Knapp daneben (Teil 2)

Genau diese 7. Seillänge liegt unterhalb des sogenannten „Spider“- Schneefeldes. Dieses Schneefeld ist sehr markant. Es sieht aus wie eine Spinne und ist auf jedem Fitz-Roy-Foto deutlich zu erkennen. Von dort stammte das Wasser, welches über unsere Route schoss. Als ich mit dem Nachstieg in dieser verflixten 7. Seillänge begann und die Sonne aus unserem Weg verschwand, fiel schlagartig die Temperatur unter den Gefrierpunkt. Als ich, nun ebenfalls klatschnass, bei Fabian ankam, war dieser in einem ziemlich schlechten Zustand. Er fror erbärmlich. Vor allem die Füße in den tropfnassen Kletterschuhen machten ihm zu schaffen.

Als wir am Dienstagabend auf dem Franzosensattel eintrafen, war die Welt noch in Ordnung. Im Hintergrund die sagenhaften Berggestalten von Cerro Torre und Torre Egger.

Er konnte auf keinen Fall in den Kletterschuhen weiterklettern. Ich ebenso wenig. Wir mussten, ob wir wollten oder nicht, die Bergschuhe anziehen. Gott sei Dank war die eine Daunenjacke, die wir im Rucksack dabei hatten, trocken geblieben. Die bekam jetzt Fabian. Wir gaben nicht auf, doch ab jetzt war alles sehr schwierig, und wir verloren Zeit. Ein Problem waren nun die beiden Seile. Sie bekamen mit abnehmender Temperatur die Konsistenz von Kabeln. Vernünftiges Handling wurde nahezu unmöglich. Das Sichern ging eigentlich kaum noch. Ich konnte mir nicht vorstellen, an diesen Seilen einen sicheren Rückzug hinzukriegen. Das zweite Problem waren die Bergschuhe. Die klettertechnischen Schwierigkeiten erforderten eigentlich Kletterschuhe. In den Bergschuhen zu steigen, machte einerseits unsicher andererseits langsam.

Dass wir schon ganz schön weit oben waren, zeigt dieses Bild. Wir schauen hier deutlich von oben auf den benachbarten Gipfel des Poincenot.

Wir kämpften uns trotz Kälte und steifer Seile weiter nach oben. Doch wir benötigten nun viel zu viel Zeit. Als die elfte von 14 Seillängen (die sieben Seillängen in der Brecha nicht mitgerechnet) hinter uns lag, gab es eine Art Besprechung. Sollten wir weiter machen oder umkehren? Für Fabian war die Sache glasklar. Wir könnten den Gipfel zwar erreichen, doch war dann eine Nacht in der Wand bzw. auf dem Gipfel unumgänglich. Und nun kam die leere Kartusche ins Spiel. Wenn wir also die Nacht da oben irgendwie überstanden und auch die Abseilerei heil hinter uns gebracht hätten, dann erwartete uns auf dem Sattel weder etwas zu essen noch zu trinken. Für beides war Brennstoff nötig. Und auf dem Franzosensattel ist man eben noch lange nicht unten. Ein Biwak ohne alles wollte Fabian nicht riskieren. Damit war die Sache entschieden. Ich brauchte nicht lange darüber nachdenken, was ich eigentlich wollte. Er hatte sich entschieden, kehrt zu machen. Ich tat das auch.

Der Zustand unserer beiden Seile hatte sich durch das fortgesetzte Handling etwas gebessert, so dass wir einigermaßen abseilen konnten. Einmal blieb das Seil beim Abziehen hängen und mußte befreit werden. Kurz vor 22.00 Uhr nach 15 Stunden in der Wand standen wir wieder auf dem Sattel und legten uns sehr hungrig ins Zelt.

Der letzte Akt in der Wand nach der letzten Abseilstrecke. Fabian zieht das Seil ab. Die Abzieherei war jedes Mal Stress hoch Drei: Wird es hängenbleiben oder nicht? Es sind schon Leute wegen eines nicht mehr abziehbaren Seiles am Berg geblieben.

Gestern sind wir dann die Brecha abgeseilt und durch extrem tiefen und nassen Schnee zum Paso superior abgestiegen. Dort gab es endlich wieder Gas. Wir haben stundenlang gegessen und getrunken und uns in einen halbwegs ansehnlichen Zustand versetzt, bevor wir ins Basislager abstiegen. Dort sind wir gegen 21 Uhr eingetroffen.

Bis auf ein paar kleinere Erfrierungen an Fabians Füßen, die wieder heilen werden, gibt es kaum Verluste zu beklagen. Nicht einmal der Traum vom Gipfel des Fitz Roy ist ausgeträumt. In den nächsten Tagen, wenn wir unseren Krempel nach El Chaltén tragen, wird genug Zeit sein, über alles noch einmal nachzudenken und zu analysieren. Doch eines steht jetzt schon fest: Wir sind nach wie vor ein tolles Team, und es liegt ein großes Abenteuer an einem großartigen Berg hinter uns. Und das ist trotz allem immer noch das wichtigste.

