Kein Spiel

Als Daniela und ich vom Berg hinunter gewankt kamen, hatten wir noch zwei Tage, um den Gipfel zu erreichen. Der Alternativen gab es also nicht mehr viele. Entweder wir machten einen Ruhetag, was Sven und ich wirklich gern gesehen hätten und setzten am letzten Tag am Berg alles auf eine Karte. Dann musste vor allem das Wetter mitspielen.

Der Cramponspoint morgens um 4.30 Uhr bei 15 Grad Frost. Ausrüstung anlegen und möglichst keine Zeit verlieren.

Oder wir verzichteten auf den Ruhetag und hätten in diesem Fall noch eine zweite Gipfel-Option. Ich wollte dem Team diese Entscheidung vollständig überlassen, hoffte aber insgeheim, dass es nicht so kommen würde, wie es dann kam.

Denn das Team entschied sich, schon am nächsten Tag einen Gipfelversuch zu starten. Und ich brachte es nicht über mich, dieser Entscheidung zu widersprechen. Obwohl das für mich und Daniela aber auch für Sven und vor allem für Andreas und Michael nur wenige Stunden Regenerationszeit bedeuteten.

Das gesamte Massiv des sechsthöchsten Berges der Welt vor Sonnenaufgang.

Um halb vier Uhr morgens mussten wir spätestens aufbrechen, zwei Stunden vorher würde der Wecker klingeln, damit vor dem Abmarsch genügend Zeit zum Essen und vor allem Trinken bliebe. Doch die Entscheidung war gefallen, am nächsten Morgen ging es los.

Alle standen pünktlich um halb vier abmarschbereit. Und es ging auf unserem bestens zum Col gespurten Weg gut voran. Schon kurz nach Sechs erreichten wir das erste Fixseil.

Die letzten Meter vor Beginn des eisigen Teils der Route werden noch von einem etwa 40 Meter hohen Eisturm beherrscht.

Nachdem wir alle gemeinsam den Beginn der Route erreicht hatten, machte ich mich allein auf, um unter dem Gipfel die letzten Seile zu installieren und den Weg über das Eisschild zum Gipfelaufschwung zu erkunden. Die Verhältnisse hier oben hatten sich seit meiner letzten Besteigung mit Mario Rückert 2017 grundlegend geändert. Und ich wollte natürlich vor allem einen Blick auf die Riesenspalte werfen.

Gegen 11.00 Uhr hatte ich die letzten 100 m Seil verlegt und einen Weg zum Gipfelaufschwung ausgemacht. Bis zur Spalte war ich leider noch nicht vorgedrungen. Doch bis dahin sah der letzte Abschnitt unseres Wegs gängig und machbar aus.

Ich schaue vom oberen Ende des zweiten Aufschwungs auf das kleine Plateau zwischen erstem und zweitem Aufschwung.

Die anderen waren inzwischen zu mir aufgeschlossen. Vom oberen Ende dieses zweiten Aufschwunges würde der Rest des Weges zum größten Teil nur noch anspruchsvolles Gehgelände bereithalten. Trotzdem hatte ich ein etwa 100 m langes, altes Fixseil reaktiviert, welches unsere Vorgänger zurück gelassen hatten.

Die allerletzten Meter vom oberen Ende des zweiten Eisaufschwunges zur Spalte. Im Hintergrund links die Ama Dablam mit ihrer Nordflanke.

Dann standen wir vor der Spalte. Auf den ersten Blick erschien sie unüberwindlich aber nicht auf den zweiten. Ich fand nach genauerem Hinschauen tatsächlich eine schmale Brücke über die Spalte, die den Eindruck vermittelte, dass sie stabil genug sein könnte. Und dass habe ich dann auch von Sven an einem T-Anker gesichert, getestet.

Dass ich problemlos auf einer komfortablen Brücke über die Spalte kam und die kleine Steilstufe keine Schwierigkeit darstellte, war so etwas wie ein ganz spezielles Geschenk des uns zu diesem Zeitpunkt noch wohlgesonnenen Berggottes vom Nirekha.

Von der Schneebrücke aus ging es ein paar Meter senkrecht hinauf. Anschließend folgten noch einmal etwa 50 unschwierige Meter Gehgelände, und dann stand ich zum vierten Mal auf dem höchsten Punkt des Nirekha Peaks.

Ich befestigte das Bergseil mit einem Snowbar direkt am Gipfel und dann kamen Michael, Bernd, Daniela, Sven, Andreas und Helmut einer nach dem anderen mit der Steigklemme zu mir hinauf.

Das offizielle Gipfelfoto aufgenommen von Sven mit Cho Aui, Cho Oyu und Guachung Kang im Hintergrund. Von links nach rechts: Helmut, Michael, vorn Daniela, hinten Andreas, Bernd und ich.

