Einer war schon oben!

Auf dem Weg ins Basislager begegneten uns drei Gruppen, die gerade von einem Versuch am Island Peak zurückkehrten. Die letzte Gruppe trafen wir nur ein paar Meter vom Basislager entfernt. Wie üblich fragte ich die Sherpaguides, ob sie den Gipfel erreichen konnten und wie die Verhältnisse oben im Eis beschaffen sind. Alle berichteten mir übereinstimmend, dass der Island Peak in diesem Jahr gar nicht machbar sei, weil es keinen Weg durch den Eisbruch gibt und der Bergschrund soweit offen sei, dass man darüber nicht hinweg steigen könne. Die dabei stehenden zahlenden Klienten beeilten sich, dem zuzustimmen.

Na, das hörte sich ja wenig Erfolg versprechend an. Doch irgendwie kamen mir diese Schauermärchen bekannt vor. Schon oft hatten mir die Sherpas von haarsträubenden Bedingungen und katastrophalen Verhältnissen erzählt. Also musste ich mich entscheiden. Entweder ich glaubte diesen Berichten und hätte dann meinen Gästen schon irgendwie verklickert, warum wir diesmal auf eine Besteigung verzichten müssten. Oder ich ging hoch, am besten bis auf den Gipfel und schaute selber nach. Und genau das habe ich gestern auch getan. Um halb Sieben Uhr brach ich auf und kam mit leichtem Gepäck sehr gut voran. Schon nach zweieinhalb Stunden zur ersten Funkzeit um Neun Uhr hatte ich den so genannten Cramponspoint, also den Ort wo es vom Fels auf das Eis geht und wo die Steigeisen angelegt werden, erreicht. Nun war ich also schon dort, wo es angeblich gleich nicht mehr weiter gehen sollte. Und tatsächlich, der übliche Weg durch den relativ kleinen Eisbruch war beim besten Willen nicht gangbar. Riesige Spalten hatten sich geöffnet und versperrten den Weg. Also musste ich mich auf die Suche machen.

Wegsuche

Ein Selbstporträt mit Selbstauslöser bei der Suche nach dem richtigen Weg durch den Eisbruch.

Aber es dauerte nur eine knappe halbe Stunde, in der ich nach einem anderen, auch für Gäste machbaren Weg geschaut habe, dann hatte ich eine gute und sichere neue Route durch das Eis gefunden. Wenig später hatte ich den Bergschrund erreicht. Hier reißt der Gletscher von der Firnauflage der Bergflanke ab und es bildet sich in der Regel eine große Spalte, die einem gehörige Schwierigkeiten machen kann. Dort, wo sich seit vielen Jahren der Übergang über diese Spalte befand, hatte sich der Schrund weit geöffnet. Ein Übergang war unmöglich. Doch abermals musste ich nicht lange suchen. Nach ein paar Minuten Querung die Spalte entlang, hatte ich einen relativ gefahrlosen Übergang gefunden. Nun war der Weg zum Gipfel frei. Sogar die Fixseilstrecke vom vergangenen Jahr war teilweise noch intakt. Ich setzte sie mit dem mitgebrachten Material wieder soweit instand, dass wir eigentlich leichtes Spiel haben müssten, wenn ich morgen den Aufstieg mit meinen Gästen wiederhole.

Am Gipfel des Island Peak

Ein Schritt unterhalb des höchsten Punktes! Wir schauen den Gipfelgrat hinunter. Es war ein herrlicher Bergtag und vor allem kein Wind, was sehr selten am Island Peak ist!

Um Fünf nach Zwölf Uhr erreichte ich völlig problemlos den Gipfel. Die Verhältnisse am Gipfelgrat sowie das Wetter waren tiptop. Besser hätte man es sich gar nicht wünschen können. Ich hab mich nur geärgert, dass ich den Aufstieg bei diesen Bedingungen nicht gleich mit meinen Gästen gemacht habe. Aber nach den Informationen, die ich bekommen hatte, hielt ich es für besser, diese Variante zu wählen. Hoffentlich hält das Wetter bis morgen.

Warum nun haben die Sherpas nicht auch nach einem anderen Weg im Eisbruch und am Bergschrund gesucht? Warum haben sie stattdessen ihren Klienten einfach erklärt, dass es in diesem Jahr nicht geht und fertig? An ihren Fähigkeiten oder gar ihrer Kondition liegt das jedenfalls nicht. Es liegt an ihrer Motivation, Leute auf einen in den letzten Jahren deutlich anspruchsvolleren Berg zu führen, die immer weniger dazu in der Lage sind. Die Guides haben einfach Angst, dass etwas passiert! Außerdem sind sie manchmal zehn oder fünfzehn Mal pro Jahr am Island Peak unterwegs, da kommt es sehr gelegen, wenn sie eine Möglichkeit finden, nicht immer bis ganz hinauf zu müssen.

Morgen nun schlägt für meine Gäste die Stunde der Wahrheit! Ich bin aber ziemlich sicher, dass sie die Anforderungen dort oben bewältigen können. Wir haben in den Alpen dafür trainiert, dann ein weiteres Mal in der Sächsichen Schweiz und zu letzt noch hier vor Ort im Basislager. Mit dem nötigen Quentchen Glück kann es morgen tatsächlich einen Erfolg geben. Also bitte wieder mal Daumendrücken!

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