Wettersack am Mont Blanc

Das Wetter kann man immer vorschieben. Die Leute werden es verstehen und nicht weiter nachfragen. Reichte die Kondition oder das Können nicht aus? Beschlich einen die Angst oder fehlte Ausrüstung? Womöglich lag man bei der Routenwahl daneben? Vielleicht wurde falsch mit dem Essen und dem Brennstoff kalkuliert? Das Wetter muss fast immer als Grund für einen Misserfolg herhalten. Und auch bei uns könnte es so einfach sein.

Auf den ersten Blick hat uns eindeutig das Wetter einen Strich durch die Rechnung am Mont Blanc gemacht. Auf den zweiten hatten wir schlecht kalkuliert, weil wir uns zu sehr auf den Wetterbericht verließen und waren zu ängstlich, dort oben einzuschneien. Doch der Reihe nach.

Gipfel und Biwak

Unser zweites Lager am Mont Blanc lag großartig. Nur 800 Höhenmeter und etwa 3-4 Stunden trennten uns noch vom höchsten Punkt des Mont Blanc, dessen Gipfelaufbau wir hier sehen.

Das Alpentraining hat auch diesmal wieder großen Spaß gemacht. Volker, Stefan, Martin und Ulf waren pflegeleicht und sehr engagiert. Wir können nun mit gutem Gewissen behaupten, dass wir das, was wir in Nepal brauchen werden, jetzt auch wissen und können.

Das Highlight dieser Tage im Pitztal war die Durchsteigung der 600 m hohen Taschachwand gemeinsam mit Jacob. Wir wollten so schnell wie möglich und ohne Seil klettern und testen, wie rasch wir unterwegs sein können. Ich wollte Jacob testen. Er hat sich in den vergangenen zwölf Monaten ganz großartig auf unser gemeinsames Unternehmen in Peru vorbereitet und ist inzwischen zu einem sicheren Eisgeher geworden. In den letzten Tagen wurde aber auch deutlich, dass wir nicht nur beim Klettern selbst ein gutes Team sind, sondern auch sonst. Und das ist ja nicht gerade unwichtig, wenn man vorhat, wochenlang in einem Zelt auf zwei Quadratmetern miteinander auszukommen.

Wenn nichts dazwischen kommt, wie beruf, Familie, Kinder, wie schon bei so vielen anderen meiner Partner, dann steht Jacob noch eine große Zeit in den Bergen bevor. Aber sollte man ihm wünschen, dass nichts dazwischen kommt?

Wenn nichts dazwischen kommt, also zum Beispiel Beruf, Familie, Kinder, wie schon bei so vielen anderen meiner Partner, dann steht Jacob noch eine große Zeit in den Bergen bevor. Aber sollte man ihm das wünschen?

Um unsere Akklimatisation zu verbessern und so schon relativ einsatzfähig an unsere Berge in Peru zu kommen, sind wir vom Pitztal aus nach Chamonix gefahren. Wir wollten in einem dreitägigen Schönwetterfenster den Mont Blanc auf der Route über den Glacier des Bossons und den Nordgrat des Dome de Gouter besteigen. Nur wenige gehen heute diese Route, obwohl sie sicherlich die schönste auf diesen Berg ist. Aber sie ist auch sehr lang und man kann hier keinen Meter mit der Bahn fahren, muss 3500 Höhenmeter aufsteigen.

Jacob klettert über mir wie ein Uhrwerk. In knapp zwei Stunden hatten wir die 600 Höhenmeter geschafft.

Jacob klettert über mir wie ein Uhrwerk. In knapp zwei Stunden waren die 600 Höhenmeter in der Taschachwand geschafft.

Übrigens macht diese enorme Höhendifferenz den Mont Blanc wirklich zu etwas Besonderem! Er zählt zu den prominentesten Bergen weltweit. Seine Schartenhöhe von 4697 m wird nur von zehn anderen Bergen übertroffen. Die Schartenhöhe oder Prominenz eines Berges ergibt sich als Differenz aus seiner Höhe und der höchstgelegenen Einschartung, bis zu der man mindestens absteigen muss, um auf einen höher gelegenen Berg zu kommen.

Ein weiterer Superlativ am Mont Blanc ist der Glacier des Bossons, welcher vom Gipfel des Mont Blanc bis auf eine Höhe von 1420 m herabfließt. Er überwindet also 3390 Höhenmeter und ist damit in den Alpen absoluter Rekordhalter.

Am ersten Tag stiegen wir von Chamonix aus 1200 Höhenmeter zu der verlassenen Seilbahnstation Les Glaciers L´Orient auf. Hier errichteten wir unser erstes Lager. Schön gelegen mit Blick auf den Glacier des Bossons und dem morbiden Charme der verlassenen Station. Dazu war das Wetter hochsommerlich. Allerdings ging es zeitig in die Schlafsäcke, weil wir am anderen Morgen sehr früh loswollten. Wir hofften auf Nachtfrost, um auf gefrorenem Firn möglichst viele der vor uns liegenden 1600 Höhenmeter bis hinauf auf den Dome de Gouter zurück legen zu können. Und das funktionierte auch ganz wunderbar. Schon am frühen Nachmittag erreichten wir unseren anvisierten Biwakplatz unterhalb des Gipfels des Dome de Gouter.

Unser erstes Lager an der verlassenen Seilbahnstation Les Glaciers L´Orient. Im Hintergrund der Dome de Gouter (4304 m) sowie rechts die Aiguille de Gouter. Ausserdem der Glacier des Bossons.

