Schneekatastrophe - 18.04.2006

Vielleicht war es ja sowas wie ein Instinkt, der das kommende vorausgeahnt hat. Als ich gestern vom Lager 1 ins Basislager zurückgelaufen bin, mit dem Bild der Route im Kopf, gab es eigentlich nur noch einen Gedanken: Es darf hier nicht schneien, zumindest nicht viel, weil ich mir nicht vorstellen kann, wie es möglich sein soll, dort oben die Route einzurichten, wenn die schwierigen Felspassagen mit Eis bedeckt sind. Wie sollen wir dort klettern? Und auf dem Weg vom Basislager zum Lager 1 gibt es gleich mehrere Stellen, die lawinengefährdet sind!


Heute morgen um 6.00 Uhr lagen schon 25 cm Schnee.

Doch heute morgen das! Ich erwachte von dem Geräusch, welches vom Zelt rutschender Schnee macht. Die Zeltwände waren von der Schneelast eingedrückt. Das durfte einfach nicht wahr sein! Lakpa war auch schon wach und sah wohl das Entsetzen in meinem Gesicht. Er stapfte mit fröhlichem Lachen zu mir und tröstete mich. Alles wird gut, meinte er! Es würde gleich aufhören zu schneien und eigentlich sollten wir doch froh sein, weil es auf alle Fälle besser sei, wenn es jetzt schneit, wo wir gemeinsam im Basislager sind. Wenn es in drei oder vier Tagen damit angefangen hätte und wir dann oben in einem der Hochlager gewesen wären, dann müßten wir Angst bekommen, nicht jetzt schon. Mich tröstete das. Immer wenn es Probleme gibt, hilft nur positives Denken. Konstruktiv sein und nicht den Teufel an die Wand malen! Doch seit dem Foto oben sind neun Stunden vergangen. Es sind weitere 40 cm Schnee gefallen! Unser Meßzelt drohte zusammenzubrechen.


Nur durch ständiges Schaufeln ist unser Meßzelt noch zu retten.

Es schneit, als wollte irgendwer die Welt zuschütten. Nur am Gasherbrum im Karakorum habe ich ähnliches erlebt. Meine Solarpanelen sind alle paar Minuten so voller Schnee, daß der Ladestrom auf Null absinkt. Entweder ich befreie sie alle fünf Minuten vom Schnee, oder ich verzichte darauf, unsere Batterie zu laden. Bald werden wir keinen Strom mehr haben. Wie es nun hier weitergehen soll, weiß ich nicht, denn es schneit nach wie vor ununterbrochen. Es ist wirklich zum Heulen!

Und als wäre das nicht schon Grund genug zum Verzweifeln, gibt es gleich die nächste Hiobsbotschaft: Ralf und seit gestern auch Dieter haben sich ziemlich ernsthaft erkältet. Ralf laboriert schon seit einer Woche an seinem Schnupfen herum, der nicht besser werden will, doch Dieter hat es jetzt richtig erwischt. Er hustet und schnaubt ohne Unterlaß, hat Halsschmerzen und wahrscheinlich auch Fieber. Ein Unglück kommt selten allein.

Ralf kämpft schon länger gegen das Virus, jetzt hat er Verstärkung!

Es ist wirklich unglaublich, wie schnell sich das Blatt an einem solchen Berg wenden kann! Gestern noch total euphorisch, heute total am Boden zerstört. Der Weg zum Lager 1 war zwar anstrengend, doch auch phantastisch schön, der Lagerplatz auf dem Grat spektakulär, und ich fühlte mich dem Berg gewachsen. Doch heute ist alles anders. Aber vielleicht kommt es ja gerade auf diese Erfahrung an? Wie wichtig ist mir doch der Erfolg hier an der Ama Dablam nach dem Scheitern am Everest. Ich war mir sicher, daß wir hier Glück haben müssen, nach dem Pech dort. Aber da habe ich wohl die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Und der Wirt ist hier der unbarmherzige Berg, der uns Menschenzwerge aus seinem weißen Pelz schüttelt, wie es ihm gefällt!