8.8.-9.8.01

8.8.01

Obwohl das Wetter recht wolkig und stürmisch war, zogen Lydia und Ralf ihren geplanten Gipfelaufstieg weiter programmgemäß durch und stiegen in nur drei Stunden aus Lager 2 nach Lager 3 hinauf. Der Weg erwies sich als relativ vernünftig gangbar, da sich die Neuschneemengen seit dem Abstieg von Christian und Markus an dieser Stelle in Grenzen gehalten hatten. Bereits zum 9-Uhr-Funkspruch konnten Lydia und Ralf die frohe Botschaft vom Erreichen des Lagers auf 7000 m ins Basislager durchgeben, wo Olaf, Christian und Markus sich nach ihrem Gipfelerfolg den ganzen Tag lang erholten und versuchten, mit Hilfe von Jehangirs Kochkünsten, dem Körper die an anstrengenden Tagen verlorenen Kalorien wieder zuzuführen.

Die gleiche Tätigkeit, nämlich das Zuführen von Kalorien und möglichst viel Flüssigkeit, war dann auch die Hauptbeschäftigung von Lydia und Ralf im Lager 3 den ganzen Tag über. Da die Wetterprognose für den morgigen Tag einigermaßen passables Wetter voraussagte, setzten sie ihren Start für den Gipfelgang auf 22 Uhr fest. Noch war genügend Zeit, sich den ganzen Tag lang zu erholen und so taten sie dies denn auch nach Kräften. Leider sah die Wetterentwicklung den ganzen Tag über nicht so gut aus, wie laut Wettervorhersage erhofft, und so war die definitive Entscheidung über den Start zum Gipfel zum letzten Funkspruch abends 20 Uhr noch nicht gefallen. Im Basislager gaben sich alle sehr optimistisch, während Ralf und Lydia oben im Lager 3 die Skepsis förmlich anzuhören war.

9.8.01

Nach einigen Tagen mit ziemlich durchwachsenem Wetter klangen die Prognosen für die folgenden Tage gar nicht so schlecht, so daß nun auch Olaf und Markus gemeinsam mit Jordi und Jospi von der spanischen Expedition den Aufstieg auf den Gasherbrum I in Angriff nehmen wollten. Christian, der sich nach dem Erfolg am Gasherbrum II nicht so recht für einen sofortigen Wiederaufstieg zum nächsten 8000er-Gipfel motivieren konnte, wollte jedoch ebenfalls nicht untätig im Basislager herumsitzen, sondern bereits mit dem wichtigen und zeitaufwendigen Abbau der Hochlager beginnen, und da der Gipfelversuch von Ralf und Lydia nun heute in die finale Phase treten sollte, wollte er sich bereits ins Lager 1 begeben, um dann gemeinsam mit den beiden die Lager am Gasherbrum II zu beräumen.

Für Christian, Markus und Olaf begann der Tag also mit dem Aufstehen Punkt 2 Uhr und 3.30 ging es gemeinsam mit Jordi und Jospi los auf dem bekannten Weg durch den Gasherbrum-Eisbruch in Richtung Lager 1. Nach vvier Stunden Aufstieg erreichten alle wohlbehalten Lager 1, für Christian Tagesziel und Aufenthaltsort für den Rest des Tages, für Olaf, Markus, Jordi und Jospi nur Durchgangsstation auf dem Weg weiter nach oben. Die Taktik für den Gasherbrum I sah vor, einen Aufstieg im sogenannten "Alpinstil" zu versuchen. Diese sportlich sehr anspruchsvolle Besteigungsart verzichtet vollständig auf die Errichtung von Hochlagern vor dem eigentlichen Gipfelgang. Alles, was man braucht, um am Berg während mehrerer Tage des Aufstiegs zu überleben, führt man stets mit sich mit. Also Zelt, Schlafsäcke, Kocher, Brennstoff, Lebensmittel usw.

Das bedeutet, daß man während des Gipfelaufstiegs zumindest bis zum höchsten Lagerplatz einen ganz erheblichen Rucksack mitschleppen muß, aber hat natürlich den Vorteil, daß man nicht erst wochenlang Zeit für die Errichtung und Ausstattung fest ausgebauter Lager investieren braucht. Unsere Planungen für den Gasherbrum I hatten von vornherein den Alpinstil vorgesehen, denn durch den Erfolg am Gasherbrum II waren wir ja bereits gut an die große Höhe akklimatisiert und würden so schnell eine eventuell auch nur kurze Schönwetterphase für einen Gipfelversuch nutzen können. Ob diese uns allerdings auch gewährt sein sollte? - Wir werden sehen!

