Sauwetter! 26.-29.9.

Hallo Ihr zu Hause!
In den letzten drei Tagen hat sich hier nicht all zu viel ereignet, zumindest, was den Fortschritt am Berg angeht. Noch immer sitzen wir eine inzwischen bereits ziemlich lang anhaltende Schlechtwetterperiode im Basislager aus und warten auf passendes Wetter für einen Wiederaufstieg, wenn möglich gar den Gipfelsturm.
Uns selbst geht es allen ganz gut und was sich im einzelnen alles ereignete, findet Ihr wie immer tageweise aufbereitet.

Nachtrag zum 26.07.2001: Unsere Party mit den Spaniern war einsame Spitze! Gestärkt durch Käsefondue und katalanischen Schinken ging es den ganzen Abend lang um die Spielemeisterschaft des Basislagers. Christian hat den Gesamtsieg im UNO-Turnier nur knapp an Pepe abgeben müssen und Ralf ließ sich sogar verlocken, den Gipfelwhisky anzuzapfen. Dazu die Beatles aus unserem EKG-Gerät und jede Menge international verständlich erzählter Witze. Was will man mehr, wenn es draußen stürmt und schneit?

27.07.2001

Heute war unser 20. Tag seit Erreichen des Basislagers. Schon ganz schön viel, wenn man bedenkt, daß bisher außer ein paar irgendwo da weit oben aufgestellten Zelten noch kein zählbares Ergebnis herausgekommen ist. Und dieser Tag ist in den Versuchsplänen für unsere medizinisch-wissenschaftliche Untersuchung rot angestrichen. Rot bedeutet in diesem Fall: Blutentnahme. Und so bewaffnet sich denn Lydia gleich nach dem Frühstück mit ihrem "Folterbesteck" und zapft uns jedem ein Röhrchen des roten Lebenssaftes aus der rechten Armbeuge, um einige Stunden später das abgesetzte Serum sorgfältig in die dafür vorgesehenen Behälter abzufüllen. Auch ansonsten ist uns die in Zusammenarbeit mit dem Institut für Bakteriologie und Mykologie der Veterinärmedizinischen Fakultät der Uni Leipzig durchgeführte Untersuchung schon längst zur Routine geworden. Überwacht und kontrolliert von Lydias kritischen Blicken füllen Ralf, Olaf, Christian und Markus täglich ihre umfangreichen Untersuchungsbögen aus, lesen brav ihre Urinteststreifen ab, bei Schneesturm im Lager 3 gar keine einfache Übung, messen den Puls und mit Hilfe von Christians Hi-Tech-Geräten die Sauerstoffsättigung des Blutes und diskutieren ab und zu über ihre Meßdaten wie die Langzeitpatienten in irgendeinem deutschen Krankenhaus am Rande der Stadt. Olaf und Markus, die als unsere " Versuchskaninchen" fungieren, essen zudem täglich 100 g Wurzener Enjoy-Cornflakes, was sie dank begrenzter Magenkapazität schon des öfteren um den Genuß anderer Leckereien gebracht hat, die just immer dann auf dem Tisch auftauchen, wenn die beiden vor riesigen Tellern goldgelb gerösteter Cornflakes sitzen und eigentlich ohnehin schon fast satt sind. Während Markus seine Tagesportion übrigens vom ersten Tag an uniform mit Milch und Honig genießt, probiert es Olaf lieber mit Abwechslung, die auch manchmal komische Züge annimmt: Schon mal Cornflakes mit Meerrettich probiert? Oder vielleicht mit Salamischeiben und Käsecreme? Naja, immerhin weiß sich Olaf als Nicht-Cornflakes-Liebhaber zu helfen, auch wenn die anderen am Tisch meist etwas komisch gucken.

