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Abbau des Basislagers, 14.-16.11.2002

14.11.02 (Dirk)

Das Wetter zeigte sich wieder von der sonnigen Seite. Am Vormittag war es wie meistens nahezu windstill. Die beste Gelegenheit die noch ausstehenden Gruppenfotos in den Kasten zu bringen und vor allem einen Teil der Grußpostkarten zu signieren, um uns bei den vielen Spendern zu bedanken. Wir waren über die große Resonanz auf unsere Expedition freudig überrascht. Mit entsprechend großer Dankbarkeit nahmen wir von jedem einzelnen Interessenten Kenntnis. Für den einzelnen von uns waren die meisten Namen unbekannt. Die Vielzahl der Orte, die wir adressierten zeigte deutschlandweites und sogar internationales Interesse bis nach Übersee.

Die Gruppenfotos brauchten ihre Zeit. Sieben Teilnehmer wollten Ihre persönlichen Erinnerungen mit allen Expeditionsteilnehmern auf Zelluloid sowie auf Digitalspeicher für die Internetseite bannen.

Den restlichen Vor- und frühen Nachmittag hatte jeder seine persönlichen Sachen für den Yaktransport in die Tonnen zu packen. Das Volumendefizit infolge verbrauchter Verpflegung konnten wir mit mehr Ausrüstung und Expeditionsbekleidung kompensieren. Die Sachen wurden in Tonnen verpackt, die wir zur Unterscheidung sinnigerweise mit den klangvollen Namen bedeutender Bergsteiger bezeichneten, "Tenzing", "Sir Edmund", "Lobsang", "Wanda", usw.. Der Inhalt wurde genauestens gelistet, bei acht Tonnen, mehreren Packsäcken und sieben Teilnehmern verständlicherweise zwingend erforderlich.

Zum Dinner gegen 19:00 Uhr gab es eine Überraschung aus Dr. Dharmas Base-Camp-Kitchen. Sange kredenzte uns eine Fleischpizza vom Feinsten. Ich wunderte mich schon, wie unser Koch mit den spartanischen Gerätschaften und den wenigen im Basislager vorhandenen Nahrungsmittel uns wiederholt mit kulinarischen Besonderheiten, sowohl fürs Auge, als auch geschmacklich erfreute.

15.11.02 (Dirk)

Von Außenstehenden wurde ich schon oft gefragt; wie das eigentlich am Berg mit der persönlichen Hygiene ist. Für diejenigen deshalb einige Details:

Das im Base Camp notwendige Wasser, ob zum Kochen oder für den Abwasch, mußte aus der nächstmöglichen Wasserstelle hergetragen werden. Vom ersten Tag an gehörte es zu den Aufgaben der Küchenmannschaft, dieses in ausreichender Menge zu beschaffen. Zur 500 m entfernten Quelle mußten die Jungs die Moräne ca. 30 Höhenmeter ab- und den gegenüberliegenden Berghang 40 Höhenmeter aufsteigen und das wahrhaft kostbare Naß in 20 Liter Kanistern herübertragen. Jeder Liter Wasser ist so mit Anstrengung und Schweiß verbunden. Das Wasser für die Körperreinigung muß dann auf eine annehmbare Temperatur erwärmt werden. Dazu ist Kerosin erforderlich, das ebenfalls von unseren Trägern und Yaks ins BC getragen werden muß. Es ist deshalb nachzuvollziehen, daß eine "Dusche" nach unseren normalen zivilisierten Vorstellungen nicht realistisch ist.

...also 5-6 Liter Wasser pro Person und Woche müssen deshalb ausreichen und werden von jedem dankend angenommen. Zuerst Kopfwäsche anschließend Körperwäsche von Hals bis Fuß, stehenderweise in einer großen Alu-Schüssel. Die verschwitzte Unterwäsche wird währenddessen wie zu mittelalterlichen Zeiten mit den Füßen im körperlichen Abwasser getreten. Neuzeitlicher Zusatz: Waschmittel aus der Tube. Wer seine Wäsche noch spülen möchte, muß von Anfang an sparsam mit dem Frischwasser umgehen. Die Wäsche wurde anschließend im Gefriertrockenverfahren an der Luft getrocknet.

Der Tag verging somit in reinigender Weise. Die jeweils nicht mit dem Wasser beschäftigten packten bereits den Rucksack, relaxten anschließend oder vertrieben sich die Zeit bei Kniffel, Doppelkopf oder Skat.

