Stetind

Morgen geht es los. Die Ausrüstungsliste liegt neben mir. Immerhin! Irgendwann wird das alles schon noch eingepackt. Anderthalb Tage habe ich immerhin noch. Mit Uwe gab es inzwischen auch ein Ausrüstungstreffen in seiner gemütlichen Laube oberhalb des Bielatals in der Sächsischen Schweiz. Allerdings verbrachten wir 95 Prozent der Zeit mit Klettern und nur 5 mit unserer Ausrüstung für den Stetind. Das Wetter war zu gut, die Türme im Bielatal in Sichtweite. Wie soll man sich da konzentrieren können? Wir nehmen einfach alles an mobilen Sicherungsmitteln mit, was wir haben. Wenn wir unser Zeug zusammenschmeißen, wird es schon reichen.

Einer der Wege am „Ausrüstungs“-Wochenende, die „Wundertüte“ an der Großen Zinne. Dieser Weg mit seinen sechs Ringen bekommt von mir das Prädikat „nervenschonend, gängig und sehr geil“. (Foto: Janina Graeber)

Denn im Norden Norwegens darf grundsätzlich nur mit mobilen Sicherungsmitteln geklettert werden. Bohrhaken gibt es am Stetind nicht. Für uns Sachsen sicher nicht besonders erschreckend. Schließlich darf unsere mobile Sicherungsausrüstung anders als im Elbsandstein am Stetind sogar aus Metall sein.

Gleich in sechs Sprachen wird hier das Bohrhakenverbot bekanntgegeben. Da kann sich niemand rausreden. (Foto: Ralf Gantzhorn)

Die Anreise ist organisiert, die Besorgung der Verpflegung aufgeteilt. Es ist also alles soweit auf einem guten Weg. Wir wollen klettern gehen, nicht mehr und nicht weniger und damit kennen wir uns aus. Ich freue mich sehr auf diese kleine Reise gemeinsam mit Uwe.

Die Sichtung unserer gemeinsamen Sicherungsmittel ergab, dass es schon ausreichen wird, was wir beide besitzen. Wir nehmen erst einmal alles mit!

Und ich freue mich auf den Anblick des Stetind. Schöne Berggestalten haben es mir einfach angetan. Er ist einer von den Gipfeln, die sich nicht nur bei Alpinisten sehr gründlich und für immer ins kollektive Gedächtnis gebrannt haben. Doch was macht sie eigentlich zu etwas Besonderem? Woraus resultiert ihre manchmal gewaltige Anziehungskraft auf uns Bergsteiger, dass wir an ihnen oft genug sehenden Auges unser Leben riskieren? 

Dieses Bild hat mir Ralf Gantzhorn freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Es zeigt den klassischen Anblick des Stetind vom Tysfjord aus.

Ich werde oft gefragt, was einen Berg außergewöhnlich machen würde.

Ist es seine extreme Höhe, seine Steilheit, die Schwierigkeiten bei der Besteigung oder seine Gefährlichkeit? Ein Berg, der mühelos die vier eben aufgezählten Eigenschaften in sich vereint, ist der über 8000 m hohe Nanga Parbat in Pakistan. Doch er wird nie genannt, wenn es um Schönheit geht. Er ist lediglich ein riesiger Klotz, von dem die Lawinen im Minutentakt herunterrauschen und an dem vor allem deutsche Bergsteiger wie die Fliegen gestorben sind.

Der Nanga Parbat vom Karakorum Highway aus gesehen.

Es muss also zu diesen Eigenschaften noch etwas hinzukommen. Und hier sind es vor allem anderen drei Dinge die einen Berg einzigartig machen: Seine Form, seine spektakulären Grate und ganz besonders der Höhenunterschied zu seinen Nachbarn. Je freier ein Berg steht, desto eher wird er als außergewöhnlich attraktiv angesehen werden. Der Shivling im indischen Garhwal-Himalaya vereint genau diese drei Dinge und gehört deshalb auch zu den Berggestalten, bei welchen es bezüglich unserer Bewunderung kaum Meinungsverschiedenheiten gibt.

Der Shivling, hier sein Nordgrat, welcher die Nordwestwand von der Nordostflanke trennt, im letzten Abendlicht. Dieser Gipfel zählt zu den formschönsten Berggestalten der Erde. 2017 war ich an ihm erfolgreich.

Dasselbe gilt für ihn hier, den Alpamayo in Peru. Er darf sich sogar ganz offiziell als schönster Berg der Erde bezeichnen, weil er tatsächlich einmal von Journalisten und Künstlern als solcher gewählt wurde.

