Auf Biegen und Brechen

Es klingt nicht gut und wird sicher auch von vielen nicht verstanden, wenn man etwas auf Biegen und Brechen durchzieht. Aber manchmal muss es eben sein. Dem Berg seinen Willen aufzuzwingen, ist häufig die einzige Möglichkeit, hinauf zu kommen. Manchmal bringt man sich so aber auch um.

Wir hatten elf Stunden für das Kochen und Ausruhen. Schlafen war schwierig im 6450 m hoch gelegenen Lager 2, zuviel Lärm und die Angst, dass der Wind dem winzigen Zelt den Gar aus macht.

Christoph klettert an besagter Spalte den Spaltenrand ab. Wir wurden den gesamten Aufstieg bis hinauf zum Gipfel mit dem Fernglass vom BC aus beobachtet. Und gerade an dieser Stelle beäugte man uns besonders genau, weil natürlich alle Sherpas hier unten von der Bedeutung dieser Stelle wissen. Wir haben uns also ganz sicher nicht in der Spalte geirrt.

Als der Wecker um 5.00 Uhr klingelte, war sehr viel Biegen und Brechen nötig. Es ist erstaunlich, wie übermächtig das Verlangen sein kann, im warmen Schlafsack zu bleiben und den Berg einen guten Berg sein zu lassen. Aber so was würde ich mir nicht verzeihen.

Die Situation an einem solchen Morgen ist klassisch für das Höhenbergsteigen. Der Kocher kocht nicht, weil man es nicht übers Herz gebracht hat, auch noch mit der Kartusche zu schlafen. Der Schlafsack musste eh schon mit Schuhen, Strümpfen, Handschuhen und den Wärmflaschen geteilt werden. Trotzdem hätte die Gaskartusche unbedingt auch noch reingemusst. Aber eine Thermosflasche mit heißem Wasser lag wenigstens bereit.

Die zweite der drei Schlüsselstellen. Ich hatte ja in der letzten news versprochen, noch ein Bild zu zeigen. Am Horizont erkennt man, dass es tatsächlich so steil dort ist. Ich hatte in diese Querung ein Seil wie eine Girlande reingehängt. Aber ob die Fixpunkte gehalten hätten? Die dritte Schlüsselstelle ist eine Spalte kurz unter dem Gipfel. Mehr zu jener weiter unten.

Dann das Anziehen! Eine Stunde einschließlich Schuhe sei zu lang? Schon mal in einem Hochlagerzelt auf zwei Quadratmeter zu zweit gelegen und sich bei 20 Grad Frost angezogen? Ich gehöre leider nicht zu den Hardcore-Alpinisten, die sich in voller Montur in den Schlafsack legen. Obwohl es manchmal schon sehr zweckmäßig wäre. Irgendwann kurz nach 6.30 Uhr ging es dann los.

Ich fühlte mich an diesem Morgen leider nicht besonders. Warum bloss war dieser Christoph so gut drauf? Ich quälte mich jedenfalls bei jedem Schritt. Aber ich wusste auch, dass es besser werden würde. Und es wurde auch besser. Wir hatten weniger Gepäck als am Tag zuvor. Es lag eine Spur. Der größte Teil der Route war nun bekannt. Die große Querspalte auf 6950 m hatte ihren Schrecken verloren. Und vor allem waren die beiden Schlüsselstellen, Zuckerwattewand und Grat-Querung, zwar nicht bombenfest aber immerhin versichert.

Riesige Wechten den gesamten Grat entlangt. Die allerdings sieht man vom Basislager aus nicht, weil der Wind hier fast generell aus westlicher Richtung kommt. Sicher auch eine unterschätzte Gefahr am Baruntse.

An den vereinbarten Funkzeiten konnten wir auch sehen, dass wir deutlich besser als am Tag zuvor vorankamen. Beim ersten Funkkontakt mit dem Basislager um 9.00 Uhr befanden wir uns viel weiter oben als am Vortag, denn wir mussten eben nicht mehr stundenlang an der Versicherung der schwierigen Kletterstellen arbeiten.

Schon kurz nach 11.00 Uhr erreichten wir den Umkehrpunkt vom vergangenen Tag. Diesmal hatten wir Sicht und sogar noch ein etwa 40 Meter langes Stück Fixseil dabei, welches wir aber sogleich an einer heiklen Spaltenbrücke verbauten. Der Weg zum höchsten Punkt schien frei. Aber nein. Kurz vor dem Gipfel, also wirklich kurz, vielleicht 20 oder 30 m und nur einige wenige Höhenmeter kommt sie dann tatsächlich, die unüberwindbare Spalte. Auch sie ist überdeutlich vom Basislager aus zu sehen.