Kurzer Nachtrag: Soeben wurde uns mitgeteilt, dass eine argentinische Seilschaft, die sich an der kalifornischen Route am Fitz Roy versuchen wollte, und der wir gestern auf dem Abstieg begegnet sind, schon in der Brecha an den Wasserströmen gescheitert ist.

Allen Lesern, Freunden und Sponsoren ein gesundes Neues Jahr mit vielen spannenden Erlebnissen und Begegnungen.

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6 Antworten

  1. Jana sagt:

    Lieber Olaf, lieber Fabian,
    ich gratuliere euch von ganzem Herzen zu eurem Erfolg, auch wenn ihr nicht auf dem Gipfel wart, so habt ihr doch grandiose Erlebnisse gehabt, konntet einzigartige Naturschauspiele sehen und erleben und nicht zuletzt bin ich einfach nur froh, dass ihr unbeschadet wieder in sicheren Gefilden seid. Ganz bestimmt gibt es viele Menschen, denen euer Wohl tausend mal wichtiger ist, als ein Gipfelfoto! Sponsoren eingeschlossen!!!
    Ich wünsche euch einen guten Heimflug, ein herzliches Willkommen bei denen, die auf euch warten!
    Alles Gute für das neue Jahr, fantasievolle Projekte für die Zukunft und dass ihr eure Träume auch weiterhin leben könnt und werdet!
    Ihr könnt stolz auf euch sein!
    Ganz liebe Grüße
    Jana

  2. Jens K. sagt:

    Lieber Olaf und Fabian,
    ich schließe mich den Glückwünschen ausnahmslos an und wünsche Euch auch für die Heimkehr und für das gesamte neue Jahr alles Gute und viel Glück. Möge es Euch bald gelingen, das Unternehmen Fitz Roy, so wie es nun mal gelaufen ist, als persönlichen Erfolg zu werten.
    Und wieder was gelernt: Im festen Aggregatzustand ist Wasser eben besser für Wasserfallklettern geeignet, als im flüssigen. Da taugt es nur zum Trinken …, am besten mit noch was drin!
    Prost und beste Grüße
    Jens

  3. Hartmut Büttner sagt:

    Hallo Olaf & Fabian,
    ich wünsche euch ein gesundes neues Jahr und eine glückliche Heimkehr.
    Für mich hat sich beim Lesen der letzten News das Gefühl eingestellt, daß das, was ihr dort am Berg vollbracht (respektive erlitten) habt, mindestens einem Gipfelerfolg unter halbwegs brauchbaren Bedingungen gleichzustellen, wenn nicht gar höher einzuschätzen ist! Ich bin beeindruckt von euren Willensqualitäten, ebenso wie von euren vernünftigen, rationalen Entscheidungen.

    Viele Grüße von Hartmut

  4. Andreas Troche sagt:

    Hallo Fabian und Olaf,
    habe nachdem ich von Christine eure web-adresse erfuhr alle Berichte mit Interesse, Spannung und wachsender Ungeduld verfolgt. Faszinierend die Landschaft, die Herausforderung und euer Wille sich durchzusetzen. Bewundernswert aber auch der respektvolle Umgang mit den Gefahren der Natur und der Verantwortung für eure Gesundheit und euer Leben. Schön euer Erfolg und die Chance für weitere Herausforderungen. Alles Gute für 2011 und liebe Grüsse Andreas

  5. Sabine und Erhard Jäger sagt:

    Hallo Fabian,
    eure Reise war sehr beeindruckend und wir sind froh, dass ihr das alles gesund überstanden habt. Es war Wahnsinn, was ihr euch zugemutet habt. Alle Hochachtung! Die Berichte/Bilder waren sehr anschaulich und atemraubend.Eine gute Heimreise und für das Jahr 2011 alles Gute und viel Erfolg bei allem, was ihr euch vorgenommen habt.
    Lg Sabine und Erhard

  6. Leo sagt:

    Hallo – Ihr tapferen Kämpfer
    Wir, die wir alle aus „warmen Stuben und mit wohlgenährten Feiertags-Bäuchen“ Eure wagemutigen Taten mit Spannung verfolgt haben, ziehen den Hut vor Euren Leistungen!
    So viel eiserner Wille, Mut, Zähigkeit und Durchhaltevermögen – eine sehr große Leistung!
    Wir beglückwünschen Euch von ganzem Herzen zu der hinter Euch liegenden To(rt)ur !
    Ihr seid wieder soweit gesund unten in der Ebene eingetroffen und das ist wohl die Hauptsache!
    Natürlich wollen wir Euch für das begonnene, neue Jahr noch alles, alles Gute wünschen.
    Für Eure weiteren Pläne und Abenteuer viel Erfolg und die dazugehörige Gesundheit – mit vielen Grüßen – Leo und 3 Hildes!

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