Lobuche East Teil 2

Der Ort, an dem wir uns gerade befanden, war keineswegs der Gipfel. Mein frisch geeichter Höhenmesser zeigte gerademal 5950 m an. Bis zum höchsten Punkt fehlten also sage und schreibe 170 m. Und warum hier alle nach Dawas Worten „freiwillig“ umdrehen, ist auch völlig klar.

Von hier aus, bis zum tatsächlich höchsten Punkt des Lobuche East, muss man mal so richtig die Hände aus den Taschen nehmen. Die erste Schwierigkeit ist eine ziemlich unangenehme Spalte, welche den Vorgipfel, auf dem wir uns befanden, vom Gipfelbereich vollständig abtrennt. Das erste Bild zeigt das ganz gut. Hier musste ich springen, und der Landeplatz war nicht besonders einladend.

Der Sprung auf die andere Seite ist eigentlich nicht so schlimm, wäre der Landeplatz kein überhängender, schmaler Spaltenrand. Das vor allem war auch Dawas Problem.

Aber das eigentliche Problem in unserem speziellem Fall war Dawa selbst. Er wollte auch diesmal wieder umkehren, wie die vielen anderen Male auch. Ich hatte nun mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass ein sechsmaliger Everestbesteiger an einer solchen Spalte kapituliert. Na ja, dort gibt es eben Leitern, am Lobuche leider noch nicht.

Um zum Gipfel zu kommen, musste er aber auf alle Fälle dort rüber, um mich bei der Begehung des sich anschließenden, ziemlich heiklen Grates sichern zu können. Ich baute deshalb eine bombenfeste Fixpunktsicherung mit zwei langen Snowbars und redete mit Engelszungen auf ihn ein, dass wirklich nichts passieren könne. Und das entsprach auch den Tatsachen. Das sah er dann Gott sei Dank auch ein und traute sich schließlich.

Dieses Foto zeigt Dawa auf der anderen, gipfelseitigen Seite der Spalte. Man braucht hier schon ein wenig Mut.

Nachdem die Spalte überwunden ist, geht es noch ungefähr 30-40 Höhenmeter unschwer hinauf. Dann beginnt ein schmaler und recht heikler, weil schlecht abzusichernder Grat. Und am Beginn dieses Grates war für Dawa nun aber endgültig Schluss. Das ging für mich auch in Ordnung, denn von hier aus konnte er mich über den Grat sichern. Den letzten Steilaufschwung allerdings müsste ich dann wieder seilfrei klettern, denn so lang war unser Seil dann beim besten Willen nicht.

Dieses Foto zeigt vom Fixpunkt aus den etwa 150 m langen Grat, welcher zum Gipfelaufschwung führt. Ich hatte gehofft, hier festen Firn vorzufinden, versank dann aber in lockerem Schnee.

Zu Beginn des Grates baute ich einen Fixpunkt, der wohl auch einigermaßen gehalten hätte und machte mich auf den Weg. Gesichert war ich an einem 160 ! m langen Seil. Wir hatten ein 100 m langes Statikseil und ein 60 m langes Bergseil zusammengebunden.

Auf dem Grat setzte ich noch einmal zwei wackelige Snowbars. Nichts für schwache Nerven, denn ich hatte ständig Sorge, dass der lockere Schnee am Grat mitsamt mir abgeht. Doch nichts dergleichen geschah. Nach einer knappen halben Stunde hatte ich das Gratende erreicht und machte mich nun daran, den letzten etwa 100 m hohen Aufschwung zum höchsten Punkt zu klettern. Dawa konnte jetzt sogar ein paar Fotos von mir mit meiner Kamera machen, denn dieses letzte Stück brauchte er mich nicht mehr zu sichern. Unser Seil war aus.

Der gute Dawa hat etwa 50 Bilder geschossen, während ich diese letzten 100 Höhenmeter zum Gipfel aufgestiegen bin. In jedem Bild bin ich einen halben Millimeter weiter oben. Ich hatte ihn gebeten, ruhig viel zu fotografieren.