Zunächst waren wir also am Morgen eines ziemlich bewölkten Tages im Lager 1 angelangt und packten dort peinlichst genau unsere Rucksäcke für die kommenden drei bis vier Tage. Nichts auch noch so Nebensächliches durfte vergessen werden, wollte der Aufstieg nicht in Gefahr gebracht werden. Kein Gramm zuviel sollte andererseits mitgeschleppt werden, um möglichst Kräfte zu sparen und schneller zu sein. Lange wurde um jedes Ausrüstungsdetail gefeilscht und am Ende doch meistens gestrichen und gespart. Zum Beispiel beschränkten sich die beiden Gipfelstürmer auf zusammen nur einen superleichten Schlafsack, den Olaf nehmen würde, während Markus eingewickelt in seine Daunenjacke und -hose sich zusätzlich mit der Daunenbekleidung von Olaf zudecken könnte. So würde er schon zwei bis drei Nächte bei -20 Grad überstehen, ohne zu erfrieren. Gemütlich würde es zwar nicht gerade werden, aber anderthalb Kilo gespart sind anderthalb Kilo gespart. Und das sind immerhin 1500 g. Oder, anders ausgedrückt, 2 Gaskartuschen und 10 Tafeln Schokolade. Oder eine Thermosflasche voll heißem Tee. Oder die bei Schneesturm lebenswichtige Schaufel. Oder, oder, oder... . Schließlich waren die Rucksäcke gepackt und wogen nicht viel mehr als zehn Kilogramm, womit die beiden sehr zufrieden waren. Schließlich galt es damit, steile Kletterpassagen in über 7000 m Höhe zu bezwingen, und da stört jedes Gramm nochmal doppelt. Markus hatte das superleichte Salewa-Sturmzelt, die Thermosflasche, 2 Gaskartuschen und die Schaufel; Olaf den Schlafsack, den Titan-Kocher & -Topf und das gesamte Essen. Jordi und Jospi, die beiden Spanier, hatten es ähnlich unter sich aufgeteilt, waren jedoch im Rationalisieren mindestens fünf Kilo schlechter gewesen.

Schließlich ging es los in Richtung Gasherbrum 1, doch vorher kam noch der Funkspruch mit Ralf und Lydia, die sich leider aus Lager 3 meldeten und mit trauriger Stimme berichteten, daß bei dem oben herrschenden Wetter die ganze Nacht über nicht an einen Gipfelversuch zu denken gewesen war. Da auch keine Besserung unmittelbar in Sicht schien und alle anderen Expeditionen, deren Teilnehmer im Lager 3 gewesen waren, ebenfalls das Handtuch geworfen hatten, sahen sie sich gezwungen, ihren Versuch ebenfalls abzubrechen. Auch ein Aussitzen in Lager 3 kam nicht in Frage und so entschlossen sie sich schweren Herzens zum Abstieg. Da ein weiterer Versuch vom Basislager aus schon aus Zeitgruenden nicht mehr möglich sein würde, wollten sie bereits mit dem Abbau der Lager am Gasherbrum II beginnen und hackten am Vormittag traurig und mit gesenkten Köpfen das Zelt im Lager 3 aus dem Eis, bevor sie den Rückweg antraten und gegen Mittag das Lager 2 erreichten.

Nun ruhten also all unsere Hoffnungen auf einer Wetterbesserung in den nächsten zwei bis drei Tagen, die Olaf und Markus eine Chance auf den Gasherbrum I einräumen würde. Zunächst starteten die beiden kurz vor Mittag gemeinsam mit den Spaniern Jordi und Jospi vom Lager 1 aus, um einen Platz für ihr kleines mobiles Hochlager zu erreichen. Der technisch recht unschwierige Anstieg auf den Gasherbrum La, einen 6400 m hohen Schneesattel am Beginnn der eigentlichen Schwierigkeiten, forderte bereits einiges an Kräften, denn das Ziehen einer Spur im ca. 20 cm tiefen Neuschnee erwies sich als recht kraftraubend. Glücklicherweise kamen den vier Gipfelaspiranten nach der Hälfte der Strecke drei Japaner entgegen, die entnervt von oben abstiegen, um nach mehreren Tagen des Ausharrens im Schlechtwetter ihre Nahrungsmittel- und Brennstoffvorräte zu ergänzen. Nach dreieinhalb Stunden erreichten Markus und Olaf sowie die beiden Spanier den Gasherbrum La und errichteten im immer schlechter werdenden Wetter ihre winzigen Zelte direkt am Einstieg des sogenanten Japaner-Couloirs, einer steilen Schnee- und Felsrinne, die den weiteren Aufstieg vermittelt. Kaum hatten sie es sich in den kleinen Nylonbehausungen (un)gemütlich gemacht, begann es draußen immer heftiger zu schneien und die Welt versank im undurchdringlichen Weiß eines ausgewachsenen Schneesturmes.

Nur wenige Kilometer entfernt am Gasherbrum II hatten Lydia und Ralf zwar ein klein wenig besseres Wetter, aber auch sie beschlossen, zunächst im Lager 2 etwas zu verschnaufen, ehe sie 17 Uhr bei ziemlich miesem Wetter ihren Abstieg fortsetzten und nach einer wahren Odyssee spät in der Dunkelheit bei Christian im Lager 1 eintrafen. Zwar hatten sie das komplette Lager 3 mit hinuntergebracht, doch auch noch das gesamte Lager 2 mit hinunter zu transportieren wäre eindeutig über ihre Rucksackkapazitäten gegangen. So würde Christian morgen früh ganz zeitig in das Lager 2 aufsteigen, um den Rest von unserer Ausrüstung herunterzuholen. Morgen wollten dann er sowie Lydia und Ralf den Abstieg vom Lager 1 ins Basislager antreten.

Olaf und Markus saßen indessen in ihrem winzigen Sturmzelt im Gasherbrum La und hofften auf Wetterbesserung für morgen, während ihnen der Wind um die Ohren pfiff, und es schneite und schneite und schneite.

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