Errichtung der Hochlager, 19.-23.7.

19.07.2001

In der Nacht hatte sich das Wetter weiter stabilisiert, und als Christian, Markus und Ralf 2.30 zum Eilfrühstück antraten, leuchteten Millionen Sterne vom Nachthimmel. Im Licht der Stirnlampen ging es den gewohnten Weg durch den chaotische Gasherbrum-Eisbruch bis zu unserem Skidepot, von wo aus wir dann gemütlicher auf Ski und am Seil weiter ins Lager 1 marschierten. Trotz mehrerer Filmpausen, in denen Markus mit der Videokamera den Aufstieg einzufangen versuchte, erreichten sie in nur fünf Stunden unser Lager 1 in 5900 m Höhe. Nach mehreren Tagen Abwesenheit war unser großes Zelt noch immer gut in Schuß, nur eine große, eisbedeckte Pfütze auf dem Fussboden zeugte von eingedrungenem Neuschnee, der draußen trotz Sonneneinwirkung noch immer 35 cm hoch lag.

Sie veranstalteten eine große Trocknungsaktion bei strahlendem Sonnenschein und machten es sich den Rest des Tages im Lager gemütlich. Olaf und Lydia genossen währenddessen noch einen weiteren Ruhetag im Basislager, um dann einen Tag zeitversetzt den Aufstieg in Angriff zu nehmen. Da Ralf, Christian und Markus am nächsten Tag ebenso ein Lager höher steigen wollten, ging es bei allen sofort nach dem 18-Uhr-Funkspruch in die Schlafsäcke.

20.07.2001


Lager 1

Im Lager 1 begann der Tag mit dem Schneeschmelzen und Kochen bereits um 2.30. Als kleinen Muntermacher zauberte Christian ein leckeres Mousse au Chocolat aus der Schultheiss-Tüte in den Topf. Leider machte selbst dieses Leckerfrühstück Ralf nicht munter, denn nach einer eher schlecht als recht verbrachten Nacht klagte er über Kopfschmerzen und beschloß vernünftigerweise schnell, den Tag lieber im Lager 1 auf Lydia und Olaf zu warten. Christian und Markus starteten indessen 3.30 Uhr in Richtung Lager 2. Zunächst führt der Weg eine halbe Stunde flach über den spaltenreichen Gasherbrum-Gletscher, ehe der steile Teil des Südwestpfeilers Richtung Gasherbrum-II-Gipfel zieht.

Teilweise ist dieser Bereich mit Fixseilen versehen, die andere Expeditionen vor uns dort angebracht haben und die nun jeder ergänzt und repariert, so daß in diesem exponierten Bereich eine halbwegs vernünftige Sicherung vorhanden ist. Die ist auch dringend notwendig, denn neben Bergsteigern aus Japan, Kasachstan, Italien, Spanien und Österreich befinden sich auch kommerzielle Expeditionen am Berg, deren Teilnehmer hier eigentlich nichts zu suchen haben und die ohne die trügerische Sicherheit der Seile wohl keinen Meter in Richtung Lager 2 höherkommen würden. Beispielhaft dafür steht wohl eine belgische Großexpedition, die zwar mit weit über 300 (!) Trägern mit einem riesigen Materialaufwand im Basecamp angerückt ist, ansonsten aber wohl nur durch den massiven Einsatz von Hochträgern am Berg Fortschritte verzeichnet. Leider wurden wir am frühen Morgen des heutigen Tages Zeugen eines tragischen Unfalls, bei dem einer der Seiltechnik vermutlich nicht so recht mächtiger Belgier über 200 Meter zu Tode stürzte. Sein völlig schockierter Seilpartner besaß weder Steigklemme noch Abseilacht und war nicht in der Lage, einen Knoten zur Selbstsicherung am Fixseil zu befestigen. Was soll man dazu noch sagen?