Ohne Probleme erreichte ich den Gipfel und hatte wohl das erste Mal in meinem Bergsteigerleben nichts weiter dort oben zu tun, als mich zu freuen und mir das sagenhafte Panorama anzuschauen. Die obligatorischen Gipfelfotos machte dieses Mal Dawa.

Auch der Rückweg verlief ohne Komplikationen. Ich kletterte sehr sorgfältig und konzentriert. Und an der Spalte baute ich für Dawa nun auf der anderen Seite abermals eine Eins-A-Sicherung. Und da der weitere Abstieg in unser Lager wiederum seilfrei und deshalb sehr rasch über die Bühne ging, lagen wir beide schon um 13.00 Uhr hochzufrieden in unserem Zelt.

Ich habe auf dieser Tour wieder einmal viel gelernt: Über Sherpas, die offensichtlich genau wissen, wann sie nein sagen müssen, weil das Risiko zu hoch zu werden droht. Und über einen Berg, der nicht das ist, was er zu sein scheint.

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8 Antworten

  1. Veronica sagt:

    Hallo Olaf,
    die Bilder sind wieder spektakulär schön, die Geschichte ist nichts für meine schwachen Nerven!!!
    Herzliche Grüße
    Veronica

  2. Christian sagt:

    Hallo Olaf,

    sieht ja rasant aus. Mir ist völlig unverständlich, warum der Lobuche East bei einigen Veranstaltern immer als relativ leicht gilt („vergleichbar mit Normalrouten leichterer Westalpen-4000er“ – So beschreibt das ein Veranstalter aus Dresden). Aber wenn die Tour dann auf dem Vorgipfel endet, hat das schon einen gewissen Beigeschmack.

    Viele Grüße
    Christian

  3. Janina sagt:

    … Man beachte die geniale Brille von Dawa! 😉 Anscheinend haben die Nepalesen einen natūrlichen Schutz gegen Schneeblindheit!

  4. Karin sagt:

    Danke für die beeindruckenden Bilder und die mutige Gipfelbesteigung.Dann mal schönes Osterfest! Grüße aus Irland von Karin

  5. Peter (Heinz) sagt:

    Hallo Olaf,

    Viele Grüße aus Leipzig und ein schönes Osterfest. Wir haben heute O-Eier gesucht – im Schnee.
    Aber natürlich nicht so hoch und schön wie bei Euch.

    Deine Bilder sind wie immer beeindruckend und ich für meinen Teil würde den Lobuche wahrscheinlich auslassen 😉

    Alles Gute für Dich
    Peter

  6. Urs+Katrin sagt:

    Lieber Olaf!
    schön…schön…und einfach nur schön…herzlichen Glückwunsch zu Deinem Erfolg und Respekt!mögen Deine Vorhaben weiterhin so unkonventionell-erfolgreich verlaufen!!wir reisen in den Gedankennischen unseres mitteleuropäischen Alltags mit Dir…
    weiterhin alles Gute!!
    Urs+Katrin

  7. Jutta sagt:

    Hallo Olaf!
    Herzlichen Glückwunsch zu Deinem Erfolg! Manchmal ist es wohl auch gut, weiter zu gehen.
    Bleib gesund!

    Jutta

  8. Kat Rina sagt:

    „Namasté“ und österliche Grüße nach Nepal,

    nun, kunterbunte Ostereier werden Dir/Euch wohl nicht begegnen, dafür aber leuchtend bunte und wehende Gebetsfahnen… Einfach beneidenswert. Weiterhin noch eine erlebnisreiche „Reise“ mit vielen Erfahrungen und auch von mir an dieser Stelle nochmals herzlichste Glückwünsche zu diesem spektakulären Gipfelsieg. Voller Spannung freue ich mich schon auf den nächsten fesselnden Bericht aus der Welt der weißen Riesen,

    alles Liebe,
    Katrina

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