Am Limit

Es gibt ein gute und auch ein paar schlechte Nachrichten. Fangen wir mit der guten an. Gestern haben wir alle, also acht Gäste, mein nepalesischer Freund Kumar, Kartsang, ein zusätzlich engagierter Sherpa, fünf Träger und ich den Renjo Pass überschritten. Ich glaube, es war wohl für die meisten meiner Gäste der härteste Tag ihres Lebens. Aber der Reihe nach: Als ich morgens um Fünf vor unsere Herberge trat, um nach dem Wetter zu sehen, da ahnte ich schon, was uns bevor stand. Noch in meinem Schlafsack hatte ich nach dem Luftdruck geschaut. Die Kurve zeigte deutlich nach unten. Und so war genau das eingetreten, was ich an Tagen wie diesem am meisten fürchte. In der Nacht hatte es Schnee gegeben. Nicht wirklich viel, vielleicht 15 oder 20 cm. Aber das reicht aus, einen Weg wie unseren für alle zu einer Tortur werden zu lassen, vor allem jedoch für die Träger und besonders auf dem Abstieg.

Als ich morgens aus der Hütte sah, waren die Berge noch wolkenverhangen. Doch wenig später präsentierten sie sich in ihrer ganzen Schönheit. Der Luftdruck begann auch wieder, zu steigen.

Als erstes musste ich mich entscheiden, ob wir überhaupt aufbrechen. Wie ein Film läuft in einer solchen Situation in meinem Kopf ab, was so alles auf einem steilen, schneebedecktem Weg passieren kann. Und ich malte mir die Enttäuschung meiner Gäste aus, wenn ich verkünden würde, dass wir umkehren und damit der gesamte Plan für die kommenden Tage hinfällig sein würde. Doch im Hinblick auf die gute Motivation aller und die ausgewiesene Stärke meiner Träger, entschied ich mich, den Versuch zu wagen. Zur Sicherheit engagierte ich noch einen Sherpa, der uns bei der Wegfindung helfen sollte, vor allem auf dem Abstieg. Bei Schnee kann das schwierig sein.

Die deutliche Wetterbesserung am Morgen war auch ein Argument für mich, die Überquerung zu beginnen. Am Nachmittag sah das dann schon wieder ganz anders aus.

Kurz nach halb sieben brachen wir auf. Es war ein traumhafter Morgen. Wie verzaubert lagen die Berge ringsum tiefverschneit im Morgenlicht. Doch es ging viel zu langsam voran. Und daran war nicht nur der Schnee schuld. An solchen Tagen muss man einfach die Zähne zusammenbeißen. Es war ein harter Kampf bis auf die Passhöhe, der einige bis an ihre Grenze brachte. Leider hielt auch ein Träger der Belastung nicht stand, so dass es bei der Verteilung seiner Last zusätzliche Probleme gab. Erst 14.30 Uhr erreichten wir den Scheitelpunkt. Doch beim Abstieg fingen die Schwierigkeiten erst an. Allerdings weniger für uns als vielmehr für unsere Träger. Ich bin sehr froh, dass die fünf diesen Tag heil überstanden haben.

Doch nach dem Renjo ist klar, dass wir unsere Tour nicht wie geplant fortsetzen können. Morgen den Cho La zu überqueren ist absolut illusorisch. Eine solche Belastung ist weder meinen Gästen und schon gar nicht den Trägern zu zumuten. Deshalb haben wir uns gänzlich umorientiert. Heute machen wir eine Art Ruhetag. Diejenigen, welche wollten und die Kraft hatten, sind auf den fast 5400 m hohen Gokyo Ri gestiegen, um das vielleicht spektakulärste Bergpanorama der Welt zu genießen. Die anderen blieben auf der Hütte oder kehrten nach ein paar hundert Metern wieder um.

Für mich ist die Trägerproblematik immer eine Gratwanderung. Wieviel Last ist zumutbar? Oft wollen die Träger sogar mehr tragen, um mehr zu verdienen. Fest steht auf jeden Fall: Gegenüber den von Einheimischen angeheuerten Trägern, schultern unsere mit 30 - 40 kg regelrecht wenig. Kumar und ich halfen, wo wir konnten, trotzdem war es eine Qual für sie.

Morgen steigen wir 1000 m nach Phortse ab, um uns zu regenerieren. Bei einigen von uns gibt es dazu gar keine Alternative. Von Phortse aus geht es in zwei Etappen wieder 1000 m aufwärts nach Chukhung, um dort den 5546 m hohen Chukhung Ri zu besteigen und einen Blick auf die Lhotsesüdwand, den Makalu und noch ein Dutzend weiterer berühmter Bergriesen zu werfen. Und dann müssen wir uns auch schon auf den Rückweg machen.

