Gipfelsieg am 7.11.02
5. November 2002 (Marcus)
Der erste Aufstiegstag von Lydia, Olaf und Carsten ins Höhenlager verlief ohne Probleme. Alle sind guter Dinge.
6. November
Base-Camp-Sicht (Marcus):
Der erste Stoßtrupp zum Gipfel ist seit 6 Uhr unterwegs. Ich sehe gegen 7.30 Uhr durch das Fernglas, das die Drei schon über die kritische Stelle mit Eisschlaggefahr drüber sind. Gegen 9:00 zur Funkzeit erreicht das Gipfelteam das Depot. Das Wetter ist sehr gut, die Sonne scheint im Base Camp. Also ist zu vermuten, daß es den Dreien dort oben gut geht. Es sieht von hier unten gigantisch aus, wie Sie da oben an dieser riesengroßen Wand klettern und es scheint sehr gefährlich und schwierig. Wir hier unten sind jeden Augenblick bei unseren Leuten da oben. Ab 11 Uhr erreichen Sie absolutes Neuland, nämlich den Aufschwung zum Gipfelgrat. Hier liegt offensichtlich eine der Schlüsselstellen des Aufstiegs. Ständig rufen Olaf oder Carsten via Funk im Base Camp an, wo der geeignete Weg zu finden sei. Sie berichten von großen Spalten. Den dreien gebührt Respekt, da Sie große alpinistische Probleme zu lösen hatten.
Blick von oben auf das Hochlager
13:45 kommt von Lydia ein Funkruf, daß Olaf und Carsten jetzt kurz unterhalb des Gipfelgrades in 6300 Meter Höhe sind und noch weiter die Spur in Richtung Gipfel suchen werden. Lydia würde sich jetzt in Richtung Depot zurückziehen, um eine Schneehöhle für die Nacht zu bauen. Der Hemmfaktor da oben scheint die Kälte da zu sein. V.a. die Füße seien nicht mehr spürbar. Trotz des guten Wetters scheint der Wind die Kälte dort oben zu potenzieren. Es ist 15 Uhr und regelmässig meldet sich Lydia, daß es Probleme beim Bau der Schneehöhle gibt. Wir beobachten durch durch das Fernglass, daß Olaf und Carsten in Richtung Gipfel weitersteigen. Die schwierige Stelle haben Sie gemeistert. Gegen 16:30 beobachten wir beide, wie sie sich in Richtung Schlafplatz zurückziehen. Um 18:30 zur Funkzeit bestätigt Olaf die Schwierigkeit und das Risiko der Aufstiegsroute. Besonders im oberen Teil, kurz unterhalb des Grades würde er nur mit den Frontzacken der Steigeisen und Blick zum Berg vorwärts kommen. Jetzt graben Sie in der Dunkelheit noch die Schneehöhle und bei allen seien die Füße eiskalt. Morgen würden sie einen weiteren Gipfelversuch wagen. Wir im Base Camp kriechen so gegen 20:30 bei Minus 10 Grad in unsere Schlafsäcke. Wir denken an unsere Freunde da oben. Wie kalt wird es dort sein, wenn es bei uns schon so kalt ist?
Gipfelstürmersicht (Olaf)
Eigentlich gibt es nur noch wenig zum Bericht von Markus hinzuzufügen, und das ergibt sich aus der anderen Perspektive, die wir dort oben hatten. Nach insgesamt vier raschen Vorstößen von unserem Hochlager aus, war die Route bis zur Mitte des zweiten Hängegletschers versichert. Am 6. November verlegten Carsten und ich weitere 200 Meter Seil vom zweiten zum dritten Haengegletscher hinauf. Diese Arbeit war die gefährlichste und anstrengenste der gesamten Besteigung, die Verhältnisse haarsträubend. Wir querten nach dem Aufstieg etwa 50 Meter nach rechts und seilten dann auf den dritten Gletscher hinunter. Anschließend spurten wir bis unter den Gipfel, so dachten wir zumindest. Dort oben konnten wir den Gipfel nicht mehr sehen, das Gelände erwies sich als wesentlich unübersichtlicher, als erwartet. Lydia war inzwischen umgekehrt, um eine Schneehöhle zu bauen, damit wir nicht wieder in unser Hochlager zurück mussten. Den Gipfel konnten wir an diesem Tag nicht mehr erreichen. Das war uns schon bald nach der Installation der Seile klar.