Der Gipfel des Baruntse ist noch sehr weitläufig. Mit ein wenig Vorsicht könnte man Fussball spielen. Am Island Peak war das auch mal so. Heute kaum vorstellbar.

Wenn man soweit gekommen ist, dann wird es schier unmöglich, zu akzeptieren, dass es nicht weitergeht. Man macht dann manchmal Sachen, die nicht gut sind. Es war kurz vor zwölf Uhr und das Wetter akzeptabel. Wir hatten wenig Wind und immer mal wieder Sicht, wenn die Wolken vorbei gezogen waren. Ich wollte über diese Spalte…

Die Überwindung dieses letzten Hindernisses gestaltete sich sich ähnlich wie in dem Film „Vertical Limit“. Nur das Chris O´Donnell (richtig geschrieben?) in der haarstäubend unsinnigen Spalten-Szene ungesichert war und problemlos allerdings mit einem lauten Schrei die andere Seite erreicht hat. Bei mir war das anders. Ich hatte mich an einem alten Fixseil gesichert, und ich kam nicht drüben an. Dummerweise hielt der Fixpunkt auf der anderen Seite nicht. Der Snowbar flog in hohem Bogen raus, und ich rutschte etwa 10 m in die Tiefe. Das alles passierte aber so erstaunlich langsam, dass ich Christophs Schrei: „Der Snowbar ist raus“ deutlich vernahm und mich wunderte, warum ich nicht abstürzte. Die Erklärung ist einfach und ziemlich gut für mich. Ein zweiter nicht in Falllinie angebrachter Fixpunkt hatte gehalten, wodurch sich dass Seil eben um diese 10 m verlängern konnte. Das wusste ich, dort hängend, aber noch nicht. Erst als ich mich mit der Steigklemme vorsichtig aus der Spalte heraus gearbeitet hatte, bekam ich mit, dass ich mich eben nicht die ganze Zeit in der Gefahr befand, abzustürzen. Das alles übrigens wurde mit dem Fernglass vom Basislager aus beobachtet!

Sehr froh war ich auf dem Gipfel über die Tatsache, dass wir immer mal freie Sicht hatten, um ein brauchbares Beweis-Gipfel-Foto zu machen. Ein Fachmann erkennt sehr gut an einem solchen Foto, ob man oben war oder nicht.

So, deshalb heisst diese news „Auf Biegen und Brechen“. Und man kann jetzt darüber denken, was man will. Ich hab das nun mal so gemacht, weil ich 15 Höhenmeter unter dem Gipfel nicht zum zweiten Mal umkehren und zum dritten Mal an einem Berg scheitern wollte und vor allem, weil dieses alte Seil da hing.

Übrigens hätte ich es niemals übers Herz gebracht, einfach zu sagen, dass ich oben gewesen sei, obwohl noch diese 15 m gefehlt haben. Ich bin wohl ein seltsamer Mensch, irgendwie aus der Zeit gefallen, hab ich manchmal das Gefühl.

BC, 06. Mai

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18 Antworten

  1. Lydia sagt:

    Tolle Leistung! Herzlichen Glückwunsch!

  2. Christiane sagt:

    Wow, sehr mutig. Herzlichen Glückwunsch!

  3. wolfgang sagt:

    Glückwunsch, ich kann es nachvollziehen, manchmal muss man über seinen Schatten springen und das Glück ist dem Tüchtigen gewogen…mach weiter so

  4. Jana sagt:

    Herzlichen Glückwunsch! Du hast es dir verdient/ihr habt es euch verdient! Tolles Team!
    Und jetzt einen schönen Rückflug
    wünscht Jana

  5. Hannes (Austria) sagt:

    Verfolge eure Aktion schon seit geraumer Zeit und warte immer gespannt auf eure News. Gratulation zum Baruntse! Tolle Story – man kann sich da ganz schön hineinleben was ihr da an Dramatik bereits erlebt habt. Schön, dass ihr es geschafft hab. Kommt wieder gut ins BC.
    LG aus der Steiermark
    Hannes

  6. Katrina sagt:

    Sensationelle und spektakuläre Leistung, die größten Respekt verdient!! Meinen herzlichsten Glückwunsch zum gelungenen Gipfelsieg und vollbrachter Expedition, Ihr habt es geschafft und Euer Ziel erreicht. Das muss ein unbeschreibliches Gefühl sein.
    Herzliche Grüße an Euch alle,
    Katrina

