Trekking zwischen Himmel und Erde
Der Weg zu unserem Berg führt durch die spektakulärste Gebirgslandschaft der Welt. Keine andere Trekkingroute kann es mit diesem Weg zwischen Himmel und Erde aufnehmen, und deshalb gibt es wohl kaum einen Bergfreund, der nie von diesem Weg gehört hat und nicht davon träumt, ihn einmal zu gehen. Viele berühmte Himalayagipfel säumen diese Route und mit der Ama Dablam (6856 m) und dem Pumo Ri (7145 m) sind gleich zwei Eisriesen darunter, die zu den schönsten Bergen der Erde zählen.
Ama Dablam |
Pumo Ri |
Nur zwei Tagesmärsche von Namche Bazar, dem Hauptort im Everestgebiet, entfernt, gibt es einen Flugplatz. Er wird der Ausgangspunkt für unseren Anmarsch in das Basislager sein. Da Bergsteiger in der Regel nur wenig Zeit haben, sehr häufig wird die Aufenthaltsdauer am Berg durch die einheimischen Behörden begrenzt, ist solch eine Anreisemöglichkeit natürlich verlockend. Doch diese Bequemlichkeit rächt sich allzuhäufig. Ein großer Nachteil daran ist die mangelhafte Höhenakklimatisation, denn von Lughla, wo der Flugplatz liegt, geht es in wenigen Tagen über die Viertausendmetergrenze hinaus. Bei vielen Menschen beginnen in diesen Höhen ernsthafte Probleme, wobei Kopfschmerzen sowie Schlaf- und Appetitlosigkeit noch die harmloseren Symptome sind.
Flugplatz in Lugla
Wir wissen natürlich von diesen Problemen. Deshalb werden wir in Namche Basar einige Tage verbringen und von hier aus Akklimatisationstouren durchführen. Eine dieser Wanderungen wird uns in das auf etwa 4000 m Höhe gelegene Kloster von Thame führen. Wunderschön an einem Berghang gelegen, ist diese Gompa das älteste Kloster in der Region rings um den höchsten Berg der Welt. Hier wollen wir auch ein oder zwei Nächte verbringen, um dann wieder in das etwa 500 m niedriger gelegene Namche Basar zurückzukehren.
Der Gebetsraum der Mönche im Kloster von Thame
Namche liegt auf 3500 m Höhe hufeisenförmig an den terrassierten Abhängen eines steilen Talkessels. Der Ort ist voller Geschäftigkeit, und es ist sehr aufregend, das fremdartige Leben und Treiben der Einheimischen zu beobachten. Besonders interessant ist Namche Basar am Samstag. An diesem Wochentag wird ein großer Markt abgehalten. Hunderte von Trägern kommen schwerbeladen aus allen Himmelsrichtungen schon am Tag zuvor in Namche an. Meist sind es Bauern, die die Überschüsse ihrer Felder hier verkaufen wollen. Am faszinierensten sind jedoch die Tibeter. Sie müssen sowohl im Sommer als auch im Winter den Nangpa La überqueren, um in Namche ihre Waren anbieten zu können. Diesen fast 6000 m hohen Paß im Winter bei Temperaturen von 20 oder 30°C unter Null ohne Ausrüstung und mit schweren Lasten zu überschreiten, ist eine unvorstellbare Strapaze, die auch schon viele Opfer gefordert hat. Wir glaubten immer zu wissen, was jemand auszuhalten im Stande sein muß, um als hart zu gelten. Das war ein Irrtum. Wie harte Menschen wirklich aussehen und was sie tatsächlich aushalten können, weiß erst, wer diese Tibeter kennengelernt hat.
Namche aus der Vogelperspektive.
Nach den notwendigen Rasttagen in Namche geht es nun weiter aufwärts zum Kloster Tengboche, der traditionell nächsten Station auf diesem Trek. Ab jetzt begleiten uns Yaks, die unsere Ausrüstung tragen. An Berghängen kaum ansteigend führt uns ein Traumweg zwischen strahlend blauem Himmel und Erde entlang. Tausend Meter unter uns rauscht der Imja Drangka. Es dauert eine Weile bis diejenigen von uns, die zum ersten Mal hier sind, wirklich begreifen, was wir nun endlich sehen. Dort hinten mit der gewaltigen Schneefahne steht der höchste Berg der Erde, der Mount Everest. Allerdings ist nur seine Gipfelpyramide sichtbar. Mit Lhotse (8511 m) und Nuptse (7879 m) verstellen zwei andere gewaltige Eisriesen die Sicht auf den Everest. Immer mehr berühmte Himalaja-Gipfel tauchen auf und als wir in Tengboche eintreffen, umgibt uns ein großartiges Panorama aus Sechs-, Sieben- und Achttausendern. Das Kloster selbst steht auf einem Bergrücken zwischen tiefen Schluchten und riesigen Bergen, es befindet sich sozusagen im Gleichgewicht zwischen diesen beiden Extremen. Es ist gleichsam ein Sinnbild seiner Bewohner für die Harmonie und den Einklang mit der Natur und sich selbst.
Kloster in Tengboche. Im Hintergrund Mount Everest und Nuptse.