Der Alpamayo, 5947 m, mit seiner Südwestwand und dem Gipfelwandlager.

Und ohne Zweifel zählt auch dieser Gipfel zu den top ten der weltweiten Bergschönheiten obwohl seinen Namen kaum ein Mensch je gehört hat. Trotzdem hat es der Artesonraju durch seine makellose Schönheit geschafft, die wahrscheinlich bekannteste Berggestalt überhaupt zu werden. Denn sie ziert seit vielen Jahrzehnten das Logo des Hollywood-Filmgiganten Paramount.

Der Nordgrat des 6025 m hohen Artesonraju.

Dummerweise sind die freistehenden Berge mit atemberaubender Gestalt und tollen Graten in der Regel dann zusätzlich auch noch steil, hoch, darum natürlich objektiv gefährlich und deshalb schwer zu bezwingen. Alpamayo und Artensoraju standen lange auf meiner persönlichen Wunschliste, bis ich sie endlich 2014 besteigen konnte. Zwei andere Bergschönheiten nämlich der Fitz Roy  in Patagonien und der Monte Sarmiento auf Feuerland stehen leider nach wie vor immer noch dort drauf.

Der Monte Sarmiento mit seinem Raueispanzer und den 330 Regentagen im Jahr ist womöglich tatsächlich der unnahbarste und schwierigste Berg der Erde, den er wurde bis heute nachweislich nur ein einziges Mal bestiegen. Ihn hätten wir 2016 fast geschafft, nur 50 m trennten uns noch vom höchsten Punkt. Doch die Risiken dieser letzten Meter waren einfach zu groß.

Während ich hier so vor meinem Monitor sitze und mir die Bilder dieser Traumberge anschaue, an denen ich schon unterwegs sein durfte, wird mir jedesmal aufs Neue bewusst, wie dankbar ich bin, solche großartigen Momente erleben zu dürfen. 

Und dieses tiefe Gefühl der Dankbarkeit ist auch der Grund dafür, dass ich mich nicht ständig fragen muss, weshalb ich das eigentlich alles mache. Die Kälte, die Strapazen, die Gefahren, das viele Geld, dass ich nun vielleicht doch langsam in meine Altersvorsorge stecken sollte.  All das hat keine Bedeutung in diesen Momenten, wenn ich den Schlüssel für meine Leidenschaft wieder einmal in meinen Händen halte. Und diese Augenblicke weigern sich in meiner Erinnerung unglaublich beharrlich, auch nur zu verblassen geschweige denn in Vergessenheit zu geraten. 

Die 6856 m hohe Ama Dablam war der erste Berg, von dem eine für mich geradezu planetarische Anziehungskraft ausging. 12 Jahre bin ich Jahr für Jahr um ihn herumgeschlichen, bis ich ihn 2006 endlich besteigen konnte.

Selbst nach Jahrzehnten erinnere ich mich an solche großartigen Orte, Erlebnisse, Eindrücke, als wären sie mir erst gestern geschehen. Für mich ist dies das Wertvollste, das Beste, was einem Menschen überhaupt passieren kann: Nämlich dass das Gefäß seines Lebens angefüllt ist, mit derartig wichtigen und wertvollen Dingen. 

Der Fitz Roy, rechts im Bild, hat mich 2010 in der 21. Seillänge abgeschüttelt. Die Sonne verschwand aus der Route und unsere pitschnassen Seile gefroren innerhalb von Minuten zu unbrauchbaren Kabeln.

Aber ich lege wert auf die Feststellung, dass es selbstverständlich nicht nötig ist, dafür unbedingt aufwendige Reisen in die entlegensten Ecken der Welt machen zu müssen, schwierige Berge zu erklimmen oder Eiswüsten zu durchqueren. Obwohl ich persönlich natürlich davon überzeugt bin, dass grandiose Naturräume die beste Kulisse für besondere Erlebnisse sein können. 

Wir Menschen werden durch solche einzigartigen Erfahrungen zunehmend unangreifbar, wie ich finde, weil wir nun etwas besitzen, was uns keine Macht der Welt wieder nehmen kann. Nicht einmal der Tod selbst. 

Mir dessen bewusst zu sein, ist für mich ein sehr beruhigendes und tröstliches Gefühl in unserer chaotischen Welt.

 

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Eine Antwort

  1. Veronica sagt:

    Viel Erfolg am Stetind! Der Berg schaut beeindruckend aus!

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