Am Abend waren wir abreisefertig. Es war unser letzter Abend im Base Camp, die letzten Stunden am Berg. Nach einem vorzüglichen Abendessen zelebrierte unser Küchenteam ihr kulinarisches Abschlußfeuerwerk. Sange servierte uns mit einem nepalesischen Volkslied auf den Lippen ein Tablett voller Überraschungen, einen ofenfrischen Kuchen auf dem in kirschroten Lettern aus Marmelade unser Gipfel und der Tag der Erstbesteigung geschrieben stand. Für das Anstoßen auf die erfolgreiche Besteigung, die gesunde Rückkehr des Gipfelteams und den guten Abschluß der Expedition lagen zwei kleine Fläschchen "Everest Whisky" bereit. In unser kleines Meßzelt hielt eine feierliche Stimmung Einzug. Wir versuchten Sanges Lied mitzusingen und tanzten nach seinen Melodien. Wir erzählten mit Dharma und den Küchenjungs. Der Abend dauerte diesmal etwas länger als an den anderen Tagen.

16.11.02 (Dirk)

Noch vor dem Frühstück mußten die Zelte geräumt und in die Sonne zum Trocknen gestellt werden. Das Essen fiel heute weniger üppig und relativ kurz aus. Wir hatten alle Hände voll zu tun, bevor wir das BC verlassen konnten. Schlafsäcke trocknen, Zelte säubern, die persönlichen Sachen in Rucksäcke und in die Packsäcke als Lasten für die Yaks verpacken, das gesamte BC von sämtlichen Abfällen und Müll befreien. Das Küchenteam hatte mit dem Abbau des Küchenzeltes und dem Zusammenräumen der Gerätschaften zu tun. Sange und Dawa verpackten Benzinkocher, Geschirr, Töpfe und andere Küchenutensilien in ihre Doko´s (Tragekörbe).

Dharma war vor zwei Tagen in Chhukhung und hatte 12 Yaks geordert. Die Treiber mit ihren Tieren kamen gestern nachmittag im BC an. Das Eintreffen der Herde kündigte sich schon minutenlang vorher mit klangvollem Glockengebimmel an. Die Tiere wurden von ihrem Tragesattel befreit und anschließend auf den gegenüberliegenden Hang zum Weiden geschickt.

Noch am frühen Vormittag holten unsere Yaktreiber Nima, Pasang und Sonam die Tiere von der nächtlichen Weide. Das Anbinden der Yaks brauchte seine Zeit. Zuerst mußten die Leittiere angebunden werden, bevor sich die unbändigen Jungtiere einfangen ließen. In Reihe angeseilt warteten sie dann geduldig auf das Beladen. Aber zunächst legten ihre Herren beim Abbau der Unterkunftszelte des Küchenteams mit Hand an.

Wir hatten mittlerweile die persönliche Expeditionsausrüstung in die Loads verpackt und halfen beim Aufräumen, denn wir als Team hatten selbst großes Interesse, unseren Lagerplatz wie unberührt zu verlassen. Kurz vor Mittag war alles in Tonnen, Packsäcken und Dokos untergebracht. Unser Sirdar schaute sich noch einmal um. Das Toilettenzelt, etwas abseits des BC´s, stand noch. Aber kurzum war das mannshohe Zelt eingerollt und die Grube mit Erde und Steinen abgedeckt.

Carsten, Marcus, Reinhard und Vera begannen mit dem Abstieg nach Chhukhung. Olaf und Lydia warteten noch, bis die Lasten auf die Yaks verteilt wurden. Ich wollte noch Fotos vom Verladen aufnehmen. Die Treiber begannen die Lasten auszuwiegen. Mit erfahrenem Gefühl wurde jede Tonne und jeder Packsack mit beiden Händen angehoben. Die Anzahl der Packsäcke und die Tragelast für ein Tier müssen beidseitig gleichmäßig sein. Nima stellte bei den zwei großen Tonnen Gewichtsunterschiede fest. Wir mußten den Inhalt umverteilen. Bereits eine handvoll Karabiner und ein Paar Bergschuhe für einen Schlafsack reichten aus, um Nima, die "Personenwaage", gleichmäßig ausschlagen zu lassen.

