbedingt noch einige Stunden kochen und trinken und dabei möglichst nicht einschlafen. Das ist überlebenswichtig, und so ein umgekippter Topf Suppe über meinem Schlafsack wäre schon eine mittlere Katastrophe.

Doch auch dieser Kelch geht an mir vorüber. Und dann endlich erlaube ich mir, einzuschlafen…

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22 Antworten

  1. Veronica sagt:

    Herzlichen Glückwunsch „Boys auf Berg“!!! Eine spannende Geschichte und ich bin natürlich sehr neugierig auf die Bilder der Dröhne!! Kommt gut wieder runter vom Berg!!

  2. Jens K. sagt:

    Hi Olaf und Sven, hi Jacob,
    das habt Ihr ganz souverän und wunderbar gemacht! Gratulation! Super Gipfelfoto.
    Tja, wenn das Wetter passt, scheint Euch nichts aufhalten zu können.
    Und nach so viel Pech in den letzten Jahren musste es ja mal wieder mit gutem Wetter passen.
    Aber noch seid Ihr nicht ganz unten. Also, Obacht und einen guten Abstieg und glückliche Heimreise.
    Beste Grüße aus Cottbus (bei 20°C)
    Jens

  3. Alex Krüger sagt:

    Super gemacht! Glückwunsch an das Trio! Kommt gut wieder runter und gebt acht…
    Beste Grüße aus dem frühlingshaften Berlin (23 Grad)
    Alex

  4. Laureen "Schappi" Schaper sagt:

    Die Boys sind auf’m Berg, yaaay!!!
    Ich freue mich ganz doll für Euch und hoffe, ihr konntet Euren Gipfel-Moment voll auskosten und genießen.
    Ich wünsche Euch einen sicheren und entspannten Abstieg und schon ein bisschen Vorfreude auf die Heimat!
    Bis ganz bald :3

  5. Holger Weigelt sagt:

    Herzlichen Glückwunsch! Klasse gemacht! Ich bin jetzt schon auf die Bilder gespannt. Und natürlich auf den Vortrag!
    Grüße aus Heiligenstadt
    Holger

  6. Christina sagt:

    Wow,Glückwunsch.Möge alles gut gehen und ihr heil zu Hause ankommen.liebe Grüße

  7. Ralf Brummer sagt:

    Toll gemacht. Glückwunsch! Genießt den Erfolg. Ralf

  8. Lothar Eichelbaum sagt:

    Super Jungs. Meinen Glückwunsch.

  9. Janina sagt:

    Hi ihr Drei,
    Glückwunsch! Ich bin super stolz auf euch. Einfach fantastisch!
    Tausend Küsse an meinen Liebsten! 😉
    Viele Grüße, Janina

  10. Axel Püschel sagt:

    Herzlichen Glückwunsch! Seid stolz auf Euch und kommt gut wieder zurück.

    Viele Grüße aus der Hauptstadt
    Axel

  11. Petra & Stephan Seifert sagt:

    Gratulation zum Gipfel! Viel Glück und alles Gute beim restlichen Abstieg und auf dem Heimweg.

    Petra & Stephan

  12. Christian P. sagt:

    Glückwunsch zum Gipfel. Ich habe immer daran geglaubt, dass Ihr das schafft. Tolle Leistung! Ich freue mich mit Euch.
    Viele Grüße
    Christian

  13. Karin Gaete sagt:

    Tolle Leistung, herzlichen Glückwunsch an Euch drei ! Kommt gesund runter und genießt dann den Erfolg. Grüße aus der Heimat, Karin!

  14. Jana sagt:

    Herzlichen Glückwunsch an euch drei! Super gemacht, tolles Team, grandioses Wetter! Ich freu mich mit euch!
    Genießt die noch verbleibenden Tage und lasst es euch gut gehen, das habt ihr euch redlich verdient.
    Herzliche Grüße aus Bayern
    Jana
    PS: Danke für die Postkarte! Sie bekommt – wie schon alle anderen Expeditionskarten – wieder einen besonderen Platz!

  15. Mirkel, Papa, Perle, Ludi, Friedemann,Karl, Kurt, Emil .... sagt:

    Hallo Ihr 3,
    freuen uns mit Euch und werden – um euch zu ehren – ein Gläschen Porti auf euren Erfolg und den sicheren Heimweg
    trinken. Aber auch, weil uns die Sorge um euch gerade herabgleitet.
    Bis hoffentlich bald – die Schwanefelder

  16. Petersein sagt:

    Lieber Olaf, wir freuen uns für Euch 3, dass Ihr es geschafft habt und dann Drohnentierchen brav seine Aufgabe erledigt hat. Erholt Euch gut von den Anstrengungen und kommt gesund heim. Wir freuen uns auf ein entspanntes Wiedersehen! Herzliche Grüße- Anne und Jens

  17. Herbert Wolf sagt:

    Hallo zusammen, Gratulation, gut gemacht….

  18. Jens sagt:

    …nochmal der Jens von der Anne ;)) – Du weisst schon, dass Du/Ihr nicht allein erneut über Euch hinausgewachsen seit?! Auch die DJ-Mavic hat es getan (wenn man das so sagen kann).
    Du hast mit der Drohne einen neuen Höhenstart-und Flugrekord eingestellt! Laut Hersteller, kann diese bis ca 5000Meter über Geoid starten und fliegen. Wir haben es im Himalaya, während unserer Trekkingtour, immerhin auf 5300Meter gebracht.
    Der inoffizielle Rekord (laut goole-Recherche) lag bisher bei maximal 5800Meter. Und nun 6700Meter!!
    Hammer 😉 in jeder Hinsicht und ich bin schon total auf das Material gespannt, die Aufnahmen, welches Du gefilmt und fotografiert hast.
    So – aber jetzt kommt erst einmal gesund und munter wieder nach hause (das ist eh das Wichtigste) – und wir freuen uns auf Euch!!
    LG
    Jens

  19. Detlef Weyrauch sagt:

    Herzlichen Glückwunsch an die 3 Boys zum Gipfel. Eine tolle Leistung. Ich breche morgen auf nach Tansania. Auf meine alten Tage will ich mich an der Besteigung des Kilimandscharo versuchen, der von der Schwierigkeit natürlich viele Nummern kleiner ist als euer Berg. Olaf, auf deinen Vortrag in Halle freue ich mich schon.
    Viele Grüße Detlef

  20. Jörg G. sagt:

    Herzlichen Glückwunsch, ich bin sehr froh, dass alles gut gelaufen ist und wünsche euch eine glückliche Heimkehr!

  21. ASK sagt:

    Herzlichen Glückwunsch und eine gute Heimkehr.
    Grüße aus Hannover
    Michael

  22. Lukas Kriegler sagt:

    Hab jetzt erst den Blog entdeckt, nachdem ich mich wieder mal gefragt habe, wie es euch eigentlich geht. Herzlichen Glückwunsch. Freut mich sehr, dass alles geklappt hat!!!
    Chapeau.

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