Des Rätsels Lösung

Es hat Gott sei Dank nicht die ganze Nacht geschneit. Wir sind also aus unserem Zelt rausgekommen und auch weitergelaufen. Doch das stand auf der Kippe. Nawang, unser Shirdar, und auch die Porter selbst haben entschieden, den Versuch zu machen.

Ihnen da rein zu reden, ist übrigens fast immer anmaßend. Bei solchen Entscheidungen spielen Dinge eine Rolle, die unsereins häufig nur schwer beurteilen kann. In diesem Falle war der Grund für den einhelligen Entschluss zum Aufbruch klar. Auf der Etappe von Panch Pokhari zum nächsten Tagesziel Kothe ging es 700 Höhenmeter hinunter. Das ist für die Träger Grund genug, einiges zu wagen. Der Lohn dafür ist Wärme. Leider war es aber gar nicht warm in Kothe, sondern nasskalt und regnerisch. Das Wetter meint es seit drei Tagen nicht mehr gut mit uns. Im Tal ist es nass, auf den Bergen schneit es.

Ich bin natürlich froh, dass wir keine Zeit durch den sehr eindrücklichen Wettersturz verloren haben. Noch mehr freut es mich aber, dass all unsere Porter diesen schwierigen Abstieg im Schnee heil überstanden haben.

Wenn irgend etwas schief läuft zu Hause, oder ein Problem unlösbar erscheint oder eine Aufgabe besonders unangenehm ist, dann hilft mir oft, an Träger zu denken, die ihre Last mit minimaler Ausrüstung unter schwierigsten Bedingungen acht Stunden lang von A nach B tragen müssen.

Wir nähern uns nun mit großen Schritten unserem ersten Ziel. Heute sind wir in Tangnag eingetroffen. Von hier sieht man schon den Mera La, also den Pass, von dem aus der Mera Peak bestiegen wird. Und der Berg selbst ragt mit seiner fast 2000 m hohen, sehr steilen Nordwestwand direkt über unserem Lagerplatz auf. In zwei Tagen werden wir im Basislager eintreffen. Der Mera ist zum einen unserer Akklimatisationsgipfel. Er gilt als technisch einfach und objektiv sicher. Aber er misst immerhin fast 6500 m. Zum anderen ist er natürlich ein guter Test für uns alle. Wie werden wir als Team dort oben funktionieren und wie sind wir konditionell drauf?

Zu den vielen Dingen, die mich auf dem Marsch hierher beeindruckt haben, gehört vor allem auch der Weg selbst. Und dabei meine ich das, worauf man hier läuft. Was macht ein Weg wie dieser in einer Gegend wie dieser? Eine Dutzende von Kilometern lange steinerne Trasse, auf der man sich alle paar hundert Meter aufs neue fragt, wer diese Millionen von Steinen bewegt und aufeinander geschichtet hat. Und vor allem wozu? Wenn wir in den letzten Tagen fünf Menschen auf diesem Weg begegnet sind, so ist das aufgerundet.

Das was hier auf dem Bild womöglich ziemlich unscheinbar aussieht, hat mich über viele Tage sehr beschäftigt. Diesen Weg über soviele Kilometer mit bloßen Händen und Brechstange dermaßen komfortabel auszubauen, ist eine ungeheuere Leistung.

Hier müssen keine Touristenhochburgen versorgt werden, hier gibt es weit und breit keinen Basar und zum Kalar Pattar gehts hier auch nicht. Mich macht so was ja ganz nervös.

Die Auflösung dieses Rätsels war ein See kurz vor Panch Pokari, der eine bedeutende hinduistische Pilgerstätte ist. Jedes Jahr im Juni kommen viele tausende Pilger an diesen heiligen Ort. Sie opfern hier ihren drei wichtigsten Göttern: Vishnu, Brahma und Shiva. Es musste ja irgendeine Erklärung für den Weg geben.

Unsere verlängerte Anmarschroute zum Mera Peak war wirklich etwas ganz besonderes. Thomas sagte gestern, dass sich für ihn die Reise nach Nepal schon allein wegen dieses Weges mehr als bezahlt gemacht hat.

Nach 1000 m Abstieg befanden wir uns dann plötzlich wieder im Dschungel, der auch eine ganze Menge Schnee abbekommen hat. Dieser Wettersturz war wohl schon ziemlich heftig für diese Jahreszeit. Und so richtig zu Ende ist er immer noch nicht.

Und ich habe in den vergangenen Tagen festgestellt, dass es offensichtlich einen ganz besonderen Reiz auf mich ausübt, auf einsamen und ganz ursprünglichen Pfaden unterwegs zu sein. Durch Dörfer zu kommen, wo die Kinder noch weglaufen, wenn sie einen Ausländer sehen. Menschen zu treffen, die sich wie Kinder freuen, wenn man sie fotografiert und sie sich anschließend sofort auf dem Kameramonitor anschauen können. Oder hier und da Kranken helfen zu können, die noch nie in ihrem Leben einen Arzt zu Gesicht bekommen haben.

Diese Tour, die ich hier gerade unternehme, wird sich in dieser oder einer ähnlichen Variante ganz bestimmt in den nächsten Jahren auch in einem Angebot für meine Gäste wiederfinden. Allein deshalb hat sich auch für mich die ganze Sache schon zu diesem Zeitpunkt gelohnt.

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4 Antworten

  1. Henry sagt:

    Sehr geehrter Herr Dr. Rieck,

    die Berichte und Bilder sind wirklich super, vielen Dank dafür! Nach meiner Reise nach Nepal im letzten Jahr verfolge ich Ihre Beiträge sehr aufmerksam. Eine Frage hätte ich jedoch, was für eine Kamera nutzen Sie unterwegs und ggf. auch am Berg auf großen Höhen? Auch bei mir steht demnächst eine Anschaffung an, daher die Frage.

    viele Grüße und weiterhin viel Erfolg
    Henry

    • Alexander Graeber sagt:

      Hallo Henry,

      ich antworte im Auftrag von Herrn Rieck. Er kann leider unterwegs auf der Expedition die Kommentare nur lesen – jedoch nicht direkt antworten, da er per Satellitentelefon keinen Internetzugang hat.
      Herr Rieck verwendet eine Canon 5D Mark II für alles ausser weit oben am Berg. Dort ist es eine Canon G12.

      Viele Grüße,
      Alex.

  2. Thomas sagt:

    Super tolle Aufnahmen!
    Gruß Thomas

  3. Lieber Olaf, es ist wirklich immer wieder sehr beeindruckend, Deine Berichte zu lesen! Und dass Du dafür und für die Dinge „am Rande“ Dir so viel Zeit nimmst. Meine Anerkennung; und: tolle Webseite! Herzliche Grüße von Erhard
    Mit was für eine Kamera machst Du die Bilder? (vertraulich?, ich behalts für mich)

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