Abbau Lager 1, 13.8.01

Eben noch in wohlig warme Träume gehüllt wurde Lydia doch sehr abrupt in die raue Wirklichkeit katapultiert. Ursache dieser Ungheuerlichkeit war ein kleiner unangenehm schrillender Plastikbomber. Auch Wecker genannt. Ein Uhr Nachts. Welch ein Grausen. Vor allem wenn es sich bei dem Opfer um ein ausgesprochenen Morgenmuffel handelt. Doch Lydia war diese Art von Kummer durch den Lauf der Expedition schon gewöhnt und so pulte sie sich ohne Murren aus dem Zelt. Schließlich hatten sie und Christian sich freiwillig gemeldet, das Lager 1 abzubauen und sicher ins Basecamp zu bringen. Und der Küchen-"Junge" Salman sollte heute seinen großen Tag haben und die beiden begleiten. Doch vor lauter Aufregung hatte der erst mal verschlafen und statt sich an den gedeckten Nachtstück-Tisch zu setzen, mußte Lydia ihn erstmal aus dem Schlafsack holen. Nach dem etwas verspäteten Frühstück traten Lydia, Salman und Christian in die dunkle sternenklare Nacht. Gemeinsam mit drei spanischen Kollegen machten sie sich 2.40 Uhr auf den langen Weg ins Lager 1. Es ging ziemlich flott voran, denn sie wollten heute noch zurück ins Basecamp und je später der Tag umso weicher der Gletscher. Es war mäßig kalt und über den Bergsteigern zeigte sich die Milchstraße in einer Schönheit, wie man sie nur in großer Höhe erleben kann. Es gab viele Sternschnuppen in dieser Nacht und Lydia dachte daran, daß es für manche Wünsche wohl zu spät ist. Zu groß die Enttäuschung über den nicht erreichten Gipfel. All die Schinderei der letzten Wochen. Wofür? Wohl möglich für diese eine Nacht des besinnlichen Steigens? Denn nur deshalb war sie doch heute Nacht, nach nur zwei Ruhetagen gegenüber neun harten Hochlagertagen schon wieder nach oben unterwegs. Um durch harte körperliche Arbeit die Traurigkeit zu verdrängen. Egal. Es gab eine Aufgabe und die mußte bewältigt werden. Salman hielt sich ganz tapfer. 7.30 Uhr erreichte die Deutsch-Spanisch-Pakistanische Gruppe zeitgleich mit der Sonne das Lager 1.

Es wurde rasch mehr als angenehm warm. Es gab viel zu tun. Überzähliges Essen mußte gesichtet und sortiert werden, bevor es, wie verabredet einer kasachischen Expedition überlassen werden konnte. Töpfe, Tassen, Kocher, Löffel wollten zugeordnet und verpackt werden. Doch die Hauptaufgabe bestand darin, das durch eine Lawine stark beschädigte Riesenzelt vorsichtig, ohne den Schaden dabei wesentlich zu vergrößern, aus dem Eis zu befreien und abzubauen. Da war keine Hand zuviel. Salman versuchte zu helfen, so gut er konnte, doch war deutlich zu merken, daß der Aufstieg seine Kräfte angegriffen hatte. Christian kochte deshalb mal noch so nebenbei eine leckere Tomatensuppe zur allgemeinen Stärkung. Irgendwann war dann alles in den großen Rucksäcken verpackt. Die Hitze war inzwischen ins unermeßliche gestiegen. Der Spanier Marc maß 43 Grad Celsius, allerdings in der Sonne, doch Schatten war faktisch nicht vorhanden.

Genau 10.06 Uhr machte sich die Gruppe an den mühsamen Abstieg. Der Schnee war inzwischen sehr weich geworden und so brachen sie durch die schweren Rucksäcke bei nahezu jedem Schritt ein. Das ist zwar lästig, aber nicht gefährlich. Das eigentliche Problem stellen die Gletscherspalten dar. Oft sind sie durch Schneeverwehungen nicht zu sehen und schon ist man hineingefallen. Die Mannschaft ging natürlich am Seil und mit Christian als Bergwacht-Ausbilder hatten sie natürlich einen super kompetenten Mann dabei, was Rettung und Bergung angeht. Aaber scharf war auf derartige Erfahrungen niemand. Glücklicherweise blieb es bei harmlosen Einbrüchen bis maximal zur Hüfte. Und bald schon konnten sie ganz klein das Basislager erblicken. Und das motivierte dann auch halbwegs Salman, der unter der ungewohnten Belastung erheblich litt. Irgendwann war es dann soweit. Lydia und Christian konnten das Begrüßungskommitee erkennen. Olaf, Ralf und der Koch Jehangir waren den "Helden des Tages " mit kühlen Getränken, Fotoapparaten und herzlichen Worten entgegen gegangen. Und Jehangir überreichte Lydia die hier übliche Art von Urkunde für das Erreichen des Gipfels, eine Art flacher Kranz, golden schillernd mit Rupie-Scheinen umrahmt. Auf diese Weise gaben sie ihr zu verstehen, daß , obwohl sie selbst nicht auf dem höchsten Punkt stand, der Gipfelerfolg ganz genauso auch ihr gehört. Und im eigenen Camp angekommen, stellte sich heraus, daß es heute noch mehr Helden gab, denn Olaf, Ralf und Max hatten beihnahe alle Tonnen für den Nachhauseweg abmarschbereit gepackt. Nun können die Träger kommen.


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