Zurück zu unserer Untersuchung. Wenn dann am Ende unserer Expedition Frau Professor Krüger an der Uni Leipzig ihren schlauen Computer mit unseren ganzen Daten füttert, kommt hoffentlich ein brauchbares Ergebnis heraus. Eines steht jedoch jetzt schon fest: Das tägliche Pulsmessen und Registrieren anderer Werte hilft einem selbst unheimlich gut dabei, in den eigenen Körper hineinzuhorchen und festzustellen, wie fit man eigentlich ist. Und das Bewußtsein, was man dabei für den Einfluß der Höhe gewinnt, sowie die Kenntnisse, die man über viele Zusammenhänge und Körperreaktionen erlangt, täten wohl jedem Höhenbergsteiger gut und würden vielleicht so manchen Fall nicht oder zu spät erkannter Höhenkrankheit vermeiden helfen.

Und noch zwei Ergebnisse zeichnen sich bereits ab. Markus hat wohl für immer seine Lieblingssorte Cornflakes gefunden. Und Olaf wird wohl nie Schwierigkeiten haben, zwischen einem Teller Cornflakes und einem Schinkenbrötchen zu wählen.

28.07.2001

Der fünfte Schlechtwettertag in Folge. Als am frühen Morgen mal für 20 Minuten die Sonne auf die Zeltdächer schien, dachte so mancher in der schläfrigen Wärme des kuscheligen Schlafsacks wohl bereits an ein Ende der unsäglichen Warterei. Doch schnell wurde die aufkeimende Illusion mit einem neuen, heftigen Schneeschauer wieder erstickt, und so erschienen wir reichlich desillusioniert zum Frühstück in unserem großen Mannschaftszelt. Langsam mußte irgend etwas geschehen, doch da das Wetter sich scheinbar (noch) nicht dauerhaft ändern wollte, war nicht so richtig klar, was das sein sollte.

Das Ereignis des Tages nahte am Horizont in Form eines kleinen schwarzen Punktes. Was war das? Tiere gibt es hier keine. Die riesigen, im Laufe der Jahre durch Expeditions- und Armeeabfälle zu Monstergröße mutierten Krähen muten eher an, wie aus einem Stephen-King-Roman entflogen, weshalb wir sie hier nicht in die verniedlichende Kategorie "Tiere" zählen wollen. Ein Fleck auf der Sonnenbrille konnte es nicht sein, da wir diese mangels Sonne nicht aufgesetzt hatten. Was also konnte es wohl sein, das sich da unserem Basislager näherte?! Ein M E N S C H ! Ein lebendiger Mensch bei diesem Sauwetter und in dieser Einöde! Und ein obendrein recht flinker noch dazu, denn der Punkt nahm erstaunlich schnell Gestalt an und näherte sich auf zwei flinken Füßen mit beachtlicher Geschwindigkeit über den unebenen Pfad auf dem Moränenrücken. Bald konnten wir schon einen prall gefüllten Rucksack erkennen und wenige Minuten später stand der soeben noch Punkt gewesene in Form eines ausgewachsenen Mailrunners vor uns und grinste uns fröhlich entgegen. Zur Erklärung: sechs der hier im Basislager anwesenden Expeditionen, darunter auch wir, teilen sich in die Bezahlung eines solchen Mailrunners, der mit jeweils einem Rasttag im Basislager bzw. in Skardu quasi ununterbrochen zwischen uns und der Zivilisation hin- und herpendelt. Er transportiert Nachrichten, Briefe oder auch mal ein wenig frisches Gemüse für ausgehungerte Bergsteigermägen in die eine oder andere Richtung. Nun stand er also hier und entnahm seinem prall gefüllten Rucksack genau jenes Gerät, das ihn dereinst, bis auf den Job mit dem Gemüse, wohl arbeitslos machen wird: Ein Satellitentelefon. Dieses gehörte den Italienern, und sie nahmen das High-Tech-Gerät freudestrahlend in Empfang, noch nicht wissend, daß es trotz fachkundiger Hilfe von Christian nie funktionieren würde. Nachdem auch noch einige Kilo Gemüse dem Rucksack entnommen waren, verblieb nicht viel, was sich eventuell hätte als Post aus der Heimat herausstellen koennen. Zwei Umschläge nur und demgegenüber Dutzende heimwehgeplagter Bergsteiger, die wohl alle auf Post von zu Hause hofften.

