Besinnungslos

Ich habe mich auf diese Weihnachtstage hier gefreut, auch wenn ich weit weg von Familie und Freunden bin. Und das mit der Besinnung klappt hier besonders gut. Doch mal ehrlich! Meine Weihnachtsfeste waren bisher diesbezüglich nicht besonders ergiebig. Unter anderem genau darüber nachzudenken, habe ich jetzt gerade alle Zeit der Welt. Niemand stiehlt mir meine Aufmerksamkeit. Es müssen nicht tausend Sachen unbedingt noch erledigt oder besorgt werden. Und weil ich nicht zu Hause bin, bekommt auch niemand Geschenke, mit einer Ausnahme natürlich. Ich kann ungestört nachdenken, über mich, das vergangene Jahr, mein Tun hier, über das Leben, welches ich führe und über die Menschen, die ich liebe. Das geht zu Hause einfach nicht. Zu viele Pflichten.

Doch speziell der heutige Heilige Abend stand ganz im Zeichen der Weihnachtsfeier im Basislager des Fitz Roy. Vor einer Woche, am Tag nach dem „Schwarzen Freitag“ trafen wir in El Chaltén auf Falk und Uwe, beides Sachsen, die zum Cerro Torre wollen. Falk ist schon zum sechsten Mal in Patagonien. Er nahm ganz freundlich zur Kenntnis, dass ich schon nach lumpigen drei Wochen genug von der Warterei auf gutes Wetter habe. Offensichtlich weisen andere Leute ein ganz erheblich größeres Geduldspotential auf als ich.

Zu Hause hab ich irgendwie kein so großes Bedürfnis nach Weihnachtlichkeit. Hier war das anders. Mit großer Hingabe hab ich mich um die Ausgestaltung unserer Hütte gekümmert. Heimweh macht wohl sentimental.

Die beiden schlugen vor, zu uns zu kommen, um in unserer Hütte den Heiligen Abend zu begehen. In ihrem BC gibt es so etwas nicht. Wir legten gemeinsam fest, dass die zwei für das Abendessen, wir für Kaffee und Kuchen sowie für den Weihnachtsbaum zuständig wären. Vor allem letzteres sahen wir als Herausforderung an.

Wir besorgten einen bleischweren Schokoladenkuchen von einer Bäckerei in El Chaltén, zwei Rührkuchen aus dem Konsum, Kekse, Wein und Kerzen. In unserer sehr zugigen Hütte würden es die aber schwer haben, zu brennen. Nur mit dem Weihnachtsbaum gab es ein Problem. Erstens finden sich hier einfach keine Nadelbäume und eine Buche kommt nicht in Frage. Und zweitens gibt es in Chaltén keinen, der irgend etwas in der Art verkauft. Doch da kam mir das Glück zu Hilfe. In der Lodge, in die wir zum Laden und Duschen gehen, stand an der Rezeption ein kleiner künstlicher Weihnachtsbaum mit bunten Kugeln dran. Ich erzählte der netten jungen Dame dort traurig von meiner vergeblichen Suche nach Weihnachtsschmuck. Und prompt bekamen wir ihren Weihnachtsbaum geborgt. Nun stand nur noch das Problem, ihn heil zu uns ins Rio-Blanco-Camp zu bekommen. Aber das konnten wir auch lösen.

Als unsere Gäste allerdings am späten Nachmittag bei uns eintrafen, hatten sie erst einmal keinen Blick für den Weihnachtsbaum. Nach vier Stunden Marsch durch Regen, Sturm und Kälte waren die beiden nass bis auf die Haut und durchgefroren. Später kam noch Heiko hinzu, ein Bekannter von Fabian aus Darmstadt, auch ein ehemaliger Sachse. Nachdem alle trockene Sachen anhatten, die Kerzen brannten, der erste Kaffee gekocht war und alle den Schokoladenkuchen gekostet hatten, wurde es in unserer Hütte sehr gemütlich. Wir erzählten stundenlang über alte Zeiten, unsere Erlebnisse und Pläne. Und zwischendurch gab es auch eine Bescherung. Unser Geschenk an Uwe und Falk war eine überdimensionierte Vollmilchnussschokolade hübsch verpackt in bulgarisches Zeitungspapier.

Bei den anderen beiden ist Uwe für das Essenkochen verantwortlich. Er hat das gestern auch großartig gemacht. Doch Fabians Kochkünste sind unübertroffen.

Kaffee und Kuchen wurde etwa gegen 21.00 Uhr abgeräumt und nur wenig später ging es an die Zubereitung des  Vier-Gänge-Menüs. Der 1.-3. Gang war eine Pfanne voll gebratener Kartoffeln mit Ei, der vierte Gang ein argentinisches Rindersteak. Dazu wurde Rotwein gereicht, vier Flaschen umfasste der Vorrat. Alle legten ein bemerkenswertes Sitzfleisch an den Tag, schließlich saßen wir schon seit acht Stunden auf den roh gezimmerten Bänken. Fabian und ich noch viel länger, weil wir, bevor die anderen kamen, noch drei Stunden Schach gespielt hatten.

Ich war der erste, der die Segel strich, und so weiß ich gar nicht, wie das heute morgen ausging. Jetzt, wo ich das schreibe, schlafen die anderen noch tief und fest. Es war jedenfalls ein ganz besonders schöner Abend, an dem aber auch die Gedanken an zu Hause nicht zu kurz kamen, genauso wenig wie die an unsere hier noch verbleibende Zeit.

So wie es derzeit aussieht, werden wir Mitte der kommenden Woche vielleicht noch einen Versuch starten können. Der aktuellste Wetterbericht weist nun aber schon wieder bedrohlich viel Wind für die in Frage kommenden Tage aus. In der Vorhersage davor sah das noch besser aus. Ich jedenfalls bin mir sicher, dass wir trotzdem bald noch einmal in das Geschehen eingreifen werden.

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Eine Antwort

  1. Janina sagt:

    Zu Hause sind die Gedanken auch die ganze Zeit bei euch (und vor allem bei dir 😉 ) gewesen! Schön, dass ihr es euch ein bisschen gemütlich gemacht habt.

    Liebe Grüße, Janina

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