7. November 2002
Base-Camp-Sicht (Marcus):
An diesem Morgen werde ich gegen 7:30 wach. Da das Fernglass im Messzelt liegt, kann ich nur vermuten, dass Lydia, Olaf und Carsten da oben aufgebrochen sind und die Nacht gut überstanden haben. Die Funkzeit um 9:00 wird uns Gewissheit bringen. Es ist jetzt soweit. Wir sitzen bei –5 Grad beim Frühstück und haben das Funkgerät auf Stand by geschalten. Das heißt wir sind hier jederzeit erreichbar. Gleich müssten Sie sich melden. "Wir sind zum Gipfel unterwegs. Uns geht’s gut.", ertönt die Stimme aus dem Funkgerät. "Wie weit ist es noch zum Gipfel?" fragte Olaf. Reinhardt antwortete: "Ihr habt erst die Hälfte des oberen Gletschers bewältigt. Das heißt es ist noch weiter, als ihr denkt." An der enttäuschten Antwort von Olaf merkten wir, daß die Drei den Gipfel viel näher eingeschätzt hatten. Aber noch eine andere überraschende Neuigkeit ergab sich an diesem Morgen. Kurz vor der Funkzeit entschied sich der 2. Gipfel-Trupp überraschend gegen einen Aufstieg. Vera hatte gesundheitliche Probleme und Dirk hatte nach einem langwierigen Entscheidungsprozess, der von körperlichen Symptomen begleitet war, sich wegen des großen Aufstiegs-Risikos gegen die Besteigung entschieden. Diese Entscheidung teilte Reinhardt Olaf über Funk mit, der sehr erstaunt war. Vor allem bedeutete diese Entscheidung eine Mehrarbeit für die Drei, da sie die Fixseile wieder abbauen mussten. Wir entschieden, dass Dirk und Reinhardt ins Höhenlager aufsteigen sollen, um die Gipfelstürmer bei Ihrer Rückkehr mit Essen und heißen Getränken zu empfangen. Vera hatte ein Magenproblem und ich war froh, sie pflegen zu dürfen. Unser Funkgerät war jetzt ständig angeschaltet, um eventuelle Rückfragen zur Route zu beantworten und von hier unten Beistand zu leisten. Die eigentliche Schwerstarbeit hatten natürlich die Drei da oben zu leisten.
11:00 Uhr kommt der nächste Funkspruch von Olaf: "Hier oben ist Tiefschnee, wir haben grosse Angst wegen der Schneebrettgefahr." Schneebretter sind gefährlich und treten meistens bei windgepressten Schnee auf. Sie können die ganze Truppe in die Tiefe reißen. Wir raten ihnen nicht so dicht beieinander zu gehen. 11:30 brechen Reinhardt und Dirk ins Höhenlager auf. Ich bezweifle, daß Lydia, Olaf und Carsten heute schon dorthin absteigen werden, da die Fortbewegung wegen des Tiefschnees sehr langsam ist. Sie müssen wohl nochmal in der Schneehöhle übernachten. 12:00 ist nächste Funkzeit mit Olaf: "Wir haben Probleme mit einer Randkluft (grosse Spalte). Kannst du eine Brücke sehen, wo es da drüber geht?". "Ja es sind zwei Brücken weiter rechts", sagte ich. "O.k. bleib standby", antwortete Olaf. Sie stiegen jetzt an der letzten Steilstufe auf den Gipfel zu. Es ist 13:35 Uhr: Olaf hat lange gebraucht, um die Brücke über die Randkluft zu überwinden. Er stieg die Hälfte der Steilwand, die bestimmt 300 Meter hoch und 60 Grad steil ist, nach oben, offensichtlich um das Terrain zu erkunden. Die anderen warteten. Ich dachte für einen Moment, er würde den Gipfelversuch allein durchführen, aber er wartete und die anderen kamen am Fixseil nach.
Jetzt ist es 13:45 Uhr: Alle drei setzen sich in Bewegung. Wie auf einer Perlenkette aufgereiht, arbeiten sich die Drei in Richtung Gipfelgrat. Bisher kam kein Funkspruch mehr. Aber jetzt, 13:55 Uhr: Olaf "Marcus, wie weit sind wir vom Gipfel entfernt?". Ich berichtete ihm: "Ihr habt zwei Möglichkeiten. Entweder Ihr geht geradeaus weiter auf den Grat, da weiß ich allerdings Eure Windverhältnisse nicht, oder Ihr haltet Euch rechts und geht direkt zum Gipfel". Jetzt ziehen Wolken auf. Aber ich denke, daß sie es schaffen. Alle hier unten sind nervös und fiebern mit. Mehrmals entführen mir die Sherpas das Fernglas, so daß ich es mir zurück holen muß, denn die Bergbesteigung geht jetzt in die entscheidende Phase. 14:15 ist Olaf auf dem letzten Stück des Gipfelgrates. Lydia und Carsten warten noch am Steilhang, bis Olaf Ihnen signalisiert hinterherzukommen.
14:25: Olaf verlegt im Vorstieg das letzte Stück Seil zum Gipfel. Jetzt kommt der nächste Funkspruch von Olaf: „Marcus kannst du mich hören. Wie weit ist es noch bis zum Gipfel? Ihr seid noch nicht oben. Es sind vielleicht noch 20 bis 30 Meter. Aber es ist schwer zu schätzen von hier unten. Olaf berichtet weiter: "Der Grat ist messerscharf und wir müssen uns sichern!". "Haltet durch, es ist nicht mehr weit", sagte ich ihm. "O.k. bleib standby". Es geht alles sehr langsam, Lydia und Carsten bewegen sich auf Olaf zu. Ich denke, sie sichern sich und gehen in Richtung Gipfel, da es sehr windig und der Grat sehr schmal ist. Es ist 14:50 Uhr und große Wolken bedecken den Gipfel. Wir warten.
