Pech im Unglueck (Teil 2)

Der Titel „Pech im Unglück“ stammt von Christoph. Ich fand ihn originell, und er trifft die Sache ja eigentlich auch. Doch genauer betrachtet ist es einfach nur Riesenglück, dass es uns beide überhaupt noch gibt.

Für den Weg hinauf bis Lager 2, 6400 m hoch am Einstieg zum Japaner-Couloir gelegen, benötigten wir etwa fünf Stunden. Wieder windet sich ein Teil des Aufstiegs durch einen spaltendurchsetzten Eisbruch. Allerdings ist er weniger aufwendig zu begehen, und die Wegfindung deutlich einfacher als bei seinem großen Bruder unterhalb von Camp 1.

Ich mit Vollschutz. Entweder es ist so kalt, dass man besser nichts von seinem Gesicht unbedeckt läßt, um Erfrierungen zu vermeiden. Oder die Sonneneinstrahlung ist so massiv, dass man ebenfalls gut daran tut, sein Gesicht zu verhüllen. Auf dem Weg zum Camp 2 war es die Kälte.

Ich war etwas überrascht, als schon eine halbe Gehstunde unterhalb des eigentlichen Standpunktes von Lager 2 Zelte auftauchten. Der größte Teil der Hidden-Peak-Aspiranten hatte schon hier das Camp 2 errichtet, um dem Wind auf dem Sattel zu entgehen. Dort oben sind in dieser Saison schon mehrere Zelte Opfer des Sturmes geworden. Dass der Wind in der Scharte zwischen zwei Bergen besonders heftig werden kann, hat mit den Gesetzen der Strömungslehre zu tun. Verengt sich der Durchmesser eines Rohres, erhöht sich die Strömungsgeschwindigkeit und der Druck.

Wir aber wollten nicht noch ewig weit von unserem Lager bis zum Einstieg in das Japaner-Couloir laufen müssen. Deshalb entschlossen wir uns, das Risiko einzugehen und bauten unser Zelt mitten auf dem Sattel auf. Allerdings investierten wir zwei Stunden, gruben eine Vertiefung für unsere Nylonbehausung und umgaben sie mit einem Schneewall. In 6400 m Höhe ein hartes Stück Arbeit. Ausserdem gaben wir uns große Mühe, dass Zelt sorgfältig abzuspannen.

Unser Camp 2 auf dem Gasherbrum La. Etwa drei Stunden dauerte es, dass Camp so zu sichern, dass es hoffentlich auch die schwierigen Bedingungen dort oben heil übersteht.

Kurz vor 14.00 Uhr traten wir den Rückweg an. Nur wenige hundert Meter von unserem Zelt entfernt, beginnt der etwa 400 m hohe Eisbruch und damit die Spaltenzone. Gleich in die erste große Spalte hinter dem Camp 2 brach ich ein. Nichts spektakuläres aber unangenehm. Ich steckte bis zur Hüfte im Loch, meine Füße baumelten in der grundlosen Spalte. Aber ich konnte mich wieder selbst befreien. Nach nur zwei weiteren Schritten das gleiche Spiel. Offensichtlich war das keine gute Stelle, diese Spalte zu überqueren und dass trotzdem der vermeintliche Übergang mit einem Fähnchen gekennzeichnet ist. Ich teilte meine Befürchtung Christoph mit, der etwa 20 m hinter mir am straffen Seil einen aufmerksamen Zuschauer dieses Schauspiels abgab. Deshalb versuchte er sein Glück etwa 15 m von der Stelle entfernt, an der ich eingebrochen war. Ich hielt das Seil straff und bewegte mich gleichzeitig mit ihm, damit das Seil auch straff blieb. Die Stelle, die er sich ausgesucht hatte, sah absolut stabil aus. Trotzdem passierte es.

Christoph brach ein. Aber nicht nur so ein bisschen. Eine etwa drei Meter breite Schneebrücke sackte in sich zusammen und Christoph verschwand. Und nun wurde mein Alptraum war. Ich wurde umgerissen und scheinbar unaufhaltsam in Richtung Spaltenrand gezogen. Ich war mir in diesem Moment ziemlich sicher, dass ich in ein paar Sekunden ebenfalls in dieser Spalte auf nimmer Wiedersehen verschwinden würde. Doch anstatt in Panik zu geraten, versuchte ich alles mögliche, mich im Schnee festzukrallen. Nach etwa fünf Metern gelang mir das auch. Nur mit größter Mühe hatte ich diesen Sturz gehalten.

