Aufgabe am G I, 10.8.-12.8.01

10.8.2001

Der Tag begann wie immer im Hochgebirge mit einer absolut unchristlichen Weckzeit. Allerdings nur für Christian, der sich für heute zur Aufgabe gesetzt hatte, das Lager 2 komplett abzubauen und hinunterzutransportieren. Während Ralf und Lydia noch ganz erschöpft von den Strapazen ihres gestrigen Abstieges im Lager 1 in den Schlafsäcken liegenblieben, brach Christian also mit leerem Rucksack und allein auf in Richtung Lager 2, das er bei ziemlich durchwachsenem Wetter auch zügig erreichte und dort mit dem Ausgraben und Freihacken des völlig eingeeisten Zeltes beginnen konnte.

Als Markus und Olaf etwa zur gleichen Zeit in ihrem kleinen Sturmzelt auf dem Gasherbrum-Pass erwachten, hatte sich draußen so gut wie nichts verändert. Lediglich zwei Dinge waren fortgeschritten und zwar ganz erheblich: Die Zeit und die Schneehöhe. Wie auch Christian aus einigen Kilometern Entfernung bemerkte, war das Wetter am Gasherbrum I und da ganz besonders in dem als Windventil wirkenden Gasherbrum La (Pass) deutlich schlechter, als am benachbarten Gasherbrum II. Bei den herrschenden Windgeschwindigkeiten war an einen weiteren Aufstieg in Richtung Gasherbrum-I-Gipfel unmöglich zu denken. Schon ein Aufenthalt von nur wenigen Minuten vor dem schützenden Zelt ließ Nasenspitze und Finger gefühllos werden und das trotz dicker Handschuhe und das Gesicht fast völlig verdeckender Skibrille.

Während Christian also aus der Ferne die langen Schneefahnen im Gasherbrum La registrierte, hockten Markus und Olaf zusammengequetscht auf knapp 2,5 Quadratmetern Zeltfläche und schmolzen Tasse für Tasse aus Eisklumpen und hereingewehtem Triebschnee Wasser, um sich wenigstens von innen ein wenig mit Tee, Kakao und Cappuccino aus der Tüte etwas aufzuwärmen. Zum 9-Uhr-Funkspruch meldete Christian, daß er nach stundenlanger Arbeit endlich das Zelt im Lager 2 freigehackt, abgebaut und verpackt hatte und nun den Abstieg ins Lager 1 beginnen würde, während Markus und Olaf außer anhaltendem Wind in Sturmstärke nicht viel zu vermelden hatten und sich sehnlichst eine Wetterbesserung wünschten.

Christian erreichte ohne größere Probleme und Verzögerungen Lager 1 und gemeinsam mit Ralf und Lydia bereiteten sie den weiteren Abstieg ins Basislager vor. Da die Tageszeit mittlerweile bereits recht fortgeschritten war und trotz Wolken und Wind diffuses Sonnenlicht den Gletscher gefährlich aufgeweicht hatte, beschlossen sie, zum Abstieg die in Lager 1 vorhandenen Ski zu benutzen. Für Ralf und Christian war dies ja kein Problem, da diese ihre Ski ohnehin dafür vorgesehen hatten. Aber Lydia, die bisher stets zu Fuß unterwegs gewesen war, hatte keine Ski. Kurzerhand wurden Markus' Ski, die dieser beim Aufstieg gestern hier deponiert hatte, auf Lydias Schuhgröße umgestellt. Gegen 12 Uhr verließ das Skifahrertrio vorsichtig am Seil gen Tal steuernd das Lager 1. Für Christian war es ja Routine, am Seil fahrend, über Spalten springend und gähnenden Schlünden ausweichend durch das komplizierte Gletschergelände hinunterzuzischen. Doch nicht so für Ralf und Lydia. So war es kein Wunder, daß, bedingt durch so manchen Seilfitz, unvermittelten Sturz, schwere Rucksäcke oder auch nur den sehr, sehr weichen und unberechenbaren Schnee, die Abfahrt eine ganze Weile länger dauerte als gewöhnlich. Nach etwa der Hälfte der Strecke bis ins Basislager, nämlich dann, wenn der Eisbruch absolut unbefahrbar wird, wanderten die Ski noch auf die ohnehin schon schweren Rucksäcke. Zu Fuß ging es mit Steigeisen und Eispickel weiter durch das Labyrinth der Spalten und Eistürme. Nach sechs Stunden erreichten Christian, Ralf und Lydia schließlich abgekämpft das Basislager. Lydia und Ralf wohl ein bißchen traurig über den verpaßten Gipfel aber zufrieden, heil und gesund wieder unten zu sein.