Das Wetter war perfekt, die 360 ° Rundumsicht ist sowieso eine der eindrucksvollsten weltweit und der Ausblick auf den Everest präsentierte sich in Bestform, weil der höchste Berg der Erde durch eine Wolke im Hintergrund besonders hervorgehoben wurde.

Der Gipfel des Nirekha und gleich drei Achttausender auf einen völlig unverstellten Blick: Everest, Lhotse, Makalu.

Doch allzu lange hielten wir uns nicht am Gipfel auf, obwohl wir gut in der Zeit lagen. Rings um uns waberten die Wolken immer höher zu uns hinauf, und wir waren sieben Leute, die von diesem Berg wieder absteigen mussten.

Solange Du vom Berg nicht wieder runter bist, gehört er nicht Dir, sondern gehörst Du ihm und zwar mit Haut und Haaren.

Die ununterbrochene Seiltrasse, die vom Col bis auf den Gipfel reichte, war unser Gott sei Dank nicht seidener Faden, der uns zurück ins Basislager in unsere Zelte brachte.

Wie wahr dieser Ausspruch ist, sollten wir alle ziemlich drastisch erfahren. Innerhalb einer knappen Stunde verwandelte sich der eben noch freundliche Nirekha in ein ziemlich garstiges Biest. Der Abstieg ging immer langsamer vonstatten, die Kräfte schwanden zusehens. Vor allem Andreas hatte heftig mit der Kälte und zunehmender Erschöpfung zu kämpfen.

Immer langsamer wurde unser Rückzug und sehr bald fanden wir uns in dichtem Schneefall, böigem Wind und Nebel wieder.

Andreas am Limit

Wir haben buchstäblich alle unsere Reserven ausschöpfen müssen, um heil wieder vom Nirekha herunterzukommen. Doch trotz aller Widrigkeiten, die der Nirekha uns entgegenwarf, kamen wir kurz vor 19.00 Uhr nach reichlich 15 Stunden am Berg alle wieder wohlbehalten im Basislager an.

Und selbst jetzt gehörte uns der Nirekha nicht. Denn er hatte uns gezeigt, wer hier der Herr im Hause ist und was es heißen kann, einen Sechstausender im Himalaya zu besteigen bzw. wieder von ihm abzusteigen, wenn plötzlich die Verhältnisse verrückt spielen.

Diese Erfahrung wird nun vielleicht den ein oder anderen für den Rest seines Lebens begleiten.

 

 

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6 Antworten

  1. Veronica sagt:

    Gut zu lesen, dass ihr alle wieder gut unten angekommen seid!
    Vor allem das Foto vor Sonnenaufgang … wunderschön!

  2. Anne Petersein sagt:

    Lieber Olaf, auch wenn ich nicht immer einen Kommentar abgebe, kannst Du gewiß sein, dass Dein Block stets verfolgt und gelesen wird. Ich bin froh, dass Ihr bislang alle Widrigkeiten so beeindruckend lösen konntet – Respekt für die gesamte Mannschaft! Die Fotos rufen Erinnerungen wach, auch wenn wir bei unserer Tour nicht solche Strapazen auf uns genommen haben wie Ihr in diesem Jahr, und das Wetter uns stets sehr hold gewesen war. Kommt gut runter vom Berg und bleibt alle gesund! Liebe Grüße- Anne

  3. Alex Krüger sagt:

    Lieber Olaf, liebe Daniela, liebes Team,
    danke für Eure schönen Nachrichten, Euren Mut und Eure ungeheure Disziplin! Wir sind froh, dass Ihr gut hinauf und auch heil hinunter gekommen seid. In Euren Gesichtern scheint die Sonne, tragt sie weiter in Euren Herzen zurück und Fühlt das Leben!
    Dafür alles Gute wünscht der AUSSTEIGER aus Berlin 🙂

  4. Daniela sagt:

    Lieber Alex,
    Vielen Dank für deine schönen Worte! Ich hab euch vom Gipfel einen Gruß geschickt. Also wenn es im AUSSTEIGER kurz gebebt hat oder so – das war ich 🙂 Ohne euch hätte ich gar nicht losgehen brauchen, meine Treue ist euch gewiss! Mit Sonne im Herzen und bis bald in Berlin, Daniela

  5. heike sagt:

    wie geht es denn dem anderen Gruppenteil mit Kumar im Everest?
    Die Wetterlage scheint ja generell sehr schneereich, das ist ja auch in tieferen Lagen nicht so angenehm, oder?
    Haben sich den jetzt andere Yaks und Sherpas Eurer erbarmt?
    Alles Gute Euch allen von Heike

    • Olaf Rieck sagt:

      Liebe Heike,
      die news des zweiten Gruppenteils ist in Arbeit. Die kann ich aber nicht schreiben. Und was die Yaks anbetrifft, so bin ich dabei, der Bericht kommt noch heute. Unsere vergangenen Tage waren ziemlich erlebnissreich. Doch ab jetzt wird es ruhiger. Ein kleines bisschen Geduld noch 🙂 Aber allen geht es sehr gut!

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