Auf unserem Weg zum Basislager durchqueren wir das Siedlungsgebiet der Sherpas. Unterwegs übernachten wir übrigens noch nicht in Zelten. Überall am Weg stehen kleine Teehäuser und Herbergen, in denen die einheimischen Träger und Yaktreiber rasten und wo auch der Fremde Unterkunft findet. Hier wird die Gastfreundschaft groß geschrieben. Diese Eigenschaft ist eine der liebenswertesten der Sherpas. Doch berühmt geworden, sind sie durch ihre sprichwörtliche Ausdauer und Zähigkeit bei zahllosen Himalaya-Expeditionen. Der Name dieses weltberühmten Bergvolkes ist tibetisch und setzt sich zusammen aus der Silbe Shar, Osten und Pa, Volk. Die Sherpas sind also das Volk, welches aus dem Osten kam. Angezogen vom heiligen Berg Gauri Shankar überschritten sie vor 500 Jahren aus Tibet kommend den 5700 m hohen Paß Nangpa und siedelten in der Solu-Khumbu-Region südwestlich des höchsten Berges der Welt. Gegenwärtig zählt das kleine Bergvolk etwa 60000 Menschen. Sie sprechen tibetisch und ihre Religion ist der Lamaismus. Auch heute noch betreiben die Sherpas Ackerbau, obwohl der Tourismus immer mehr ihr Leben bestimmt.
Sherpafamilie in Namche Basar
Ein sichtbares Zeichen, daß wir an Höhe gewinnen und den menschenfeindlichen Fels- und Eisregionen immer näher kommen, ist die karger werdende Vegetation. Auch die Höhe macht uns jetzt schon deutlich zu schaffen. Darum verlangsamen wir unseren Aufstieg, gehen die folgenden zwei Tage nur wenige Stunden. Die nächste Station ist deshalb Pangboche, welches nur zwei leichte Wegstunden vom Kloster in Tengboche entfernt liegt. Am neunten Tag nach dem Aufbruch am Flugplatz in Lughla treffen wir in Dingboche ein und am darauffolgenden Tag erreichen wir mit dem 4750 m hoch gelegenen Chukhhung die letzte Siedlung. Von hier aus erreicht man in einem halben Tagesmarsch das Basislager des Num Ri. Doch am Tag vor dem Aufbruch dorthin werden wir sicher gemeinsam von unserer Lodge in Chukhhung aus den 5546 m hohen Chukhhung Ri besteigen. Vom Gipfel aus erwartet den Bergsteiger einer der spektakulärsten Bergblicke der Welt. Unmittelbar vor ihm ragt die gewaltigste Felswand unseres Planeten auf, die dreieinhalbtausend Meter hohe und über zehn Kilometer breite Nuptse-Lhotse-Mauer.
Lhotse-Nuptse-Mauer vom Kloster in Tengboche aus gesehen
Am nächsten Tag dann erreichen wir das Basislager. Es liegt in einer Höhe von 5200 m eingeklemmt zwischen dem 6189 m hohen Imja Tse und dem Lothse Shar-Gletscher auf einer Seitenmoräne. Hier werden wir uns für etwa vier Wochen häuslich einrichten und auf gutes Wetter und die immer notwendige Portion Glück bei unserer Erstbesteigung hoffen.
Basislager am Num Ri.
Wenn wir auf dem Rückweg nach unserem Abenteuer am Num Ri noch Zeit haben, unternehmen wir sicher einen Abstecher zum Fuße des Mount Everest. Über Chukhhung und Dingboche könnten wir in zwei Tagen Gorakshep am Fuße eines der prachtvollsten Gipfel der gesamten Khumbu-Region, des 7145 m hohen Pumo Ri, erreichen. Er stellt eine makellose Fels- und Eispyramide dar und wird ebenso wie die Ama Dablam für einen der schönsten Berge der Erde gehalten. Pumo heißt übrigens Tochter und Ri Berg, und der Namensgeber hat dabei sicher an den tibetischen Namen des Everest gedacht, Chomolungma, Mutter des Landes. Der Pumo Ri hat einen kleinen unscheinbaren Nebengipfel, Kalar Pattar genannt. Er ist 5545 m hoch und der Punkt in Nepal, von dem aus der Mount Everest am besten zu sehen ist, vorausgesetzt das Wetter macht einem keinen Strich durch die Rechnung. Nur ein bis zwei Stunden dauert der Aufstieg von Gorakshep zum Gipfel. Auch wenn man sich an den gewaltigen Fels- und Eismassen des Everest nicht sattsehen kann, müssen wir doch weiter, wenn wir an diesem Tag auch das Basislager des höchsten Berges der Erde erreichen wollen. Die letzten Wegstunden sind sehr mühsam, denn es geht jetzt nur noch über weglose Geröllfelder, die der berühmte und gefürchtete Khumbu-Gletscher zusammengeschoben hat.
Mount Everest vom Gipfel des Kalar Pattar aus gesehen.
Irgendwann unmittelbar unterhalb des Khumbu-Eisfalls taucht plötzlich die Zeltstadt des Basislagers auf. Manchmal stehen hier zweihundert Zelte und mehr. Den Berg selbst kann man von hier aus nicht mal sehen. Nur seine gigantische Westschulter ragt unmittelbar oberhalb des Camps in den Himmel. Trotzdem, hierher zum Fuße des Mount Everest zu kommen, ist für die meisten eine Art Wallfahrt, die Erfüllung eines ihrer größten Lebensträume. Ob sich unser größter Traum, nämlich den Gipfel des Num Ri zu erreichen, erfüllt hat, werden wir an dieser Stelle wissen. Und es ist nicht auszuschließen, daß gerade hier vielleicht ein neuer ganz großer Traum Besitz von uns ergreift.
Tafel am Ortseingang von Namche