Karins (Un) Glueck

Unser unfreiwilliger Wartetag in Khote stand ganz im Zeichen des Wartens und Hoffens. Würden Lak Kubir und zwei andere aus unserer Crew die Tasche finden und dann auch Bergen können?

Wir nutzten den Tag, um unsere Sachen zu trocknen, denn am Vormittag schien endlich mal ein bisschen länger die Sonne. Duschen, Körperpflege, Wunden lecken. Uns tat dieser Tag wirklich sehr gut, denn einige haben sich ziemlich arg erkältet. Noch mehr als wir allerdings hatten die Träger diesen zusätzlichen Ruhetag nötig.

Das letzte Stück des Abstieges vom Dobato-Pass hinunter in das Hinku-Tal nach Korthe führt durch einen der eindrucksvollsten Bergurwälder, die ich je sah.

Das letzte Stück des Abstieges vom Dobato-Pass hinunter in das Hinku-Tal nach Korthe führt durch einen der eindrucksvollsten Bergurwälder, die ich je sah.

Am späten Nachmittag dann die ernüchternde Nachricht, dass Karins Gepäcksack nicht zu finden war. Ihre gesamte Ausrüstung ist verloren. Und nun mussten wir überlegen ob und wie es weitergehen könnte. Ich war sofort der Meinung, dass wir eine Lösung finden werden. Denn zum Glück hat sie mit ihren schweren Bergschuhen das wichtigste Ausrüstungsteil an dem Unglückstag getragen. Auch ihr Eispickel ist noch da, weil wir alle unsere Pickel den Trägern gegeben hatten. Es musste doch möglich sein, einen Schlafsack, eine Daunenjacke, Steigeisen, einen Gurt und eine Steigklemme zu besorgen. Alles andere würden wir anderen ihr irgendwie zur Verfügung stellen können.

Und nun hatten wir Glück im Unglück. Der Lodge-Besitzer war, wie ja soviele von ihnen, in seinem früheren Leben Climbing Sherpa. Also besaß er, was wir nun so dringend brauchten. Ich versuchte ihn bei seiner Ehre zu packen, und die sehr traurige Karin machte sicher auch gehörigen Eindruck auf ihn. Also überließ er uns seine Sachen, die ihm ganz sicher sehr viel bedeuten.

Ein sehr stolzer Tsering Sherpa vor seiner Lodge. Ich habe ihm mein Wort gegeben, dass seine Ausrüstung unversehrt in Lukla für ihn aufbewahrt wird. Und wenn etwas kaputt geht, dann werden wir es selbstverständlich ersetzen.

Ein sehr stolzer Tsering Sherpa vor seiner Lodge. Ich habe ihm mein
Wort gegeben, dass seine Ausrüstung unversehrt in Lukla für ihn aufbewahrt wird.
Und wenn etwas kaputt geht, dann werden wir es selbstverständlich ersetzen.

Karin bat mich, in dieser news auch ein Statement von ihr zu diesem Malheur zu veröffentlichen, was ich natürlich gerne tue.

Karin schreibt:

Leider behielt Olaf Recht. Mein Packsack konnte nicht geborgen werden. Jetzt stehe ich mitten im Himalaya auf ca. 4000 Metern Höhe und besitze nur noch das, was ich in meinem 28-Liter-Tagesrucksack dabei hatte. Sehr übersichtlich. Meine gesamte Gletscherausrüstung für diesen Urlaub, warme Jacken, Handschuhe, Wäsche für eine vierwöchige Tour. Mein Schlafsack und besonders die Reserveakkus und die Ladegeräte für meine Kameras. All dies liegt jetzt irgendwo unter einer steilen Wand.

Von all diesen Dingen, die mich teils schon auf vielen Touren begleitet haben, die ich mir hart erarbeitet habe oder die mir von guten Freunden geschenkt wurden, muss ich mich jetzt lösen. Es tut weh und macht mich sehr traurig. Letztlich stand die gesamte weitere Tour für mich auf der Kippe. Ohne Schlafsack, ohne warme Kleidung, ohne Steigeisen kann ich nicht weiter aufsteigen.