Der erste Umschlag war eine blanke Enttäuschung: er enthielt lediglich die 200 zusätzlichen Briefmarken, die wir zum Frankieren weiterer Grußpostkarten direkt hier im Basislager geordert hatten, und die nun nach reichlich zwei Wochen den Weg von Skardu hierher gefunden hatten. Der zweite Umschlag jedoch hielt, was er versprach: ein Brief! Ein echter B R I E F! Oh, der glückliche Spanier, Italiener, Belgier, Kasache oder Franzose, der ihn gleich mit hastigen Bewegungen aufreißen wuerde! Gierige Blicke und ungeduldige Gesten...

And the winner was...
unser Ralf!

Aufgegeben am 2. Juli in irgendeinem Leipziger Briefkasten, hatte der Brief ganze 26 Tage gebraucht, um unbeschadet hierher bis "ans Ende der Welt" zu gelangen. Und was war Ralf's Kommentar?
"Ach das ist ja ein uralter Brief!"
Naja, wir geben ehrlich zu, daß er sich trotzdem riesig gefreut hat und der Neid aller anderen ihm für die nächsten Stunden gewiß war...
PS: Und wann kriegen WIR unsere Briefe???

29.07.2001

Heute ist Sonntag, aber der Blick aus dem Zelt auf das Sonntagswetter lohnte sich trotzdem nicht im geringsten. Schlimmer als je zuvor trommelte der Schnee auf die dünnen Zeltdächer und machte uns unmißverständlich klar, daß auch der sechste Schlechtwettertag in Folge wohl eher im warmen Schlafsack als irgendwo außerhalb des Zeltes zu verbringen sein würde. Angesichts der mißlichen Lage hat die Suche nach sinnvollen Freizeitbeschäftigungen inzwischen ein Level erreicht, bei dem der Besitz eines völlig zerlesenen Aprilheftes des "Spiegel" in etwa der vollständigen Vereinnahmung der Schloßallee beim Monopoly gleichzusetzen ist.

Nicht einmal mehr die paar im Expeditionsfundus vorhandenen Gesellschaftsspiele sind eine große Verlockung, da jeder weiß, daß man spätestens nach einer halben Stunde UNO oder MEMORY im großen Mannschaftszelt eiskalte Füße hat und der eigene Schlafsack ohnehin der einzig annehmbare Aufenthaltsort ist. Christian versuchte sich am Vormittag an einer neuen Elektronikbastelaufgabe, aber erstens war seine Motivation wohl eher in der spärlich freigesetzten Wärme des 30-Watt-Lötkolbens zu suchen und zweitens glaubt sowieso niemand daran, daß er es schafft, aus dem Lüfter unseres defekten 220 V-Transformators einen Fön für Lydia zu bauen.

Was also tun, wenn der Tag bei Schneetreiben und Saukälte immer noch 24 Stunden hat und das Wetter einfach nicht besser werden will? Am sinnvollsten scheint noch die Flucht in den Zweckoptimismus, weshalb wir heute einfach mal die Top 10 der optimistischsten Wetter-Statements und Durchhalteparolen veröffentlichen. Und los geht's:

10. Irgendwann muß der Schnee da oben doch auch mal alle sein.
9. Wenn es eine Ruhe vor dem Sturm gibt, muß es doch eigentlich auch eine Ruhe nach dem Sturm geben.
8. Sobald es besser wird, gehen wir los.
7. Wenn Du den Rucksack schon packst, vergiß nicht Sonnencreme und Sonnenbrille!
6. Andere haben schon 45 Tage hintereinander im Basislager rumgesessen und sind trotzdem auf den K2 gestiegen.
5. Dreht der Hahn sich auf dem Grill, macht das Wetter was es will. Also erstmal her mit dem Broiler, dann sehen wir weiter!
4. Da hatten wir am ... (irgendein Berg) 19... (irgendein Jahr) schon viiiiiel schlimmeres Wetter!
3. Zumindest reichen unsere Essensvorräte länger als bei allen anderen hier!
2. Wenigstens haben wir jetzt genug Neuschnee fürs Skifahren!

und seit sechs Tagen die absolute Nummer 1.:
Tomorrow it will be good - Inshallah!!!


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