Der Sturm auf den GII beginnt, 30./31.07.01

30.07.

Heute ist nun schon der achte durch schlechtes Wetter erzwungene Ruhetag. Sorge macht sich langsam bei allen Expeditionen breit. Wann kommt der ersehnte Wetterumschwung? Wird die Zeit für den Gipfel noch reichen? Kann man vielleicht sogar die Zeit am Berg noch verlängern? Doch die einsame Nummer Eins unter den Top Ten der meist gestellten Fragen anderer Expeditionen an uns ist: Habt ihr einen Wetterbericht? Ja, haben wir. Und wie es aufgrund der letzten beiden Prognosen aussieht, scheint er auch ziemlich zuverlässig zu sein. Doch wie kommt man zu einer Vorhersage, mitten auf einem Gletscher, über 5000 Meter hoch, fernab jeglicher Zivilisation oder gar meterologischer Station? Zu Hause schaltet man den Fernseher an und schon erfährt man von Kachelmanns Kollegen, wo man sein wohlverdientes Wochenende verbringen sollte. So jedenfalls geht das hier nicht. Es begann mit einem Tip eines Journalisten in Islamabad. Er hatte von einer Internet-Seite gehört, die eine Prognose für alle 8000er anbietet. Doch der Modus war ziemlich bürokratisch. Das schreckte uns natürlich nicht. Wacker versuchten wir, diesen Service zu abonnieren. Doch der einzige ansprechbare Verantwortliche für diese Seite weilte offensichtlich im Urlaub. Fehlanzeige. Doch zum Glück haben wir treue Unterstützer in der heimatlichen Ferne. Christians Freundin Anne Riedel setzte sich frischen Mutes vor ihren Rechner und stand offensichtlich nicht mehr auf, ehe sie eine erfolgversprechende Seite im World Wide Web gefunden hatte. Im gleichen Zeitraum wie wir an den Gasherbrums weilt eine schwedische Expedition am benachbarten K2. Und deshalb bemüht sich ein hydrologisches Institut im fernen Schweden um eine Wettervorhersage für das Gebiet um den zweithöchsten Berg der Erde. Heraus kommen dabei endlose Tabellen über Windgeschwindigkeiten zu bestimmten Zeiten, in bestimmten Höhen, mit zugehörigen Temperaturen. Und ganz am Schluß, wenn man die Hoffnung auf Verstehen fast aufgegeben hat, folgt eine klassische Prognose, die auch ein ganz normaler Bergsteiger unter Sauerstoffmangel begreifen kann. Und wie schon gesagt, bis jetzt macht das ganze einen sehr seriösen Eindruck. Und ein gutes Stück Seriosität ist genau das, was wir hier brauchen. Denn vor unserem Zelt entstehen ganz andere Prognosen. Da stehen ständig wechselnde Gruppen von Gleichgesinnten herum, vereint im philosophieren über das Wetter. Der eine hat genau die gleiche Wolkenkonstellation schon mal erlebt und meint, es muß weiter schlecht bleiben. Der andere schwört bei der Narbe auf seinem Schienbein morgen, morgen wird es schön. Der Nächste sagt, daß man gar nichts sagen kann, aber nach dem Kaffee-Satz zu urteilen, ja da könnte man meinen.....

Na da sind wir doch froh, daß wir die Anne haben, die uns vor solcher Spekulation und Quacksalberei errettet hat. Das Einzige, was sie leider (noch) nicht kann, ist, das Wetter für uns zu machen. Doch wir mit unseren Prognosen sind ganz optimistisch, daß heut der letzte Tag war, an dem wir nicht von bergsteigerischen Aktivitäten berichten.

31.07.

Heute ist alles anders. Gestern noch Nordwand-Gesichter, Kaffeesatz-Hokuspokus, endloses Optimieren von Aufstiegsstrategien. Heute dagegen prickelnde Elektrizität im gesamten Basislager. Selbst die Offiziere sind infiziert und lassen die Erregung bei wüsten Schneeballschlachten heraus. Was ist passiert? Richtig. Der ersehnte Wetterumschwung ist da!

Keiner scheint mehr zu bremsen zu sein. Da wird gepackt, geputzt, sortiert, ausrangiert. Überall finden sich heftig diskutierende Grüppchen. Nationalität, Sprache oder was uns sonst noch trennen könnte, ist vergessen und spielt keine Rolle mehr. Nur die Chance auf den Gipfel zählt. Wer geht wann? Mit wem? Wo kann man sich anschließen? Und nur die wenigsten denken in diesem Moment daran, daß Geduld und ruhige Überlegtheit das Wichtigste beim Bergsteigen an 8000ern sind. Der Weg zum Gipfel wird jetzt gleichsam seziert in Schönwettertage. Was ist das Minimum? Wo kann man Zeitreserven schinden? Spätestens jetzt wird die Reihenfolge der Teams innerhalb der Expeditionen festgelegt. Denn die Hochlager sind meist nur mit 2-4 Schlafplätzen ausgerüstet. Da muß ganz klar festgelegt sein, wer wann wo sein kann und darf. Und so mancher glaubt sich benachteiligt und sieht seine Felle davonschwimmen. Bei uns jedenfalls ist von rivalisierenden Gruppen keine Spur. Bisher gab es zwei Teams. Max und Christian sowie Ralf, Lydia und Olaf. Um unsere Chancen auf den Gipfel zu vergrößern, haben wir eine geringfügige Änderung dieser Aufteilung vorgenommen. Olaf wird bereits heute Abend mit drei Mitgliedern unserer befreundeten spanischen Mannschaft starten. Wenn sie morgen früh das erste Hochlager verlassen, sind bereits Max und Christian mit ihren Ski auf dem Weg dorthin. Die beiden sind wahrscheinlich die heimlichen Gewinner der reichlichen Schneefälle der letzten Tage und sehen deshalb mit großem Optimismus der Ski-Abfahrt vom Gasherbrum 2 entgegen. Um eine weitere Nacht versetzt, machen sich dann Lydia und Ralf auf den Weg. So sind wir alle in der Lage, die Schönwetterperiode zu nutzen. Und es gibt also drei mögliche Gipfeltage. Besser kann man es nicht angehen. Falls ein Team abbrechen muß, sind zwei andere in unmittelbarer Nähe. Sei es zum Gipfelsturm oder zur Hilfeleistung. Und so genießen Ralf, Lydia, Max und Christian die letzten Stunden der Ruhe im Basecamp, doch ihre Gedanken sind bei Olaf und den spanischen Freunden, die den Weg nach oben durch den reichlich gefallenen Neuschnee bahnen . Viel Glück!

Und nun ist heftigstes Daumendrücken angesagt. (Große Zehen nicht vergessen!!!)

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