Der Schlafsack war Karins größte Sorge. Sie friert eben schnell. Die beiden, die er uns brachte, waren für Sherpas gedacht. Deshalb nahm Karin gleich beide. Ineinander gesteckt und mit unseren Daunenjacken bedeckt muss es gehen.

Der Schlafsack war Karins größte Sorge. Sie friert eben schnell. Die
beiden, die er uns brachte, waren für Sherpas gedacht. Deshalb nahm Karin gleich
beide. Ineinander gesteckt und mit unseren Daunenjacken bedeckt muss es gehen.

Aber wir sind hier in Nepal. Da finden sich immer Lösungen. Innerhalb kürzester Zeit brachte mir der Lodgebesitzer, Tsering Sherpa, eine super Daunenjacke, zwei Schlafsäcke, Steigeisen, Gurt. Er leiht es mir kostenlos für den Rest der Tour.

Von allen aus der Gruppe wurde ich getröstet und gedrückt. Jeder bot mir gleich an, mir Sachen, die mir jetzt fehlen, zu leihen. Von Anfang an waren wir Neun eine echt tolle Truppe. Aber dieser Vorfall ließ uns alle noch enger zusammenrücken.

Was ich auch unbedingt sagen möchte: Der Verlust meiner Ausrüstung macht mich wirklich traurig. Aber es ist nur Material. Es kann ersetzt werden. Ich bin weder böse oder gar wütend auf den Träger, der selber fast abgestürzt wäre. Ich bin wirklich froh, dass er es gut überstanden hat. Und ich bin sehr dankbar für die Hilfe von allen Seiten, so dass wir gemeinsam unsere Tour fortsetzen können. Soweit Karin.

Die sehr eindrucksvolle Nordwestflanke des Mera Peak vom 4800 m hoch gelegenen Khare aus gesehen.

Die sehr eindrucksvolle Nordwestflanke des Mera Peak vom 4800 m hoch
gelegenen Khare aus gesehen.

Wir alle hatten mit diesem für Karin so unangenehmen Vorfall abgeschlossen. Das Gepäck war verloren, trotzdem würden es weitergehen. Das galt aber nicht für unseren Shirdar Pasang und seinen Stellvertreter Dawa. Sie, so interpretiere ich das, fühlten sich in ihrer Ehre verletzt. Es war etwas gravierendes geschehen, und sie konnten sich damit eben nicht abfinden, so wie wir es taten. Deshalb beschlossen sie, ein zweites Mal Richtung Dobato-Pass aufzusteigen, um auf Biegen und Brechen Karin den Gepäcksack zurück zu bringen.

Wir marschierten ohne Pasang und Dawa weiter Richtung Mera La. Ehrlich gesagt, ich hielt das Vorhaben der beiden für reine Zeit- Kraftverschwendung. Doch da hatte ich mich und alle anderen auch getäuscht. Gestern Abend trafen die zwei mit dem auch noch völlig unversehrten Gepäcksack in Khare ein. Die Überraschung, das Staunen aber vor allem die Freude bei Karin und uns anderen war dementsprechend groß. Es ist schon ein kleines Wunder!

Diese Geschichte und vor allem ihr Ende wird jedenfalls in die Analen meiner vielen Nepaltouren eingehen. Soviel steht fest.

Irendwie erinnerte diese Szene an Weihnachten und nicht an Ostern. Ein Mann kommt abends in Dunkeln durch den Schnee gestapft mit einem schweren Sack auf dem Rücken. Und alle werden beschenkt und freuen sich, wie die Schneekönige.

Irgendwie erinnerte diese Szene an Weihnachten und nicht an Ostern. Ein
Mann kommt abends in Dunkeln durch den Schnee gestapft mit einem schweren Sack auf dem
Rücken. Und alle werden beschenkt und freuen sich, wie die Schneekönige.