Währenddessen hockten Olaf und Markus gemeinsam mit den beiden Spaniern unverdrossen im Windkanal des Gasherbrum-Passes (dieser Pass befindet sich zwischen Gasherbrum I und II) und versuchten, sich vom unvermindert anhaltenden Höhensturm nicht beeindrucken zu lassen. So lange man im Inneren des Zeltes gemütlich eine Tütensuppe schlürft, ist dies auch nicht so schwer, aber wehe man muß das Zelt verlassen, um ein dringendes Bedürfnis zu erledigen oder den immer wieder bis zur Zeltoberkante angewehten Schnee wegzuschaufeln!

Nichtsdestotrotz blickten sie optimistisch nach vorn und hofften auf Wetterbesserung für morgen. Der spätabends beim letzten Funkkontakt aus dem Basislager übermittelte Internetwetterbericht ließ alles offen: "partly cloudy or overcast with sunny spells and most likely some precipitation". Erfahrungsgemäß konnte das so ziemlich alles oder nichts heißen. Deshalb bereiteten sich die G-I-Gipfelstürmer erst einmal auf eine weitere Nacht auf dem Gasherbrum La und bei einem hoffentlich windarmen, sonnigen Morgen auf den weiteren Aufstieg vor. Das soll heißen, sie füllten die Thermosflasche mit heißem Tee und verrammelten das Zelt gegen eindringenden Triebschnee. Dann wickelten sie sich so gut es ging in alle vorhandenen Daunensachen und stellten den Wecker auf 5 Uhr morgens, um auf alle Fälle das erste Licht des anbrechenden Tages zu nutzen.

11.08.2001

Während man im Basislager noch den Schlaf des Erschöpften schlummerte, kam im Gasherbrum La Punkt 5 Uhr morgens das böse Erwachen. Irgendwie war es im Zelt seltsam dunkel, und bei näherem hinsehen stellten Olaf und Markus fest, daß das Zelt bis zum First durch angewehten Schnee verschüttet war. Also nichts wie raus und die Schaufel in die Hand! Nach einer halben Stunde schaufeln war das Zelt halbwegs freigelegt und das Ausmaß des nächtlichen Schneetreibens abschätzbar. Satte 40 cm Neuschnee hüllten den Gasherbrum La in ein frisches weißes Kleid und noch immer schneite und stürmte es. In Anbetracht unserer knappen Zeitreserven und der durch das Ausharren hier im Gasherbrum-Pass langsam zur Neige gehenden Brennstoff- und Lebensmittelvorräte konnte diese Wetterentwicklung nur eine logische Konsequenz nach sich ziehen: Den Abstieg. Nur kurz war die Diskussion mit den beiden Spaniern, zu eindeutig die Sachlage, um noch andere Varianten ins Spiel zu bringen. Ohne Zeit zu verlieren, begannen Olaf und Markus mit dem Zusammenpacken ihrer wenigen Habseligkeiten und dem vollständigen Ausgraben des Zeltes. Ständig begleitet von neuen, eisigen Sturmböen, hatten sie binnen einer Stunde ihr winziges Lager in den Rucksäcken verstaut. Gemeinsam mit den beiden Spaniern Jordi und Jospi ging es an den Abstieg, der trotz des Neuschnees ziemlich problemlos war.