Nachdem uns dieser vermeidbare aber deshalb nicht weniger traurige Unfall ganz schön auf den Magen geschlagen ist, gehen wir nun immer mit doppelter Vorsicht und Sorgfalt vor. Nach viereinhalb Stunden erreichten Christian und Markus schließlich psychisch ziemlich angeschlagen die Stelle von Lager 2 und errichteten dort unser Hochlagerzelt. Damit steht nun auf 6550 m unser zweites Hochlager auf dem Weg zum Gipfel des Gasherbrum II.

Während Ralf sich im Lager 1 erholte und ausruhte, stiegen Olaf und Lydia aus dem Basislager ins Lager 1 auf. Da die beiden nicht als Zweierseilschaft durch den spaltenreichen Eisbruch gehen wollten, schlossen sie sich mit einer anderen Seilschaft zusammen. Start war wie immer sehr zeitig um 3.00 Uhr. Es ging gut voran und schon nach fünf Stunden standen sie vor unserem Achtmannzelt im ersten Hochlager und schauten auf einen verdutzten Ralf, der sie erst eine Stunde später erwartet hatte. Ihr Tag im Lager 1 begann mit einem zünftigen Frühstück. Dann ist es bei gutem Wetter (also bei Sonnenschein) notwendig, will man einen einigermaßen erholsamen Tag im Lager 1 verbringen, sich vor der Hitze zu schützen. Ob man es glauben will oder nicht, tagsüber herrschen hier in fast 6000 m Höhe hochsommerliche Temperaturen von bestimmt 35 Grad Celsius. In einem von der Sonne aufgeheizten Zelt wird es unter Umständen noch wärmer und man kann es oft nur leicht bekleidet aushalten!

Eis holen, Eis schmelzen, Getränke zubereiten, Trinken, neues Eis holen sind die Haupttätigkeiten des heutigen Tages. Zum abendlichen Funkspruch waren wir also alle in den Lagern 1 und 2 versammelt und planten für den morgigen Tag, jeweils ein Lager höher zu steigen: Christian und Markus bis auf 7000 m, um die Grundlage für Lager 3 zu errichten, obwohl sie dafür erst einmal kein weiteres Zelt im Lager 2 hatten. Lydia, Ralf und Olaf auf 6550 m, um Lager 2 mit Brennstoff und Lebensmitteln auszurüsten und das Zelt für Lager 3 hinaufzutragen.

21.07.2001

Unchristliche Weckzeiten auf allen Ebenen: 2.30 Uhr im Lager 2; 2.00 Uhr gar im Lager 1. Markus und Christian starteten schließlich 3.40 Uhr gemeinsam mit vier Österreichern in Richtung Lager 3. Nach den Schneefällen vor einigen Tagen waren sie die ersten, die wieder in diese Höhen vorstoßen sollten und so wechselten sie sich in der anstrengenden Spurarbeit ab. Da der Höhenfortschritt ziemlich schleppend vorankam, machte sich die Kälte besonders stark bemerkbar, und als Christian und Markus gemeinsam ein reichliches Drittel der Spurarbeit verrichtet hatten, waren ihre Füsse so kalt, daß sie beschlossen, sich etwas aufzuwärmen. Am Rande einer großen Spalte trampelten sie eine kleine Plattform in den Schnee, breiteten ihre Isomatten aus und legten sich in voller Montur in die warmen Schlafsäcke, um die ersten Strahlen der wärmenden Sonne abzuwarten. Bei herrlichem Panoramablick aus etwa 6800 m Höhe ließen es sich die beiden 2 Stunden lang gutgehen, bis es in den Schlafsäcken so warm wurde, daß sie wohl oder öbel weitergehen mußten.

