Vom Präpsaal zum Hidden Peak, Teil 1

Dieser Artikel ist eine Auftragsarbeit für das Buch, welches zum 150. Gründungsjubiläum der Sektion Leipzig des DAV erscheinen soll.–

Für mich oft der spannendste Teil einer Vortragspräsentation. Bei Firmenvorträgen oft sogar Vertragsbestandteil. Man darf mich alles fragen, was man noch nie wissen wollte, weil man so gar nichts über das Bergsteigen wusste und sich auch nicht dafür interessiert hat. Aber nun nach meinem Vortrag ist das anders. Also fragt das Auditorium los. Und da geben mir die Fragenden manchmal eine Menge Stoff zum Nachdenken mit nach Hause. 

Los geht es aber meistens mit Standardfragen, sozusagen zum Warmwerden: Zum Beispiel wie bzw. ob wir in den Hochlagern auf die Toilette gehen? Was wir dort oben essen? Typische Frauenfrage. Oder wovon ich überhaupt lebe? Oder ob ich Frau und Kinder hätte und was die denn zu dem Ganzen sagen? 

Aber der Favorit ist zweifellos die Frage, wie ich denn auf die Idee kam, Bergsteiger zu werden, wo ich doch nach dem Kenntnisstand des Fragenden eindeutig ein Flachländer sei.

Aber nicht nur das Publikum stellt Fragen. Sehr oft fragen auch Journalisten. Und da muss man dann schon besser aufpassen, was man alles so preisgibt. Das steht dann am nächsten Tag in der Zeitung oder läuft im Fernsehen. (Foto: Tilo Weiskopf)

Und diese Frage ist in der Tat berechtigt, denn ich bin nicht nur Flachländer, aufgewachsen im Elbe-Urstromtal im flachsten Teil Sachsen-Anhalts. Meine „Berge“ waren der Fläming, seines Zeichens Endmoräne aus der Saaleeiszeit. Der höchste Berg im Fläming ist der doch immerhin 200,3 m hohe Hagelberg. Aber man erkennt ihn leider nicht als solchen. Er ist zu flach.

Auch von meinen Genen her bin ich alles andere als mit einer womöglichen Bergaffinität ausgestattet worden. Ganz im Gegenteil. Meine Eltern stammen aus Ostpreußen bzw. der Gegend um Danzig. Wasser war unser bevorzugtes Urlaubsziel: Die Ostsee und vor allem der Stechlinsee bei Neuglobsow im flachsten Brandenburger Land.

Ich bin zu meiner Bergleidenschaft gekommen, wie die Jungfrau zum Kinde. Meine unbefleckte Empfängnis fand im Sommer 1988 im Tienschan statt. Ich hatte einen der ultrabegehrten Studentensommer in Mittelasien ergattert. Oder vielleicht wahrheitsgetreuer ausgedrückt, ich hatte ihn zugeschanzt bekommen, weil ich die Leute gut kannte, die Einfluss auf die Vergabe dieser Plätze hatten.

Der 5135 m hohe Pik Energie links und die noch höhere Tschimtarga rechts im Fan-Gebirge in Tadschikistan im Sommer 1989.

Es war Liebe auf den ersten Blick. Von dieser Reise an ließen mich die Berge nicht mehr los. Schon im darauffolgenden Jahr fuhr ich mit den gleichen Leuten und einem über fünf Umwege besorgten Dienstvisum wieder nach Mittelasien. Diesmal in das Fangebirge. Unser Ziel der Pik Energie, 5135 m hoch. Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen, wie ich mit offenem Mund staunend meinem ersten Fünftausender gegenüber stand. Die Große Gans hieß der, und er war das beeindruckendste, was ich je gesehen hatte.

Dieser Fünftausender namens Большой Гусь (kann das jemand etwa nicht lesen?), war der erste richtige große Gipfel, dem ich in meinem Leben gegenüber stand. Und diese Begegnung hat mich mehr in ihren Bann gezogen, als ich damals auch nur ahnen konnte. 

