2. Ruhetag in Namche Bazar, 16.10.02
Heute ist immer noch Ruhetag. Dirk und Carsten nutzen die Zeit, um sich ein wenig in Namche Bazaar umzusehen. Reinhardt, Markus und ich haben einen wichtigen Termin im sogenannten Sagamartha Pollution Control Center. Ich will es im folgenden nur noch SPCC nennen. Der bedeutungsvolle Name entspricht meiner Abscheu vor diesem Termin und dieser Einrichtung. Aber dort muss jede Expedition hin, die im Sagamartha-Nationalpark einen Berg besteigen will. Das letzte Mal, 1999 am Cho Polu, hat mich diese Behörde beinahe wahnsinnig gemacht. Es ist für uns nämlich selbstverständlich, allen Müll wieder vom Berg mit hinunter zu bringen. Selbstverständlich ist auch die Notwendigkeit, dies in einem Nationalpark zu kontrollieren. Aber auf welche Weise man das damals getan hat, war die reinste Schikane und hatte nichts mit ehrlichem Bemühen zu tun, diese wunderbare Berglandschaft vor dem totalen Vermüllen zu bewahren. Ich könnte Seiten darüber vollschreiben, will mich aber mit nur einem anschaulichen Beispiel begnügen.
Wir mussten damals unsere Exkremente hinunter tragen und im SPCC abrechnen, sprich wiegen lassen. Das wäre ja an sich noch sehr gut nachvollziehbar, und ich hätte keinen Mucks der Beschwerde laut werden lassen. Aber die Tatsache, dass wir unser Basislager sehr nahe am Island Peak aufgeschlagen hatten, liess diese Forderung absolut boshaft erscheinen. Die andere Art von Climbing-Permit, die für diesen Berg nötig ist, erhebt diese Forderung nämlich nicht. Das bedeutete also nichts anderes, als das wir, die wir das zehnfache für unseren Berg bezahlt hatten, auch noch unsere Fäkalien runterschleppen durften, während die Bergsteiger am Island Peak nur wenig neben uns ihre Notdurft verrichteten wie und wo sie wollten. Sie müssten diese Auflagen erst recht auferlegt bekommen, denn an diesem Berg sind jedes Jahr hunderte Alpinisten zu Gange.
Das dazu. Aber dieses Jahr kam alles anders. Man verhielt sich sehr zuvorkommend und kooperativ. Es gab keine überzogenen Forderungen und man nahm uns ab, dass wir alles tun würden, den Berg und unser Basislager so jungfräulich wieder zu verlassen, wie wir ihn in ein paar Tagen vorfinden werden. Und man wunderte sich über unsere Frage, was wir mit unseren Fäkalien machen sollen. Natürlich vergraben! Natürlich! Was sonst und zwar so, dass niemand je auf sie stossen wird. Alles war also gut.
Der Rest des Tages verging mit der Organisation unseres morgigen Weitermarsches nach Tengboche, unserer nächsten Station auf dem Weg zu unserem Berg.
Olaf
Vera und ich haben noch einiges zu packen. Einige Ausrüstungsgegenstände sind seit der letzten Expedition hier in Namche deponiert und sollen jetzt zum Einsatz kommen. Natürlich muss dieser Krempel auch in yakgerechte Form gebracht werden. Eigentlich wollte ich heute das Hillary-Hospital besuchen. Doch das muss noch warten. Gestern habe ich einen tibetischen Arzt hier in Namche konsultiert. Da mein Fuss mit westlichen Medikamenten nicht bereit ist, dünner zu werden, versuche ich es jetzt mit tibetischer Kräutermedizin. Der Arzt machte einen sehr guten und kompetenten Eindruck. Er untersuchte den Fuss gründlich und stellte seine Diagnose, die übrigens mit der bisherigen übereinstimmte. Er verordnete mir zwei Medikamente. Das eine soll antibiotisch wirken, jeden Morgen 2 Pillen. Das andere stärkt die Nerven. Auch die im Fuss.
Diese Pille soll mir aller drei Tage im Dunkeln (da lichtempfindlich) und von einem Mann gereicht werden. Da Carsten mich begleitete, bekam er diesen Job. Dann ging ich mit meinem Rezept zum Assistenten des Doktors. Auf langen Regalen standen unzählige Bonbongläser, gefüllt mit den merkwürdigsten Pillen. Die antibiotischen sahen aus wie kleine Hasennorpeln, die anderen waren in winzige leuchtend orange Tücher eingewickelt. Einzeln.
Am Abend war es soweit. Carsten übergab mir die Pille. Ich nahm sie in den Mund. Jetzt kam die wichtigste Anweisung des Arztes. Eine Minute mit der Pille im Mund meditieren, sich etwas von ihr wünschen, auf den Fuss konzentrieren. OK. Dann die Pille zerbeissen. Es war der ekelhafteste Geschmack, den ich je im Mund hatte. Unbeschreiblich. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Mühsam durfte ich dann die Scheusslichkeit bröckchenweise mit Wasser von den Zähne spülen. Das Zeug haftete besser als jedes Toffifee. Ich beschloss, das für ein gutes Zeichen zu halten. Bei meinem Besuch hatte ich bemerkt, dass es in der tibetischen Praxis so gut wie keine Verbandsstoffe gab. Bekannte in Deutschland hatten mir eine Menge Zeug genau dafür mitgegeben und einen Teil konnte ich nun hier gut verwenden. Die Freude war natürlich sehr gross, und auch bei mir. Denn ich weiss, dass in diese Praxis hauptsächlich Einheimische kommen und die Sachen damit genau dort ankommen, wo sie benötigt werden.
Lydia