Trotzdem wir umdisponieren mussten und trotz des harten Tages am Renjo ist die Stimmung weiterhin gut und wir inzwischen ein eingeschworenes Team. Alle Entscheidungen werden gemeinsam diskutiert, und das klappt besser, als es sich anhört. Also keine Sorge, es ist weiterhin alles in bester Ordnung bei uns.

Zum Schluss noch eine kleine Bemerkung nebenbei in eigener Sache. Alle Bilder, die übrigens von mir sind, ebenso die Zitate der Gäste, deren Veröffentlichung gar nicht meine Idee war, und auch die Texte selbst werden vorgelesen bzw. vorgezeigt und dann von allen freigegeben.

Zitat von Karin: „Das ist schon komisch: Da sitzen wir hier in der Hütte und draußen stehen überall die Berge drum herum.“

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23 Antworten

  1. Annett K.-A. sagt:

    Liebe Karin! Liebe sächsische Wandergemeinschaft!
    „Leben ist, was uns zustößt, während wir uns etwas ganz anderes vorgenommen haben.“ (Henry Miller) So ist das auch mit dem Wetter. Dabei haben wir die ganze Zeit unsere Teller sowas von leer gegessen …
    Trotz aller Widrigkeiten scheint Ihr ja phänomenale Aussichten genießen zu können und mal ehrlich: wolltet Ihr nicht an die Grenzen gehen? Ich drücke Euch weiter die Daumen, dass Ihr Eure Ziele unbeschadet erreicht und ja nicht aufgeben! Denn wer heute den Kopf in den Sand steckt, knirscht morgen mit den Zähnen. Bleibt gesund! Liebe Grüße! Annett

  2. Steffi sagt:

    Wow, ich bin wiedermal überwältigt von eurem „Tun“! Wir wünschen euch natürlich weiterhin viel Kraft und Ausdauer (ihr wolltet es ja so haben…).
    Sind schon sehr gespannt auf den „Diavortrag“. Also haltet durch und besondere Grüße an Heike und (Klaus) Peter.
    (Peters Zitat ist so typisch…; wir finden die Texte nebst Bildern großartig!)

  3. Kerstin G. sagt:

    Oh Mann das sieht ja wirklich nicht ohne aus. Ihr habt ja echt Mut !!! In der Natur lernt man halt die wahren menschlichen Grenzen kennen. Einen besseren Lehrer gibt´s wohl nicht. Hier in der“Zivilisation ist das ja doch eher alles hausgemacht, was uns ständig belastet. Das ist eine Sache, die mir bei Eurer genialen Reise klar geworden ist, auch wenn ich nur hier am Compi dabei bin.
    Haltet weiter so prima zusammen und genießt die tolle Zeit. Besonders liebe Grüße an Karin
    Kerstin

  4. Bettina Jakob sagt:

    Hallo liebe Karin! beim Anblick der wundervollen Bilder und beim lesen von eurem Bericht kommen einem viele Gedanken in den Kopf. Die ersten sind aber – hoffentlich bleiben alle gesund – die zweiten Gedanken – ihr schafft das , den der Weg ist das Ziel – und ihr habt euch ein Großes gesteckt

    Karin, bei dem was du ( und der Rest der Bande) schafft, sind die vielen „kleinen Probleme“ hier im Keller der Erde doch fast nichts!
    Ich wünsche euch allen viel Kraft und Durchhaltevermögen , es gibt sicher noch viel tolles zu sehen und zu berichten. Liebe Grüße an dich und deine Freunde – bis bald !
    Bettina

  5. Viola sagt:

    Gänsehaut pur .
    Der Renjobericht- spannender kann kein Krimi sein. Denn die Storry ist Wahrheit und die Akteure sind lebhaftig und stehen uns persönlich sehr nah.
    Das ist wohl kaum zu toppen.
    Ich schlage Euch ALLE für die Oscars im nächsten Jahr vor. Dann steht Ihr auf einer Stufe mit „The Artist“. Zuwenig? Vielleicht.
    Hi Alex, hi lieber HP, Euch grüßt die daumendrückende Riesenverwandtschaft und besonders ich.