Das offizielle Gipfelfoto. Die einzigartige Sicht auf die Nachbarberge wird als offizieller Nachweis der gelungenen Besteigung gewertet. Dieses wird auch Mrs. Hawley vorgelegt.
15:00 "Hallo Marcus. Wir haben den Gipfel. Wir stehen auf unserem Standplatz kurz unterhalb des Gipfels und jeder war allein oben, weil der Gipfelgrat sehr scharf, gefährlich und schmal ist." "Wir beglückwünschen Euch von hier zum Gipfelerfolg." Auch unser Sherpa Dharma gratulierte. Wir umarmten uns alle im Base Camp. Vera, Dharma, Dawa, Sange. Dharma jubelte und führte ein kleines Tänzchen auf. Ich schrie noch durchs Funkgerät: "Olaf, Lydia und Carsten, passt bitte beim Abstieg auf. Seid konzentriert bei jedem Schritt, den Ihr tut. Die nächste Funkzeit ist 18:00 Uhr. Over und Out."
Der starke Wind zerbläst unser Vorhaben, die Leipziger Fahne auf dem Gipfel zu hissen.
Wir verabschiedeten uns. Sie haben es geschafft. 2 Tage dauerte der Aufstieg. Am ersten Tag von 6 Uhr bis 18 Uhr (14 Stunden) und heute 7 Uhr bis vorraussichtlich 18 Uhr (13 Stunden). Wahrscheinlich müssen Sie heute auch noch eine kalte Nacht in der Schneehöhle verbringen. Was sie durchmachen ist eine mörderische Grenzerfahrung, die wir hier unten nur bewundern können. Zur nächsten Funkzeit um 19:00 teilte uns Olaf mit, daß sie in der Schneehöhle eingetroffen sind, total erschöpft, aber glücklich. Er bat mich noch, die Neuigkeit an die Leipziger Volkszeitung via Satelliten-Telefon zu melden und zu unserem Webmaster. So sitze ich nun im Base Camp und versuche Deutschland zu erreichen. Morgen würden Sie nach dem Abbau von 800 Metern Fixseilen ins Hochlager zurückkehren. Vera geht es noch nicht viel besser. Sie kann nur Suppe vertragen. Gegen 20 Uhr schlafen wir ein. Die Nacht ist kälter als die vorhergehende, und wir denken wieder an unsere Kameraden, die dort oben in der Schneehöhle wahrscheinlich sehr frieren werden nach dieser übernatürlich großen Kraftanstrengung des Gipfelauf- und abstiegs.
Gipfelstürmersicht (Olaf)
Wir starteten zu spät. Wir drei dort oben dachten, leichtes Spiel zu haben, denn wir rechneten nur noch mit einem 300 Meter-Anstieg von unserem gestrigen Umkehrpunkt aus. Genau um 10.00 Uhr zur Funkzeit standen wir an diesem Punkt und hörten von Reinhardt die Hiobsbotschaft: "Den oberen Gletscher habt ihr erst zur Halfte überquert, ihr müsst weiter!". Das brachte den gesamten Zeitplan völlig durcheinander. Plötzlich hatten wir es mehr als eilig. Das Spuren ging wieder los, die Ungewissheit begann wieder zu nagen. Noch eine Nacht in der Eishöhle? Reicht die Kraft? Wir kämpften uns weiter durch den Schnee, weiter und weiter. Unten waren sie standby und wiesen uns per Fernglas und Funkgerät den Weg. Endlich Marcus: "Jetzt könnt ihr hinauf". Aber da ist eine riesige Randkluft wo wir hinaufmüssen. Wie sollen wir da hinüberkommen? Wir fragen nach einer Brücke. Doch der per Fernglas gewiesene Weg erweist sich wieder als äußerst heikel. Ich steige wie schon so oft an der Grenze meiner Möglichkeiten vor. Weiches Eis mit einer unangenehmen aufgetauten Firnauflage macht das Klettern gefährlich. Es geht fast senkrecht nach oben. Doch endlich scheint der Weg frei. Wir sehen den Gipfel, ich verlege die Seile, Carsten und Lydia folgen. Auf den letzten Metern verschlechtert sich das Wetter. Sturm kommt auf, doch wir werden es schaffen!
Expeditionsgedicht
(Carsten)
Auf dem Weg,
beissen die Steigeisen,
wie auf Geheiss, hinein ins Eis.
Mit knarrendem Geräusch, überblendet alles Weiss,
mein Atemgekeuch. Im Sonnenschein
platzen die Lippen, färben Gesichter sich ein.
Hier oben soll nur noch mein Herzschlag sein!