  7. Hartmut Büttner sagt:

    Hallo, ihr Gipfelstürmer,
    Respekt und Gratulation für diese im Wortsinne „Gratwanderung“!
    Olaf, und wenn ich auch meine, einen neuen (leicht befremdlichen) Aspekt in Deinem Tun zu bemerken, bist Du auf keinen Fall ein seltsamer oder gar aus der Zeit gefallener Mensch, sondern einfach authentisch. Ich denke, diese Zeit ist nicht als Maßstab geeignet, nur wird es noch dauern, bis diese Einsicht zum Allgemeingut wird, wenn überhaupt…
    Christoph, werde Dich am Samstag vermissen, wäre bestimmt eine Superzeit geworden! Ich wünsche Euch allen eine glückliche Heimkehr
    Hartmut

  8. ulf sagt:

    so und wie bist du nun über diese spalte gekommen? das haste nich erzählt. und wer hat deinen sturz gedreht? hmmh 😉

    wie auch immer, olaf. ich freu mich das ihr es geschafft habt und erlebe mein gefühl, wenn ich über grenzen gehe. in gedanken in der „schober“ bugger 😉

    der ulf

  9. Thomas Schmidt sagt:

    Einfach nur Hammergeil, Jungs !!! Ihr habt echt die richtige Einstellung, finde das überhaupt nicht „aus der Zeit gefallen“ 🙂
    Echt krass auch das Foto von der zweiten Schlüsselstelle: dort ist die Route bestimmt erst, seit es diese Spalte gibt, welche uns damals „zum Verhängnis wurde“, aber das können wir uns fototechnisch ja noch in Ruhe ansehen, wenn ihr wieder sicher in der Heimat seid. Für Kontaktaufnahme einfach etipschmidt@gmx.de, ich würde euch echt gerne besuchen irgendwann.
    Nun aber erstmal Herzlichen Glückwunsch für euren Kampfgeist, euer Durchhaltevermögen und dass ihr uns so toll daran teilhaben lasst… Das ihr dass geschafft habt, echt Hut ab !!!
    Dann lasst euc jetzt mal von eurem Koch verwöhnen und genießt den Rest der Runde 😀

    • Katrina sagt:

      Genau, mein Lieber, doppelt hält IMMER besser…..ich wusste, dass das wirkt!! *freu*
      Nu‘ guck, was passiert ist – sie haben es geschafft!!! „PN“ unterwegs zu Dir, hoffe, sie kam an??
      Ein herzlicher Gruß,
      Katrina

  10. Thomas Schmidt sagt:

    Achja: uns schön, dass das Daumendrücken geholfen und die Hintersicherung gehalten hat !!! Doppelt hält eben besser und Erfahrung ist die Summer aller erlebten Misserfolge 😉
    Weiß, das ist leicht gesagt, aber ihr könntet echt ein Buch schreiben. Jedenfalls hatte der Berg echt was für euch übrig, super gut so 🙂

  11. Kathleen sagt:

    Ihr habt es geschafft!!!! 🙂 Herzlichen Glueckwunsch!!!!
    Euch noch eine schoene Zeit und liebe Gruesse an alle….Kathleen

  12. Kerstin und Lothar sagt:

    Hallo Olaf und Team,
    herzlichen Glückwunsch. Es ist alles großartig: wie ihr den Gipfel bezwungen habt und wie du uns teilhaben lässt mit deinen Berichten und Bildern. Diese news mussten wir einfach mehrmals lesen und „langsam verarbeiten“. So spannend! Wie haben Janina und die anderen im BC die Spannung ertragen? Wir wünschen euch einen guten Abstieg, noch schöne Tage und kommt gesund in der Heimat an.
    Viele Grüße von Kerstin und Lothar

  13. Jutta sagt:

    Ihr habt nicht aufgegeben und Euch durchgebissen. Respekt!! Genießt Euren Erfolg und bleibt gesund!!

  14. Andrea J. sagt:

    Alle Achtung! Der Berg hat euch gewollt und der Kampf hat sich gelohnt. Ein paar erholsame Tage wünsche ich euch allen und einen guten Rückflug!

  15. Karin sagt:

    Echt verrückt,freut Euch über die Bergbezwingung.Ihr habt es verdient.Diesmal hat alles gepasst.Noch eine schöne Zeit.Grüße aus Irland von Karin

  16. Peter sagt:

    Ich habe bisher immer nur geschaut und gelesen. Aber nun müssen sie raus, meine Glückwünsche.
    Eine großartige Leistung, die ihr da vollbracht habt, trotz aller Schwierigkeiten.
    Und wir konnten von unten wie immer zusehen und interessante Dinge erfahren, danke dafür.

    Habt noch ein paar schöne Tage und auf bald in Leipzig.
    Auf den Vortrag bin ich schon sehr gespannt

    Grüße aus Leipzig von Peter

  17. Julia sagt:

    Hallo liebe Janina und Olaf 🙂

    Glückwunsch & Respekt! Toll, dass du/ihr es geschafft habt! Zum Glück ging alles gut!!! Bis bald in Leipzig! LG, eure Julia

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