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11 Antworten

  1. Werner sagt:

    Es war ein Zeugnis von unvorstellbarem Einsatzwillen und Teamgeist!
    So werden alle Witterungs bedingten Probleme zu Bagatellen und Ihr schafft Eure Ziele!
    Daumen hoch und durch.
    Annette und Werner

  2. Sina sagt:

    Die weisen Japaner würden sagen:“Das Glück kommt zu denen,die lachen.“ Es scheint, als könne euch als Gruppe niemand so schnell die Butter vom Brot nehmen. Das freut mich sehr. Macht weiter so

  3. Bernd Bienia sagt:

    Mit Erleichterung und Freude habe ich den letzten Eintrag gelesen. Mann wäre ich gern dabei.
    Das schweissst die Gruppe darüber hinaus zusammen.Hinterher sind alle Schwierigkeiten nur halb so schlimm.Ich wünsche Euch weiter gutes Gelingen und bin gespannt.

  4. Mayk Zieschang sagt:

    Guten Morgen, Olaf, aus Erfurt! Deine Berichte werden immer spannender. Heute musste ich an Albert Camus denken und an das, was er über den kameradschaftlichen Zusammenhalt Gleichgesinnter geschrieben hat. Gut, das der Supergau ausgeblieben ist. Toi, toi, toi für die nächsten Wege.

    Mayk aus Plaue

  5. Veronica sagt:

    Ich freue mich mit euch, dass der Gepäcksack doch noch gefunden wurde!!

  6. Thomas Schmidt sagt:

    Frohe Ostern, liebe Karin !!!

  7. Heinz Haas sagt:

    Da sieht man mal wieder…nicht so schnell aufgeben. Toll dass Karin ihre Sachen wieder hat. Man hat zwar wenig dabei aber merkt dann wie wichtig und wertvoll das Wenige ist.
    Hab mich wohl getäuscht wegen Gipfel – wohl erst in 2-3 Tagen. Drück euch allen die Daumen. An Sabine – denk an dich. Lg Heinz

  8. Joachim Herrmann sagt:

    Liebe Karin , mich freut es für Dich , dass Deine Ausrüstung wieder gefunden wurde . Ich kann gut nachvollziehen wie Dir zumute war . Mir wurde vor vielen Jahren am Kailash die gesamte Expeditionsausrüstung für die Gurla Mandata gestohlen . Zunächst Hoffnungslosigkeit . Dann haben mir vollkommen unerwartet wildfremde Menschen mit langen Unterhosen , Handschuhen , Pulli , Daunenanarok etc. ausgeholfen . So hättest auch Du von Deinen Freunden und dem Lodgebesitzer Hilfe erhalten . Es geht immer weiter ! Und jetzt habt ihr ja endlich mal Euer Ziel sehen können , ganz im Hintergrund den Gipfel des Mara Peak ! Ich wünsch Euch allen ne gute Zeit und ein gutes Weiterkommen ! Liebe Grüße an Euch alle und und natürlich ganz besonders an Sabine von Christine und Joachim

  9. Kathleen sagt:

    das sind ja heute wirklich tolle Nachrichten…ist schon super beeindruckend was die Träger da leisten..Wahnsinn !!!
    Hoffe jetzt das euch das Wetter hold ist :-)))
    Sabine ganz viele grüße und drück dich von hier ganz feste!!!

  10. Hilke sagt:

    Glückwunsch Karin und allen Erkälteten „Gute Besserung“

  11. Jens K. sagt:

    Hallo Karin,
    ich bin mal beim Spreewaldpaddeln dämlicherweise ins Wasser gefallen und habe von einem netten „Lodgebesitzer“ trockene Sachen bekommen. Das war Glück! Aber (fast) ohne Ausrüstung mitten im Winter im Himalaja … ? Mann, hast Du ein Schwein! Ich gratuliere.
    Besonderen Dank aber an Pasang und Dawa. Solche Menschen machen glücklich.
    Nun wird alles gut, bestimmt. Beste Grüße, auch an alle anderen
    Jens

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