10 Uhr erreichten sie schließlich die kleine Schneeplattform auf 7000 m, auf der Lager 3 errichtet werden sollte. Das Wetter war nach wie vor gut und so legten sich Christian und Markus erneut mit Isomatte und Schlafsack in die Sonne. Drei Teilnehmer der spanischen Expedition, mit der wir uns in das Permit für den Gasherbrum I teilten, erreichten eine halbe Stunde nach uns das Lager und errichteten ihre beiden Zelte, von denen Christian und Markus für eine Nacht eins nutzen konnten. So mußten sie nicht gleich wieder absteigen und da Olaf, Lydia und Ralf am Vormittag auch Lager 2 erreicht hatten, waren wir nun alle hoch oben am Berg in zwei Lagern versammelt, als wir ein einmaliges Schauspiel der Naturgewalten erlebten. Aus den Flanken des Gasherbrum I löste sich eine Lawine von gigantischen Ausmaßen, raste sich ständig vergrößernd über die Flanken des Berges, weiter quer über den kilometerbreiten Gasherbrum-Gletscher (unsere Aufstiegsroute ins Lager 1 kreuzend!) und am gegenüberliegenden Berghang des Gasherbrum V wieder mehrere hundert Meter bergauf. Erst nach über einer Viertelstunde hatte sich die gigantische Schneewolke einigermassen gelegt und hinterließ ein Bild der Zerstörung. Wie groß der angerichtete Schaden und die Wucht des Elementarereignisses wirklich waren, wurde uns erst später beim Funkspruch mit unserem Koch Jehangir im Basislager bewußt. Dort hatte man die etwa drei Kilometer entfernt niedergehende Riesenlawine sofort gesehen und zum Glück umgehend richtig reagiert. Ehe die Druckwelle, zweifach umgelenkt durch Bergflanken, das Basecamp erreichte, dauerte es sage und schreibe 15 Minuten, in denen fieberhaft Zelte mit Steinen beschwert und lose herumliegende Dinge eingesammelt wurden. Dann traf die Druckwelle das Lager mit Urgewalt und über eine Dauer von fünf Minuten herrschte Windstärke 10+. Unser großes Mannschaftszelt, gehalten von drei Personen, überlebte das Inferno wohl ziemlich knapp, was man von allen Zelten im Basislager nicht sagen konnte. Das Zelt des Verbindungsoffiziers der griechischen Expedition beispielsweise wurde einfach davongeweht und die wohl unglaublichste Begebenheit trug sich im Lager der Kasachen zu: Wie das Leben so spielt, hockte gerade einer von ihnen in dem kleinen Zelt mit quadratischem Grundriß, um ein wichtiges Geschäft zu verrichten, als die Druckwelle sich mit ohrenbetäubendem Brausen ankündigte. Von Angst gepackt, die Hosen noch in den Kniekehlen, packte der Kasache das Zeltgestänge mit beiden Händen, um das Toilettenzelt vor dem Davonfliegen und sich selbst einige Peinlichkeit zu bewahren. Doch das Unglaubliche passierte. Der arme Mann wurde mitsamt seinem nun einem Kastendrachen nicht unähnlichen Sichtschutz emporgehoben und erst einige Meter weiter unsanft auf dem Gletscher wieder abgesetzt. Ob er das Toilettenpapier dann noch dabei hatte und sein Geschäft fortsetzen konnte, ist uns nicht bekannt.

An diesem Beispiel kann man sich die Wucht der Naturgewalten wohl einigermaßen vorstellen, auch wenn man manche Dinge wohl nur glauben kann, wenn man sie selber erlebt hat. Bei uns im Mannschaftszelt wurden 40 kg schwere Tonnen einfach umgeworfen, Tische und Stühle wirbelten durch die Luft und auch unser EKG-Monitor landete unsanft zwischen den Steinen des Zeltbodens. Außer einem Sprung in der Frontscheibe ist dem von Christian bei seinem Arbeitgeber in Pirna mitentwickelten Gerät nichts passiert, und so ganz unstolz ist unser Elektroniktüftler darüber nicht. Die gesamten Aufräumarbeiten dauerten übrigens zwei Tage, während wir alle in den oberen Lagern nichts vom wahren Ausmaß der Verwüstungen ahnten.