Meine DDR-Bergschuhe, neu gekauft, fielen nach einer Woche auseinander. Mein Schlafsacklappen stammte aus einem Lumpenpaket, welche wir immer von unserer Westverwandschaft bekamen. Riesengroß und voller abgelegter Klamotten. Als wir zu dritt zum Gipfel aufbrachen, schliefen wir unter freiem Himmel in einer Art Hochlager in einem „Dreimann-Schlafsack“, den sich meine Freunde aus zwei ganz profanen Steppdecken zusammengenäht hatten. Steigeisen besaßen wir leider nur zwei Paar. Auch gab es nur zwei Pickel in dieser Dreierseilschaft.

1989 auf dem Weg zum Gipfel des Pik Energie. Ausrüstungstechnisch ganz sicher ein Abenteuer 🙂

Trotzdem erreichten wir den Gipfel, und es war sicher auch deshalb eines der prägendsten Erlebnisse meines Lebens. Dort oben zu stehen, die ganze Welt zu Füßen, die unglaubliche Verbundenheit mit meinen Mitstreitern, sich groß und stark aber gleichzeitig auch ganz klein und schwach zu fühlen, war das kurioseste aber auch großartigste, was ich bis dahin erlebt hatte.

Das wollte ich wieder machen. Soviel stand fest. Und deshalb war es für mich eine ganz und gar unerhörte Sache, als die Mauer fiel. Mein ausgeprägter Freiheitsdrang war damals so unbändig, ich hätte niemals den Rest meines Lebens das Eingesperrtsein hinter Minen und Stacheldraht aushalten geschweige denn akzeptieren können. Viele meiner engen Studienfreunde hatten damals genau wie ich auch die unglaublichsten Pläne geschmiedet, wie wir irgendwann, wenn wir unser Staatsexamen in der Tasche hätten, abhauen würden.

Das war Gott sei Dank nun alles nicht mehr nötig. Ein Geschenk des Himmels!

Zu dieser Zeit mein Mentor, Volker Andreas am Pik Energie in Tadschikistan. Er ist der Vater von Jacob, welcher damals noch im großen Teich herum schwamm. Bald nach dieser Reise geboren, wurde Jacob mein Patenkind und ist heute mein Expeditionspartner auf inzwischen schon drei großen Unternehmungen. Die Zeit vergeht!!

Leider merkten wir schneller als uns lieb war, dass uns nun zwar die Welt offen stand, wir viele andere Träume aber ganz rasch begraben mussten.

Ich wollte wirklich nie vom Bergsteigen leben und als Vortragsredner durch die Gegend tingeln. Ich wollte Tierarzt auf dem Land werden. Das war mein größter Lebenstraum: Mit dem Moskwitsch von Stall zu Stall fahren und Kühe, Schweine und Pferde gesund machen. Doch den Tierärzten ging mit dem Zusammenbruch der Tierproduktion in Ostdeutschland der Boden unter den Füßen verloren. Ich konnte mir diese Tragödie ganz aus der Nähe ansehen. Ich absolvierte im Sommer 1990 meine Pflichtassistenz in einer Tierärztlichen Gemeinschaftspraxis bei Ludwigslust in Mecklenburg. Gestandene Tierärzte mit jahrelanger Berufserfahrung büßten dort ihre Existenzgrundlage ein, weil ein Stall, eine LPG nach der anderen dicht machen musste. 

Ich gab mir wirklich Mühe, diesen Job an der Uni zu mögen. Aber es klappte einfach nicht. Und wenn ich damals nicht so ein wahnsinniges Glück mit meinen großartigen Kollegen und meinem Chef gehabt hätte, ich wäre nie fast neun Jahre Anatom geblieben.

Dazu kam, dass vor der Wende ein westdeutscher Tierarzt etwa 10000 Großvieheinheiten betreuen musste, um davon leben zu können, ein ostdeutscher aber nur 3000. Mit der Wende waren bei Licht betrachtet zwei Drittel der ostdeutschen Tierärzte überflüssig. Die Abschaffung großer Tierbestände verschärfte dieses Drama noch.

Genau in dieser für uns Tierärzte unguten Lage schloss ich mein Studium der Veterinärmedizin ab.  Ich war somit ein tierärztliches Greenhorn. Das Jahr Pflichtassistenz nach dem Staatsexamen hätte das ein wenig ändern können. Außerdem verdiente ich da ein bisschen Geld.

