Im Basislager, 24.-26-7.01

24.07.2001

Nachdem gestern mit Christian und Markus auch die letzten beiden unserer Crew wieder im Basislager eingetroffen waren, sind nun erst einmal ein paar Ruhetage angesagt. Abgesehen davon, daß wir ohnehin ein paar Tage Rast und Erholung benötigen, ehe es dann endgültig in Richtung Gipfel geht, läßt das Wetter derzeit sowieso keinerlei großartige Aktivitäten oberhalb des Basecamps zu: Es regnet und schneit, und schneit und regnet. Aber neben der Erholung gibt es auch im Basislager eine Menge zu tun. Hauptproblem sind inzwischen unsere Zeltplattformen geworden, denn das gesamte Basislager befindet sich ja auf der Moräne eines Gletschers. Das bedeutet zwar, daß unser Zeltuntergrund aus Steinen und Schotter besteht, aber 10-20 cm oder auch mal 1-2 m unter dem Schotter befindet sich Eis, und das ändert seine Form und Konsistenz bekanntlich ständig. Es schmilzt, bildet Spalten und Klüfte, fließt an sonnigen Tagen in Bächen davon und wird überhaupt von Tag zu Tag weniger. Und wo man drei Tage vorher eine schöne glatte Zeltplattform geschaufelt hat, ist eben plötzlich ein Buckel oder eine Delle, die man seiner Wirbelsäule unmöglich als Schlafstelle zumuten kann. Was also tun? Reparieren, Schaufeln, Steine aufschichten, hier was anhäufen und da was wegschaufeln. Und nach einer Stunde Arbeit sind wieder mal drei Tage einigermassen horizontaler Schlaf gesichert. Besonders die Bauingenieurfraktion um Markus und Ralf ist unermüdlich im Einsatz, um mit Hilfe geschickt angelegter Schmelzwasserrinnen und Steuerung des Abschmelzprozesses mittels Gesteinsanhäufung einen optimalen Untergrund für ihre Basislagerzelte zu schaffen.

Von diesen Problemen ist Christian bisher völlig verschont geblieben. Sein Zelt steht auf der Schulter eines riesigen Schotterhaufens, den wir, in Analogie zum dem unserem Basecamp gegenüberliegenden 7000ers Baltoro Kangri, auf "Walter Kangri" getauft haben. Und dort oben, quasi "in schwindelnder Höhe" über unseren anderen Zelten, ist die Zeltplattform seit eh und je eben ohne den geringsten Arbeitsaufwand tiptop in Form. Dafür hat Christian aber ein anderes Problem. Die Schotterflanken des "Walter Kangri" werden durch Abschmelzung immer steiler und steiler. Und so blieb ihm heute nichts anderes übrig, als ein Fixseil zu spannen, um wenigstens halbwegs ungefährdet sein Zelt zu erreichen.

Und wie heißt es so schön: "Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen". Und so gibt es nun jedesmal Gelächter, wenn sich Christian unter Anwendung alpinistischer Methoden seinem Schlafsack zu nähern versucht.

25.07.2001

Ein weiterer Ruhetag im Basislager. Noch immer schneit und schneit es. Hier unten auf 5100 m Höhe bleibt der Schnee allerdings derzeit nicht liegen, denn die Temperaturen tagsüber liegen etwas über dem Gefrierpunkt. An einen Aufstieg ist natürlich nicht zu denken, die Neuschneemenge im Lager 1 beträgt mittlerweile etwa 80 cm, wie die nun auch von oben ins Basislager geflüchteten Schweizer berichteten.

Obwohl nun schon der zweite Ruhetag bei schlechtem Wetter anstand, war es bestimmt nicht langweilig. Unser Kommunikationszentrum läuft rund um die Uhr und das große Mannschaftszelt ist der wichtigste internationale Treffpunkt hier im Basislager geworden. Man lernt eine Menge nette Leute kennen, und interessante oder gar komische Typen sind die 8000er-Aspiranten allemal.

Da ist zum Beispiel Andrè, der Schweizer, der schon ein reichliches halbes Dutzend 8000er auf seinem Konto hat und nach sorgfältiger Akklimatisation vom Basislager zum Gipfel des GII in 16 Stunden durchgelaufen ist. Oder Christian aus Wien, der an einer Hochschule unterrichtet und für gewöhnlich mit der Harley Davidson zur Arbeit fährt. Er kennt die ersten hundert Ziffern der Zahl Pi auswendig, aber weiter als bis 3,1415 konnten wir das leider nicht überprüfen.Oder Max aus Kasachstan, der wohl der jüngste im Lager ist und staunt, als wir ihm von seinen Heimatbergen im Tienshan berichten können.

Täglich vorbei kommt auch unser italienischer Freund Silvio, der aus Alagna zu Füßen des Monte Rosa stammt und dort als Bergwachtmitglied eigentlich 365 Tage im Jahr in steilen Wänden und Flanken unterwegs ist oder mit dem Hubschrauber Halbschuhtouristen aus mißlichen Lagen befreit. Wenn er nicht gerade 8000er besteigt. Und das hat er nun schon sechs Mal erfolgreich hinter sich gebracht. Im Frühjahr stand er auf dem Everest ohne zusätzlichen Sauerstoff natürlich! Und wenn er hier GI und GII "abgehakt" hat, geht es nach Hause, um zwei Wochen später zum Dhaulagiri aufzubrechen. Immer wenn er auftaucht, kann sich im Hintergrund einer nicht verkneifen, "Pronto!" zu rufen. Silvio ruft nämlich täglich seine Freundin zu Hause an: "Pronto! Ciao Sonja! ..."