Unser erstes Lager an der verlassenen Seilbahnstation Les Glaciers L´Orient. Im Hintergrund der Dome de Gouter (4304 m) sowie rechts die Aiguille de Gouter. Direkt darunter der Glacier des Bossons. (Foto: Ulf Wogenstein)

Dieser Platz war nun ganz besonders spektakulär. Wir hatten einen unverstellten 360° Rundblick auf die Nordwand des Mont Blanc-Gipfels und den Dome de Gouter, auf Aiguille du Midi, Mont Blanc du Tacul, Mont Maudit und viele andere. Den ganzen Tag Traumwetter. Doch anstatt das Abendlicht zu genießen, zogen wir es vor, abermals zeitig in die Daunen zu kriechen, um am anderen Morgen wieder sehr früh aufzubrechen. Zum Gipfel war es zwar nicht mehr weit, aber weil die Wettervorhersage für den nächsten Abend Schneefälle prognostizierte, wollten wir nach dem Gipfel noch so weit wie möglich absteigen, mindestens bis zum 3200 m hoch gelegenen Zeltplatz an der La-Tete-Rousse-Hütte auf der Ostseite des Berges.

Das Schlechtwetter war rascher eingetroffen als vorhergesagt. Zum White Out sollten sich noch Sturm und ergiebige Schneefälle hinzu gesellen. Aber auch diese Prognose stimmte nicht.

Das Schlechtwetter war rascher eingetroffen als vorhergesagt. Zum White Out sollten sich noch Sturm und ergiebige Schneefälle hinzu gesellen. Aber auch diese Prognose stimmte nicht.

Doch der Berg zeigte uns mit schöner Deutlichkeit, wie wenig er sich um Wetterberichte schert. 20 Stunden früher als prophezeit schlug das Wetter um. Als der Wecker um drei Uhr morgens klingelte, schneite und stürmte es, und die Sicht war so schlecht, dass man sich nicht weiter als fünf Meter vom Zelt entfernen konnte, wollte man es nicht aus den Augen verlieren. Das White Out war vollkommen. Wirklich nichts hatte auf diesen radikalen Wetterumschwung hingedeutet, nicht einmal der Luftdruck. Aber so ist das eben. Und wir hatten nun ein Problem. Unsere Nahrungs- und Brennstoffvorräte waren auf drei Tage ausgelegt. Doch so wie es aussah, saßen wir hier oben fest.

Auf unserem etwas überstürzten Abstieg hatten wir zunehmend bessere Sicht. Alles wandte sich wieder zum Guten.

Auf unserem etwas überstürzten Abstieg hatten wir zunehmend bessere Sicht. Alles wandte sich wieder zum Guten. (Foto: Ulf Wogenstein)

Gemeinsam mit Jacob versuchte ich nach Sonnenaufgang, einen Weg zur Normalroute zu finden. Aber wir gaben das Unterfangen schnell wieder auf. Stattdessen bauten wir eine Schneemauer um unsere Zelte, weil auch der Wind bald stark auffrischen sollte. Doch der Gedanke, dass wir hier oben womöglich ein paar Tage lang mächtig Kohldampf schieben müssten, war einigen von uns ganz und gar nicht geheuer. So brachen Jacob und ich noch ein zweites Mal auf, um die Hauptroute zu finden. Und diesmal klappte das auch. Auf unserem Rückweg zum Lager klarte es sogar ein wenig auf, so dass wir rasch unseren Krempel zusammenrafften und uns auf die Flucht nach unten begaben.

Also nichts mit Gipfel. Dennoch: Schon am nächsten Tag als wir von der La Tete Rousse Hütte ins Tal nach Chamonix abstiegen, hätten wir zum Gipfel gehen können. Doch die Wahl, anstatt abzusteigen, in unserem Lager am Dome de Gouter noch zu warten, hatten wir nicht. Unsere Vorräte waren aufgebraucht.

Unser Zuhause für die kommenden fünf Wochen in Peru hat den Eignungstest ebenfalls gut überstanden.

Unser Zuhause für die kommenden fünf Wochen in Peru hat den Eignungstest ebenfalls gut überstanden.

Allerdings betrübt mich das persönlich nicht allzu sehr, denn erstens war ich da oben schon und zweitens habe ich meine Ziele im Pitztal und am Mont Blanc erreicht. Jacob und ich haben uns akklimatisiert und gut miteinander harmoniert. Ulf hat ein paar schöne Filmaufnahmen gemacht, und wir alle gemeinsam hatten ein paar erlebnisreiche Tage am Berg. Ich bin also sehr zufrieden. Schade ist es nur für die drei anderen. Sie müssen ihren Sack dort wohl oder übel noch abholen.

 

 

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4 Antworten

  1. Sabine sagt:

    Klar ist es dem Jakob zu wünschen. Zumindest, wenn er richtig Freude daran hat. Familie ist da bestimmt kein Widerspruch, es gibt so viele Bergsteigerpaare, wo es super funktioniert. Trotz Mont Blanc-Whiteout, freut Euch auf Peru! Bleibt gesund und bleibt auch mit Gipfelziel offen für all das Schöne, was so eine Tour an Wunderbarem, Faszinierendem bereithält. Geniesst jeden Tag, den Ihr in der faszinierenden Bergwelt verbringen könnt, das ist schon ein Geschenk.

  2. Veronica sagt:

    Besser als Sabine kann ich es auch nicht schreiben!!

  3. Thomas Schmidt sagt:

    Super Olaf !!
    Ich kann mal wieder komplett mit dir mitfühlen…
    Du kannst dich echt glücklich schätzen, deine Träume derart leben zu dürfen. Andere haben es leider nicht so gut, das fällt mir eben so ein, wo ich vom Pitztal lese 😉

    Also alles Gute und viel Gelingen in Peru !!
    Vieleicht sehen wir uns ja sogar in Huaraz, wo wir am auch 20.07. eintreffen 🙂

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