Ein geiler Job

In einer Werbung für einen großen Energieerzeuger sagt Otto Sander mit seiner einmalig sonoren Stimme: „NEUE ENERGIE“! Daran musste ich ständig denken als ich am Wochenende gemeinsam mit Urs Zeller am Sächsischen Sandstein in Rathen geklettert bin. Urs hatte ein verlängertes Kletterwochenende bei mir gebucht. Aber es war nicht irgendein Wochenende, sondern DAS Wochenende. Der Wetterbericht versprach perfekte Kletterbedingungen und hat das dann auch gehalten. (Womöglich ist der Knoten jetzt endlich geplatzt und das schlechte Wetter verfolgt mich nicht mehr?)

Auf dem Gipfel des Vexierturms. Im Hintergrund etwas links der Bildmitte unser erstes Ziel an diesem Wochenende: Der Talwächter von Südwesten aus gesehen.

Von Urs wusste ich, dass er kletterhungrig ist und dazu ein Naturtalent in dieser Disziplin. Er wollte möglichst oft auf möglichst hohe Gipfel steigen, soviel war klar. Das kam mir natürlich entgegen, denn nach einem ganzen Sommer Kletterabstinenz wollte auch ich klettern, klettern, klettern. Wir tasteten uns an die großen Wege aber erst heran. Ich musste Urs schon noch testen, wie er die ausgesetzten Klettereien, die Höhe und die vielen Klettermeter so wegsteckt. Darum gingen wir zuerst an den Talwächter, Ostkante. Anschliessend machten wir die Lokomotive unsicher und kletterten hier die Südkante und danach die Südwest-verschneidung. Alles Wege im 6. Schwierigkeitsgrad. Urs war beim Klettern unerschütterlich. Doch der Blick von der Lok hinüber zur Weinertwand am Vexierturm erschütterte ihn.

Urs im linken Bild an der Schlüsselstelle der Weinertwand. Er meisterte sie gleich im ersten Versuch. Naturtalent eben. Rechts am zweiten Ring. Dort muss nachgeholt werden, sonst reicht auch das 70-Meter-Seil nicht.

In dieser gewaltigen Wand war eine Dreierseilschaft unterwegs. Und nur weil die Kletterer dort bunte T-Shirts anhatten, konnte man die winzigen Menschen in dem Sandsteinmeer überhaupt erkennen. Dort wollte er hin. Na ja, von der Schwierigkeit her mit 7 c vielleicht nicht das Problem, von meiner Kraftausdauer aber nach neun Wochen Pakistan eventuell schon. Doch der Kunde ist König! Ausserdem würde ich nach diesem Weg gleich mal wissen, wo ich stand. Aber es lief besser als ich dachte. Urs stieg souverän nach, und ich war mit mir ganz zufrieden.

Am nächsten Tag konnten wir deshalb so weiter machen. Ich führte meinen Gast zur Steinschleuder. Hier gibt es einen meiner absoluten Favoriten unter den Kletterrouten in der Sächsischen Schweiz. Der Herbstweg mit der Ein- und Ausstiegsvariante.

Für mich eine der schönsten Routen in der Sächsischen Schweiz. Herbstweg an der Steinschleuder in der begradigten Variante. Eine Riesenwand über der Elbe, gutes Gestein, atemberaubender Tiefblick, einigermaßen gesichert, Blick über das Elbtal. Einfach großartig!

Eine tolle Linie. Fast lotrecht geht es hinauf. Doch als wir ankamen, stieg gerade eine andere Seilschaft ein. Wir hatten uns beim Zustieg noch den Mönch angeschaut und kamen nun zu spät. Also kletterten wir zuerst die Südverschneidung, einen Nachbarweg. Der allerdings war leider etwas sandig und kein so toller Genuss. Jedenfalls nicht für mich. Urs fand ihn aber trotzdem gut. Doch der Herbstweg, der dann anschliessend dran kam, entschädigte mich wieder. Am Abend kletterten wir sozusagen zum Tagesausklang noch den Elbweg und den Sonnenweg am Neurathener Felsentor. Zwei kleine aber feine Siebener, die mir mein Freund Christian Pech empfohlen hatte.

Am dritten Ring im Herbstweg wird nachgeholt. Ein Wahnsinnsplatz da oben mitten in der Wand. Auf dem Gipfel der Steinschleuder liegt einem nicht nur das Elbtal sondern die gesamte Sächsische Schweiz zu Füßen.

Urs in der Südwand am Türkenkopf. Souverän gemacht und trotzdem festgestellt, dass Vor- und Nachstieg doch zwei ganz unterschiedliche paar Schuhe sind.

Gestern, am dritten und letzten gemeinsamen Tag ging es zu den Höllenhunden. Damit waren schon einige Hotspots in Rathen abgearbeitet. Zur Einstimmung kletterten wir die Südkante am Sechserturm und anschliessend die Gehobene Mittelklasse am Höllen-hundwächter. Doch unser eigent-liches Ziel war an diesem Tag etwas anderes.

Urs mußte unbedingt auch mal das Vorsteigerfeeling zu spüren bekommen. Er kletterte die ganze Zeit ohne den geringsten Wackler und schien auch kaum zu ermüden. Wir beide hatte hunderte von Klettermetern abgespult, und er musste als Nachsteiger Dutzende von meinen Schlingen wieder aus den Rissen herausfummeln. Doch dabei lernt man das Schlingenlegen natürlich am besten. Drei Tage lang hatte er das unermüdlich und klaglos getan. Deshalb meinte ich, dass er für seinen ersten Vorstieg nun gerüstet war.

Also gingen wir zum Türkenkopf. Hier gibt es mit der Südwand einen Weg, der immerhin einen Ring aufweist und über Knoten- und Bandschlingen bestens abgesichert werden kann. Schwer ist er auch nicht, für Urs jedenfalls kletter-technisch kein Problem. Ob er allerdings mit dem Schlingenlegen und der Vorstiegsangst zurecht kommen würde, dass war noch nicht so ganz klar. Ausserdem sollte es auch gleich eine echte On-Sight-Begehung werden. Er würde in einen ihm völlig unbekannten Weg einsteigen und alles selbst absichern. Und er hat das auch ganz prima hinbekommen. Aber ich habe nichts anderes erwartet.

Urs ist jetzt einer, der nun vielleicht weiss, wie es sich anfühlt, aus einer tollen Route auf den Gipfel auszusteigen und diese Energie zu spüren, die mir dabei jedes Mal zufließt. Lebenskraft wird aufgeladen. Ich fühle mich nirgendwo so lebendig wie beim Klettern. Jeder, der das einmal gespürt hat, wird süchtig werden nach dem nächsten Schuss NEUER ENERGIE. Bei mir wird es nicht lange dauern, bis sich die Enzugserscheinungen wieder einstellen werden. Und bei Urs auch nicht 🙂

 

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Eine Antwort

  1. Jochen Zscherper sagt:

    Ja der Urs! Wer im Karakorum einen Ingo am Kragen aus dem Sulzschnee zog, der kann auch am Türkenkopf den Olaf mal nachholen.
    Das meint Jochen.

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