Es war uns also genau das passiert, wovor ich die ganze Zeit die meiste Angst hatte und natürlich immer noch habe: Ein katastrophaler Spaltensturz in einer Zweierseilschaft. Wir beide waren und sind uns dieser Gefahr die ganze Zeit bewusst und nehmen sie in Kauf, um unser Ziel zu erreichen.

Es sieht relativ unspektakulär aus, so ein Loch. Ein Foto in einem solchen Moment zu schießen, ist vielleicht nicht gerade naheliegend. Und doch habe ich es gemacht, weil ich nicht wirklich viel zu tun hatte. Christoph musste sich selbst retten.

In den Schnee gepresst begann ich, einen Fixpunkt zu bauen. Ich war sicher, dass sich Christoph verletzt hatte, denn eine Kontaktaufnahme schlug fehl. Ich schrie mir die Seele aus dem Leib, doch es kam keine Antwort. Gerade als ich meinen Pickel vergraben hatte, wurde das Seil entlastet. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Er hatte offensichtlich mit seiner Selbstrettung begonnen und war demzufolge nicht oder nur leicht verletzt. Ich hielt das Seil straff, während sich Christoph Meter für Meter aus der Spalte arbeitete. Irgendwann tauchte dann tatsächlich sein Kopf über dem Spaltenrand auf.

Ich war unglaublich erleichtert. Christoph ist in diesen Dingen sicher kein sehr erfahrener Mann, trotz unseres Trainings auf dem Taschachferner in den Alpen. Und auch für mich war es der erste Spaltensturz in einer solchen Dimension. Dabei gehe ich seit 25 Jahren in die Berge. Es ist deshalb sehr bewundernswert, dass Christoph die ganze Zeit einen kühlen Kopf behalten hat. Er wusste genau, dass ich ihm kaum würde helfen können und tat das Richtige.

Doch anstatt sich über dieses kleine Wunder zu freuen, dies alles heil überstanden zu haben, eröffnete er mir noch am Spaltenrand liegend, dass wir beide trotz der glücklichen Rettung nun ein anderes riesengroßes Problem hätten. Und jetzt wird auch verständlich, warum diese news „Pech im Unglück“ heisst: Christoph hatte einen Schuh mit samt dem Steigeisen verloren. Er lag irgendwo in den Eingeweiden des Gletschers.

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3 Antworten

  1. Christiane sagt:

    Glueck gehabt!!! Mehr kann man dazu wohl nicht sagen. An der Stelle wuerde ich jetzt wohl heimfahren 😉 Moege das Glueck auch weiterhin euer staendiger Begleiter sein…

  2. Jens K. sagt:

    Hallo Christoph und Olaf,
    das ist gemein, die News so zu beenden …
    Aber offensichtlich seid Ihr gut ins Lager 1 gekommen, sonst hätten wir ja diese Nachricht nicht lesen können. Trotzdem frage ich mich, wie man das ohne Schuh hinbekommt? Meine Hochachtung! Ich hoffe es gab keine Erfrierungen. Denn Reserveschuhe und vor allem Steigeisen sind auf dem Gletscher ja wohl kaum aufzutreiben. Wie nun weiter, frage ich mich von hier aus? Habt Ihr schon eine Lösung?
    Aber das wichtigste ist ja doch, dass Du den Sturz halten konntest! (Ich habe übrigens keine 25 Jahre gebraucht, um so einzubrechen.) Mich würde mal ein Bericht aus Christophs Sicht dazu interessieren, wenn er dazu die Muse findet.
    Ich wünsche Euch, wie Ihr Euch auch immer entscheiden mögt, alles Glück der Welt für einen gesunden und glücklichen Ausgang Eurer Unternehmung
    Beste Grüße
    Jens

  3. Veronica sagt:

    Pfff, diese Geschichte lässt mich ehrlich gesagt nicht unbedingt ruhiger schlafen!!!! Passt bitte auf euch auf!!!

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