22.07.2001

Noch in der Nacht passierte etwas Unvorhergesehenes, das unsere gesamten Planungen etwas über den Haufen warf: Lydia klagte plötzlich über ständig zunehmende Kopfschmerzen und begann, sich von Minute zu Minute schlechter zu fühlen. Als auch Kopfschmerztabletten und ein leichtes Höhenmittel nicht anschlugen, bestand dringender Verdacht auf ein beginnendes Hirnödem und ein sofortiger Abstieg war die einzig mögliche Konsequenz. Mitten in der Nacht begannen sich Lydia, Ralf und Olaf also auf diesen Notabstieg vorzubereiten. Noch konnte sich Lydia selbst behelfen, aber es ging eben alles viel langsamer als an anderen Tagen. Kurz nach 4.00 Uhr waren sie abmarschbereit. Lydia hielt sich jetzt nur noch mit Mühe auf den Beinen und brauchte besonders an den Seilen die ganze Aufmerksamkeit und Hilfe von Olaf und Ralf. In einer bis anderhalb Stunden ist normalerweise der Abstieg von Lager 2 hinunter ins Lager 1 erledigt. Die Drei waren mehr als doppelt so lang unterwegs, doch sie kamen gesund und unbeschadet dort an, und das war das wichtigste. Leider besserte sich Lydias Zustand im Lager 1, das ja immerhin 600 Höhenmeter niedriger als Lager 2 liegt, nicht entscheidend, so daß die Entscheidung getroffen wurde, nach einer Pause noch bis in das Basislager weiter abzusteigen. Nach einem ziemlich abenteuerlich Nachtabstieg durch den Eisbruch kamen Lydia, Ralf und Olaf ziemlich erschöpft gegen 23.00 Uhr im Basislager an. Erst hier besserte sich Lydias Zustand und das zum Glück vollständig.

Christian und Markus stiegen indessen nichts ahnend hinunter ins Lager 2 und erwarteten, hinter jedem Serac Olaf, Ralf und Lydia im Aufstieg zu treffen. Erst im leeren Lager 2 klärte sich per Funk der Sachverhalt, und so wurde kurzerhand umdisponiert und nach mehrstündiger "Siesta" und literweise Flüssigkeitszufuhr im Lager 2 stiegen Markus und Christian erneut auf ins Lager 3, um mit dem bisher fehlenden Zelt unser Depot dort oben zu einem richtigen Hochlager auszubauen. Gut akklimatisiert und bestens erholt benötigten sie nun für den Aufstieg nur noch reichlich 2 Stunden und machten es sich anschließend im Lager 3 gemütlich, während sich Lydia, Olaf und Ralf noch in der Dunkelheit der Nacht durch den Eisbruch kämpften.

23.07.2001

Gute Nachrichten gleich am frühen Morgen: Lydia ging es inzwischen wieder so gut, als wäre nichts gewesen und Markus und Christian haben die Nacht auf 7000 m ausgezeichnet verbracht. Während die "Walter Brothers" also in aller Gemütlichkeit eines saukalten Morgens mit -20 Grad Celsius in einem winzigen bereiften Hochlagerzelt zum Abstieg rüsteten, wurde im Basislager noch in aller Ruhe geschlafen. Da sich das Wetter nach einigen sehr schönen Tagen mit ziemlich häßlichen Wolken nun wieder einmal zu verschlechtern drohte, beeilten sich die beiden mit dem Abstieg so gut es ging.

Nun werden wir also erst einmal einige Schlechtwetter- und Erholungstage im Basecamp verbringen, um dann beim ersten Sonnenstrahl wieder aufzusteigen und den ersten Gipfelversuch am Gasherbrum II in Angriff zu nehmen. Sorge, daß die Erholungsphase zu kurz werden könnte, haben wir nicht: draußen schneit es und schneit und schneit...


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