  6. Der Kleine Bruder sagt:

    Grüß Gott, ja der liebe Gott hatte beim Bau der Erde, die arme voller Steine, dummerweise ist er in Nepal gestolpert und ein paar wenige sind bis nach Österreich gerollt. Eigentlich sollte das ganze Zeug nach Mölbis und dann liebe Dicke hätte auch deine Hütte draußen ein paar Berge. Bitte weiterhin schön aufpassen und schön erholen, denn wir brauchen Dich / Euch hier. Weiterhin viel Spaß und beim Anblick der herrlichen weißen Pracht: jeder hat mal das Recht in der Sonne mit dem Stock zu spielen ;-).
    Der kleine Bruder

  7. Andreas & Cordula sagt:

    Ich lese nun schon ein paar Tage mit, und werde immer tiefer in den Bann Eures Abenteuers gezogen. Da ich aktuell krank im Bett liege und so etwas mehr Zeit habe, schreibe ich auch mal was.
    Ich kann mich da Viola nur anschließen.
    Was Ihr da am anderen Ende der Welt leistet,
    dafür zollen wir Euch ALLEN Respekt. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass man nach einer solchen Tour einen anderen Blick auf die Welt hat, Begriffe wie z.B. Natur, Glück und Zusammengehörigkeitsgefühl vollkommen anders definiert und wahrnimmt. Ja, die Welt kann auch schön sein, trotz oder vielleicht gerade wegen der ganzen Strapazen die Ihr alle auf Euch nehmt. Und nie vergessen: Der Weg ist das Ziel.
    Viele Grüße, besonders an HP und Alex aus dem nebligen Thüringer Becken,
    mit 137 m ü. NN, von fast ganz unten nach fast ganz oben. Wir sind weiter mit unseren Gedanken und den allerbesten Wünschen bei Euch.
    Andreas & Cordula

  8. H&Eb sagt:

    Hallo HP & A; von 4800 m unter euch, alles Gute und übernehmt euch nicht. Schon jetzt habt ihr mehr erlebt als wir hier alle.Habt ihr denn die Flughöhe des MI-8 zu Fuß schon erreicht, der Ana bestimmt? Auf den Bildern sollten wir wohl eure strapazierten Gesichter nicht sehen? Kopf hoch und genießt das Einmalige. Eb&H

  9. Mutti sagt:

    Ich mußte den Bericht zweimal lesen und habe gespürt wie ihr an euren Grenzen angekommen seit . Meine Hochachtung ich bin sprachlos und überwältigt ,ihr habt Höhen und Tiefen durchlebt ,aber auch wunderschöne Landschaften auf dem Dach der Welt gesehen . Liebe Heike u. Peter haltet durch ,ihr seit stark ,wir sind in Gedanken bei euch und drücken die Daumen für alle . Viele Grüße Mutti u.Vati

  10. Bianca sagt:

    Es ist überwältigend die Berichte zu lesen! Da packt selbst einen „Flachlandtiroler“ wie mir die Sehnsucht nach Bergen und der endlosen Weite! Es ist ein beeindruckendes Erlebnis für euch alle.Habt noch ganz viel Kraft und freut euch auf die spektakulären Ausblicke und macht bitte gaaaanz viele Fotos-wir sind schon ganz gespannt und werden dann den Erzählungen lauschen! Grüße an Alex & HP von einem kleinen Teil der Riesenverwandschaft aus dem frühlingshaftem Thüringen 😉 !

  11. Leo mit 3 Hildes sagt:

    Hallo Olaf und Gäste..
    oft schaue ich nach wie es Euch geht. In Erinnerung an unsere Tour 2010 freue ich mich sehr über jeden neuen Bericht und bin in Gedanken mit auf diesem Weg unterwegs. Schade, dass der erste Pass gleich zu einem Härtetest für Euch wurde, ich hätte es Euch so sehr gewünscht den Pass bei solchem Kaiserwetter zu erleben wie wir damals. Nun hoffen wir, die Gruppenmoral hat nicht zu sehr gelitten und das Stimmungsbarometer steigt wieder. Zum Glück sind alle von Euch gesund vom Pass herunter gekommen, was wohl immer das wertvollste Fazit von jeglichen Abenteuern ist.
    Ganz, ganz viel Elan, Gesundheit, weiterhin Optimismus, Freude, sowie große und kleine Erfolge, Glücksmomente und Erlebnisse zum Staunen auf der verbleibenden wunderschönen Tour wünscht Dir Olaf und Deinen Gästen, Leo mit den 3 Hildes!

  12. Macha sagt:

    Dear Alex,

    Cheers on conquering all the challenges on your climb. I’m proud of you.

    Just keep moving forward. You’ll be home soon, a hero!

    Always,
    Macha

  13. Ulla sagt:

    Ihr Lieben,

    nichts ist so stetig wie der Wandel,also warum soll das Wetter beständig sein – wo ihr Alle doch so flexibel seid.

    Ganz besondere Grüße an (Klaus)Peter und Heike.

    Bis bald,Ulla

  14. Simon sagt:

    Durchhalten, ihr Racker!