Kurz nach 9 Uhr erreichten sie unser großes Lager 1 und nach einer weiteren Stunde Kochen, Trinken und Packen setzten sie den Abstieg in Richtung Basislager fort. Die Rucksäcke hatten nun wahrhaft fürchterliche Dimensionen und Gewichte, denn nebenbei wurde natürlich versucht, den Lagerabbau voranzutreiben. Das bedeutete, soviel in die Rucksäcke hineinzustopfen, wie man irgendwie fortbewegen können würde. Entsprechend mühselig gestaltete sich auch der weitere Abstieg. Nicht nur einmal brachen Olaf und Markus bis zur Hüfte durch den aufgeweichten Schnee. Am zeitigen Nachmittag erreichten sie schließlich das Basislager, und damit war auch der letzte Gipfelversuch unserer Expedition beendet. Leider haben wir also den Gipfel des Gasherbrum I nicht erreichen können, doch in Anbetracht des Wetters während der Wochen hier am Berg können wir mit unseren Erfolgen durchaus zufrieden sein.

Was nun bleibt, ist der Abbau unseres letzten, noch immer in 5900 m Höhe zwischen den beiden Gasherbrum-Gipfeln stehenden Lagers 1 und natürlich unseres kompletten Basislagers. Die uns verbleibenden zwei Tage sind dafür vorgesehen und wenn das Wetter wider Erwarten doch noch etwas besser werden sollte, werden wir uns hoffentlich darüber freuen und nicht all zu sehr dem nicht erreichten Gipfel des Gasherbrum I nachtrauern.

12.08.2001

Als wir im Basislager nach einer erholsamen Nacht erwachten, glaubten wir unseren Augen kaum zu trauen: Blauer Himmel und nur wenige Wolken begrüßten uns zu einem strahlenden Tag. "Glücklicherweise" hüllte sich der Gipfel des Gasherbrum I fast den ganzen Tag in eine dichte weiße Sturmwolke, so daß Olaf und Markus wirklich nicht traurig zu sein brauchten, nun hier unten statt irgendwo da oben zu sein. Wir nutzten den Tag, um einige letzte Mannschaftsbilder im Basislager zu schießen und unsere gesamte Ausrüstung zu trocknen, zu sortieren und transportfertig zu machen. Lydia begab sich zu Jehangir ins Küchenzelt und zauberte einen riesigen Topf oberleckeren Nudelsalat, mit dem wir dann bei den Spaniern zum Überraschungs-Lunch aufkreuzten. Die Begeisterung im spanischen Lager kannte keine Grenzen, und so dauerte die kleine Spontanparty denn bis in den Nachmittag. Abschließend vereinbarten wir noch, morgen früh gemeinsam mit drei von den Spaniern aufzubrechen, um die letzten Reste des Lagers 1 hinunterzuholen.

Von unserer Seite würden Lydia und Christian diese Aufgabe übernehmen. Und obwohl zwei Rucksackladungen eigentlich völlig ausreichen würden, gab es noch einen Dritten, der unbedingt mit hinauf wollte. Seit Wochen bat uns unser Hilfskoch Salman, doch bitte einmal mit Eispickel und Steigeisen gehen zu dürfen. Nun, wo es eigentlich nicht mehr viel zu tun gab und Lydia und Christian ohnehin noch einmal zum Lager 1 hinaufgehen würden, wollten wir ihm den Gefallen tun. So bekam also der vor Freude ganz aufgeregte Salman eine Ausrüstung angepaßt und in den letzten Strahlen der Abendsonne lehrte ihn Christian den Umgang mit den spitzigen "Waffen" des Bergsteigers in Eis und Schnee. Vor lauter Aufregung sprang Salman den ganzen Abend wie elektrisiert durch das Basislager. Morgen also sollte sein ganz großer Tag werden.


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