Doch mit Übernahme der westdeutschen Approbationsordnung fiel diese wirklich sehr sinnvolle Vorbereitung auf die Praxis weg. Ich bekam das mitten bei der Arbeit in Ludwigslust in einem einminütigen Anruf mitgeteilt und war nun von jetzt auf gleich arbeitslos.

Zum Schluss hielt ich teilweise zehn Stunden Vorlesung die Woche. Eine harte Schule, denn die makroskopische Anatomie ist ein Fach, welches gefährlich staubtrocken sein kann, wenn man es nicht schafft, da ein bisschen Abwechslung reinzubringen.

Ein guten Job als Tierarzt zu bekommen, war Anfang der Neunziger so wahrscheinlich wie ein Sechser mit Zusatzzahl. Viele meiner Kommilitonen gingen in die Schlachthöfe oder die Pharmaindustrie oder ließen sich im Westen als Anfangsassistenten ausbeuten. 

Deshalb ging ich an die Uni zurück, an das anatomische Institut, an welchem ich meine Diplomarbeit geschrieben hatte. In der Anatomie war gerade jemand schwanger geworden, und ich ergatterte Ende 1990 eine halbe Stelle befristet auf ein Jahr.

Nun machte ich plötzlich das exakte Gegenteil dessen, was ich eigentlich wollte. Anstatt kranke Tiere gesund zu machen, ließ ich Formalin in tote Tiere hineinlaufen und schnitt sie anschließend auseinander.

Mein Arbeitsplatz im altehrwürdigen Präpsaal des Veterinäranatomischen Institutes der Leipziger Veterinärmedizinischen Fakultät.

Acht Jahre hangelte ich mich dort von einer Befristung zur nächsten, promovierte, machte den Fachtierarzt für Anatomie, Histologie und Embryologie und begann sogar mit einer Habilitation.

Aber eigentlich war mir die ganze Zeit klar, dass ich unglücklich bin. Ich tauge weder zum Hochschullehrer noch zum Wissenschaftler und schon gar nicht zum Anatom. Ich musste dort weg. Aber als praktischer Tierarzt war ich nun sicher ganz und gar unbrauchbar. Ich hatte seit meinem Staatsexamen so gut wie nie als solcher gearbeitet und hätte eigentlich ganz von vorn anfangen müssen. 

Aber was sollte ich dann tun?

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2 Antworten

  1. Thomas Schmidt sagt:

    Toller Einblick, und auf den Dr. darfst du ruhig stolz sein…

  2. Katja sagt:

    Hallo Olaf,du schreibst wieder ganz faszinierend.Tierärztin stand als Kind auch mal auf meiner Berufswunschliste,aber als mir meine Eltern sagten,dass ich auch Tiere einschläfern müsste,habe ich ihn von meiner Wunschliste gestrichen:-(
    Umso beeindruckender finde ich Menschen,die eigentlich,für Außenstehende,einen tollen Beruf haben,aber merken,dass sie damit unglücklich sind,dann das Hobby zum Beruf machen.
    Ich finde solche Entscheidungen auch sehr mutig und ich hätte und habe mit Sicherheit hunderte von Fragen an dich,unter anderem auch die typische Frauenfrage mit der Toilette am Berg….aber auch nach gefährlichen Momenten am Berg,missglückte Gipfelbesteigungen,die schönsten Erlebnissee am und auf dem Berg und und und.Meine Liebe zu den Bergen sind die Alpen und ich sage öfters,im nächsten Leben möchte ich in den Alpen leben,ich würde gerne in der Bergrettung arbeiten,ein kleines Häuschen am Berg haben mit einem Esel,Ziegen und 2 Hunden,aber durch mein Business hier und meine Familie fehlt mir echt der Mut.Deshalb mein größter Respekt an dich,dass du dein Hobby zum Beruf gemacht hast.Bleib weiterhin gesund,dass du noch viele Bergabenteuer erleben kannst und deine vielen Bergfans mit deinen Vorträgen erfreuen wirst.
    Herzliche Grüße
    Katja

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