Ein Team für eine solche Unternehmung zusammenzustellen ist gar nicht so einfach. Es gilt Leute zu finden, die gute Bergsteiger sind, über das nötige Kleingeld verfügen und was sicher am schwierigsten ist, welche die Zeit aufbringen können, die eine solche Unternehmung erfordert. Das heißt, der Ideengeber, im Falle des Num Ri also Olaf, muß seine potentiellen Mitstreiter von seiner Idee, also von der Machbarkeit eines solchen Projektes überzeugen. Diesbezüglich ist die Frage nach den bergsteigerischen Anforderungen, die der Berg stellen wird, natürlich die wichtigste. Welche Route also ist die erfolgversprechendste und zugleich auch diejenige, die die geringsten objektiven Gefahren aufweist? Die Frage nach der Route war darum auch diejenige, die bei unseren ersten Expeditionstreffen am eingehensten diskutiert wurde. Das einzige Hilfsmittel zur Lösung dieses Problems bei Erstbesteigungen sind, sofern überhaupt vorhanden, Fotos vom Berg. In dieser Hinsicht können wir uns nicht beklagen. Es gibt immerhin Aufnahmen, die eine Einschätzung der Situation am Berg von drei Himmelsrichtungen aus zulassen. Einzig aus südöstlicher Richtung gibt es keine Fotos. Dafür aber gibt es hervorragendes Kartenmaterial aus dieser Region, so daß sich die fehlende Ansicht von Südosten her verschmerzen läßt.
Die folgende Aufnahme wurde 1999 vom Gipfel des Cho Polu aus aufgenommen. Im Hintergrund ist der Baruntse zu sehen, davor in der rechten Bildhälfte der Num Ri mit seiner Nordwand, Teilen seiner Ostwand, dem langen Nordostgrat, der in die linke untere Ecke des Bildes weist sowie dem Nordwestgrat, der in Richtung auf den rechten Bildrand zeigt. Im Zentrum der Nordwand sind die Spuren eines vor kurzem abgegangenen Schneebrettes deutlich sichtbar.
Der Num Ri aus nördlicher Richtung aufgenommen vom Gipfel des 6735 m hohen Cho Polu.
Die Diskussion über die Möglichkeit von Norden oder Osten her einen Aufstieg zu versuchen, war recht kurz. Von hier aus würde es keinen Aufstiegsversuch geben. Zwar erscheint uns der Nordostgrat nach wie vor machbar, jedoch ist seine Begehbarkeit anhand dieses Fotos und des vorhandenen Kartenmaterials als eher schwierig, langwierig und gefährlich einzuschätzen, da der Grat extrem ausgesetzt ist. Außerdem ist die Anreise auf diese Seite des Berges um ein vielfaches aufwendiger. Also konzentrierten wir unsere Aufmerksamkeit relativ rasch auf die Westseite des Berges. Von dieser Flanke unseres Berges gibt es die meisten Bilder.
Der Num Ri von Westen. Standort des Fotografen war das Basislager am Island Peak
Das folgende Foto hat Olaf vom Gipfel des ebenfalls benachbarten 6189 m hohen Island Peak (Imja Tse) aufgenommen. Es zeigt den Num Ri aus nordwestlicher Richtung. Sehr deutlich hebt sich auf diesem Foto ein nach Westen weisender Grat ab, der etwa in einer Höhe von 5800 m in die Westflanke des Num Ri mündet. Etwas unterhalb dieses Punktes werden wir unser einziges Hochlager errichten. Von dort aus führt die Route, wie in diesem Foto eingezeichnet, über die Hängegletscher und dann später auf dem Nordwestgrat zum Gipfel. Leider ist auch dieser Weg zum höchsten Punkt nicht frei von objektiven Gefahren. Das größte Problem auf dieser Route sind die Lawinen- und Eisschlaggefahr. Außerdem wird es auf den Hängegletschern weit oben am Berg auch Spalten geben. Das heißt, daß optimale Verhältnisse, also vor allem wenig oder gar kein Neuschnee, sowie eine hohe Geschwindigkeit am Berg eine Grundvoraussetzung für das Gelingen unseres Vorhabens sind. Sehr günstig ist die Tatsache, daß sich unser Hochlager nur etwa knapp 1000 Meter unterhalb des Gipfels auf einem außerordentlich sicheren Platz befinden wird.
Num Ri aus nordwestlicher Richtung
Das nächste Bild zeigt den Standort des Basislagers. Zu sehen ist auf diesem Foto der Island Peak aus der ungewöhnlichen Perspektive vom Gipfel des Cho Polu aus. Genau zwischen Berg und dem am unteren Bildrand sichtbaren Lhotse-Shar-Gletscher werden wir am eingezeichneten Punkt unser Lager errichten.
Island Peak aus östlicher Richtung, aufgenommen vom Gipfel des 6735 m hohen Cho Polu
Um zum Fuß des Num Ri zu kommen, muß der Lhotse-Shar-Gletscher überwunden werden. Das nachfolgende Bild zeigt Markus Walter bei seiner Überquerung 1999 während der Erstbesteigung des Cho Polu.
Markus Walter beim Überspringen einer der unzähligen Spalten während der Überquerung des Lhotse-Shar-Gletschers.
Der Lhotse-Shar-Gletscher vom Cho Polu-Basislager aus gesehen.
Als Fazit unserer gemeinsamen Betrachtungen hinsichtlich der von uns ausgewählten Route steht folgende Einschätzung: Der erfolgversprechendste Stil für unser Unternehmen ist der klassische Expeditionsstil. Wir werden deshalb an sicherer Stelle ein Hochlager errichten und schwierige Passagen der Route entsprechend mit Fixseilen versichern. Oberhalb des Hochlagers sind Aktivitäten wegen der Lawinen und Eisschlaggefahr nur bei besten Verhältnissen möglich, dabei ist eine hohe Geschwindigkeit bei Auf- und Abstieg wichtigstes Gebot. Die voraussehbaren alpintechnischen Schwierigkeiten der gewählten Route sind für alle Teilnehmer ohne Probleme zu bewältigen.