Nicht wegzudenken aus dem Basislager ist auch Sergej aus der Ukraine. Obwohl er mit Abstand am längsten hier ist, war er bisher noch nicht höher als im Lager 1. Dafür marschiert er täglich in voller Eisausrüstung einmal quer durch das Basislager und wieder zurück. Für ihn ist der Gipfel wohl auch gar nicht so wichtig. Der Weg ist das Ziel. Wahrscheinlich deshalb wählte er aus der Ukraine wohl auch den Landweg bis hierher nach Pakistan, ein mehrmonatiges Abenteuer, von dem er manchmal die verrücktesten Geschichten erzählt.

Ach und dann ist da noch ein gewisser Christian aus Dresden, seines Zeichens weitgereister Bergsteiger, vor allem wohl aber fanatischer Elektronikbastler. Und wenn so einer nichts zu reparieren oder zu installieren hat, kommt er auf die verrücktesten Ideen. So zum Beispiel heute, als er scheinbar urplötzlich der Meinung war, den Geruch verschmorenden Lötfettes viel zu lange nicht in der sonnenverbrannten Tüftlernase verspürt zu haben. Was also tun, wenn es nichts zu löten und zu basteln gibt, die Elektronik reibungslos funktioniert und alle Akkus randvoll solargeladen der Stromentnahme harren?

Das so ein Walkman, von denen wir ja zur musikalischen Unterhaltung im Basislager einige mithaben, normalerweise nur ein Paar Ohren beschallen kann, war Christian schon vor längerer Zeit aufgefallen. Doch woher hier im Gasherbrum-Basislager einen Lautsprecher nehmen? Die zündende Idee kam unserem Bastlerhirn bei der medizinischen Routinekontrolle: Da aus dem EKG-Gerät so mancher "Pieps" erklingen konnte, mußte darin also auch ein Lautsprecher stecken! Und in der Technik des in seiner eigenen Firma RECO hergestellten EKG-Gerätes vertraut, dauerte es keine halbe Stunde, ehe Christian daraus sowie aus einem herkömmlichen Billig-Walkman ein völlig neuartiges Gerät zusammengelötet hatte. Als der dichte Lötnebel sich verzogen hatte, stand auf dem Tisch statt dem rein medizinisch ganz nützlichen, aus musikalischer Sicht jedoch wertlosem VITASCOPE A plötzlich HIGH-FIDELITY-SCOPE 8000, ein multifunktionales Patientenmonitoringsystem mit Gute-Laune-Applikation, welches vermutlich die Medizintechnik revolutionieren wird.

Während also nun nach herkömmlicher Art die EKG-Kurve über den Schirm flimmert, erklingen zur Freude des Patienten aus dem gleichen Gehäuse die Red Hot Chili Peppers. Die sich ständig ändernden Werte der relativen Sauerstoffsättigung werden untermalt von Vivaldis "Vier Jahreszeiten" und zu den Auf-und-Abs der Atemfrequenzkurve erklingt der Leuten über 30 nur schwer zugängliche Hamburger Sound von Tocotronic. What a music!

Sagt selbst: kann man einen Schlechtwettertag in einem 8000er-Basislager sinnvoller verbringen?!

26.07.2001

Dritter Ruhetag in Folge, dritter Tag Schneefall in Folge, dritter Tag auf wenigen, nur durch dünne Nylonzeltplanen vor dem Sauwetter geschützten Quadratmetern in Folge. Trübsal blasen ist noch längst nicht angesagt. Auch wenn die über BBC-Kurzwelle hereingeflatterten Nachrichten und Wetterprognosen nicht sonderlich ermutigend klingen. Der Monsun hat Pakistan in den vergangenenen Tagen am schwersten seit wohl über 100 Jahren getroffen. Mehr als 600 mm Niederschlag innerhalb weniger Stunden in Islamabad. Das entspricht knapp dem Ganzjahreswert von Dresden! Die Todeszahlen pendeln zwischen 60 und 120. Hunderte Kilometer Straßen sind zerstört, Brücken weggespült und der Karakorum Highway wohl auf Wochen und Monate hinaus nicht durchgehend passierbar. Fürs ganze Land ist dies eine Katastrophe von nur schwer vorstellbaren Ausmaßen, von der wir hier in der Abgeschiedenheit des Hochgebirges allerdings nichts mitbekommen.

Auch auf unser Hochgebirgswetter ist der Monsun nicht gänzlich ohne Einfluß, und so gibt es bereits einige sehr kritische Stimmen hier im Basislager, doch wir lassen uns unseren Optimismus nicht nehmen und warten geduldig auf ein Ende der Niederschläge. Was sollten wir auch anderes tun? Und damit uns nicht zu langweilig wird, haben wir für heute abend eine kleine Party zusammen mit den Spaniern angesetzt. Da bringt dann jeder so seine landestypischen Speisen und Getränke mit bzw. das, was eben so da ist. Wir werden uns mit Sächsischer Roter Grütze, Dresdner Christstollen, einigen Tafeln Rittersport und vielleicht noch der einen oder anderen Kleinigkeit auf den Weg ins 500 m entfernte spanische Basecamp machen, während uns dort spanischer Schinken, Turron und vielleicht gar ein winziger Tropfen katalanischer Rotwein erwarten wird. Bei solchen Aussichten kann man schon ganz gut über die Schlechtwetternachrichten hinwegkommen, oder?


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