    Liebe Grüße vom Berliner Sofa 😉

  15. Martina sagt:

    ‚Am Limit ist trefflich‘ formuliert und ihr habt es alle gut geschafft. Heike, ist die Jacke auch warm genug? Du frierst doch so schnell. Peter, dein Kommentar ist köstlich und so darf ich annehmen, dass auch die wiedrigen äußeren Bedingungen keinem die Sprache verschlagen haben. 🙂
    Hut ab vor der souveränen und verantwortungsbewussten Leitung der Tour.
    Angeschlagene (Erkältung und Magen/Darm sind derzeit voll im Trend) Grüße von Martina
    PS: Heike, im Oktober kommt Reinald Grebe nach Köln

  16. Siegfried + Karin sagt:

    Liebe Karin!
    Gespannt verfolgen wir Deinen Abenteuer-Trip auf dem Dach der Welt. Unsere Gedanken können kaum so hoch fliegen.
    Liebe Grüße sollen wir Dir von Deinen Eltern bestellen, wir haben Eure Berichte mit dem „Kurierdienst Hannes“ in die Siedlung geschickt – so können auch sie sicher sein, dass es Dir und Deinen Weggefährten gut geht.
    Wir wünschen Dir weiterhin viel Kraft auf den letzten Metern! Viel Grüße! Deine Albrechts

  17. Veronica sagt:

    Ich bewundere euch alle maßlos!! Weiterhin viel Erfolg wünscht
    Veronica

  18. Reiner Gothe sagt:

    Ich verfolge euer Trekking und bin neidisch auf die tollen Eindrücke und Ausblicke, die ihr dort bekommt.
    Wir wünsche allen eine glückliche Weiterreise und eine gesunde Heimkehr. Ganz lieben Gruß an Peter und ich bin stolz auf meinen großen Bruder. Lebe Deinen Traum
    Lara und Reiner

  19. Annett K.A. sagt:

    Liebe sächsische Wandergemeinschaft – die Zweite!
    Ihr spannt uns schon ganz schön auf die Folter! Aber keine Nachrichten sind gute Nachrichten, also spannen wir weiter. In Ermangelung Eures Lesestoffes musste ich wieder auf Sekundärliteratur zurückgreifen. Aber auch der Joe Simpson hatte kein Stehvermögen und stürzte nach zwei spannenden Abenden vom Flokati. Selbst das Weltgeschehen kann nicht von Euch ablenken: die Klitschkos bleiben Weltmeister (Wladimir schafft seinen 50. K.O.); Australien versinkt in den Fluten; ein weiteres Costa-Schiff havariert; die Leverkusener ziehen den Bayern die Lederhosen aus; Tornados fegen über die USA und Putin gewinnt etwas, das angeblich „Wahl“ genannt wird. Aber vielleicht habt Ihr auch alle Hände voll zu tun, um Euren Bildungsauftrag zu erfüllen. Denn schließlich warten solche existentiellen Fragen wie: „Wer reinigt die Rinnen vom Dach der Welt?“ und „Wie jodeln Nepalesen?“ oder „Warum macht der Yeti einen Kopfstand?“ dringend darauf, von Euch beantwortet zu werden. Also viel Spaß beim Antworten- und Selbstfinden, bleibt gesund und keep on trekking! Viele Grüße aus der Heimat! Annett

  20. Ines sagt:

    Hallo ihr Mutigen,

    nun haben wir schon ein paar Tage nichts von euch gehört. Ich vertraue darauf, dass alle die Grenzerfahrung des Renjo gut überstanden haben und ihr schon wieder weiter ‚gekraxelt‘ seid.
    Ich hoffe, die Wetterlage hat sich wieder gebessert und ihr kommt gut voran und allen in der Gruppe geht es gut und ihr seid wohlauf.
    Viele Grüße aus den ersten Frühlingstagen in Deutschland

  21. Grell Ludwig sagt:

    Heike und Peter Ihr seit super bis bald .die anderen Begleiter natürlich auch Gruß Ludwig

  22. Juliane + Sebastian sagt:

    Hallo ihr Bergsteiger,

    es ist schön, dass man von euch doch immermal ein Lebenszeichen bekommt, auch wenn ihr so weit weg seid.

    Peter´s Kommentar war ja so typisch, aber ich glaub das haben schon ein paar geschrieben. Aber da sieht man: So schlimm kann es ja gar nicht sein, Peter kann noch Witze reißen.

    In dem Sinne wünschen wir euch und vor allem Heike + Peter noch alles Gute und viel Kraft für die restliche Strecke!

    Liebe Grüße,
    Juliane, Sebastian + Sophia

    PS: Und tut was gegen das klemmende Hoftor, wenn ihr heim kommt 😉

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