Trotzdem begann anschließend unter den Yaktreibern und Dharma ein wildes Gestikulieren. Etliche Male wurden Säcke und Tonnen hier- und dorthin gelegt, um sie als Loads (Last) für die einzelnen Tiere zusammenzustellen. Es hatte für den Außenstehenden den Anschein, als wollten sie untereinander mit den Lasten handeln. Nach mehrmaligen Hin und Her stellte es sich heraus: Wir hatten ein Problem. Zu viele Loads für zu wenige Yaks. Unser Sirdar hatte weniger Lasten kalkuliert. Es fehlten zwei Tiere. Für einen Yak sind abhängig vom Alter normalerweise 50 bis 60 kg Last vorgesehen. Olaf griff in das Geschehen ein. Zunächst ging es darum, welche Loads nicht unmittelbar benötigt und die später nachgetragen werden könnten. Am Ende wurde der Chef der Yak-Treiber mit 500 Rupies überredet, alle Lasten mitzunehmen. Die Loads wurden entsprechend auf die Tiere verteilt und zwei der Treiber wurden mit einem Tragekorb bestückt. Auch wir blieben selbstverständlich nicht ganz unberücksichtigt. Der Kanister mit der Batteriesäure war vor allem aus Sicherheitsgründen nicht in den Loads unterzukriegen und so bekam Olaf eine nette blaue "Plastiktasche" an die Hand. Außerdem stand ein Doko (Tragekorb) mit Papierabfällen herum, für die kein Träger zur Verfügung stand, kein allzugroßes Gewicht, aber Volumen. Wie die Sherpas mit dem Namlo (Trageriemen) und mit dem Kopf, konnte ich den Korb nicht tragen, denn ich hatte ja noch meinen Rucksack. So befestigte ich den Tragekorb an dessen Schultergurt.

Noch ein paar Fotos und kurz vor 13:00 Uhr kamen wir endlich los. Wir stiegen den gleichen Weg ab, auf dem wir zum Lager kamen, unterhalb der Seitenmoräne des Imja-Gletschers. Nachdem wir das Massiv des Imja Tse (Island Peak) passiert hatten, war der Blick frei auf die gigantische über 3000 m hohe Südwand des Nuptse und Lhotse. Wir ließen uns noch einmal von dieser beeindruckenden Ansicht faszinieren, bevor wir uns wieder dem Abstieg zuwandten.


Lhotse-Nuptse-Mauer vom Kloster in Tengboche aus gesehen

Nach knapp zwei Stunden trafen wir in der Chhukhung Resort Lodge ein. Die anderen waren nach ihrer ausgiebigem Mittagspause gerade beim Aufbruch. Olaf und ich konnten unsere zusätzliche Load noch übergeben. Wir freuten uns auf eine Portion Spaghetti mit Tomaten und Cheese. Aus Dankbarkeit für unsere zweimalige Einkehr erhielten wir zum Abschied jeder ein Kata (buddhistischer Glücksbringer-Schal aus Seide). Nach dem Kräftetanken brachen wir zu unserem Tagesziel, Dingboche, auf. Mittlerweile zogen die Wolken in dicken Schwaden aus dem Tal bergwärts und tauchten die Umgebung des Ortes in mystisches Licht. Es war entsprechend kühl geworden. Wir mußten unsere Gore-Tex Jacken herausholen.

Die 300 Höhenmeter und ca. 5 km zum nächsten Ort liefen sich spielend. Weiter unten lichteten sich die Wolken, und wir konnten das Dorf in der breiten Talaue schon von weitem sehen. Aus Mingmas Lodge stieg Rauch auf. Unsere Vorhut saß also schon bei Milktea am eisernen Ofen im Dining-Room. Eine halbe Stunde später trafen wir auch in der Peak 38-Lodge ein und wärmten unsere Hände an der heißen Tasse. Kurz darauf war auch Dharma da.

Zwei Stunden später, lange nach 19:00 Uhr und schon seit über eine Stunde stockdunkel, waren unsere Yaks immer noch nicht da. Wir hatten schon während des Anmarsches einmal bis spät abends auf unsere Load warten müssen. Sie kam jedoch immer vor der Nachtruhe an. Aber diesmal machte sich aufgrund der geringen Entfernung vor allem Olaf und Dharma Sorgen. Wir richteten uns schon auf den Bänken im Diningroom auf die Nachtruhe ein, als draußen das Yakglockengeläut zu vernehmen war.

Unsere Besorgnis war nicht ungerechtfertigt. Nima berichtete über das Unglück. 20 Weg-Minuten vor dem Ziel vertrat sich ein junger Yak auf einem Anstieg einen Huf und stürzte den Abhang hinunter. Er überschlug sich mehrmals und blieb letztendlich im eiskalten Bachwasser reglos liegen. Versuche das Tier wieder aufzurichten, blieben erfolglos. Offensichtlich war das Tier bewußtlos. Es konnten lediglich die zwei Tonnen geborgen werden. Nach Nimas Bericht war das Tier so schwer verletzt, das es im kalten Wasser an Unterkühlung sicher sterben würde. Den Yaktreibern gefiel nicht, daß das Tier auf diese Weise sterben mußte. Nach ihren Vorstellungen muß ein Tier auf einem schönen und sicheren Platz bei Futter sterben. Diese Ansicht mußten wir zwar akzeptieren, sie traf aber insbesondere bei unserem Veterinärmediziner Olaf auf Unverständnis. Es wurde beschlossen am nächsten Morgen frühzeitig nach dem Tier zu sehen.
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